10.01.2007

Und Ansonsten 2007-01-10

Laut
der "Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung" (GKKE) von
katholischer und evangelischer Kirche sind die Werte der im Jahr 2005 von der
BRD ausgeführten Kriegswaffen gegenüber dem Vorjahr um 44 Prozent auf 1,6
Milliarden Euro gestiegen. Auch bei den Ausfuhrgenehmigungen für Kriegswaffen
und andere Rüstungsgüter ist von 2004 zu 2005 ein Anstieg um 11 Prozent zu
verzeichnen.
Der Wert der Exportgenehmigungen in Entwicklungsländer hat sich von 429
Millionen Euro in 2004 auf 911 Millionen Euro in 2005 mehr als verdoppelt.
Die Bundesregierung wertet diese Zahlen als "Ausdruck einer restriktiven
Politik der Rüstungsausfuhren". Und die Erde ist eine Scheibe. (zitiert
nach "Berliner Zeitung")

* * *

Wir erinnern uns an "Deutschland, ein Sommermärchen", die Fußball-WM
und lauter fröhliche Fähnchenschwenker. Uns wurde damals eingehämmert, das Land
habe zu einem "toleranten Patriotismus" gefunden. Der Leiter des
Instituts für Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld,
Wilhelm Heitmeyer, hat dafür nur einen Kommentar übrig: "gefährlicher
Unsinn, ein Stück Volksverdummung".
Heitmeyer stellte dieser Tage die neuesten Ergebnisse einer
Langzeituntersuchung zu "Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit" vor;
darunter sind Einstellungen wie Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und
Islamophobie zusammengefaßt, aber auch die Abwertung von Homosexuellen oder
Behinderten. Seit 2002 befragen die Bielefelder Forscher jedes Jahr etwa
zweitausend Deutsche, jedes Jahr veröffentlichen sie ihre Aufsätze in einem
Suhrkamp-Band mit dem Titel "Deutsche Zustände". Im aktuellen Band
weisen u.a. drei Wissenschaftler anhand der Langzeitdaten ziemlich überzeugend
nach, daß Nationalstolz zu "Fremdgruppenabwertung" führt (im
Unterschied übrigens zu einem differenzierten, "patriotischen" Stolz
auf die deutsche Demokratie und den Sozialstaat, der niedrigere
Fremdenfeindlichkeit zur Folge hat). Anhand einer zusätzlichen Umfrage im
August zeigen sie, daß nach der Fußball-Weltmeisterschaft befragte Personen
"nationalistischer eingestellt" waren als früher Befragte. Und weiter:
"Die Vermutung, daß es sich dabei um eine neue, offene und tolerantere
Form der Identifikation mit dem eigenen Land handelt, läßt sich allerdings
nicht bestätigen."
Heitmeyer schreibt, offenbar seien die "Schwarz-rot-geil-Stimmung"
oder Kampagnen wie "Du bist Deutschland" der Versuch eines
"surrogathaften Ankers auf schwankendem sozialen Boden". Ein
ethnisches Kollektiv soll künftig bieten, was die soziale Marktwirtschaft nicht
mehr zu leisten vermag: "Über die Betonung der Schicksalsgemeinschaft mit
raunendem Tiefgang sollen jene Angehörige der Mehrheitsgesellschaft emotional
wieder integriert werden, die andererseits sozial desintegriert worden
sind."
Der soziale Boden der Republik schwankt. Einkommen und Vermögen driften
erheblich auseinander. Und ökonomische Verunsicherung, so die Bielefelder
Forscher, führt zur Ausbreitung "latent immer vorhandener Ideologien der
Ungleichwertigkeit", und das keineswegs nur am rechten Rand, sondern in
der Mitte der Gesellschaft. (zitiert nach "Süddeutsche Zeitung")

* * *

Den Kölnern, siehe auch oben "Und ansonsten extra", geht der Arsch
auf Grundeis, sie scheinen kräftig durcheinander. Die "Süddeutsche"
titelte dieser Tage:
"Daum greift in Köln
durch: Weihnachten abgesagt"
Na, ihr Jungs in Kölle, Spex weg, der 1.FC Mittelmaß in der Zweiten Liga, einen
Kokser als neuen Trainer, und schon habt ihr sogar Weihnachten verloren -
bonjour tristesse…

* * *

Schon Klasse, wie der SPD-Vorsitzende Beck, nicht gerade der Rasiertesten
einer, den Hartz 4-Empfänger aufgefordert hat, sich erstmal rasieren und die
Haare schneiden zu lassen… Dabei kann man scheinbar mit so einem Bart sogar
SPD-Vorsitzender werden (gut, wir schreiben das Jahr 2006: man streiche das
Wort "sogar"…).

* * *

"Weil wir die Kraft zur
Revolte nicht aufbringen, erkennen wir unsere Gebrochenheit an."
(Peter Weiss)

(Am Rande ein kleiner Radio-Tip: ab 15.Januar läuft 12 Wochen lang jeden Montag
um 20.30 Uhr auf Bayern 2 eine Hörspielversion von "Die Ästhetik des
Widerstands" von Peter Weiss, mit Robert Stadlober, Peter Fricke, Hanns
Zischler, Rüdiger Vogler u.a., eingerichtet von Karl Bruckmaier - am 6.Mai 12
Stunden am Stück auf WDR 3 - sollte man sich nicht entgehen lassen!)

* * *

Zwischen den Jahren mit einer kleinen Einkaufsliste in einem großen Berliner
"Kulturkaufhaus", da der Plattenhändler meines Vertrauens grad nicht
auf dem Weg lag. Von acht gewünschten CDs konnten gerade einmal zwei (zwei!)
käuflich erworben werden, der Rest war nicht vorhanden oder es gab ihn lt.
Verkaufspersonal nicht einmal. Und es waren nicht ausschließlich Raritäten oder
Kuriositäten, die ich da vergebens zu erwerben suchte - Alben wie das von Lily
Allen oder von Burial waren in nicht wenigen Jahrescharts auf vorderen Plätzen
zu finden, Scott Walker's neues Album sollte ebenso selbstverständlich in jedem
einigermaßen sortierten CD-Laden stehen wie Toni Kitanovski's
"Borderlands" in jeder brauchbaren Weltmusik- oder Jazzabteilung, und
Tsimon Barto's Rameau-Interpretation oder Jos van Immerseels
Mozart-C-dur-Klavierkonzert in jeder brauchbaren Klassikabteilung.
Der Geschäftsführer der deutschen Phonoverbände, Peter Zombik, wendet sich in
seiner Jahresbilanz wieder einmal heulend an den Gesetzgeber, der solle "die rechtlichen
Rahmenbedingungen bei der Privatkopie und Pirateriebekämpfung deutlich
verbessern". Wie wäre es, wenn die Musikindustrie und die
CD-Geschäfte erst einmal ihre Hausaufgaben machten und die vorhandenen CDs in
die Geschäfte stellten, bevor sie vom Gesetzgeber verlangten, ihre eigene
Unfähigkeit zu kompensieren?

* * *

In Japan gibt's eine Zigarettenmarke namens "Hope". Und die Sorten
"Hope light" beziehungsweise "Hope Menthol" (danke,
Christian!).

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"Denn es ist (…) so,
daß es gerade die Jugend des Jahres 2006 ist, die sich gewissermaßen in
musikalischen Strumpfhosen präsentiert, also so tut, als säße die erste und
nicht die zweite Elisabeth auf Englands Thron, als trage man Pluderhosen und
Puffärmel, als schreite man beim Tanz taktgenau im Kreise. Als schlage man
überall die Laute und die Harfe, wo sich rauschebärtige, fein bläßliche, also
vorwiegend weißhäutige Hippiekinder zusammentun, um Musik zu machen… (…)
Da tut sich also ein feiner,
kleiner Riß auf, vordergründig wieder einmal zwischen den Rassen, in Wahrheit
aber wie meistens zwischen den Klassen: Hip-Hop als Sound für die Doofen, die
Prekären, die Privatfernsehsklaven dieser Welt; dagegen Neo-Folk, Anti-Folk und
all dieses Tudor-Getue, das noch keinen eigenen Markennamen trägt - noch nicht
- für die Kinder aus gutem Haus, einigermaßen belesen, halbgebildet und
durchaus nicht abgeneigt, während eines Freisemesters mal was richtig
Ausgeflipptes zu unternehmen wie etwa einen Joint zu rauchen."
(Karl Bruckmaier in der "Süddeutschen Zeitung")

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"Wer nie vom Schönen je
vernahm vermißt nichts." (Peter Hacks)