01.12.2013

Lou Reed Nachrufe

Klar, unsereiner macht sich über den Zustand des hiesigen „Qualitätsjournalismus“ in der Regel wenig Illusionen (was nicht heißt, daß es immer noch eine gewisse Anzahl seriöser und guter JournalistInnen gibt – aber das wissen Sie ja selbst, daß man aus dem Allgemeinzustand einer Branche nicht auf jeden einzelnen dort Arbeitenden schließen darf). Wenn es einem aber gerade wieder einmal passieret, dann... Reden wir vom Tod Lou Reeds. Kaum ein deutscher Artikel, der ohne die Beschreibung Lou Reeds als „schwierig“, als „Feind von Journalisten“, als „Todeszwerg“ gar (in der „Welt“, als Titelzeile Lester Bangs zitierend) auskam – im interessanten Gegensatz übrigens zur französischen Musikpresse („Les Inrockuptibles“ brachte ein lesenswertes, mehrseitiges Interview mit Lou Reed) oder zu US-Medien, wo gerade die Freundlichkeit und Kollegialität des Künstlers hervorgehoben wurde.Besondere Erwähnung verdienen jedoch zwei hiesige Medien. In der „taz“ findet deren Pop-Chef, der die letzten Konzerte von Lou Reed 2012 noch als „Flop des Jahres“ bezeichnet hatte und in seiner Rezension damals von Lou Reeds Musik offenkundig überfordert war und es deswegen vorzog, ausführlich über die Regenjacken seiner Fans zu berichten, daß „seine Songs mit zum Größten gehören, was die Popmusik je hervorgebracht hat“.Auch toll der Nachruf von Thomas Groß auf der Titelseite (!) der „Zeit“, dieses altjungfernhaften Hamburger Mediums, das bevorzugt zu spät kommt, dann aber mit großem Getöse. Thomas Groß jedenfalls hat eine Fantasie: „Zu schade, daß er es nicht mehr auf Tour geschafft hat“, beginnt er seinen Artikel. Und schwurbelt dann, daß eine Tour doch prächtig „gepaßt“ hätte „zu einem Jahr, in dem sie alle noch einmal vorbeigezogen kamen, der heilige Neil, der olympische Leonard, der sakrosante Bob“, doch allein, „auf seine Weise aber war es folgerichtig, daß er fehlte: An Verabredungen gleich welcher Art hat Lou Reed sich nie gehalten“, nicht einmal an Verabredungen mit einem „Zeit“-Schreiberling, die nur in dessen Fantasie stattfinden.Aber das ist eben das Dilemma weiter Teile des deutschen Musikjournalismus: weiter als bis zum eigenen Bauchnabel reicht der Horizont in aller Regel nicht. Und wenn der Herr Zeit-Autor und sein Bauchnabel bei der letzten Lou Reed-Tour 2012, zu der ja gut 16.000 Menschen kamen, nicht dabei waren, dann kann diese Tournee natürlich einfach nicht stattgefunden haben. Und im besten deutschen Bauchnabeljournalismus-Stil darf man dann auf der Titelseite der „Zeit“ beklagen, daß es Lou Reed „nicht mehr auf Tour geschafft hat“.Wie armselig.(was jetzt nicht heißen soll, daß es nicht auch hierzulande angemessene Lou Reed-Nachrufe gegeben hätte, z.B. von Dietmar Dath in der „FAZ“, von Jens Balzer in der „Berliner Zeitung“, von Andrian Kreye in der „SZ“ oder von Karl Bruckmaier in der „taz“).