04.10.2013

Blog September-Rundbrief

Und wer ist Deutschlands bedeutendster Indie? Klar, das ist „Indie-Neumann“,
der Kulturminister. So sehen das zumindest die Funktionäre des VUT, des
Dachverbands der deutschen Indie-Plattenfirmen, die dem Kulturstaatsminister
soeben den „Sonderpreis“ der „VUT Indie Awards“ überreicht haben.

Doch wofür steht der CDU-Minister? Seit Jahren profiliert sich Neumann
als „Anwalt der Kreativen“, womit er jedoch
nicht etwa gesetzlich festgelegte Mindestgagen für Künstler oder Mindestlöhne
für die oft geringfügig Beschäftigten in der Kulturindustrie meint, sondern „ein Urheberrecht, das (...) den
wirtschaftlichen Erfolg absichert“ – den wirtschaftlichen Erfolg der
Verwertungsindustrie wohlgemerkt. Laut Neumann gibt es „kein Recht auf Privatkopie“ und „keinen kostenlosen Zugang zu Kulturgütern“ – Sprüche, die nur
verdeutlichen, daß er sich weniger als Staatsminister für „Kultur und Medien“,
wie sein Amt korrekt betitelt ist, denn als Minister „für Kulturindustrie und
Medienkonzerne“ versteht. Daß der VUT nun der zweite Verband nach der GEMA ist,
der dem CDU-Staatsminister einen Preis verleiht, ist eine beeindruckende Bankrotterklärung
der deutschen Indie-Musikfirmen. Die CDU-Granden grölen auf ihrer Wahlparty ein
Lied der Schlagerrockband „Tote Hosen“, und die Funktionäre der Indies kriechen
CDU-Ministern in den Hintern. Über den moralischen und politischen Zustand der deutschen
Musik-Szene sollte man sich keine Illusionen machen. World gone terribly wrong.

* * *

Sie haben es vielleicht gelesen: Auf dem Reeperbahn-Festival in Hamburg
wurde letzte Woche der "Spielstättenprogrammpreis" der Bundesregierung
und der "Initiative Musik" verteilt. Sie werden sich erinnern: Ich
fordere seit etlichen Jahren eine flächendeckende bundesweite
Spielstättenförderung für soziokulturelle Zentren und qualitätsorientierte
Konzertveranstalter. Der Betrag, ab dem so eine flächendeckende
Spielstättenförderung, wie sie Frankreich in den 80er und 90er Jahren des
letzten Jahrhunderts erfolgreich vorgemacht hat, Sinn macht, beträgt ca. 100
Millionen Euro - die man sicher über fünf oder sechs Jahre strecken könnte. Es
geht darum, die Spielstätten für Zeitkultur strukturell abzusichern statt
Almosen zu verteilen.

Doch die Mühlen bundesdeutscher Politik mahlen langsam, und wenn sie
denn nach Jahren mal zu mahlen beginnen, mahlen sie falsch. Denn statt einer
sinnvollen flächendeckenden Spielstättenförderung haben
"Indie-Neumann", also der Staatsminister für Kultur, und der
Cheflobbyist der deutschen Musikindustrie, Dieter Gorny, einen Alibi-Preis
ausgeheckt: es gibt keine wirkliche substantielle und flächendeckende
Förderung, sondern man kann einen "Preis" gewinnen - es gibt also
eine Jury, die entscheidet, an wen die Almosen verteilt werden. Und so haben
insgesamt 55 Clubs und Veranstalter nun insgesamt 870.000 Euro aus den Händen
der Initiative Musik erhalten, in drei Kategorien, 30.000, 15.000 oder 5.000
Euro - wirklich nur Almosen und wenig mehr als ein paar Tropfen auf den heißen
Stein. Aber man erwartet sich natürlich Dankbarkeit von den Almosenempfängern,
die mußten unterwürfige Dankesadressen an die edlen Almosenverteiler verfassen,
man kann das alles auf der Homepage der Initiative Musik unter
"Spielstättenprogrammpreis" nachlesen.

Das besonders Interessante ist allerdings, daß der Deutsche Bundestag ja
eine Million Euro für den Spielstättenprogrammpreis der Initiative Musik zur
Verfügung gestellt hat. Verteilt wurden aber nur 870.000 Euro. Was ist mit den
restlichen 130.000 Euro passiert, mag man sich fragen, wenn man rechnen kann
und zu recherchieren gelernt hat. Ja, was ist mit den restlichen 130.000 Euro
passiert?!? Man kann es etwas verschämt und versteckt zum Beispiel auf der
Website von "Jazz Thing" finden: "die Differenz von 130.000 Euro wurde
gebraucht, um unter anderem die Preisverleihung am 25. September im
Hamburger
Übel & Gefährlich zu finanzieren", heißt es
da.Man muß sich das auf der Zunge zergehen lassen. Da
stellt das Parlament aus unseren Steuergeldern 1 Million Euro für die
Spielstättenförderung zur Verfügung. Die Feudalherren verteilen mit großer
Geste Almosen in der Höhe von 30.000, 15.000 und 5.000 Euro an 55 ausgewählte
Clubs - aber selber schmeißen Gorny und Indie-Neumann u.a. eine Party für ein
Vielfaches dieser Summen, nämlich für 130.000 Euro, um sich selbst zu feiern
und um hübsche Fotos von sich in den Hofberichterstattungs-Postillen der
Musikindustrie zu sehen. Was für eine Bagage...

* * *

Am 30.September hatte in den USA die erste Fernsehserie Premiere, die
Live Nation Entertainment, der weltweit größte Konzertveranstalter und
Dominator des weltweiten Live-Business, produziert hat – in „Partnerschaft mit der Ford Motor Company“,
wie es im Bericht des „Wall Street Journal“ heißt – „powered by Ford Fiesta“ also.

Die Sendung „The Rider Challenge“ hat ein einfaches Prinzip. Es geht um
die Rider von Bands – man müßte präzise sagen um die „hospitality rider“ (denn
es gibt auch technical rider), also um die mitunter recht ausgefeilten und
anspruchsvollen Wünsche der Bands, was ihr Essen, ihre Getränke und ihre, ähem,
Drogenwünsche („white socks“ zum Beispiel) hinter der Bühne angeht.

Fünf eher mediokre Bands. Und sechs Teams in, genau, Ford Fiestas sind
am Start, um diese Wünsche in die Realität umzusetzen, und man darf ihnen dabei
zusehen.

Eine Fernsehsendung über die Rider von Bands wie Kid Cudi, Fitz &
The Tantrums oder The Lumineers zu sehen, dürfte allerdings ungefähr so
interessant sein, wie ausführlich die Backline der Rolling Stones zu
betrachten. Für Fans des Ford Fiesta mag das ein ausreichendes
Freizeitvergnügen darstellen, der Rest der Welt hält die neue Erfindung von
Live Nation wohl eher für eine, nun, man könnte sagen „Schnapsidee“, wenn das
nicht eine beleidigende Herabwürdigung dieses Getränkes wäre.

* * *

In der „Berliner Zeitung“ lese ich die Überschrift: „Künftig Altersgrenze bei
Wagner-Festspielen“. Schreckt man vor gar nichts mehr zurück? Erst sollen
die älteren MitbürgerInnen ihren Führerschein abgeben, und dann dürfen Sie
nicht mal mehr in Bayreuth ihren Wagner goutieren? Und dann stelle ich mir
sofort die zweite Frage: Mutige Entscheidung, wie will die Festspielleitung
denn dann künftig ihre heiligen Hallen füllen, wenn die Alten nicht mehr kommen
dürfen?

Doch gemach – die Meldung klärt auf: Bei den Bayreuther Festspielen
haben 20 Mitarbeiter in den vergangenen Jahren ihre Stelle verloren, weil sie
65 Jahre oder älter sind. Es geht also nur um die „konsequente Umsetzung der gesetzlichen Altersregelung“...

* * *

„Interpol und Deutsche
Bank,

FBI und Scotland Yard,

Flensburg und das BKA

haben unsere Daten
da.“

Kraftwerk, Computerwelt (1981)

* * *

Interessant ist übrigens, daß Angela Merkel und ihre
Minister und die 4.000 bundesdeutschen Top-Regierungsbeamten abhörsichere
Smartphones nutzen, die zwischen EUR 1.700 und EUR 2.500 pro Stück kosten, was
natürlich wir alle bezahlen. Und das, obwohl Minister Friedrich doch immer
behauptet, daß nur diejenigen Angst vor NSA- und BND-Überwachung haben müssen,
die etwas zu verbergen haben...

Aber auch bei der Abhörsicherheit gibt es eben eine
Zwei-Klassen-Gesellschaft: Diejenigen, die es sich leisten können, abhörsichere
Smartphones zu nutzen (oder die es sich von ihren Untertanen bezahlen lassen),
und diejenigen, deren mobiler Telefon- und Datenverkehr für alle, die an die
Daten wollen, offen bereit liegt.