03.03.2004

Und Ansonsten 2004-03-03

Dass
das Feuilleton des Spiegel nicht gerade zu den Stärken des Blattes gehört, ist
ein offenes Geheimnis. Und der Popteil mit seiner Hofberichterstattung tut ein
Übriges dazu, dass man die zweite Hälfte des Hamburger Blatts getrost
ignorieren kann - Tiefpunkt war im Januar der Artikel über Tim Renner,
konsequent aus der Perspektive geschrieben, in der die Bunte über Uschi Glas
berichtet, mit feuchten Augen und wahrscheinlich auch anderen Körperteilen. Nun
war ein Schreiber des Spiegel dabei, wie eine 16jährige Britin im Nachtclub des
Münchner Hotels "Bayerischer Hof" vor geladenen Gästen spielte - und
der Schreiber schaffte eine adäquate journalistische Umsetzung dieses
Ereignisses, ein Meilenstein moderner Musikkritik: "Barfüßige
Prinzessin - Sind Teenager nicht zauberhaft? Ein violetter Schal mit
eingewebten Silberfäden war als eine Art Talisman am Mikrofon festgeknotet, als
am vergangenen Dienstag das allersüßeste neue Pop-Wunderkind zum ersten Mal in
Deutschland auftrat: Die erst 16jährige Britin Joss Stone sang im Nachtclub des
Hotels Bayerischer Hof in München - und versetzte ein paar hundert
Musikjournalisten, CD-Händler und Plattenfirmenmenschen in ehrfürchtiges
Staunen. Mit einer fabelhaft bluesigen, verblüffend sicheren Stimme stimmte
Stone, barfüßig und im Flickenrock, Soul-Klassiker wie "The Chokin'
Kind" an, aber auch eine clevere Funk-Adaption der Rocknummer "Fell
in Love with a Girl" von den White Stripes. Es war eine höchst gelungene
Debütantinnen-Inszenierung; und zum Schlussapplaus wuschelte sich der junge
Star die Haare vors Gesicht und nuschelte ein paar Dankesworte. "Tut mir Leid,
das war's: Ich muss jetzt ins Bett." Tja, einfach zauberhaft."
Hat man etwas Erbärmlicheres je gelesen? Natürlich hat man. Aber dennoch, wie
Altherrenträume sich hier auf Plattenfirmenkosten ihren Weg bahnen, mit
geschickter Geste keine, aber auch wirklich gar keine Floskel und Plattitüde
ausgelassen wird, der Blues ist natürlich fabelhaft, die Stimme sicher, das
Staunen ehrfürchtig, die Funk-Adaption clever, die Inszenierung gelungen, die
Haare werden vors Gesicht gewuschelt, und die Dankesworte genuschelt. Und man
findets zauberhaft, dass der barfüßige Star jetzt ins Bett muß. Investigativer
Pop-Journalismus der hochkarätigsten Art, fürwahr.

* * *

Wenn es hierzulande noch vernünftige Politiker geben würde, dann wäre das
skandalöse Maut-Desaster der deutschen Industrie-Elite von Daimler-Chrysler bis
Telekom der Politskandal des Jahres - wie hier von unfähigen Politikern und
unfähigen Wirtschaftsbossen auf Steuerzahlerkosten Zigmilliarden vernichtet
werden… aber die hiesige Politikerkaste diskutiert ja lieber irgendwelche
Hohmänner oder die Moralfrage von Dschungeleskapaden der Marke Küblböck. Zu
Toll Collect, dem Schröderschen Tollhaus, fällt auch der FAZ nur noch
Klassenkampfrhetorik ein: "…über die Maut-Affäre regt sich kaum jemand
auf. Auch die Opposition hat sich nur zögernd dieses Themas angenommen. Dabei
gab es schon lange nichts mehr, was so nach einem Untersuchungsausschuß
geschrieen hat. Ein Konsortium und der Staat schließen einen Vertrag, in dem
dieser auf Dauer ein hoheitliches Recht, das der Abgabenerhebung, abtritt, zu
einem unerhört schlechten Preis und äußerst einseitigen Bedingungen. Der -
möglicherweise sittenwidrige - Vertrag zu Lasten der öffentlichen Hand wird
öffentlich nicht zugänglich gemacht. Alle wichtigen Risiken liegen auf einer
Seite: hier zwei Milliarden Euro jährlich, dort hundert Millionen. Eine Haftung
gibt es praktisch nicht. Der Rechtsweg wird ausgeschlossen. Ein geordnetes
Ausschreibungsverfahren wird unterlaufen. Das Projekt scheitert so grandios,
wie es grandios geplant war. Die Repräsentanten des Staates agieren hilflos,
ihre Partner nassforsch. Lange ziert sich die Opposition, dem Aufmerksamkeit zu
schenken. Vor allem die zuständigen Politiker in den Fachausschüssen mussten
geradezu zum Jagen getragen werden", stellt der Kommentator der
konservativen FAZ völlig korrekt fest. Und woran liegt das alles?
Lassen wir weiter die FAZ zu Wort kommen: "Es gibt eben bei gewissen
Abgeordneten der Regierung wie der Opposition "eine besondere Nähe zu
bestimmten Leuten" der hier beteiligten Industrieunternehmen, wie es in
Berlin heißt. Das habe sich so "eingespielt", und mit diesen Leuten
gehe man eben freundlich um. Daher rührt denn auch die parteiübergreifende
Begeisterung für das satellitengestützte Maut-System. Angesichts der schon
verloren geglaubten Bundestagswahl führte das zum zügigen Vertragsabschluß -
unter Missachtung kundigen Rechtsrats. Böse Zungen bringen das mit Perspektiven
privater Alterssicherung in Verbindung, und damit ist nicht ein schon
vergessener Herr namens Bodewig gemeint. Wenn das kein Thema für einen Ausschuß
ist, was dann?" Wo sie Recht hat, die FAZ, da hat sie Recht. Auch wenn
sich der Kommentar ganz schön nach Stamokap anhört - mancher lernts eben später
;-) (und ich dachte immer, dass Herausragende an der FAZ sei das Feuilleton,
dann sei da noch der gute Sportteil…)

* * *

Und was macht die grüne Gurke, die Menschenrechtsbeauftragte der
Bundesregierung und in dieser Kolumne bekanntermaßen nicht mehr
satisfaktionsfähig? Sie wird den "deutschen Treck" (so sagt man das
in der taz) zum Grand Prix Eurovision nach Istanbul anführen. Roth ist
natürlich zeitgleich "in Menschenrechtsangelegenheiten" in der Türkei
und hat Geburtstag und will all das mit Eurovisions-Flair feiern. "Ich
freue mich total drauf", sagt Roth, seit Jahren engagierter
Grand-Prix-Fan. Zahlt sicher alles der Steuerzahler…
Uns wundert natürlich gar nichts mehr, an dieser Stelle schon gar nicht, aber
ob eine unabhängige Menschenrechtskommission uns nicht vor Grand Prix
Eurovision und Claudia Roth gleichermaßen schützen könnte, wird man ja mal
fragen dürfen.

* * *

Immer wieder wird der Niedergang der SPD kommentiert, dass nur noch weniger als
25% der Befragten sich bei der nächsten Bundestagswahl für Schröder, Münte
& Co entscheiden würden. Mich wundert ehrlich gesagt eher, dass es immer
noch 25% sind - fast jeder Vierte würde immer noch SPD wählen! Unglaublich! Was
sind das nur für Leute?

* * *

In einer Weltmusikzeitschrift stand dieser Tage: "Dass der WDR sich in
Sachen Weltmusik neu besinnt und seine Programme erneuert, dabei aus der
"Matinee der Liedermacher" eine "Matinee" macht und dafür
einen Francis Gay im Boot hat, lässt einen hoffen."
So kann mans, wenn man längst gleichgeschaltet ist, natürlich auch sagen. Dass
die Sendung 30 Jahre lang "Matinee der LiederSÄNGER", nicht
Liedermacher, hieß, hat man bei Blue Rhythm ebenso übersehen, wie die Tatsache,
dass besagter Francis Gay etliche der Matineen der Liedersänger selbst
moderiert hat. Was will man uns also sagen? Dass es schön ist, dass der WDR
sich "besinnt" in Sachen Weltmusik, das kann ja wohl also nur heißen,
dass Blue Rhythm froh ist, dass endlich so wunderbare Matineen nicht mehr
stattfinden sollen wie zum Beispiel die mit Cesaria Evora, Youssou N'Dour,
Bratsch, Baaba Maal, Johnny Clegg, Brownie McGee, Mari Boine, Mercedes Sosa, I
Muvrini, Geoffrey Oryema, Taraf de Haidouks, Rokia Traoré, um nur mal einige zu
nennen, die in 30 Jahren live beim WDR spielten und oftmals dabei ihre
Deutschland-Premiere feierten, zu Zeiten, da die Künstler oft noch völlig
unbekannt waren? Manchmal würde es auch Journalisten gut tun, vorm Verfassen
ihrer Zeilen das Gehirn einzuschalten. Oder ist das die Blue-Rhythm-Version
Schröderscher "Reform", Hauptsache "Erneuerung"
draufschreiben, dann wird alles gut?

* * *

Und ein geeigneter Kommentar zur anstehenden Echo-Verleihung gefällig?
Vielleicht das hier:
"Ich mache gerne schwierige Filme, bei denen die Leute schreiend
rauslaufen. Ich bin schließlich nicht in der Unterhaltungsbranche… Ich hasse
Unterhaltung. Nichts verachte ich mehr, als unterhalten zu werden."
John Cassavetes

Nun denn:
Grab yer poncho and donkey we gots to get fonky!