07.10.2006

Und Ansonsten 2006-10-07

Aufmacher
des Wirtschafts-Teils der "FAZ" am 30.8.2006: "Die deutsche Rüstungsindustrie
entdeckt Indien - Minister Glos wirbt in Neu-Delhi für Waffen - Indien ist der
größte Einkäufer unter den Entwicklungsländern."
Im Feuilleton der gleichen Ausgabe der "FAZ" eine Anzeige: "India on the Rise"
wird da eine Veranstaltung zur Frankfurter Buchmesse beworben, u.a. mit Panels
zu den Themen "India and
the World Economy" oder "India
Today: Changes of Globalisation".
Da weiß man doch gleich wieder, warum Buchmessen-Gastländer eingeladen werden…

* * *

Arlo Guthrie, Sohn des Songwriter-Helden Woody Guthrie, geht zusammen mit dem "hegelianischen Liedermacher"
("Junge Welt") Hans-Eckart Wenzel auf Deutschland-Tournee. Arlo
Guthrie im Interview zur genannten Zeitung: "Alle
sind so müde von all diesen Verrücktheiten, von all diesen Idioten. Und dabei
ist es mir egal, ob es sich nun um Osama oder Bush jr. oder um sonst wen
handelt".
Offenkundig sind dem Songwriter auch die Konzertsäle und Ticketpreise der
Tournee egal, und so treten Guthrie und Wenzel ganz "hegelianisch"
u.a. in der "Alten Oper" Frankfurt (Ticketpreise zwischen EUR 42 und
EUR 48; startet man auf der Website der beiden Künstler den Frankfurt-Button,
bekommt man das Herrschaftshaus der Alten Oper im Postkartenidyllen-Stil auf
mehreren Ansichten gezeigt), im Münchner "Gasteig" (Ticketpreise
zwischen EUR 35 und EUR 47,50…) und auf der Wartburg auf. Was zur Wartburg zu
sagen ist, hat der Komponist und Dirigent Christian von Borries anläßlich
seines fürs Weimarer Kunstfest erarbeiteten "Tannhäuser"-Projekts auf
der Wartburg eine Woche vorher gesagt, u.a.:
"Ein Bild der Wartburg
ziert die Wände des Restaurants "Deutscher Hof" in Kabul. Der
historisch-symbolisch aufgeladene Ort Wartburg, populär durch Richard Wagners
"Tannhäuser" und Martin Luther, ist Ausgangspunkt der Spiegelung
deutscher Geschichte und Ideologie: Psychogeographie."
Und so kommen der Sohn des US-amerikanischen Kommunisten Woody Guthrie und der
"hegelianische Liedermacher" aus Berlin wie selbstverständlich an
diesem aufgeladenen deutschen Ort zusammen, um gegen Bush, Osama oder wie
"all diese Idioten" heißen mögen, anzusingen. Besser könnte man so
etwas nicht erfunden haben.

* * *

Seit dem 10.9. kann man relativ genau bemessen, wieviel die "taz",
manchmal auch "Kinder-FAZ" betitelt, den "Weltenläufen" (um
mal bei Hegel zu bleiben) hinterherhinkt: Es sind etwas mehr als zwei Jahre. Am
10.9. die Titelseite der "taz": Ein großes Bild von Usama Bin Ladin,
darüber stehen ganz einfach die Worte "Der Sieger", mit der
Unterzeile "Warum Bin Laden gewonnen hat". Eine zugegeben originelle
Perspektive im Angesicht der Müll-Schwemme, zu der die Medien rund um den 11.9.
sonst gegriffen haben.
Am 25.4.2004 allerdings: Auf der Titelseite des Feuilletons der
"FAZ": Ein Bild von Usama Bin Ladin. Darüber stehen ganz einfach die
Worte "Der Sieger", mit der Unterzeile "Er ist dabei, den
"Krieg gegen den Terror" zu gewinnen"…

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Nochmal die "taz", gleiche Ausgabe, Stichwort gekaufter Journalismus:
einem nicht uninteressantem Artikel über Bergurlaub auf einer Hütte in den
Schweizer Hochalpen ist verschämt folgender Vermerk angefügt: "Die Reise wurde unterstützt von
Schweiz Tourismus." Was das wohl bedeuten mag? Hat
"Schweiz Tourismus" dem sogenannten "Journalisten" (oder
sollte man besser sagen: dem gekauften Werbetexter?) die Reise bezahlt? Oder
ihn bestochen? Oder die Zeitung selber, damit der Artikel erscheinen kann?
Billige Werbung wars für "Schweiz Tourismus" allemal - für die
Seriösität der "taz" allerdings weniger…

* * *

Daß ich das noch erleben darf: Die SPD stürmt in Richtung
"Klassenkampf", und der "Tagesspiegel" ist dabei. Der Wirtschaftsteil
des "Tagesspiegel" vom 9.9.06 macht Ernst: "Politik gegen den Strom",
titelt das Blatt, und in der Unterzeile heißt es, "…die SPD will sogar das Oligopol brechen".

Der deutsche Strommarkt wird bekanntlich von vier Unternehmen dominiert: Eon, RWE,
Vattenfall und EnBW. Die Politik ist diesen Unternehmen zum größten Teil
willfähriger Steigbügelhalter. Doch nun? Der stellvertretende SPD-Fraktionschef
Ulrich Kelber verkündet: "Wir
müssen das Oligopol brechen." Jedes Gesetz im Energiebereich
müssen einem "Monopol-Tüv
unterzogen" werden. Ob sich SPD-Kelber das eher so vorstellt,
wie unter dem zwischen Energieriesen und SPD-Regierung nahtlos hin und her
wechselndem Wirtschaftsminister Müller, der allgemein Großkonzern-freundliche
und speziell Energie-Riesen-freundliche Gesetze erlassen hatte, oder was er
sonst für eine subversive Strategie betreiben will, darüber ließ sich Kelber
nicht aus.

* * *

Der "grünen Gurke" hat immer noch niemand das Mikro abdrehen können:
"Ich freu mich, daß ich
jetzt auch mal offen sagen kann, daß ich Benedikta heiße, Claudia
Benedikta." (Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth in N24 zum
bevorstehenden Besuch Papst Benedikts XVI. in Bayern).
Was sind wir froh. War die Menschenrechtsbeauftragte der rot-grünen
Bundesregierung doch zuvor jahrelang unter Folter gezwungen worden, ihren
zweiten Vornamen geheimzuhalten.

* * *

Eine der widerlichsten Verhaltensweisen von Politikern ist die Benutzung des
Wörtchens "alternativlos". Zu ihrer Politik gebe es keine Alternative,
der Reformkurs oder die Mehrwertsteuererhöhung oder was auch immer sei
alternativlos.
Dies ist zutiefst anti-demokratisch. Schröder tat sich mit diesen Bemerkungen
groß, und nun flüchtet sich auch Angela Merkel in diese stalinistische Pose:
Die Beschlüsse der Bundesregierung seien "alternativlos".
Frau Merkel - eine Enttäuschung auf ganzer Linie. Deprimierend, daß unsereiner
realpolitisch immer nur die "Alternative" zwischen Pest und
"Kohl-Ära" hat…

* * *

"Wir sind Papst", und die "Spex" ist katholisch geworden
und glaubt an Legenden, also an lt. Duden "fromme Sagen": In einem
schönen Artikel zum Erscheinen der genialen Tortoise-Box "A Lazarus
Taxon" schreibt der "Spex"-Autor: "…und zuletzt fand sich der Legende nach nicht
einmal mehr ein Livepublikum für die Herren…". Ich kann den
Autor beruhigen, in der Realität fand sich nach wie vor ein nennenswertes
Livepublikum für Tortoise - eine kurze Nachfrage hätte dies richtigstellen
können. Sowas nannte man früher, zu Zeiten seriöserem Journalismus, mal
"Recherche". Aber heutzutage müssen journalistische Behauptungen ja
in der Regel nicht der Wahrheit, sondern dem aktuellen Weltbild ihres Autors
entsprechen.

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Die (gespielte?) Empörung über das sogenannte "Gammelfleisch" kann in
einem Land, in dem Geiz geil ist, nur für Verwunderung sorgen. Wiglaf Droste
schreibt dazu in der "taz":
"Dabei ist der
massenhafte Verkauf von verdorbenem Fleisch nur die Konsequenz aus der hiesigen
Geschäftsordnung, deren oberstes Prinzip der Profit um jeden Preis ist. Solange
das so ist, wird Tiermehl an Rinder verfüttert, die an BSE erkranken, und so
lange wird auch so genanntes Gammelfleisch verkauft. Man nennt das freies
Unternehmertum. Es hat das Gesetz auf seiner Seite. (…)
Wer seine Rübe jeden Tag mit
Bild, Brüllradio und Gestörtenfernsehn vollprengelt, kann sich über Gammel im
Fleisch nicht mit Recht beschweren. Der veritable Fraß entspricht dem medialen.
Billigbilligbillig will es der Dauerkonsument, Parolen wie "Geiz ist
geil!" ahndet er nicht mit Boykott, Scheibeneinwurf oder stillem
Vorübergehn. Sie gefallen ihm, und genauso steckt er sich jeden Dreck auch in
den Mund und nennt das: essen. Dabei ist es nur ein Mangel an Selbstachtung und
Verstand. (…)
Wer ausgerechnet bei so
etwas Elementarem wie dem Essen immerzu nur sparen will, liefert die dumme
Nachfrage zum schmutzigen Angebot. Jede Wette: In ein paar Tagen wird ein
anderes Thema die massenmedial durchseuchten Köpfe der Deutschen füllen, und
dann werden sie wieder herzhaft in den Billiggammel beißen."

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"Harte Arbeit hat noch
keinem geschadet, der es auf der Welt sonst kaum aushält."
Dietmar Dath

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Der SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs war von 1994 bis 1998
stellvertretendes, von 1998 bis 2002 reguläres Mitglied des Verteidigungsausschusses
des Bundestags.
Im Bundestagswahlkampf 2005 hat der SPD-Politiker Spenden von Rüstungsfirmen
erhalten, die jeweils knapp unter der Veröffentlichungspflicht von 10.000 Euro
lagen. Laut einem Bericht der "Frankfurter Rundschau" erhielt Kahrs u.a.
Spenden an seinen Hamburger Kreisverband SPD-Mitte von Krauss-Maffei Wegmann
und Rheinmetall in Höhe von knapp 20.000 Euro.
Seit Beginn der neuen Wahlperiode 2005 ist der SPD-Politiker als Mitglied im
Haushaltsausschuß Berichterstatter der SPD-Fraktion für den Verteidigungsetat,
als solcher entscheidet er u.a. über die Rüstungsbeschaffung der Bundeswehr.
Ende Juni 2006 wurde vom Haushaltsausschuß mit der Stimme Johannes Kahrs die
Beschaffung von geschützten Fahrzeugen vom Typ Dingo 2 im Wert von 110 Millionen
Euro beschlossen. Hersteller: Krauss-Maffei Wegmann.
Von einem "Interessenkonflikt" kann laut Aussage von Johannes Kahrs
nicht die Rede sein. Das stimmt wohl auch, er und die Firmen, die ihm Spenden
zukommen lassen, dürften ja die gleichen Interessen haben…

* * *

Der Unterschied von FAZ-Feuilleton und SZ-Feuilleton, manchmal - hier anhand
des auf CD gepreßten Drecks namens "Pur":
Die "FAZ" schreibt über die aktuelle Club-Tour der Band unter dem
schönen Titel "Bandkäs'
mit Musik" u.a.:
"Es wird ja wohl, so
hofft man, genug Ansätze für eine differenzierte Betrachtungsweise geben. Doch
schon nach wenigen Tönen und nur einem von Sänger Hartmut Engler intonierten
Refrain versagt die Hoffnung. Sie duckt sich weg und nimmt Reißaus. (…)
Ein "Pur"-Konzert
ist eine Reise an einen Ort, wo unter originalitätsfreiem Gedudel die Essenz
aus dem gesamten Deutschrock-Schrecken der achtziger Jahre gepreßt und auf
Schlager runtergekocht wird."
Die "SZ" schreibt unter dem Titel "Radikal
normal" u.a.:
"Die Musik von Pur
ästhetisch abzulehnen, ist das eine. Aber man muß Pur im Konzert hören, zum
Beispiel das alte Lied "Wenn sie diesen Tango hört", das ganz ähnlich
wie das neue "Immer wieder" eine Geschichte von einer einsamen Frau
erzählt. Das sind klassische "Eleanor Rigby"-Genrelieder. Natürlich
kann man die Arrangements muckerhaft finden, man kann sich über die
Erwartbarkeit der Akkordfolgen aufregen, aber: Diese Lieder wirken. Sie jagen
selbst Leuten einen Schauer über den Rücken, die weder alleinstehende Witwen
kennen noch Alkoholikerinnen, sondern allenfalls in wehmütigen Momenten einmal
darüber nachdenken, daß hinter all den Fenstern der Häuser Menschen mit
Geschichten leben, und eben auch Witwen und Alkoholikerinnen. Das ist das
Wunder der Musik: Wenn sie funktioniert, kann man sich gegen sie nicht
wehren."
Das ist der Zauber des Journalismus: Wenn er "funktioniert", schafft
mans nicht mehr rasch genug aufs Klo… Oder, wie der Popautor der SZ in dem
Artikel festgestellt hat: es handelt sich um einen "schmalen Grad" (sic).
Und jetzt raten wir gemeinsam: welche der beiden Zeitungen hatte zum jüngsten
Papstbesuch eine tägliche redaktionelle Sonderbeilage?

* * *

Der ehrenwerte und hervorragende Pianist Michael Korstick, dessen
Beethoven-Einspielungen in jede einigermaßen sortierte Plattensammlung gehören,
gehört zu denjenigen, um die weniger Tamtam gemacht wird als um andere. Dafür
hat er etwas, was selten geworden ist: Geschmack und Rückgrat.
Soeben hat Korstick beim Landgericht Berlin erwirkt, daß Sony BMG die CD
"Kuschel Klassik Vol. 10" in der vorliegenden Form vom Markt nehmen
muß. Korstick erklärte, seine Aufnahme von Beethovens "Bagatelle" op.
126.1 für das Label Ars Musici sei ohne seine Zustimmung an Sony BMG
weiterlizensiert worden: "Die
Idee, ausgerechnet den späten Beethoven als Kuschelmusik zu verramschen, ist
vollkommen absurd", sagte der Pianist laut "Berliner
Zeitung".
Wir gratulieren von Herzen und hoffen, daß den Erfindern von Ungetümen wie
"Kuschelklassik" der Süßkram im Halse stecken bleibt.

* * *

"Gegen die Benutzung
von Musik kann sich niemand schützen."
Christian von Borries

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Und dann war da noch die nicht völlig unbekannte und nicht völlig
unerfolgreiche Berliner Rockband, deren Sängerin bei einem Konzert in
Niederösterreich nicht auftreten wollte, weil sie im Saal die Werbung eines der
Sponsoren des Kulturzentrums, "Bank Austria", sah. Als man den
Musikern erklärte, daß sie doch am Tag zuvor in Wien sogar in der "Bank
Austria-Arena" gespielt hatten, hatte sich der heldenhafte Vorstoß der
Gutmenschen schnell wieder erledigt…