01.12.2014

Lokführerstreik und Gewerkschaften

Beim Streik der Lokführer ließen sich einige Phänomene des
Denkens der Deutschen, vor allem aber ihrer Medien besonders gut beobachten.

Zunächst:
nur versteckt und in abgelegenen Periodika konnte man den Hintergrund zur
Geschichte der beiden Gewerkschaften EVG (die dem DGB angehört) und der
Lokführergewerkschaft GDL lesen. Denn während die GDL auf eine fast hundertjährige
Geschichte zurückblicken kann – sie wurde 1919 gegründet, nachdem die Weimarer
Verfassung endlich auch Beamten die Koalitionsfreiheit einräumte –, hat die EVG
und ihre Vorgängerin Transnet alles andere als eine ruhmreiche Geschichte. Denn
die DGB-Gewerkschaft Transnet um ihren Vorsitzenden Norbert Hansen (SPD)
kämpfte zwar „geschlossen Seit’ an Seit’“, aber nicht etwa mit den
ArbeitnehmerInnen oder den BürgerInnen, sondern mit dem damaligen Bahnchef
Hartmut Mehdorn, und zwar für die Privatisierung der damaligen Bundesbahn. Daß
eine Gewerkschaft wie die Transnet zu den führenden Propagandistinnen einer
Teil- bzw. einer Kapitalprivatisierung der Bahn zählte, ist so wohl auch nur in
Deutschland möglich. Und auch sonst waren Hansen und Transnet, wie Jens Berger
auf den „Nachdenkseiten“ ausführlich beschreibt, „eher Vertreter der Arbeitgeberseite und setzten sich geflissentlich
über die Interessen der Arbeitnehmer hinweg. Transnet ist beispielsweise dafür
mitverantwortlich, daß die Deutsche Bahn systematisch Leiharbeiter als
Lokführer einstellen konnte“ – erst Jahre später konnte die GDL durch ihre
Streiks dieses Geschenk von Transnet an Bahnchef Mehdorn revidieren. Und 2007
kam es zum großen Zusammenstoß von Transnet und GDL, nachdem Transnet “einen Tarifvertrag mit der Deutschen Bahn
unterzeichnete, der es der Bahn gestattete, über fragwürdige
Vertragsbedingungen neue Lokführer zu Stundenlöhnen von 7,50 Euro einzustellen.
Nicht die „Lokführergewerkschaft“, sondern Transnet war laut Vertrag für diese
„Lokführer zweiter Klasse“ verantwortlich, die formaljuristisch als
„Mitarbeiter mit eisenbahnspezifischer Ausrichtung“ bezeichnet wurden.“

Der
ehemalige „Arbeiterführer“ Norbert Hansen saß kurz darauf übrigens dort, wo er
schon immer qua Handlung hingehört hat: Der Gewerkschaftsvorsitzende wechselte
ohne jegliche Übergangszeit mit fliegenden Fahnen die Seiten und wurde Mitglied
just im Vorstand der Deutschen Bahn AG, für deren Privatisierung er sich als
Gewerkschaftsboß so stark gemacht hatte, und zwar als Arbeitsdirektor. „Für
die nicht einmal zwei Jahre, die er dann im Vorstand der Deutschen Bahn AG
verbrachte, überwies ihm das Staatsunternehmen inkl. Abfindung stolze 3,3
Millionen Euro.“

Das lief alles wie geschmiert. Wer hat uns verraten?
Genau.

Daß die Medien sich beim Lokführerstreik so eindeutig auf
die Seite der Arbeitgeber geschlagen haben, von der Blödzeitung bis zu den
Edelfedern der „Süddeutschen“ – wen wunderts, was will man erwarten. Und daß
die Bevölkerung dann das nachplappert, was die Medien vorgeben – nebbich. Wenn
Arbeitgeber und Manager Personal abbauen, steigen die Aktienkurse. Wenn dagegen
die Abhängigen für ihre Interessen kämpfen, wenn sie sich gegen die
allgegenwärtige ökonomische Erpressung wehren, herrscht Empörung – wie können
die nur! So sind die Zeiten.

Das Verhalten einiger Medien beim Lokführerstreik war
allerdings besonders eklig, da haben einige ihre wahre Fratze gezeigt. Etwa der
Kölner „Express“ („Die GDL läuft Amok“)
und die Blödzeitung („Lokführer laufen
Amok“) – da wurde keine Sekunde darüber nachgedacht, was Amokläufe wirklich
sind, denn die Lokführer haben natürlich keineswegs Menschen ermordet, wie die
Amokläufer z.B. in Winnenden oder auf der Insel Utoya, sondern von ihrem
verfassungsgemäßen Grundrecht Gebrauch gemacht. Dagegen wurde die Jagd auf den
Vorsitzenden der Lokführergewerkschaft, Claus Weselsky, eröffnet, der tagelang
als eine Art durchgeknallter Lokführerkönig dargestellt wurde, dem quasi der
Untergang des Abendlandes zu verdanken sei. Und folgerichtig startete die Springerpresse,
die so etwas in den 60er Jahren ja schon einmal erfolgreich in Sachen Rudi
Dutschke durchexerziert hatte, ihre ganz besondere Hetzjagd auf den
Gewerkschaftsvorsitzenden und veröffentlichte via „Bild“, „B.Z.“ und „Bild.de“
am 5.11.2014 die Telefonnummer seines Büros. Und „Focus Online“ veröffentlicht
am selben Tag ein Foto des Mehrfamilienhauses, in dem Weselsky wohnt, nicht,
ohne die Gegend zu beschreiben und ein Foto der Eingangstür mit Hausnummer zu
zeigen. „So versteckt lebt Deutschlands oberster
Streikführer“, raunt „Focus Online“ und redet von einem „geheimen Rückzugsort“, wo er sich „wie ein vorverurteilter Verdächtigter“
fühlen müsse...

Auch die sogenannten seriösen Medien greifen im Gefolge zu
Begriffen des Vulgärjournalismus, erklären Weselsky zum „Staatsfeind Nr. 1“
oder lassen, wie das Staatsfernsehen, überforderte Moderatorinnen darüber
plappern, daß „in diesen Monaten die
Deutsche Bahn berät, ob es nicht vielleicht doch möglich ist, diesen Streik
noch juristisch zu stoppen, irgendwie“ (ARD), während natürlich nicht die
Deutsche Bahn, sondern das Arbeitsgericht Frankfurt tagte, um über die
Rechtmäßigkeit des Streiks zu entscheiden. Aber was soll eine Texte-Aufsagerin
im Staatsfernsehen schon von den Grundfesten des Rechtsstaats verstehen.

Da ist es dann nicht mehr weit bis zu den Edelfedern der
„Süddeutschen Zeitung“. Im Leitkommentar der Ausgabe vom 5.11. erklärt uns eine
Daniela Kuhr unter dem Titel „Die Rechthaber“, daß man Grundrechte doch wohl
nur bis zu einem gewissen Grad in Anspruch nehmen dürfe: „Man sollte mit Rechten verantwortungsvoll umgehen. Wer das nicht
macht, braucht sich nicht zu wundern, wenn der Gesetzgeber auf die Idee kommt,
diese Rechte eines Tages zu beschneiden.“ Oder, in anderen Worten: Wer von einem
Grundrecht tatsächlich Gebrauch macht, das, wenn es nach den süddeutschen
Qualitätsjournalisten geht, wohl doch nicht mal das Papier wert ist, auf dem es
steht, der sorgt logischerweise dafür, daß dieses Recht revidiert wird.
Ungefähr so haben wir uns den Rechtsstaat schon immer vorgestellt. Mit Betonung
auf rechts.