01.07.2005

Und Ansonsten 2005-07-01

Nun
steht also das "Live 8"-Spektakel ins Haus. Das Forum für
abgehalfterte Popstars, von BAP bis Geldof, von den Toten Hosen bis zu den
jungen Abgehalfterten, von Silbermond bis Juli und, leider, Wir sind Helden.
Ausgerechnet Peter Maffay muß den selbsternannten Gutmenschen, die im Grunde
jedoch eher Wichtigtuer und Selbstinszenierer zu sein scheinen, erklären, daß
die Ziele der globalen Veranstaltung "nicht ausreichend" sind. Wenn
Leute wie Bush, Blair und Schröder den Schuldenerlaß für Afrika bereits
beschlossen haben, ist das wirklich eine unglaublich radikale Forderung der
Live 8-Bands.
Und obendrein peinlich, wie "Live 8" vorgibt, sich für Afrika
einzusetzen, man aber nirgends auf die Idee gekommen ist, zum Beispiel
afrikanische Musiker einzuladen und spielen zu lassen. Klar, wenn die Afrikaner
spielen würden, wäre kein Platz mehr für die Wichtigtuer von Niedecken bis
Campino. Lediglich in Paris ist ein Auftritt von Youssou N'Dour vorgesehen.
Wenn "Live 8" ein Forum für afrikanische Kultur zur Verfügung
gestellt hätte, wenn Musiker wie Baaba Maal, Daara J, Femi Kuti, Rokia Traoré,
Tarika oder wie sie alle heißen auftreten würden, dann hätte man das
"Event" kulturell ernstnehmen können. Wenn "Live 8"
wenigstens ein paar handfeste politische Forderungen stellen würde - man denke
nur an all die Probleme, die die erste
Welt in Afrika verursacht, millionenfaches Aids, ohne daß die westlichen
Pharmakonzerne Medikamente zu vertretbaren Preisen zur Verfügung stellen;
skandalöse Terms of Trade, die die afrikanischen Produzenten benachteiligen;
Ölkonzerne, die Diktaturen unterstützen, um nur einige Beispiele zu nennen -,
dann könnte man das "Event" politisch ernstnehmen. So aber entpuppt
sich "Live 8" als peinliche und sinnlose Veranstaltung, als
Showcase-Forum für abgehalfterte Künstler und solche, die leider nicht allzu
viel Verständnis haben für die Welt und ihre Probleme. Wie Geldof dem "Observer" sagte: "My target audience is 30 million 12 year old girls
in the USA." Nun, die mag er mit seinem schlechten Pop vielleicht
erreichen… Die Bänder übrigens, die Bob Geldof für seine Kampagne "Make
Poverty History" verdaddelt - inzwischen sind bereits mehr als drei Millionen
Bändchen verkauft, es ist ja soo schick! - dieser Geldof-Schmuck also wird, wie
der "Guardian" herausfand, in China hergestellt, unter "ausbeuterischen
Bedingungen".

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"Ich bin ein Weltbürger
- überall zu Hause und fremd überall."
Erasmus von Rotterdam an Ulrich Zwingli, 1529

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Trotz eines Gewinnverlustes von zuletzt 13 Prozent, und auch angesichts der von
ihnen zu verantwortenden Massenentlassungen müssen die Topmanager der EMI nicht
darben: Konzernchef Nicoli's Gehalt belief sich im letzten Geschäftsjahr auf
ca. 1,65 Mio. Euro - zusätzlich erhielt Nicoli zwei Aktienpakete, die er ab
Juni 2007 abstoßen darf und die beim jetzigen Kurswert etwa eine Mio. Pfund
wert sind.
Alain Lévy, Chef der Division Recorded Music, erhielt 3,15 Mio. Euro. Martin
Bandier, Chairman und CEO der Verlagssparte, erhielt 4,65 Mio. Euro.

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"Durch die
Privatisierung der chinesischen Wirtschaft befindet sich auch die chinesische
Musikwirtschaft seit einigen Jahren im Umbruch", weiß das Deutsche
Musikbüro German Sounds AG: "Zahlreiche
Unternehmensgründungen lassen unter anderem die Lizenzierung von Musik als
zusätzliches Geschäftsfeld zunehmend an Bedeutung gewinnen",
radebrecht der Rundbrief der German Sounds AG.
"Vom Mobiltelefon ist die
chinesische Nation geradezu besessen: Für 2005 wird erwartet, daß der Markt für
MP3-fähige Handys um satte 100% wächst, und der rasant wachsende
Klingelton-Markt wird auf rund eine Milliarde Euro geschätzt. Die japanische
Musikindustrie erzielt in China durch die Lizenzierung von Musik für
Mobiltelefone bereits fast den Umsatz, der durch den traditionellen
Musikvertrieb generiert wird. Neue Anwendungen zeigen, wohin der Weg in die
Zukunft führt, wie zum Beispiel, die Möglichkeit, per Mobiltelefon für die
China Music Billboard Charts abzustimmen."

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Schon Klaus Augenthaler wußte:
"Wir leben alle auf
dieser Erde, aber eben auf verschiedenen Spielhälften."

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Da darf auch die grüne Gurke nicht fehlen:
"Wir sind modern, was
die Modernisierung angeht." (Claudia Roth)

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Wo sich doch jetzt alle Parteien vereinigen, scheint mir eine weitere
Vereinigung doch obsolet: Wenn sich PDS und diese komische Wahlalternative,
oder wie das heißt, um Nazi-Jargon-Lafontaine zu "Die Linkspartei"
verbünden, wie wäre es denn, wenn SPD und CDU/CSU auch… Sie könnten sich doch
einfach "Die Partei" nennen. Den Deutschen würde es gefallen, die
würden eh am liebsten in einer Monarchie leben und jeden Samstag
Königshochzeiten schauen. Klar, so eine vereinigte Zentralpartei würde für die
SPD einen ziemlichen Linksruck bedeuten…

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Und die Jugendorganisation der SPD, die Jusos, haben sich auch schon mit der
führenden sozialdemokratischen Deutschrock-Band vereinigt: "Wir sind
gekommen, um zu bleiben. Alternativlosigkeit bekämpfen" war der geklaute
Titel des Juso-Bundeskongresses in Leipzig.

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Die Aktienmärkte reagieren erstaunlich verhalten auf Münteferings Ankündigung
von Neuwahlen. Rüdiger von Rosen, Chef des Deutschen Aktieninstituts,
interpretierte dies gestern so: "An
der Börse glaubt man nicht so recht, daß das Klima noch sehr viel
unternehmerfreundlicher werden kann." ("Taz")

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"Schröder tickt ganz
einfach, er will von den feinen, den reichen, den mächtigen Leuten anerkannt
werden. Er ist ein aufstiegssüchtiger Plebejer voll schrecklicher
Minderwertigkeitskomplexe." Peter von Oertzen, 81, 20 Jahre im
SPD-Vorstand, ehemaliger Kulturminister in Niedersachsen, der nach 59jähriger
SPD-Mitgliedschaft sein Parteibuch zurückgegeben hat

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Daß unsere Politiker nicht wissen, was sie tun, ist eine Weisheit der Marke
Binsen. Wie erklärte doch Frau Antje Vollmer angesichts ihrer Zustimmung zur
Bundeswehrbeteiligung an out of area-Einsätzen vor Jahr und Tag? "Mein Ja
ist ein Nein." Unvergessen. Ein neues Kapitel schlagen die
Sozialdemokraten im Moment auf - ihre Enthaltung bei der Vertrauensfrage, so
erklären es Müntefering & Co., ist, natürlich, ein "ja", ein
Vertrauensbeweis zu Schröder.

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Während Unternehmensprofite überall auf der Welt in die Höhe schießen, geht es
momentan 89 Ländern wirtschaftlich schlechter als Anfang der neunziger Jahre.
(…) Die 356 wohlhabendsten Familien der Welt erfreuen sich zusammen eines
Reichtums, der mittlerweile das Jahreseinkommen von 40 Prozent der gesamten
Menschheit übertrifft. Die drei allerreichsten Familien, Bill Gates, Warren
Buffet und die Waltons von der Wal-Mart-Supermarktkette, verfügen zusammen über
mehr Vermögen, als es dem Jahreseinkommen der 940 Millionen ärmsten Menschen
der Erde entspricht. ("Die Zeit")

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"Und neulich sagte
jemand zu mir, daß ich in den Herzen und im Geist meiner Landsleute weiterleben
werde. Ich will aber in meinem Appartement weiterleben! Es bedeutet überhaupt
nichts, ein Vermächtnis zu haben. Die amerikanischen Präsidenten sind immer um
ihr Vermächtnis besorgt. Was für ein Witz! Nur solange wir hier sind, haben die
Dinge Bedeutung. Weg ist weg. Ich pfeife auf mein Vermächtnis. Ich hätte da
auch noch ein Zitat anzubringen: "Kunst ist der Katholizismus der Intellektuellen."
Der Katholik glaubt an das Jenseits, und der Künstler und Intellektuelle glaubt
an das Jenseits des Werks. Leider täuschen sich beide."
Woody Allen

In diesem Sinne einen schönen Sommer!