04.02.2004

Und Anonsten 2004-02-04

Die
Gespräche und Verhandlungen gingen ja schon seit mehr als einem Jahr, nun ist
es amtlich, auch wenn es von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wurde: Das
umstrittene US-Medienkonglomerat Clear Channel und die deutsche CTS
Eventim-Gruppe haben "im Rahmen einer strategischen Allianz",
wie es dann so schön heißt, ihre Zusammenarbeit "erweitert". Clear
Channel hat 20 Prozent der mehrheitlich der CTS-Gruppe gehörenden Marek
Lieberberg Konzertagentur (MLK) übernommen.
Wir erinnern uns: Der Clear Channel-Konzern steht in den USA wg.
monopolistischer Ausnutzung seiner Medienmacht (Clear Channel gehören dort
etliche Radiostationen) immer wieder vor Gericht. Politisch steht die Clear
Channel-Gruppe US-Präsident Bush nahe.

Aus unserem Presserundbrief 4/2003: Daß Clear Channel landesweit in den USA
Pro-Bush-Demonstrationen organisiert und featured, wundert einen wenig. Die
Teilnehmer dieser Pro-Kriegs-Demonstrationen tragen Schilder mit der Aufschrift
"God bless the USA" und Plakate, auf denen Frankreich beschimpft wird
oder die texanische Countryband "Dixie Chicks", die öffentlich
bekannten, dass sie sich dafür schämen würden, aus dem gleichen Land wie George
W. Bush zu kommen. Höhepunkt der unappetitlichen Clear-Channel-Politik war eine
Demonstration in Louisiana, bei der 15-Tonnen-Laster unter dem Gejohle von
Demonstranten CDs und Memorabilia der Dixie Chicks zerquetscht haben. Die New York Times schreibt unter dem Titel "Clear Channels of
Influence" dazu: "To those familiar with 20th-century European
history it seemed eerily reminiscent of… But as Sinclair Lewis said, it can't
happen here."

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Goliath: Huh, ich freß Dich!
David:
Langweilige Mitte! (Markt-)Führer!
Goliath: Ich knack dich, du Nischenfloh!
David: Lieber beweglich als fett!
(greift zum Stein)
Aus: Wagenbach Verlag, "Zwiebel" 2003/2004

* * *

A propos Freikarten - wer hier alles um "Gästelistenplätze" bittet,
unglaublich. Und am besten alles noch zwanzig Minuten, bevor das Konzert
beginnt. Und wie man das "+ 1" auf allen Gästelisten rechtfertigen
will, hab ich sowieso noch nie verstanden. Damit wir uns nicht missverstehen:
Wir freuen uns auch weiterhin über alle Gäste - Gäste des Hauses,
"Medienpartner", die eine Band sehen wollen oder über sie berichten
oder bereits über sie berichtet haben, über unsere Freunde. All den anderen
aber, die einfach nur umsonst in ein Konzert gehen wollen, um "dabei zu
sein" (der Wiener hat dafür das schöne Wort "die Adabeis"…), sei
dieser von Heiner Müller überlieferte Satz der Brecht-Ehefrau und Prinzipalin
des Berliner Ensembles ins Merkheft geschrieben:
Ich wollte Karten für irgendeine Vorstellung haben - natürlich Freikarten,
weil ich kein Geld hatte. Da sagte sie (Helene Weigel): "Freikarten gibt
es grundsätzlich nicht. Ich habe noch von der Roten Hilfe eine Mark genommen.
Man darf nichts umsonst machen."

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In der FAZ wars zu lesen: "Rezzo Schlauch hat heimlich geheiratet. Am
22.12. in Las Vegas. Und es macht wirklich keinen Spaß, dass man bei Lektüre
einer derartigen Nachricht unweigerlich denkt, ob der Staatssekretär im
Bundeswirtschaftsministerium diesmal seinen USA-Flug selbst bezahlt hat, oder
ob er auch diesen Flug wieder ganz ordentlich mit dringenden Dienstreisen in
die USA koppeln konnte…

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"Kunst ist ihrem Anspruch nach ein Gegner der Realität, der real
existierenden Verhältnisse. Kunst ist wirklichkeitsfeindlich, und die
Wirklichkeit ist kunstfeindlich. Die Anhänger der real existierenden
Wirklichkeit spüren diese Feindschaft und wollen sich ihrer erwehren, am
liebsten wollen sie die Kunst verbieten und uns sagen: "Das passt doch
nicht in diese Welt!" Die Ablehnung der Autonomie der Kunst ist nichts
anderes als die Ablehnung der Autonomie des Menschen. (…)
Die inzwischen universale Diktatur der Popindustrie ist Verfügung über das
Bewusstsein derer, die ihr unterworfen sind."
Hein-Klaus Metzger( www.metzger-riehn.de
)

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Der Branchendienst "Entertainment Daily" meldete es am 30.12.2003: "Nach
langem Hin und Her hat der ehemalige Konzernchef von Vivendi Universal,
Jean-Marie Messier, auf die Zahlung einer Abfindung in Höhe von 20,5 Mio. Euro
verzichtet. Wie der Konzern jetzt mitteilte, habe man sich darauf mit der
Börsenaufsicht SEC geeinigt. Diese hatte seit November 2002 wegen
Bilanzfälschung gegen Messier und VU ermittelt. Zwar habe Messier ebenso wie
der ehemalige VU-Finanzchef Guillaume Hannezo keinen der Vorwürfe eingestanden,
aber auch keinen zurückgewiesen. Als weiteren Teil der Einigung wurde nach
Angaben der SEC festgelegt, dass Messier in den kommenden zehn Jahren keine
Aktiengesellschaft führen dürfe, Hannezo in den kommenden fünf Jahren. Darüber
hinaus habe sich VU bereit erklärt, eine Strafe in Höhe von 50 Mio. Dollar zu
bezahlen."
50 Millionen Dollar zahlt Universal also Strafe für einen unfähigen,
überbezahlten Manager. Sollte es der Musikindustrie doch gar nicht soo schlecht
gehen, wo sie sich solche Megazahlungen leisten kann? Ach ja - Universal, der
weltgrößte Musikkonzern, hat gerade hunderte Mitarbeiter entlassen (allein in
Deutschland über 60, siehe dazu auch den letzten Presserundbrief) und
angekündigt, bis zum Ende des ersten Quartals 2004 weitere 800 Stellen
streichen zu wollen. Offizielle Stellungnahme der Konzernspitze: "Universal
bewertet ständig sein Geschäft neu, um das effizienteste und
wettbewerbsfähigste Musikunternehmen der Welt zu bleiben." (zitiert
nach Rolling Stone, 1/04).

* * *

Laut einer aktuellen Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen
Instituts der Hans Böckler-Stiftung, WSI, ist die Nettolohnquote seit zehn
Jahren von knapp 50% um mehr als 6% auf 43,5% gesunken. Im Durchschnitt
erreichten Bruttolöhne und -gehälter monatlich 2.198 Euro, nach Abzug von
Lohnsteuer und Sozialabgaben bleibt ein durchschnittliches Nettoeinkommen von
1.433 Euro.
Die Bruttounternehmensgewinne der Kapitalgesellschaften (und dazu zählen nicht
Banken und Versicherungen!) nahmen 2002 um 5% auf 314,42 Milliarden Euro zu.
Wurden 2000 noch 34,59 Milliarden Euro direkte Steuern auf (niedrigere)
Unternehmensgewinne entrichtet, so drosselte die rot-grüne Bundesregierung
diese Summe auf 12,49 Milliarden Euro in 2002 (bei höheren
Unternehmensgewinnen).
Claus Schäfer vom WSI kommentiert den Verteilungsbericht seines
Forschungsinstitutes: "Die rot-grünen Reformen zur Einkommenssteuer 1998
bis 2005 (…) haben die oberen Einkommen entgegen dem regierungsamtlich
vermittelten Eindruck massiv begünstigt und damit quasi öffentliche
Vermögensbildung durch Steuerentlastung zugunsten von Beziehern hoher Einkommen
bzw. Eigentümern großer Vermögen geleistet."
Der Kanzler der Bosse… Naja, nichts Neues an dieser Stelle, irgendwie.

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Neben anderen öffentlichen Knallchargen und zweitklassigen
Unterhaltungskünstlern befanden sich auch Daniel Küblböck (auf dem Foto sehen
sie Daniel Küblböck und eine Menge Kakerlaken, Küblböck unten…) und Lisa Fitz
im australischen Dschungel - als "Bayern-Power", wie BMG stolz
meldet. Ach, ich wüsste da noch so einige, die ich gerne im australischen
Dschungel sehen würde, man nehme einfach die üblichen Verdächtigen, die
Nervensägen und Wichtigtuer, zum Beispiel von Bohlen bis Lindenberg. Wenn man
die dann mehr als 10 Tage da unten im Dschungel behalten würde, sagen wir mal
10 Monate, hätte ich auch nichts dagegen… und um ehrlich zu sein: auf eine
tägliche RTL-Übertragung "Ich will hier raus" könnte man dann gerne
verzichten. So wäre uns allen gedient, wie es mal in anderem Zusammenhang ein
schwäbischer Heimatdichter formulierte.

* * *

Tja, soweit ist es gekommen, ich hab es vor Monaten schon mal geklagt: Da
vertritt eine Unperson wie der hessische Ministerpräsident Koch plötzlich die
einem am nächsten stehende Position aller Bundestagsparteien zur
Unternehmensbesteuerung. Und nun ist es die Junge Union, ausgerechnet, die das
neue rot-grüne Urheberrecht als "für Verbraucher nicht hinnehmbar"
kritisiert. Das Verbot der Umgehung technischer Schutzmassnahmen schränke die
Rechte legaler privater Nutzer ungerechtfertigt ein. So dürfe eine
kopiergeschützte DVD nach der neuen Rechtslage nicht mehr am PC in ein anderes
Format konvertiert werden. "Gerade in einer Zeit des rasanten technischen
Wandels ist eine Bindung von Nutzungsrechten an bestimmte Wiedergabeplattformen
nicht mehr zeitgemäß", sagte Alexander Kurz, Referent für neue Medien beim
hessischen JU-Landesverband. Im Rahmen der Onlineaktion
www.faires-urheberrecht.de fordert die Nachwuchsorganisation der
Christdemokraten das Recht auf Privatkopie. Wo sie recht haben, haben sie
recht…

Und angesichts des Majors-Gejammere, dass die Umsatzeinbrüche angeblich den
Privatkopien der Verbraucher zu verdanken seien, kann man die Haltung des
ohnehin grandiosen Berliner K7-Labels nicht genug loben - K7 spart sich nämlich
einen Kopierschutz, stattdessen setzt man auf "wechselseitige
Loyalität" zwischen Plattenkäufern und Label. Auf den K7-CDs prangt
zukünftig ein Label "NO copy protection - respect the music!" Ein
Kopierschutz gefährdet lt. K7 die Beziehung zur Kundschaft. Respekt! (sind aber
auch wirklich tolle Alben bei K7, das nur am Rande…)

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"Es ist eine Ungeheuerlichkeit, was die Deutsche Bank in ihrem 130.
Jahr mit dem Rekordgewinn ihrer Geschichte machte: Trotz 9,8 Milliarden Euro
Reingewinn werden 11 000 Mitarbeiter, 14 Prozent der Belegschaft, entlassen.
Das ist völlig amoralisch. Das ruft nach dem Gesetzgeber. Bismarck hatte
bereits 1883 das Recht auf Arbeit durchsetzen wollen, sogar gekoppelt mit einem
"Eingriffsrecht des Staates" gegen ungerechtfertigte Entlassungen.
Die damaligen Liberalen haben das verhindert, ja ihm "Kommunismus"
vorgehalten. Ich habe in meinem Stück ("Mc Kinsey kommt", Premiere
13.2.04, BS) den alten Rechtsbegriff der Felonie wieder eingeführt. Dies
bezeichnet die Untreue eines Herrn gegenüber seinem Knecht. Es ist interessant,
dass Fürst Bismarck, der dieses Ethos noch ganz selbstverständlich im Leibe
hatte, es auch zum Gesetz machen wollte. Aus diesem Ethos ist mein Stück
entstanden." Rolf Hochhuth

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Das von der Bundeswehr geschützte Afghanistan steht laut einer UN-Studie vor
einer Opium-Rekordernte. Wie gut, dass es Out of Area-Einsätze der Bundeswehr
gibt!

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Daß die deutsche Musikbranche für ihre gemeinsame Download-Plattform
ausgerechnet der Telekom-Tochter T-Com vertraute, nimmt den Beobachter schon
Wunder. Kein Wunder allerdings, dass die T-Com Probleme hat, ihre B2B-Plattform
fehlerlos und rechtzeitig an PhonoNet zu übergeben. Man weiß doch spätestens
seit der Blamage um die von der Telekom mit betriebenen Toll Collect, was
deutsche Qualitätsarbeit a la Telekom in der Praxis bedeutet…

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"So schliefen die beiden Brüder für die Ewigkeit ein, im Glauben, dass
das Gehirn verwesend über den Tod hinaus funktionierte und dass es die Träume
waren, die das Paradies ausmachen." Jean-Luc Godard, "Les
Carabiniers" (1963)