13.11.2004

Und Ansonsten 2004-11-13

Die
Süddeutsche Zeitung, die mit der Bild-Zeitung gemeinsam hat, daß sie versucht,
mit der Herausgabe von Büchern ihre Defizite zu übertünchen (und Defizite steht
jetzt bewußt ganz allgemein gehalten da…), die Süddeutsche Zeitung also bewirbt
die ersten 50 Bände ihrer "Sammlung" gekonnt feuilletonistisch und
völlig anders, als es die Bild-Zeitung tun würde:
"Tauschen? Niemals! Wer
diese Sammlung erstmal komplett hat, gibt sie nicht wieder her. Die Süddeutsche
Zeitung Bibliothek, 50 große Romane des 20.Jahrhunderts für je nur 4,90 €. (…)
Und das Beste: Diese Sammlung beeindruckt sogar ihre wahnsinnig attraktive
23-jährige Kollegin."
Ach, was haben wir über den schwülen Altherrenhumor gelacht. Das Niveau der
Süddeutschen Zeitung scheint direkt proportional zu sein mit dem des Kanzlers,
den sie protegiert…

* * *

Ich weiß ich weiß, jedesmal verspreche ich, die grüne Gurke Claudia Roth in
Ruhe zu lassen, von wegen nicht satisfikationsfähig undsoweiter… Aber wenn ich
so was in der "Bunten" lese, wäre es doch zu schade, das zu verschweigen
- also, Claudia Roth, wie sie Politik macht, unter dem Titel, Klappe auf: "Hallo, ich bin wieder da!",
und schon grinst die Gurke ums Eck und erklärt, wie sie auf dem
Grünen-Parteitag zur Obergurke gewählt wurde:
Sie entschied sich bewußt
für Rot. "Ich wollte etwas Knalliges anziehen, um ein Signal zu setzen und
zu zeigen, daß ich kämpferisch an meine neue Aufgabe herangehe", sagt
Claudia Roth, 49. "Ich will klar machen, daß wir Grünen andere Ziele haben
als Schwarz-Gelb. Für dieses Vorhaben brauche ich eine äußere Ausstattung, die
mich innerlich stärkt."
Stundenlang habe sie - vor
Beginn des Parteitags ihrer Grünen-Partei am letzten Samstag in der Ostseehalle
in Kiel - im Hotel vor ihrem Koffer gestanden und sich geärgert, daß sie nicht
genug Kleidung eingepackt habe: "Weil, typisch Claudi, ich zu dem Rot
natürlich noch ein bißchen Glamour und Glitzer kombinieren wollte. Deswegen die
Bluse mit der Blumenstickerei und die schwarz-weiß karierte Hose." Ihre
Augen glänzen, sie hat rot erhitzte Wangen und "blendende" Laune.

Ich schwörs, so steht das da, so redet die daher. Typisch Claudi eben, mit
ihrem schwarz-gelben Inneren, den glamourhaft erhitzten Wangen und der
kleinkarierten Ausstrahlung. Sorry, wenn ich da was verwechselt haben sollte,
aber für Mode sind andere zuständig.

* * *

Marcel Reich-Ranicki in der gleichen Satire-Zeitung, der Bunten, mit einem
kleinen Schuß Häme in Richtung Kanzleramt, auf die Frage "Welches Buch
empfehlen Sie dem Kanzler?":
"Unbedingt Sigrid Damms
"Das Leben des Friedrich Schiller". Dessen 150.Todestag steht bevor. Das Buch ist leicht geschrieben, es
wird Herrn Schröder nicht überfordern. Er könnte von Schiller unendlich
viel lernen."
Hervorhebung von mir. Arg gemein, der alte Herr, nicht?

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Daß der große Jörg Fauser gerade eine kleine Renaissance erlebt, sei mit
Freuden vermerkt. Immer lesenswert, immer lesenswert. Mir fehlt höchstens der
Hinweis darauf, daß Jörg Fauser neben Teja Schwaner und Carl Weissner einer der
drei Übersetzer der 155 Stones-Songs war, die 1977 unter dem Titel "The
Rolling Stones - Songbook" mit Noten bei Zweitausendeins erschienen. Sehr
lesenswertes Buch das, nicht nur für Stones-Fans und Stones-liebende
Klavierspieler…

* * *

Im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie, Klavierabend Yundi Li, seit
Wochen ausverkauft, hübscher junger Pianist spielt Chopin und Liszt, das ist
was für junge Mädchen und alte Frauen… Der Klavierabend ist eigentlich
ordentlich, man hat zwar alle Stücke schon besser gehört, aber schlecht ist Li
keinesfalls. Man fragt sich nur, was diese ganze öffentliche Inszenierung um
Pianisten (und andere klassische Musiker) als Popstars soll - da werden
"die jungen Chinesen" oder "die Netrebko" oder junge
Geigerinnen zu Models, zu Abziehbildern von Kampagnen der Schallplattenindustrie,
und werden künstlich hochgepushed, bevor sie noch eine Note gespielt haben. Und
wo bleiben die wirklich großen Pianisten unserer Zeit? Der wunderbare
Pierre-Laurent Aimard, jeglichen Selbstinszenierungen abhold und charismatisch
sich des anspruchsvollen modernen Repertoires annehmend - sein herausragender
Klavierabend paar Tage vorher im selben Saal, mit Debussy und Ives - der Saal
nicht einmal halb gefüllt. Oder ein Grigorij Sokolov, sicher einer der
wunderbarsten Pianisten und integersten Musiker unserer Tage, aber wahrlich
kein Model - wird er noch den Weg in die Feuilletons finden, wenn es nur um
Tastenlöwen und schicke Outfits geht?

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"Heute dagegen werden
Weltstars auch in der klassischen Musik nach den Regeln von Industrie und
Marketing im Eiltempo aufgebaut, oft auf völlig sachfremde Art mit Sex und
Glamour. Entsetzt Sie das?
Alfred Brendel: Das sind Verzweiflungstaten großer
Firmen, wo der kommerzielle Druck von Pop und Rock auch auf die Klassik greift.
Da wird dann vielleicht eifrig nach dem nächsten blinden und tauben Tenor
gesucht. Es gibt aber etliche kleinere Firmen, die mit den technologischen
Umwälzungen besser fertig geworden sind und ohne falschen Personenkult
auskommen."
Alfred Brendel im "Spiegel"-Interview

* * *

Die deutsche Kultusministerkonferenz hat beschlossen, daß es bei der
neoliberalen und dämlichen Rechtschreibreform bleiben soll. Herr, schmeiß Hirn
vom Himmel!, möchte man flehen, aber so viel Hirn kann gar nicht vom Himmel
fallen, daß die Leerkörper in den Köpfen deutscher Kulturpolitiker sich auch
nur annäherungsweise füllen ließen.

* * *

Während in den letzten zehn Jahren der Umsatz der 500 größten Unternehmen um 45
Prozent anstieg, haben sich die Profite dieser Unternehmen beinahe
verdreifacht. Diese 500 Unternehmen, die alljährlich vom US-Wirtschaftsmagazin
"Fortune" als "Global 500" zusammengestellt werden,
vereinten auf sich eine Umsatzsumme von 14.873 Milliarden US-Dollar, was etwa
45% des weltweiten Bruttosozialprodukts entspricht. Sie wiesen einen addierten
Gewinn von 731 Milliarden US-Dollar aus.

* * *

"Der eiserne Vorhang
war eine Zeitmauer. Solange es ihn gab, war das Zeitproblem geographisch
gebunden. Jetzt ist diese Bindung weg, und der Mensch ist der Maschinenwelt
schutzlos ausgeliefert. Er kann nur hoffen, zwischen den sich unendlich
vermehrenden Maschinen noch einen Ort für sich zu finden. In der Bundesrepublik
gibt es schon jetzt mehr Fläche für Autos, also Straßen, Parkhäuser und
dergleichen, als Wohnraum. Zeitgewinn im Sinne des Kapitalismus ist Zeitverlust
für das Subjekt. Von der kapitalistischen Struktur her gesehen, ist die Ameise
der ideale Mensch. Der Mensch ist der Feind der Maschine, für jedes geordnete
System ist er der Störfaktor. Er ist unordentlich, macht Dreck und funktioniert
nicht. Also muß er weg, und das ist die Arbeit des Kapitalismus. Die Logik der
Maschine entspricht die Reduzierung des Menschen auf den Rohstoff, auf das
Material plus Zahngold. Rationalität als einziges verbindliches Kriterium
reduziert den Menschen auf seinen Marktwert."
Heiner Müller, 1990

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Ein Journalist will gebildet scheinen und schreibt: "Das Trio Jean Paul spielte (…) den ersten Satz
exakt so wie der Komponist es vorgesehen und (…) sich gewünscht hätte: allegro
ma non troppo. Fröhlich, aber nicht zu sehr."
Pech, daß "Allegro" im Italienischen "schnell" heißt und
nicht "fröhlich", und daß es in der Musik genau das bedeutet: Schnell
eben. Allegro ma non troppo - "schnell, aber nicht zu sehr".
Am Ende des gleichen Artikels zitiert der Arno Widmann in der Berliner Zeitung
dann den Außenminister: "Der
junge Bundestagsabgeordnete Joschka Fischer hat das Parlament einmal als
"Schnapsbude" bezeichnet." Nach meiner Erinnerung
hat der Joseph Fischer seinerzeit vom Bundestag als "unglaublicher
Alkoholikerversammlung" gesprochen, aber das mögen andere richtig stellen,
falls sie sich dazu bemüßigt sehen.

* * *

Die neuen "Auswärts"-Nationaltrikots, die Adidas für die deutsche
Fußball-Nationalmannschaft entworfen hat, sollen, ausgerechnet, rot sein. Rotes
Hemd, weiße Hose, rote Stutzen. Am Ausschnitt ist auch gold und schwarz
eingearbeitet. Wenn schon sonst nichts mehr rot in diesem Land ist, dann
könnens auch die Nationaltrikots sein, dachte man da wohl. Die Auswärtstrikots
waren bisher übrigens - genau: grün…

* * *

"Ich möchte, daß
verstanden wird, was Kapitalismus ist. Die ebenso typische wie bösartige
Reaktion auf unverstandenen Kapitalismus ist Nationalismus. Was dem Staat als
ideellen Gesamtkapitalisten natürlich sehr zupaß kommt. Der Herr Bundeskanzler,
der vor 20 Jahren noch zu "Konkret"-Feiern ging, besucht heute - in
durchaus politischer Absicht - das Soldatengrab seines Vaters in Rumänien, hält
in der Normandie oder zur Flick-Ausstellung Reden, die an widerlicher Geschichtsrevision
nicht zu übertreffen sind, reicht den Polen die Hand zur Versöhnung, als hätten
die Deutschen etwas zu vergeben. Ich gebe zu: Das alles ist sehr geschickt
gemacht, Schröder ist sein Geld wert. Wie er Deutschland als Großmacht
etabliert, bevor die Nachbarn noch so richtig merken, was läuft - das ist
widerlich, aber es ist perfekt gemacht." Hermann L. Gremliza
in einem Interview mit "Zitty"

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Aber wenn man so was schreibt oder zitiert, ist das manchen Leuten gar nicht
recht. So fragte ein Journalist des öffentlich-rechtlichen Deutschland-Radios,
der wohl seinen Job eben den Schröders und Fischers und Konsorten und plumpem
Proporz zu verdanken hat, ob es diesen Rundbrief nicht auch "ohne diese wichtigtuerischen,
einseitig blinden Schlusskommentare" gebe, und sachkundig
ergänzt der werte Herr, der offensichtlich nicht einfach das "Und
ansonsten" ignorieren kann: "Wäre
weit weniger widerlich. Wohl nie übers JU-Schülerzeitungs-Niveua
hinausgekommen?" Daß man rot-grün auch von links kritisieren
kann, ist wohl jenseits der Vorstellungskraft dieses Herrn. Rinks und lechts
kann man ja bekanntlich nicht velwechsern, wusste schon Ernst Jandl.

* * *

Und die Musikindustrie hört nicht auf, ihre Kunden zu bekämpfen. Gerd Gebhardt,
Vorsitzender des Bundesverbands der Phonographischen Wirtschaft, fordert die
Bundesregierung auf, bei der Novellierung des Urheberschutzrechts die Zahl
legaler Privatkopien zu begrenzen. Sie schaufeln sich selbst ihr Grab, aber
dabei immer große Klappe…

* * *

Und ein anderer Großsprech der Musikindustrie, der gescheiterte und geschasste
Universal-Manager Tim Renner:
"Was fordert die
Popmusik von der Politik? Da sind wir bescheiden: (…) 2. Plattform sichern,
sprich eine Quote im öffentlich-rechtlichen Radio. Plus: Mitarbeit an einem
deutschen Popbewusstsein." (am 21.9.2002 auf
bundesregierung.de)
Als ob die Quote nicht schon eine ausreichend bescheuerte Forderung wäre, nein,
jetzt soll die Bundesregierung auch noch an einem "deutschen
Popbewusstsein" mitarbeiten. Es bleibt einem auch wirklich nichts erspart.

* * *

John Peel ist tot. Und Jens Balzer begann seinen Nachruf in der "Berliner
Zeitung" wie folgt:
"Irgendwann gab es in
dieser Welt einmal eine Epoche, da wurden die Radiostationen noch nicht von
Computern und deren Erfüllungsgehilfen regiert; da wurde Musik nicht nur als
Füllsel zwischen Werbeeinspielungen angesehen; da wählte keine Software die
Schallplatten aus, die dann - nach "Musikfarben" schematisiert -
unauffällig und willenlos durch den Äther dudelten. Damals saßen noch richtige
Menschen mit einer richtigen Plattensammlung in den Stationen; Menschen mit
einer Leidenschaft für die Musik, die sie spielten; Menschen, die sich tagein
und tagaus durch immer neue Demobänder und Debütschallplatten wühlten; voller
Neugier auf neue Bands, noch nicht gehörte Stile und Schulen und Sounds -
einerlei, aus welchem Winkel der Welt diese stammten; einerlei, mit welchen
Instrumenten sie gespielt wurden; und vor allem: einerlei, ob sich die Manager
der Musikindustrie davon einen Hitparadenerfolg erhofften oder nicht.
Das war die große Zeit des
Radios: die große Zeit der Radio-DJs. Die Zeit der moderierenden
Musikwahnsinnigen, der Fanatiker und Nerds. John Peel war von ihnen allen der
größte. Der wahnsinnigste und leidenschaftlichste und klügste. Der Mann mit dem
besten Geschmack und der größten Neugier; der Moderator, der mit dem
herrlichsten Akzent die interessantesten Geschichten erzählte: ein Patron der
Popmusik, wie es neben ihm keinen anderen gab. Und keinen mehr geben wird."

Und das hätten wir nicht besser sagen können. Gerade in diesen "scheißigen
Zeiten" (Goethe) würde die Radiolandschaft Journalisten benötigen, die
wenigstens etwas von John Peel haben. Und durch seinen viel zu frühen Tod sind
diese scheißigen Zeiten noch ein bißchen scheißiger geworden.
Wir trauern um John Peel. Eine Ikone des Musikjournalismus. Und ein Freund und
Förderer vieler Bands und Künstler dieser Agentur. Und wir denken, John Peel
würde es gefallen, wenn man über seinem Grab mit einem guten Rotwein anstoßen
würde, und daher schenken wir dem- oder derjenigen, der oder die uns als erstes
die nicht-britische Band mit den meisten Peel-Sessions nennt (nur per Email),
eine gute Flasche Rotwein. Bedingung: Mit wem auch immer der Gewinner oder die
Gewinnerin diesen Rotwein öffnen wird, der erste Toast geht in memoriam John
Peel. Versprochen? Versprochen.

And I won't forget to put roses on your grave

No I won't forget to put roses on your grave.