01.12.2013

Judith Holofernes im Spiegel

Apropos Qualitätsjournalismus: Was denken Sie, wo stand dieser Text, und über wen ist er geschrieben?„Sie will ein Album vorlegen, auf dem endlich ‚alles genau so klingt, wie ich es will’, sagt sie, das Visier aus Filz und Wolle für einen Moment geöffnet, das Gesicht gerötet von der Last des falschen Pferdes. Sie hat, auf den ersten Blick, noch immer die anrührend klaren Augen des Mädchens, das sie vor 15 Jahren war, in der Zeit vor dem Ruhm, vor der Heirat, vor den Kindern. Die blauen Augen der entschlossenen jungen Frau, die damals auch schon 22 war und die bei ihren allerersten Auftritten in vergammelten Kneipen ihren Traum besang, ein Popstar zu werden, auf der ganz großen Bühne (...)Sie konnte nicht wissen, wie es sich anfühlen würde ‚da oben’, im Licht, auf Platz eins der Charts, auf Festivals vor 80.000 zahlenden Zuschauern, wie es sich sitzt in den Fernsehstudios bei Maybrit Illner, bei Harald Schmidt, als er noch groß war, wie es ist, dem Dalai Lama die Hand zu schütteln. (...) Sie wußte nicht, wie erbarmungslos der Rummel um den Ruhm sein kann, wie tief Müdigkeit geht, wie schnell sich alles anfühlt, ‚als würde man sich nicht mehr selbst gehören’. Sie ahnte nicht, daß Popstar werden leichter ist als Popstar sein.Ihre Augen spiegeln diese Erfahrung heute, auf den zweiten Blick, eine Spur von Zweifel liegt manchmal in ihnen, eine kleine kichernde Angst, wenn sie sich die Reaktionen auf ihre neue Platte ausmalt, die Gemeinheiten, mit denen sie rechnen muß. (...) Dünn ist ihre Haut geblieben, ihr Panzer nur aus Wolle und Filz. (...) In den Liedern steht sie da, offen, verletzlich, erschütternd, den Kopf geneigt zum Nackenbiß.“Na? „Das neue Blatt“? „Gala“? Ein Lore-Roman? Susanne Messmer in der „Zeit“ über eine tibetanische Sängerin?Nein, das altherrenhafte Gesülze stand im „Spiegel“, und der Artikel ging über Judith Holofernes. Vor einiger Zeit hat sich die Künstlerin selbstbewußt gegen die Vereinnahmung der Blöd-Zeitung gewehrt. Daß leitende Redakteure der Blödzeitung jetzt leitende Redakteure beim „Spiegel“ sind und dort längst Artikel geschrieben werden, die so auch in der „Bunten“ stehen könnten – wer konnte so etwas ahnen. Ein derartiges Geschreibsel hat Judith Holofernes jedenfalls nicht verdient.