08.11.2005

Und Ansonsten 2005-11-08

Wenn
neue deutsche Popbands Songs schreiben:
Erzähle mir von dir, aber
wenn
dann etwas, was ich noch
nicht kenn'
denn ich will Veränderung
und ich weiß genau warum

Tschah, so hört sich das an, zum Beispiel bei "Paula".
Im Info zu ihrem neuen Album wird das dann zu "Songs mit dem unwiderstehlichen Blick auf die
Dinge" verklärt.
Liegt es an diesem Ort oder
an mir
daß alles, was ich hier seh'

die pure Langeweile ist?

Fragen "Paula" in "Ode an das Leben". Die Frage kann ganz
einfach beantwortet werden: Es liegt an "Paula", daß alles die pure
Langeweile ist im neuen deutschen Pop…

* * *

Die FIFA-Edition "Art Poster 2006 World Cup Germany" zeigt Poster,
die Künstler aus verschiedenen Ländern angefertigt haben. Die meisten sind
nicht besonders originell - offizielles Rahmenprogramm der Fußball-WM halt, in
der man beweisen will, wie modern und weltoffen Deutschland ist. Der Beitrag
des deutschen Norbert Bisky zeigt deutsche Kontinuität: Die Deutschen sind
blonde Bestien und Rasenarbeiter. Guido Westerwelle ist bekanntlich Fan von
Bisky (Sohn). Wen wunderts.

* * *

Auf einen interessanten Aspekt modernen Fußballs wies der englische
Nationalspieler Rio Ferdinand hin: Die Musikauswahl, die in der Kabine gespielt
wird. In England ist für diese Auswahl vor Länderspielen der Kapitän David
Beckham zuständig, und laut Rio Ferdinand ist Beckhams Auswahl so, "daß die Spieler förmlich
einschlafen und spielen wie Zombies". Laut Ferdinand handelt
es sich bei dem schlaffen Potpourri, das der "metrosexuelle" Beckham
zusammenstellt, um Robbie Williams, Balladen, sanft Poppiges, kurzum: "Kaufhausmusik".
Ferdinand schlägt für den Trip nach Deutschland zur Fußball-WM dagegen ein
agressiveres Programm vor, Hip-Hop zum Beispiel.
Kein Wunder, daß die deutsche Nationalmannschaft so erbärmlich spielt - bei der
zur Wahl stehenden deutschen Popmusik! Mit "Juli" oder
"Silbermond" oder "Wir sind Helden" ist eben nicht nur kein
Staat zu machen, sondern auch kaum die Vorrunde zu überstehen. Aber was wäre
die Alternative? Wir fordern eine umgehende Sitzung der Task Force - Klinsmann,
Hoeness, Schily, übernehmen Sie! Unser Vorschlag zum Erreichen mindestens des
Viertelfinales: Schneider TM, F.S.K. und Barbara Morgenstern. Sollte mit
solcherart motivierender und moderner Musik gar das Halbfinale erreicht werden
können, steht Maximilian Hecker für einen Fußballsong auf europäischem Niveau
bereit.
Ach ja, soweit wird es nicht kommen? Stimmt schon. "Dann macht es
bumm" - lange ists her, daß solche Songs von deutschen Stürmern gesungen
wurden…

* * *

Reisen bildet ja bekanntlich. In der "Neuen Zürcher Zeitung am
Sonntag" war zu lesen, daß die Chefs der Schweizer Bundesbahn SBB im Jahr
2005 "weniger Bonus" erhalten. Der Grund: Unpünktliche Züge sowie
unzureichende Information der Fahrgäste. In der Schweiz besteht, wie bei vielen
Konzernen dort üblich, ein Großteil der Managergehälter aus freien
Bonuszahlungen - in 2004 hat die sechsköpfige Geschäftsleitung der SBB etwa ein
Drittel ihrer Gehälter als Bonus erhalten.
Hierzulande ist so etwas kaum vorstellbar. Da müßte Bahnchef Mehdorn ja am Ende
noch Geld mitbringen, bei der Dauerverspätung der DB, und absolut
unzureichender Information der Fahrgäste… Oder man denke an Konzerne wie die
Post oder die Telekom…

* * *

"Verdi"-Chef und "Grünen"-Mitglied Franz Bsirske ringt mit
sich selbst. Die von ihm vertretene Gewerkschaft "Verdi" hat sich auf
den geregelten Atomausstieg festgelegt.
Gleichzeitig aber ist Bsirske auch stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender
des Essener Stromriesen RWE. RWE hält gemeinsam mit den anderen deutschen
Kraftwerksbetreibern aus wirtschaftlichen und umweltpolitischen Gründen eine
deutliche Verlängerung der Reaktorlaufzeiten für zwingend notwendig. Ein
entsprechendes Grundsatzpapier der vier Stromkonzerne wurde auch vom
vermeintlichen Atomgegner Bsirske unterzeichnet.
Als das Doppelspiel des Gewerkschaftsbosses herauskam, redete er sich, wie in
solchen Fällen üblich, heraus - es gehe doch nur um die Ausgestaltung des
Energiekonsenses. "Und
da, so Bsirske, könne es durchaus sinnvoll sein, die begrenzte Laufzeit älterer
Atommeiler durch die Übertragung von Stromerzeugungsmengen neuerer Atommeiler
noch ein wenig zu verlängern." (Berliner Zeitung)
Zuallererst würde davon Block Biblis A profitieren. Ein Atommeiler, den RWE
betreibt. Die Firma, deren stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der
Gewerkschaftsboß Bsirske ist…

* * *

Übrigens, schon mal darüber nachgedacht? Ostdeutsche Naturwissenschaftler als
Rache Honeckers an der BRD? Nur mal so am Rande…

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In einer hiesigen Zeitschrift "für Folk, Lied und Weltmusik", die
sich auf das Dissen all derer bestens versteht, die nicht konform mit der
Weltanschauung der Redaktion gehen, wird Bob Dylan niedergemacht. "Was zählt Bob Dylan heute noch?
Geld" titelt die Zeitschrift und wirft dem Songpoeten erstens
vor, dass er nicht auf der Demonstration gegen Irak & Bush auftrat, und
zweitens, dass sein neues Album in den USA in der ersten Verkaufswoche 75.000
Exemplare eingespielt hat.
Nun kann es dem Mond bekanntlich egal sein, welcher Köter ihn da unten auf der
Erde anKlefft, aber dass der Redakteur die USA "auf dem Weg in einen religiösen Faschismus"
wähnt, nun, da kann man nur noch mit dem Kopf schütteln und festhalten, dass
der Autor nicht ganz bei Trost ist.

* * *

Daß die multinationale Plattenfirma EMI bei der Vermarktung ihres Künstlers
Robbie Williams einen, ähem, sonderbaren und dreisten Weg geht, mag ihr wohl
nur verübeln, wer noch ans Christkind und den Kapitalismus (was ja immer auch
ein bisschen dasselbe ist, letztendlich) glaubt. In einer Halle auf dem Flughafen
Tempelhof hatte die Weltpresse, sorgfältig gefiltert und nach intensiven
Sicherheitskontrollen, einen Vormittag lang Gelegenheit, die neue Platte von
Robbie Williams auf einem Handy abzuhören und anschließend dem Künstler und
seinem Mobilfunkpartner (no kidding!) auf einer sogenannten Pressekonferenz
vorher abgesegnete Fragen zu stellen.
Selbst die konservative Sonntags-"FAZ" kommentierte da nur noch: "Die Präsentation seiner neuen
Platte war eigentlich eine Werbeveranstaltung für zwei Unternehmen aus der
Kommunikationsbranche. Selten wurde so hemmungslos zelebriert, um was es in der
Musikbranche im Innersten geht, um Geld, Geld, Geld nämlich, also um
Klingeltöne, Downloads und Handys mit neuen Funktionen…"
Das ist gewiss die eine Seite der Medaille und den Lesern dieser Rundbriefe
keine Neuigkeit. Die andere Seite aber ist: wie kommt es, dass die Medien,
"die Weltpresse" also gewissermaßen, sich diese Bedingungen der
Musikpräsentation aufzwingen lässt, wie kommt es, dass Journalisten da mitmachen,
sich nicht zu blöd sind, da mitzuspielen?
Ist schon wahr, was Peter Hacks zu sagen pflegte, ein Land, das Medien hat,
braucht keine Zensur…

* * *

"Es ist eben ein
angenehmer Sound, der sich gut konsumieren läßt. Und darum geht es doch immer
mehr: Musik zu konsumieren, Musik als Möbel."
Matthias Arfmann über seine CD "Recomposed", auf der er Werke aus dem
Katalog der "Deutschen Grammophon" (u.a. Smetana, Dvorak)
"remixed" - eine CD erschreckender Schlichtheit und Banalität.

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"Denn daß in diesem
Staat nur das Stumpfsinnige und die Mittellosigkeit und der Dilettantismus
geschützt sind und immer wieder gefördert werden und daß in diesem Staat nur in
das Stümperhafte und in das Überflüssige alle Mittel gestopft werden, ist
klar."
Thomas Bernhard

Einen schönen November wünscht