27.04.2014

Einige Gedanken zu der Deutschen Lieblingskünstler Ai Weiwei

„Propaganda und
Aufklärung“ – das ist der Titel des aktuellen Newsletters des Palace in St.
Gallen, und in der Tat, in Zeiten, da Werbespots auf der Fressenkladde eine
ganz besonders coole Hipness erzeugen können, in Zeiten, da die Schlammflut
parfümierter digitaler Kommerzpropaganda einem Augen und Ohren wegbläst, sollte
man auf dieses schöne, altmodische Wort zurückkommen, nämlich, eben:
Propaganda!Nehmen wir das
Bohei, das die deutschen Medien und die deutsche Politik dieser Tage erneut um Ai Weiwei
veranstalten. Was in dem Zusammenhang an falschen Behauptungen aufgestellt und
veröffentlicht wird, an eindeutigen Unwahrheiten und Vermutungen, die als
Wahrheiten hingestellt werden, ist schier unglaublich – dagegen ist, wie
Christian Y. Schmidt gesagt hat, die chinesische Propaganda geradezu ein
Kindergeburtstag.Nehmen wir den
Grund, warum Ai Weiwei von den chinesischen Behörden verhaftet worden war und
bis heute nicht ausreisen darf – bei Steuerhinterziehung im Millionenbereich
auch in Deutschland durchaus gängige Praxis. Die deutschen Medien wie die
sogenannte „linksliberale“ Frankfurter Rundschau haben Ai ja bereits vor Jahren
heilig gesprochen – im Wortsinn: dort wurde Ai Weiwei 2012 allen Ernstes als
der „Heilige Ai“ bezeichnet, als ein Idealchinese, eine Art „Ersatz-Dalai Lama“
(daß die Journalisten nicht einmal wissen, was im Chinesischen Vor- und was
Nachname ist, läßt in die kulturelle Ernsthaftigkeit, mit der sich mit dem Thema
beschäftigt wird, tief blicken...). Demzufolge kann an dem Vorwurf der
Steuerhinterziehung natürlich nichts dran sein. Ein Heiliger hinterzieht ja wohl keine Steuern.Insofern liest
man in deutschen Medien immer von Ai Weiwei als nahezu selbstlosem Mann,
der z.B. für die Kinder kämpft, die Opfer eines Erdbebens wurden. Nirgendwo
liest man jedoch, daß Ai Weiwei etwa als Projektkurator für das Projekt „Ordos
100“ gearbeitet hat, die Idee des Multimillionärs Cai Jiang, der u.a. als
Großzulieferer für den innermongolischen Molkereigiganten Meng Niu fungierte –
diese Firma war übrigens 2008 in den Melamin-Milchskandal verwickelt, der
mehreren Kleinkindern das Leben kostete. Der in China lebende Autor Christian
Y. Schmidt beschreibt, wie Cai Jiang plante, mitten in der mongolischen Steppe
ein Kunstmuseum und um das Museum herum hundert Villen anlegen zu lassen,
inklusive Indoorpools und Dienstbotenquartiere – eine fette „gated community“
für neureiche Chinesen. Cai Jiang hat zu diesem Zweck das, natürlich, Schweizer
Architekturbüro Herzog & de Meuron verpflichtet, und eben Ai Weiwei als
Projektkurator, der selbst den Masterplan für die neue Luxussiedlung entwarf.
Die Architekturzeitschrift „Urbane“ titelte über dieses Projekt „Rebuilding
Xanadu“.Oder: niemand fragt sich, wie Ai Weiwei als
Künstler in einem Land, in dem das durchschnittliche Jahreseinkommen eines
Städters im Jahr 2013 bei 3.556,94 Euro lag (und in der Gruppe der hohen
Einkommen standen jeder Person auch nur durchschnittlich 6.788,24 Euro im Jahr zur Verfügung),
mal eben den Betrag von 600.000 Euro zuzüglich Zinsen und Strafgebühren bei den
Behörden seines Heimatlandes hinterlegen kann. Oder in bester Berliner Lage für
einen Millionenbetrag ein Atelier erwerben kann. Ist es denn tatsächlich
auszuschließen, daß ein Künstler, der auch als Teilzeit-Architekt (siehe das
Beijinger Olympiastadion) oder als Projektkurator (siehe oben) tätig ist und
dessen Werke im Westen für Millionenbeträge verkauft werden, Steuerschulden
hat? Wie können sich alle Berichterstatter in dieser Sache so sicher sein?

Am besten hat mir der Berliner Rechtsanwalt und
Kulturmann Peter Raue gefallen. Ach was, falsch: nicht Peter Raue hat mir am
besten gefallen, sondern die deutsche Journaille, die ihre (Rest-...)Intelligenz,
ihr Kombinationsvermögen und ihre kritische Haltung vor der Pressekonferenz
Raues an der Garderobe abgegeben hat. Raue jedenfalls hat, wie er auf dieser
Pressekonferenz im Berliner Martin-Gropius-Bau erzählte, in Beijing die
Unterlagen studiert, die „Akten und Fakten“, wie er es nannte. Kann Herr Raue
etwa Chinesisch? Kann er nicht, wie er in einem Interview bekannte. Ist er
Experte im chinesischen Steuerrecht? Kein bißchen. Hat er Kontakt mit den
Behörden aufgenommen und zumindest versucht, sich von ihnen den Sachstand
erklären zu lassen, also auch die andere Seite anzuhören? Mitnichten.Man muß sich das so vorstellen: Raue düst nach
Beijing, wo ihn Ai Weiwei erwartet. Der und seine Anwälte zeigen Raue die
„Akten und Fakten“, wie der „Tagesspiegel“ das in hinterhereilendem Gehorsam
nannte. Akten, die Raue nicht versteht und nicht lesen kann, weil er eben das
Chinesische nicht beherrscht. Akten aber, nach deren Durchsicht, die die Presse
dann „Rercherche“ nennt, feststeht: „Nichts,
gar nichts liegt gegen Ai Weiwei vor.“ (so der Tagesspiegel und in
Variationen alle anderen deutschen Medien). „Haltlose, abstruse Vorwürfe: (...) Steuervergehen.“„Der dann
doch schriftlich erhobene Steuervorwurf“ (einen Absatz zuvor wurde noch
behauptet, es gebe „lediglich mündliche“
Mitteilungen der chinesischen Behörden, BS) „bezieht
sich ausschließlich auf die Firma ‚Fake’ – an der Ai Weiwei jedoch nie Anteile
hatte. Geschäftsführerin ist seine Ehefrau“ („Tagesspiegel“) – nun, das
sollen auch deutsche Steuerhinterzieher schon praktiziert haben, daß ihre
Ehefrauen plötzlich Firmen besaßen und die Ehemänner nichts, aber auch rein gar
nichts damit zu tun hatten...

Stellen wir uns das ganze Bohei mal andersherum
vor. Stellen wir uns einen Moment lang vor, ein nicht des Deutschen noch des
Englischen, ja nicht einmal der in Deutschland verwendeten Schriftzeichen
mächtiger chinesischer Fußballfunktionär würde nach Bayern reisen. Er ließe
sich in den Monaten vor Hoeneß’ Prozeß – falls Sie das vergessen haben sollten:
das war die Zeit, als Hoeneß noch nicht der reuige Steuersünder war, sondern
derjenige, der es als Skandal bezeichnete, daß gegen ihn, den „Vater Teresa vom Tegernsee“ (so
Karl-Heinz Rummenigge, selbst einschlägig vorbestrafter Uhrenschmuggler),
Ermittlungen liefen und er in den Medien „vorverurteilt“ werde... – von dessen
Anwälten die Aktenordner zeigen, die er natürlich nicht lesen könnte. Dann
würde dieser chinesische Fußballfunktionär nach China zurückfliegen und in
Beijing eine große Pressekonferenz geben, auf der er behauptet: „Nichts, gar
nichts liegt gegen Uli Hoeneß vor.“ Und: „Die angeblichen Steuervergehen von
Uli Hoeneß sind komplett haltlose Vorwürfe.“ Und: „Daß Uli Hoeneß der Prozeß
gemacht wird, ist ein Skandal des bundesdeutschen Regimes.“ Und flugs würde
dieser chinesische Fußballfunktionär auch noch ein Solidaritätskomitee gründen
mit dem Ziel, daß Hoeneß nicht ins Gefängnis müsse, sondern zu einem
Fußballspiel des FC Bayern bei Beijing Guoan frei reisen dürfe.Sagen Sie selbst: Sie würden sich doch an den Kopf
tippen, oder? Und Sie würden den Kopf schütteln, wenn irgendein Journalist unkritisch
über diese Pressekonferenz berichten würde.Das ist aber genau das, was die deutschen Medien
im Fall des „Heiligen Ai“ produzieren.Daß die hiesigen Medien dabei permanent mit Lügen oder unwahren
Behauptungen arbeiten, ist perfide. Der angebliche „Dissident“ Ai Weiwei hat
jahrelang mit den staatlichen Behörden Chinas prächtig zusammengearbeitet, etwa
beim Jinhua Architecture Park, den Ai Weiwei im Auftrag der lokalen Regierung
in der Nähe von Shanghai errichten ließ. Ein Foto in der Zeitschrift „Urbane“
zeigt Ai Weiwei bester Laune bei der Eröffnungsfeier zusammen mit
Regierungsvertretern. Oder die immer wieder gerne verbreitete Behauptung, daß
Ai Weiwei noch nie in China habe ausstellen dürfen – während man im Internet
ohne Probleme Fotos z.B. von der Ausstellungseröffnung einer Ai Weiwei-Schau in
der Pekinger Galerie Faurschou betrachten kann, die dort 2009 monatelang lief.
Und Ai Weiwei, der sich angeblich in China nicht äußern darf, postet und
blogged munter auf Google+ und in anderen Medien – es interessiert nur eben in
China nicht viele Leute. Und Ai Weiwei, der doch angeblich zensiert wird, darf
Kunstwerke für eine Berliner Großschau herstellen und sie ohne Probleme und
offiziell via Shanghai nach Deutschland senden, ohne daß ihn die chinesische
Regierung daran hindern würde. Zensur stelle ich mir anders vor... (und es gibt Zensur, in China wie andernorts,
und das ist unangenehm und nicht zu rechtfertigen, damit wir uns da nicht
mißverstehen).

„Seit Wochen strömen deutsche Journalisten, Kuratoren
und Anwälte wie Zugvögel nach Peking, um den Künstler in seinem Studio zu
treffen und ein paar Informationen aufzupicken über ihn und seine Ausstellung.
Man ließ sich hübsch mit dem Künstler fotografieren und filmen und schrieb
emphatisch über seine Geschichte: über das Unrecht, das er dokumentiert, die
Meinung, die er sagt, die Freiheit, für die er kämpft.“ (Antje Stahl in
der „FAZ“)(Was mich am Rande
interessieren würde: wer finanziert denn eigentlich all den bundesdeutschen
Journalisten ihre Reise in Ai Weiweis Atelier? Das erinnert sehr an die von den
Plattenkonzernen finanzierten Promoreisen zu einer Zeit, als die Musikindustrie
noch mehr Geld hatte als heutzutage – auch damals entstanden liebesdienerische Artikel über die Künstler, die die Journalisten besucht hatten...)Ob im
„Tagesspiegel“, in der „Zeit“, im „Spiegel“ – allüberall Schranzen, die sich
als Journalisten ausgeben, am Hof des Heiligen Ai, Jünger auf Pilgerfahrt, auf
der das Heiligtum beschaut wird und keinesfalls in Frage gestellt, es kann nun
einmal nicht sein, was nicht sein darf, man will einzig eine Bestätigung der
vorgefaßten Meinung, das ist der einzige Behuf all der Dienstreisen in die
„chinesische Diktatur“. Und ganz offensichtlich geht es nur um diese eine,
einzige Narration – das Vermögen, Kunstwerke mit Sachverstand zu betrachten und
zu analysieren, wurde in Deutschland zurückgelassen (falls es denn je
bestand...).

Und was noch
auffällt: keiner und keine all der JournalistInnen auf Pilgerfahrt in Beijing
hat auch nur eine einzige Kunstausstellung besucht – oder zumindest nicht
darüber berichtet. Kein Wort, nirgends. Dabei läuft im unabhängigen „Ullens
Center for Contemporary Art“ (UCCA) eine beeindruckende Schau von Xu Zhen. Dort
hat der Künstler zum Beispiel die große kommunistische Bronze vorm
Volkshelden-Monument des Tian’anmen-Platzes nachgebaut – mit lauter Steinzeitmenschen.
Es ist eher eine der schwächeren Arbeiten in dieser Schau, aber: ja, so etwas
darf in Beijing gezeigt werden. Ohne Probleme. Mitten im Herzen der Diktatur...Oder die Schau von
He Xingyon im Today Art Museum: auf riesigen Formaten zeigt der Künstler
Foto-Kunstwerke vom Eingriff der chinesischen Moderne in die Natur – von der
Zerstörung der Natur, von Umweltkatastrophen (etwa einer Explosion in einer Chemiefabrik
in Chao Tian Men, die den nebenliegenden Fluß blutrot färbt). Fotos, die in
Qualität und Format an Gursky erinnern, die kritisch sind, und ja, auch so
etwas wird in Beijing in Museen gezeigt.Oder die
eindrucksvolle Schau zum 60jährigen Bestehen der Kunstschule der Akademie im
Nationalen Kunstmuseum. Alles Ausstellungen, die ohne Zweifel hervorragend
sind, die ein kritisches Bild von China transportieren (wenn es Ihnen darauf
ankommt...) – die aber von all den deutschen Journalistinnen und Journalisten,
die in Beijing beim Heiligen Ai zugange waren, souverän ignoriert wurden.

Kann das Zufall
sein? Peter Hacks schrieb einmal den bösen Satz: „Ein Land, das Medien hat, braucht keine Zensur.“ 

P.S.Letztlich am
besten hat mir dann doch eine Stelle im Artikel von Deutschlands führendem
investigativen Magazin gefallen. Da wird Ai Weiwei mit Gandhi und Picasso
verglichen. Kleiner hamses grade nich: „Ai
ist in seiner Wirkung eine Mischung aus Gandhi und Picasso. Er steht auf der
richtigen Seite der Moral und der Kunst.“ („Spiegel“)Ah ja. Aber hat
der Heilige Ai nicht auch schon zwei Musikvideos gedreht? Sollte man ihn also nicht
auch auf eine Stufe mit Beethoven oder Mozart stellen? Und jüngst soll er sogar
in einem Kurzfilm mitgewirkt haben, der „heimlich“ in Beijing entstanden ist
(wie geht das eigentlich, „heimlich“, wo der Künstler doch tagein tagaus
permanent überwacht wird? nun ja, wollen wirs mal nicht zu genau nehmen...).
Man sollte ihn also auch mindestens mit Jack Nicholson oder Robert de Niro
vergleichen: Ai Weiwei, eine Mischung aus Gandhi, Picasso, Beethoven und Jack
Nicholson. Schon besser, oder? 

P.P.S.Und um das alles
abzurunden: Die Bohai-Bucht ist eine der drei großen Meeresbuchten im Norden
des Gelben Meeres. Vom Beijinger Südbahnhof kann man mit dem Schnellzug in
dreißig Minuten nach Tianjin an der Bohai-Bucht fahren. Vielleicht haben sich
die deutschen Medienvertreter dort ja verabredet und zu ihrem großen Bohai
inspirieren lassen? Gewissermaßen zu tief ins Wasser der Bohai-Bucht geschaut?