24.12.2004

Und Ansonsten 2004-12-24

Eine
halbe 2raumwohnung erzählt, wie sie einmal versucht hat, Musik zu machen - Inga
Humpe in einem Interview mit der "Zeit":
"Ich wollte immer mal
eine Straßenmusikerin sein. Neulich habe ich das dann auch versucht und bin
nach Saint Tropez gefahren, nur mit meiner Gitarre (…) Es war furchtbar. Ich
habe mich so geschämt. Erst mal wurde ich am Hafen verscheucht (…) Ich dachte
ja, ich werde auf irgendwelche Yachten eingeladen und könnte dann dort
weiterspielen. Klappte überhaupt nicht. Dann war ich in so einer peinlichen
Fußgängerzone, gegenüber von einem schicken Restaurant, in dem ich selber gern
gesessen hätte, und spielte unter anderem Venus, Bobby McGee und irgendwas von
Bob Dylan. Ich hatte die Texte, konnte aber die Griffe noch nicht richtig und
mußte immer runter in das Songbook gucken. (…) Es war alles ein Trauerspiel.
(…) Meine Gitarre habe ich übrigens dort gelassen, ich habe mir dann hier eine
neue gekauft."
Soweit, so peinlich. Habe ja schon immer gesagt, daß sich ihre Musik so anhört,
als ob sie die Griffe nicht könne… Aber daß die Franzosen in ihren Fußgängerzonen
einen besseren Musikgeschmack als die deutschen CD-Käufer haben, die
2raumwohnung auf vordere Charts-Plazierungen hieven, ist nichts Neues.
Wahrscheinlich hätte man der Deutschquoten-Propagandistin sagen sollen, daß die
französische Quote nicht für fade deutsche Musik gilt.

* * *

"Auf die Politik hört
hier keiner mehr hin. Es ist das Jahr des großen Elends und ein Tal der Tränen,
damit basta. Merkwürdig ist höchstens, mit welch besonderem Eifer das Kapital
sich an der Liquidation des Kleinbürgertums als Klasse macht; das hat
stalineskes Format."
Peter Hacks (5.10.1990)

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Die auch sonst gerne etwas durchgeknallte Katharina Rutschky ist außer Rand und
Band:
"Ich gebe es zu: Ich
liebe meinen Kanzler. Ich wähle den auch wieder, und ich liebe und verehre
ihn."
Wenn Frauen zu viel lieben…

* * *

Die "Dschungelkönigin" und auch sonst ausgewiesene Nervensäge Désirée
Nick und der Berliner König und auch sonst ausgewiesene Nervensäge Showereit
haben sich bei der Aids-Gala in der Deutschen Oper lang und innig auf den Mund
geküßt. Große Gefühle. Keine Frage, die beiden würden in jedweder Hinsicht gut
zueinander passen, und Niveauunterschiede scheint es auch keine zu geben.
Politisch gilt 2004 wie auch in den Vorjahren - Showereit ist nicht nennenswert
aufgefallen…

* * *

Der Deutsche Bundestag hat mit einem DDR-Wahlergebnis von 98,2% der
Landesverteidigung am Horn von Afrika zugestimmt. Ganze zehn Parlamentarier
stimmten gegen die Teilnahme der Bundeswehr an der Operation "Enduring
Freedom".

* * *

Der Berliner "Tagesspiegel" hat sich am 12.11. nicht entblödet, seine
gesamte Titelseite für eine Anzeige von H & M mit Karl Lagerfeld
freizuräumen. Die Todesnachricht von Arafat zum Beispiel befand sich nur noch
klein und einzeilig knapp unter dem Titel.
Nun ja. In zehn Jahren wird der Tagesspiegel so eine Meldung wie den Tod
Arafats gar nicht mehr bringen, und sein ganzes Blatt bezahlter Werbung zur
Verfügung stellen. In zehn Jahren? Ach, ich vergaß, da wird's den Tagesspiegel
längst nicht mehr geben…

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Der brandenburgische PDS-Landtagsabgeordnete Frank Hammer mag die DVU: "Die DVU ist eher eine
bürgerliche Partei, die hin und wieder Ausflüge ins Rechtsextreme macht",
befand der Politiker. Na, demnach steht die DVU der PDS ja durchaus nahe…

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"Als mein Bruder in
Hamburg Bürgermeister war, habe ich ihm gesagt: Nimm die Kultur als eine
Katastrophe. Für Katastrophen ist immer Geld da." (Christoph
von Dohnányi, Dirigent und Bruder des ehemaligen Ersten Bürgermeister Hamburgs,
Klaus von Dohnány)

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Die "Prinzen" (da kann sich ganz schnell ein Tippfehler
einschleichen, und schon hat man "Peinzen", was ja irgendwie mit
peinlich zu tun hat, grins…) gehen ab Januar wieder auf Tournee und lassen sich
die Tour von einer Brauerei sponsorn. Sebastian Krumbiegel: "Wir sind alt genug, Bier zu
trinken und Werbung auch dafür zu machen." Ah ja. Jedenfalls
sieht Krumbiegel das Brauereigeld als Kultursponsoring: "Das ermöglicht uns, die
Kartenpreise niedrig zu halten." Die Tickets für die Show im
Friedrichstadtpalast kosten übrigens zwischen EUR 35,50 und EUR 52,75…

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Aus dem Anzeigetext einer bundesdeutschen Plattenfirma für das neue Album eines
amerikanischen Künstlers: "Die
11 Songs leben von der spannenden Aneinanderreihung und Verflechtung der
Elemente Soul, Alternative Rock, Westcoast Pop, Funk, Blues und Country - von
unglaublich viel Roots-Bewusstsein zeugend und mit augenzwinkerndem Pop-Genius
verfeinert." Ich finde, da fehlt doch noch einiges - hätte man
nicht noch augenzwinkernden HipHop-Genius aneinanderreihen und mit etwas Gospel
verfeinern können, beispielsweise?

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"Stern Musik" und EMI machen es möglich: "neudeutsch" heißt
die CD zur politischen Initiative von SPD, Grünen und NPD. "Ihre Musik ist sehr unterschiedlich,
aber sie alle verbindet ein erfrischend selbstbewußter Umgang mit der deutschen
Sprache", radebrecht es in einer ganzseitigen Stern-Anzeige
daher. Daß sich für solcherart Schmarrn neben einschlägig aufgefallenen Bands
wie "Mia" auch z.B. "Tocotronic" oder "Wir sind
Helden" hergeben, ist schade genug. Einen "erfrischend selbstbewußten
Umgang mit der deutschen Sprache" fernab aller alten und neuen
Rechtschreibung und Grammatik dokumentiert Stern Musik jedenfalls bei der
ausnahmslos Großschreibung aller Songtexte auf der CD: Von "Rüssel An Schwanz"
über "Ich Habe Nichts
Erreicht Ausser Dir" oder "Bis
Zum Erbrechen Schreien" und "Die
Stadt Gehört Dir" bis hin zu "Ich Weigere Mich Aufzugeben".
Leider.

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Ausgerechnet in "Spex" war es. Der Titel der Story machte neugierig: "Die Linke tanzt"
hieß es da. Leider war es nur die linke Hand von Gonzales, die von einer Miriam
Stein zum Tanzen gebracht wurde. Lesenswert war der Artikel dennoch, wenngleich
auch nur als Musterbeispiel unfreiwilliger Komik, denn die Dame machte ein
Entdeckung, von der die Musikgeschichte noch Jahrzehnte, ach was: Jahrhunderte!
zehren wird: "Die linke
Hand eines guten Pianisten muß unabhängig von ihrer rechten Schwester agieren
können.", stellt die gewiefte Autorin fest. Und was? "Und umgekehrt"
natürlich. "Links gibt
den Rhythmus, rechts den Ton an."
Daß die moderne Entdeckerin bei der Revolution der Musikgeschichte, oder doch
zumindest immerhin bei der Modernisierung des Klavierspiels, nun ausgerechnet
die Linke des Herrn Gonzales, der ja neuerdings ein Album biederen
Schmuseklaviers irgendwo zwischen Jarrett und Tiersen eingespielt hat, gleich
bejubelt mit "Seine
Linke zählt zu den besten überhaupt", nimmt einen doch ein
wenig Wunder und beweist eigentlich hauptsächlich, daß Frau Stein in ihrem
jungen Leben noch nicht viel Klaviermusik gehört haben dürfte.
Unsereins hat in seinem ja bereits ein klein wenig längerem Leben schon so
manche Komödie der Musikkritik erlebt - da wurde vor Jahren der "New
Folk" ausgerufen, so, als ob es noch nie vorher Folk gegeben hätte, da
wurden zweitklassige Songwriter "entdeckt", so, als ob es die
Neuerfindung der Musikwelt sei, und und und. Nun also ist Keith Jarrett dran,
und das ist doch schon wieder pikant, diese neue Keithjarrettisierung des Musiklebens
junger Leute. Die Generation, die wahrscheinlich zu mehr als der Hälfte zu den
Klängen des Köln-Konzerts auf filzigen Flokati-Teppichen gezeugt wurde,
entdeckt das Klavierspiel. Aber nicht etwa die schwierigen Synkopen und die
donnernde linke Hand eines, sagen wir mal: Billy Mayerl, nein, der Sound des
Ökokitsches und der alternativen Wohngemeinschaften der späten 70er Jahre muß
es sein. Und ihren Helden haben sie scheinbar schon gefunden: Gonzales macht
ihnen wahlweise den Jarrett oder den Liberace. Eine fade Geschichte, gewiß.
Wenn da nicht in dem Brustton der Überzeugung, die Musikgeschichte neu zu
schreiben, drüber gepupst würde. Ich aber sage euch: Der König ist nackt!

"Und ansonsten", versteht sich - Friede auf Erden! Und den Menschen
ein Wohlgefallen!