02.04.2004

Und Ansonsten 2004-04-02

Zu
den vielen Dingen, die unsereinen nerven, gehört zweifelsohne die Behauptung,
der Musikindustrie gehe es schlecht. Allein schon dieses Wort,
"Musikindustrie"! Diejenigen, die das Wort in den Mund nehmen, wissen
in den seltensten Fällen, was sie genau meinen (geschweige denn, was sie sagen,
aber das ist ein anderes Problem…). Gemeint ist von den vielen selbstberufenen
Kommentatoren in der Regel die Tonträgerindustrie - und die ist der kleinere
Teil der Musikwirtschaft. Laut einer Studie der Gesellschaft für
Konsumforschung aus dem Jahr 2000 machten bereits 1999 Konzertveranstalter
hierzulande mit 2,71 Milliarden Euro rund 240 Millionen Euro mehr Umsatz als
die Plattenfirmen (zitiert nach brand eins, 3/04). Jeder weiß, dass seit dem
Jahr 1999 die Umsätze der Plattenfirmen drastisch zurückgegangen sind, während
die Konzertveranstalter erfolgreiche Jahre hinter sich haben. Und dennoch,
selbst wenn Branchenmagazine über die Tonträgerindustrie schreiben, sprechen
sie von der "Musikindustrie". Wider besseren Wissens?
Vielleicht hat das alles auch nur damit zu tun, dass die multinationalen
Konzerne der Tonträger-Industrie sich mit größerem Pomp und Getöse darstellen,
während in erfolgreichen Konzertagenturen gearbeitet wird und ein altmodisches
Ethos besteht - weniger Außendarstellung, mehr "innere Werte", mehr
Qualität (Ausnahmen bestätigen natürlich wie immer die Regel). Um nur mal zwei
Beispiele zu nennen - es ist vielleicht einen Kilometer Luftlinie vom Sitz
dieser Agentur oder vom Sitz eines renommierten örtlichen Konzertveranstalters
zum Firmensitz der Universal - letztere wurde mit einem zweistelligen Millionenbetrag
vom Senat nach Berlin gelockt. Vivendi Universal ist die Firma, die im
vergangenen Jahr einen Umsatzrückgang von 58,15 Milliarden Euro auf 25,48
Milliarden Euro hinnehmen musste. Allein in der Berliner Deutschland-Zentrale
wurden mehr als 100 Mitarbeiter entlassen.
Die beiden genannten kleineren Konzertagenturen haben in den letzten Jahren
dagegen ihren Personalstamm gesteigert, branchenuntypisch neue Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter eingestellt. Dafür interessiert sich weder die Politik (Berlins
Unterhaltungsbürgermeister geht bei Universal ein und aus), noch die Presse.
Dort wird die "Musikindustrie" weiter über einen Kamm geschoren.
Vielleicht ist eines der Probleme der Plattenindustrie ja auch, dass sie immer
weniger mit Musik zu tun hat - man muss sich nur mal die aktuelle
Echo-Verleihung ansehen, diese präpubertäre Selbstinszenierung der
Tonträgerindustrie, mit Preisträgern wie Pur, Dieter Bohlen, all diesen
Kunstprodukten. Für die Zurschaustellung der Abendgarderobe in Magazinen wie Bunte
und Gala mag das alles reichen, aber sonst?

* * *

Wie gesagt, Ausnahmen bestätigen die Regel.
Der zweitgrößte deutsche Konzertagent, Peter Schwenkow, laut SPIEGEL im
jüngsten Börsenprospekt seiner angeschlagenen DEAG: "Auch nach der
Umsetzung des Sanierungskonzepts bleibt der dauerhafte Fortbestand der
Gesellschaft ungewiss und für Anleger ein Totalverlust der von ihnen
investierten Mittel nicht ausgeschlossen."

* * *

Während die Tonträgerindustrie weiter ihr "Sparprogramm" verschärft:
EMI streicht mal eben 1.500 Stellen weltweit (31.3.), und Warner streicht
allein in Deutschland 100 von 233 Stellen, also knapp die Hälfte (ebenfalls
31.3.).
Was ich dabei ja, neben der persönlichen Tragik für die Mitarbeiter natürlich,
bemerkenswert finde, ist, dass sich diese Plattenkonzerne sicher sind, auf die
Kompetenz, auf das Know-How von fast der Hälfte ihrer Belegschaft verzichten zu
können. Es geht ja nicht nur um die Einsparungen als solche - selbst die sind
höchst fragwürdig (nach unwidersprochen gebliebenen Berechnungen in
Wirtschaftsmagazinen hat etwa die EMI pro Arbeitsplatz, den sie im Jahr 2002
weltweit gestrichen hat - und das waren 1.800! - den Betrag von EUR 215.556
bezahlt. Was für irrsinnige Beträge von den multinationalen Konzernen
aufgewendet werden, um zu "sparen", was ja nichts anderes heißt, als
das Shareholder Value des Konzerns Aktionärs-freundlich zu halten! Die Reaktion
der Börse auf die EMI-Nachrichten von der Entlassung von 1.500 Mitarbeitern und
der Streichung von 20% der Künstler-Verträge war jedenfalls eindeutig: Die
Aktie der EMI legte am "Tag danach" um satte 8% zu!
EMI hat diesmal zusätzlich noch ein besonders smartes Konzept entwickelt, wie
weitere Einsparungen durchgesetzt werden können: Laut Aussage von EMI-Chef Eric
Nicoli sollen 20% aller Künstler-Verträge aufgelöst werden. Davon sollen vor
allem Künstler aus Nischengenres betroffen sein und Acts, deren Verkaufszahlen
unter den Erwartungen blieben.
Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Man muss ja nicht gleich
soweit gehen wie Duke Ellington, der mal gegenüber einem Schallplattenkonzern,
der ihm vorgeworfen hat, nicht genug Platten zu verkaufen, geäußert hat:
"Und ich dachte immer, die Plattenfirma sei für das Verkaufen von
Schallplatten zuständig, ich sei nur für die Musik verantwortlich."
Aber wie engstirnig, verbohrt und dämlich das Argument der Verkaufszahlen ist,
beweist nun wirklich fast die gesamte Hochkultur der letzten Jahrhunderte. Ein
Künstler wie Franz Kafka, doch wohl ohne Zweifel eine der Jahrhundertgestalten
deutscher Literatur des 20.Jahrhunderts, würde, wenn es nach Unternehmern wie
EMI-Boss Nicoli ginge, bis heute ungedruckt bleiben. Die Gesamtauflagen von
Kafkas Büchern zu Lebzeiten: "Betrachtung" 800 Exemplare, "Die
Verwandlung" 2000 Exemplare, "Das Urteil" 2000, "In der
Strafkolonie" 1000, "Ein Landarzt" 1000. Viel
"erfolgloser" geht's kaum mehr, Kafkas "Verkaufszahlen"
könnten kaum weiter "unter den Erwartungen" bleiben. Aber ist,
erstens, die Verkaufszahl eines Albums ein Kriterium für Kultur? Und hat
Kulturarbeit nicht, zweitens, sehr wesentlich mit Langfristigkeit und
Nachhaltigkeit zu tun?
Hier läuft eine Argumentation in der Kulturindustrie völlig aus dem Ruder. Klar
ist nur: Von multinationalen Konzernen wie WEA, Universal oder EMI hat man
kulturell, hat man musikalisch nur noch wenig zu erwarten. Nicht, dass diese
Feststellung neu sei. Man kann sie aber scheinbar nicht oft genug treffen.

* * *

Der "Popsänger" Jürgen Drews rechnet, wie er Musik macht: "Ich
teile durch zwei und kaufe weniger seit der Euro-Umstellung. Bei meiner Gage
hat sich nichts geändert. Früher bekam ich 16.000 Mark, heute 7.500 Euro."

* * *

"Der wahre Konservative lässt die Moden Moden sein und behält statt
ihrer seinen Verstand. Indem er ihn benutzt, hält er ihn wach und scharf.
Verstand ist, wie Geschmack, eben keine Geschmackssache, sondern die
Lebensentscheidung zwischen klug und blöde."
Wiglaf Droste

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Ob nun Bush weiterregiert, oder sein demokratischer Herausforderer, scheint mir
bei näherem Blick in das Programm des Kandidaten doch im Ergebnis
vergleichsweise wurscht zu sein - in etwa so, ob Schröder oder Stoiber. Aber
ein Gutes hätte es, wenn Bush Ende des Jahres aus dem Amt gewählt werden würde
- der unvermeidliche und unvergleichlich nervtötende Michael Moore würde
erstmal von der Bildfläche verschwinden. Und damit wäre wirklich schon viel
gewonnen.
Moore hat sich übrigens für den mittlerweile unterlegenen
Präsidentschaftskandidaten der Demokraten, General Wesley Clark, eingesetzt: "He's
the butcher of Kosovo. Maybe that's what we
need right now is a butcher. We need the butcher of Bush."
Mit derartigen Slogans bringt man hierzulande noch alle seine Bücher an die
Spitzenpositionen der SPIEGEL-Bestsellerlisten…

* * *

"Wir wollen das Leben nicht
aber es muß gelebt werden
wir hassen das Forellenquintett
aber es muß gespielt werden."
(Thomas Bernhard)
Zumindest, was das Forellenquintett angeht, würde ich dem Dichter aber
widersprechen…

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"Schröder lobt Schröder"
(Schlagzeile auf der Titelseite der Berliner Zeitung)
Tschah, einer muß es tun. Einer muß die unangenehmen Dinge tun…

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"Wir leben im Zeitalter der Zombies, was die Welt ebenso langweilig wie
unberechenbar macht. Von Schröder/Fischer etc. weiß man mit Sicherheit nur,
dass sie jedes Spiel mitspielen werden. Ob es Pazifismus oder Militarismus,
Antiimperialismus oder Atlantismus, soziale Marktwirtschaft oder
Manchesterkapitalismus heißen wird, hängt allein von den Umständen ab."
Wolfgang Pohrt

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Nun soll ja eine neue Partei "links von der SPD" gegründet werden.
Puh, da wird der Platz aber ganz schön eng. Links von der SPD, da gibt's doch
schon Stoibers CSU…

From Disco to House
With a click of the computer mouse
Getaucht in Musik
Schalten wir Regierungen aus.
(F.S.K.
in dem großartigen Titel "Doctor Buzzard's Original Savannah Band")