04.02.2006

Und Ansonsten 2006-02-04

Diese
ganzen dämlichen Koch-Shows im Fernsehen gehen einem ja ganz schön auf den
Keks. Wenn sogar Koch-Papst Siebeck in der "Zeit" schimpfen muß:
"Eine Welle von
Belehrungen über modernes Essen ist über uns hereingebrochen. Das ist
nervtötend, wiederholt sich ständig, ist geschwätzig, aufdringlich und
dilettantisch. (…) Der Vergleich mit den Massenhysterien des Mittelalters
drängt sich auf. Ganz offensichtlich sind wir die Opfer einer Zwangspsychose,
die zu Halluzinationen führt, bei denen der davon Befallene glaubt, kochen zu
können oder kochen lernen zu müssen. (…) Was sich da unter dem Etikett
"Besser essen und trinken" über die Konsumenten ergießt, gleicht dem
Karneval, dessen ursprüngliche Intentionen von Marketingspezialisten in einen
großen Reibach umfunktioniert wurden. Wirklich gelacht wird dabei nicht, die
Heiterkeit ist einer infantilen Schunkelei gewichen. Nicht anders funktioniert
die Massenbewegung der kochenden Deutschen. Auch dabei dominieren der Reibach
und das stressige Befolgen aktueller Moden. So entspringt die ständig wachsende
Bedeutung dieser Bewegung keineswegs einem Massenbedürfnis nach besserer
Eßqualität, sondern verdankt sich dem Phänomen, daß Kochen ein Statussymbol der
Mittelschicht geworden ist, obwohl kaum noch jemand seine Gemüse selber putzt
und sein Fleisch selber pariert. Das alles wird vorgefertigt in Supermärkten
gekauft." Schreibt Siebeck im Zentralorgan des deutschen
Mittelstandes…
Aber wo er Recht hat, hat er nun mal Recht.
Wo mittlerweile fast jeder mit Easyjet mal eben ein Städtewochenende irgendwo
in Europa verbringen kann, wo die Ferienwochen in den vermeintlichen
Ferienparadiesen von der Türkei bis zur Algarve dem Konsumenten nachgeworfen
werden, da benötigt der Mittelstand ein neues Mittel, seinen Stand zu wahren:
Und wo das untere Drittel der Gesellschaft sich von Billiglebensmitteln
ernährt, wo nach wie vor das klassische "Versorgungskochen"
stattfindet, da goutieren Ober- und Mittelschicht eine Inszenierung der Essenszubereitung,
befeuert von den öffentlich-rechtlichen Knallchargen à la Kerner und
pseudo-coolen Köchen à la Mälzer oder Oliver. "In der Küche werden neue Kriterien für die Klassen
definiert, denn die Schere zwischen den Schichten öffnet sich: In Deutschland
lebt bereits ein Drittel der Menschen im offiziellen
Niedrigeinkommensbereich.(…) Je mehr Menschen verarmen, desto stärker setzen
die oberen Schichten auf Distinktion, also auf Unterscheidung und Abgrenzung
nach unten. Sie erstellen und praktizieren Normen für ihre kleine
"Elite": bei der Wahl der Gebärklinik, bei der Schulausbildung, bei
den Prestigemarken - und in der Eßkultur." (Doris Simhofer)
Kochen als Lifestyledisziplin - die Schichten unterscheiden sich durch den
Geschmack.
Müßig anzumerken, daß mit dem Kochen die Zementierung konservativer Fundamente
einhergeht: In der "neuen Küche" haben vorwiegend Männer das Sagen,
Männer, die die Regeln aufstellen, und Männer, die "öffentlich", also
zum Beispiel für Freunde, kochen und damit etwas "Wertvolles"
einfahren - während das alltägliche Kochen, also die Grundversorgen der
Familie, wieder vermehrt Frauensache ist. Nach sechzehn Jahren Helmut Kohl und
sieben Jahren Schröder-Fischer sind wir wieder im Jahr 1977 angelangt, als
Barbara Duden und Gisela Bock in "Arbeit aus Liebe - Liebe als Arbeit: Zur
Entstehung der Hausarbeit im Kapitalismus" schrieben: "Zu Recht fällt den meisten
Frauen dazu (zur Kleinfamilie als Keimzelle des modernen Staates, BS) nur das
Schreckgespenst von Küche, Kindern und Kirche ein. Das tägliche Essenmachen
wurde als Teil der Hausarbeit wahrgenommen und damit zur Schattenseite par
excellence degradiert."

* * *

"In Hollywood ist man
nie auf der sicheren Seite. (…) Alles, was wirklich zählt ist: wie viele
Millionen hat mein aktueller Film eingespielt. Und daran werde ich immer wieder
aufs Neue gemessen. Das ist ein sehr seltsames und dummes System. (…) Wenn ich
mich nicht damit abfinden will, sagt man mir, der Film, den ich machen möchte,
sei zu riskant, weil sie nicht wissen, wie man ihn vermarkten soll. Sie denken
erst einmal über die Vermarktung nach, bevor irgend etwas anderes geplant wird!
Und dann wundert man sich in Hollywood, daß das Publikum nicht mehr ins Kino
geht. Wenn ich an das vergangene Jahr zurück denke, fallen mir gerade mal drei
Filme ein, die mein Eintrittsgeld wert waren. Und so wie mir geht es vielen
Zuschauern. Man fühlt sich irgendwie betrogen. Die Geschichten sind dämlich,
nicht interessant oder einfach nur das Remake einer Idee, die vor zwanzig
Jahren mal originell war."
Scarlett Johansson in einem Interview der "Berliner Zeitung"

* * *

Im Jahre dieses Dingens, das früher mal "Fußball-Weltmeisterschaft"
hieß, dessen Namen man heutzutage aber nicht mehr in den Mund nehmen darf, ohne
an die FIFA Lizenzgebühren zu zahlen, in diesem Jahr also lohnt es sich ganz
besonders, die inoffiziellen Fußball-Weltmeisterschafts-Kämpfe aufmerksam zu
verfolgen. Nach einer gut halbjährigen Regentschaft von Zimbabwe und einem
kurzen Zwischenspiel von Nigeria ist der aktuelle inoffizielle
Fußball-Weltmeister Rumänien. Tönt merkwürdig? Mehr zum Thema gibt's auf der
wunderbaren Website www.ufwc.co.uk

* * *

Die Titelmusik vom "Spiegel-TV-Magazin" kann man jetzt als polyphonen
Klingelton herunterladen. Eine SMS mit dem Inhalt "Spiegel-TV" kostet
€ 1,99…

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"Wir hatten einmal
380.000 Mitarbeiter; heute sind in Deutschland im Bereich Brief noch 150.000
Menschen beschäftigt. Das ging völlig geräuschlos. Kein Wunder, daß die Japaner
sich jetzt für ihre Privatisierung von uns beraten lassen."
(Deutsche Post-Chef Klaus Zumwinkel in der "FAS" beim Erläutern einer
kapitalistischen Erfolgsstory, deren Auswirkungen jeder Postkunde tagtäglich
erleiden darf…)

* * *

"wozu Menschsein, wenn ins
Menschsein niemand investiert."
Reinhard Jirgl, "Abtrünnig"

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Zur Fußball-Weltmeisterschaft beordert der Bundesinnenminister Awacs-Flugzeuge
von der NATO, um die Stadien zu schützen. Und der Innenexperte der
"Grünen" findets prima. Wo doch heutzutage die Verteidigung
Deutschlands am Hindukusch stattfindet, scheinen mir die Möglichkeiten, sich
bei der Fußball-Weltmeisterschaft die Bundeswehr nutzbar zu machen, hingegen
noch nicht ausgeschöpft. Man könnte etwa die Armee in den eigenen Strafraum beordern
und einen Sicherheitsring, eine richtige "Verteidigung", vor Kahns
Tor bilden lassen. Schließlich ist die Bundeswehr doch eine Verteidigungsarmee.
Und die GSG 9 könnte als schnelle Eingriffstruppe auch mal vor dem gegnerischen
Tor Eindruck schinden. Und deutsche Behörden sollten, wie sie es gewohnt sind,
der CIA Amtshilfe bei der Entführung zum Beispiel von brasilianischen
Fußballstars leisten. Nach der WM kann man die Ronaldos und Ronaldinhos ja
wieder laufen lassen…

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Mitbewerber Henning Tögel versucht sich in einem Gespräch mit der
"Musikwoche" in der deutschen Sprache: "Wir sind der letzte
Mohikaner."

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"(…) Ich glaube, daß
den existierenden, kolossalen Widrigkeiten zum Trotz die unerschrockene,
unbeirrbare, heftige intellektuelle Entschlossenheit, als Bürger die wirkliche
Wahrheit unseres Lebens und unserer Gesellschaften zu bestimmen, eine
ausschlaggebende Verpflichtung darstellt, die uns allen zufällt. Sie ist in der
Tat zwingend notwendig. (…)"
Harold Pinter, Literatur-Nobelpreisträger, Dezember 2005

* * *

Paar Jahresendzahlen aus 2005, aus verschiedenen Publikationen
zusammengestückelt:
Auch 2005 ist die deutsche Exportwirtschaft kräftig gewachsen. Der
Bundesverband des Deutschen Groß- und Außenhandels rechnet gegenüber 2004 mit
einer wertmäßigen Steigerung der Ausfuhren um sieben Prozent auf rund 780
Milliarden Euro. Auch der Außenhandelsüberschuß werde mit rund 161 Milliarden
Euro abermals einen Rekordwert erreichen. -
Gleichzeitig wurden im Boomjahr 2005 rekordverdächtige 300.000
sozialversicherungspflichtige Vollarbeitsplätze vernichtet. -
Deutschland ist nach den USA das Land mit den meisten Milliardären.
PISA-Spitzenreiter Finnland, das nach OECD-Berechnungen innovationsfreudigste
und produktivste Land Europas, kommt dagegen ohne Milliardäre aus. -

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Der Torschützenkönig der italienischen Fußball-Liga "Serie A",
Lucarelli, vom letztjährigen Aufsteiger und derzeitigem Tabellenfünften Livorno
pflegt seine Tore mit der kommunistischen Faust zu bejubeln. Berlusconis
Verbandsfunktionäre belegten Lucarelli dafür mit einer Strafe von 30.000 Euro.
Zum Vergleich: Der faschistische Aufwiegler Paolo di Canio von Lazio Rom, der
regelmäßig den Fans den auch in Italien verbotenen Hitlergruß präsentiert,
erhielt von der Liga eine Geldstrafe in Höhe von 10.000 Euro.
Aber, Freunde, kein Grund, über Italien herzuziehen: Wo gäbe es hierzulande
einen Erstligaspieler, der seine Torerfolge mit der kommunistischen Faust
feiern würde? Sach ich mal…

* * *

Hierzulande dagegen dürfen sich RBB-Redakteure ungestraft mit Goebbels-Zitaten
identifizieren: Der Musikchef des RBB, Christian Detig, leitete am 31.Mai 2005
eine Frühkritik zu einer Produktion des Deutschen Theaters mit folgendem Zitat
ein:
"Das Programm des
Rundfunks muß so gestaltet werden, daß es den verwöhnteren Geschmack noch
interessiert und dem anspruchslosen noch gefällig und verständlich erscheint.
Dabei soll besonderer Bedacht auf die Entspannung und Unterhaltung gelegt
werden, weil die weitaus überwiegende Mehrzahl aller Rundfunkteilnehmer einen
Anspruch darauf hat, in den wenigen Ruhe- und Mußestunden auch wirklich
Entspannung und Unterhaltung zu finden. Demgegenüber fallen die wenigen, die
nur von Kant und Hegel ernährt werden wollen, kaum ins Gewicht."

Soweit Joseph Goebbels. Und müßig zu erwähnen, daß sich die
öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten dieser Republik längst befleißigen, dem
Goebbels-Auftrag gerecht zu werden.
RBB-Musikchef Christian Detig kommentierte das von ihm ausgewählte
Goebbels-Zitat dementsprechend auch folgerichtig:
"Ich behaupte mal, das
könnte so ohne große Abstriche jeder ARD-Intendant unterschreiben. Ich übrigens
auch. Ich lass' es aber lieber, denn dieses Zitat stammt von - bitte
anschnallen - Joseph Goebbels. Der Mann ist immer noch für Überraschungen gut
und längst wissen wir noch nicht alles."
Gekündigt wurde vom RBB übrigens dem Redakteur für Neue Musik, der dies
öffentlich gemacht hatte, und nicht etwa dem RBB-Musikchef, der sich mit
Goebbels' Kulturauftrag an die Rundfunkanstalten "ohne große
Abstriche" identifizieren kann.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk, der gerne seine Hörer dort abholt, wo sie
angeblich sind, nämlich "auf niedrigstem Niveau", ist in der Tat
selbst für uns Kulturpessimisten ständig noch für Überraschungen gut, und wir
versprechen, uns zwischen seichten Telenovelas, Frauenboxen und kostenlosem
"Bunte"-Werbetrailer-TV auch künftig immer brav
"anzuschnallen". Anders hält man das alles ja auch gar nicht aus…

* * *

Und noch kurz in eigener Sache: Wir berichteten im Dezember-Rundbrief von einer
beleidigenden Leserzuschrift eines sogenannten Journalisten, der für eine
hiesige "Zeitschrift für Folk, Lied und Weltmusik", aber auch für den
RBB und den WDR Funkhaus Europa arbeitet, und haben diese Zuschrift in Auszügen
zitiert.
Nun ist der fragliche Journalist heulend zu seinem Rechtsanwalt gerannt und hat
ihn einen Brief an uns schreiben lassen. Nicht etwa, daß sich der Herr
Journalist, wie es unter zivilisierten Bürgern angemessen gewesen wäre, für
seine Entgleisungen und Beleidigungen weit unter der Gürtellinie hätte
entschuldigen wollen, oder daß er wenigstens zu seinen Äußerungen stehen würde
- nein, der Journalist ließ uns per Rechtsanwalt verbieten, weiter zu
veröffentlichen, was er gesagt hat. Ist schon dolle - diese Typen rennen zum
Rechtsanwalt, um verbieten zu lassen, was sie selbst gesagt haben.
Ganz ehrlich - gereizt hätte es mich schon, mit diesem lauen Journalisten vor
Gericht zu ziehen, andrerseits ist mir meine Lebensqualität und meine Zeit für
solcherart Heulsusen-Kram einfach zu schade, und ich habe dem Herrn
Rechtsanwalt bestätigt, nicht weiter zu veröffentlichen, was sein Klient gesagt
hat. Schöne Posse, nicht? Ein Stück realen absurden Theaters aus der Szene, die
die Welt bedeutet…

* * *

"Drum, so wandle nur
wehrlos
Fort durchs Leben, und
fürchte nichts!"
Hölderlin