18.02.2007

Und Ansonsten 2007-02-18

Eine
schöne Erfindung, die „Digitale Bibliothek“, Werke aus Philosophie, Musik oder
Literatur auf CD, mit komfortabler Suchfunktion. Weniger schön ist allerdings
die Erfahrung, die man mit der Kulanz der Firma Directmedia Publishing machen durfte.
Eine CD war beim Herauslösen aus dem Digipack zerbrochen, man hat sie
eingeschickt mit der Bitte, sie zu ersetzen. Vergeblich. Angeboten wurde, da
die betreffende CD nicht mehr erhältlich sei, eine ähnliche CD der Reihe
„Digitale Bibliothek“, allerdings unter neuerlicher Berechnung, und obendrauf
sollte man sogar noch die Versandkosten bezahlen – Kulanz, wie sie sie
verstehen…
Auf die Beschwerde hin, daß das doch nicht wahr sein könne, daß die Digitale
Bibliothek ja wahrlich kein billiges Vergnügen sei und man hier locker Werke
von Directmedia Publishing im Wert von mehreren hundert Euro herumstehen habe,
schrieb ein Stefan Tollkühn durchaus tollkühn zurück: „Die Problematik ist
weniger ein Materialfehler, als in der Regel falsches Entnehmen aus der Hülle.
Bitte beachten Sie, daß Sie mit dem Daumen den Knopf in der Mitte der
Verpackung runterdrücken, um die Aretierhaken der DVD-Hülle zu lösen.
Gleichzeitig ziehen Sie mit dem Zeigefinger die DVD aus der Hülle“
(Rechtschreibfehler im Original).
Daß ich das noch erleben durfte, daß mir jemand das unfallfreie Herauslösen
einer CD oder DVD aus einem Digipack erklärt…
Jetzt fehlt nur noch, daß Directmedia Publishing eine CD in der Reihe „Digitale
Bibliothek“ herausgibt, auf der Wörter wie „Kulanz“ oder „Service“ oder
„Kundenbindung“ erläutert werden. Das wäre sozusagen ein tollkühner Vorstoß in
die richtige Richtung.

* * *

Gut gefallen hat mir die Meldung von „Musikwoche.de“, daß sich „River Concerts“
als örtlicher Veranstalter der DEAG von Pop- und Klassik-Konzerten in Hamburg,
wie man auf „Musikindustriesprech“ so schön sagt, „aufstellt“.
DEAG-Vorstandsvorsitzender Schwenkow brachte den Sinn und Zweck von River
Concerts auf den Punkt: sein Unternehmen wolle mit der neu gegründeten Tochter
seine „Wertschöpfungskette verlängern“. Um Musik und Kultur geht es nicht.

* * *

„Mögen die Schallplattenfirmen mit gigantischem Werbeaufwand Jungstars wie Lang
Lang oder Hélène Grimaud zu massenkompatiblen Yellow-Press-Lieblingen
hochpushen: András Schiff kann die neue Medienwelt nichts anhaben. Der
53-jährige Ungar wird als kompromißloser Werkexeget verehrt, ein
Intellektueller, der nichts gelten läßt außer dem Notentext, zugleich Deuter
und Diener der Partitur.“ (Tagesspiegel Berlin)
Und das ist auch gut so. Der erste Klavierabend seines Berliner
Beethoven-Sonaten-Zyklus war jedenfalls ein Konzerthighlight – schön, daß es
das neben all den hochgepushten, aber meist zweit- bis drittklassigen
Zeitgeist-Klassik-Sternchen noch gibt!

* * *

Und wenn wir schon von hervorragenden „Konzerten“ sprechen: der Auftritt von
Wiglaf Droste im gleichen Monat im „Berliner Ensemble“ muß da in einem Atemzug
genannt werden.

* * *

„Die Popgeschichte in ihrem Lauf hält bekanntlich weder Ochs noch Esel auf.“
Schönes und schön doppelbödiges Zitat in einem Grönemeyer-Artikel in der „FAZ“.
Aber was war doch gleich wieder mit dem Verursacher des Originalzitats bald
darauf passiert? Darf man Ähnliches nun für Grönemeyer, soll man Ähnliches nun
fürs FAZ-Feuilleton erwarten?

* * *

Rocko Schamoni über die Popkultur:
„Zu viel Kraft landet in etwas, das wie eine Billigpizza konsumiert wird.“

* * *

Ein Politiker, wie neulich zu sehen war auch zu doof zum Stimmenzählen,
brabbelt über Orkan Kyrill:
„Erst habe ich mir im Fernsehen die Berichterstattung angesehen. Gegen
Mitternacht bin ich dann raus in den Garten und habe mir den Orkan in echt
angeschaut.“ (Walter Momper, aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen Präsident
des Berliner Abgeordnetenhauses, laut „Zeit“).
Und so machen diese Herren auch Politik: erst schauen sie sich die
Berichterstattung an, dann versuchen sie, live dabei zu sein…

* * *

„Man kann auch sein Ding durchziehen, anstatt bloß immer den neuesten
Scheißhausparolen hinterherzuhumpeln und Heil zu schreien, wenn es die
„BILD“-Zeitung oder der „SPIEGEL“ oder ARTE anordnen.“ (Dietmar Dath, Dirac)

* * *

Regelmäßig wird’s in diesem Rundbrief beklagt: Viele Journalisten sind zu faul
für so etwas Altmodisches wie „Recherche“, und zudem offensichtlich mit etwas
Intellektuellem wie „Analyse“ heillos überfordert.
Im Feuilleton der „Süddeutschen Zeitung“ am 20.1. wurde das nachgeplappert, was
unhinterfragt in den Branchendiensten des Music Bizz berichtet wird:
„Am 11.Januar wiederum machte eine Pressemeldung der Londoner EMI Group auch
dem letzten Optimisten deutlich, daß der gefürchtete Sturzflug einer
strukturell angeschlagenen Branche begonnen hat. Die EMI-Musikchefs Alain Levy
und David Munns sind gefeuert. Konzernboß Eric Nicoli, der einst vom
Kekskonzern United Bisquit in die Musik wechselte, muß ein drastisches
Sparprogramm in Höhe von 166,4 Millionen Euro umsetzen. Laut Sunday Times
sollen weltweit mindestens 900 EMI-Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz verlieren.“
Wir wollen nun gar nicht auf sprachliche und inhaltliche Holprigkeiten eingehen
(Nicoli wechselte wohl eher nicht von einem Kekskonzern „in die Musik“, sondern
höchstens zu einem Konzern der Musikindustrie – oder man beachte das schöne,
neoliberale „muß“ im Kontext der Massenentlassung, dem armen Kapitalisten
bleibt halt wieder mal gar nichts übrig…). Aber es wäre doch wohl nicht zu viel
verlangt gewesen, diese Meldung einmal zu hinterfragen – eine kleine Recherche
hätte bereits ausgereicht. In der „FAZ“ vom 13.1.d.J. läßt sich u.a. nachlesen:

„Im Zeitraum 2005/06 (31.März) hatte der Musikkonzern (…) weltweit noch rund 2
Milliarden Pfund erlöst und einen Betriebsgewinn von 250 Millionen Pfund (376
Millionen Euro) erwirtschaftet.“
Ein Betriebsgewinn von 376 Millionen Euro! Nun sind wir alle keine heurigen Hasen
und wissen von Bilanzierungstricks und Schönrechenspielen. Aber dennoch: einen
Verlust kann man nicht zu einem derartigen Betriebsgewinn hochrechnen. Also,
das sind wirklich gar fürchterliche Zahlen. Da müssen umgehend Hunderte von
Arbeitsplätzen gestrichen, fast tausend Mitarbeiter entlassen werden, das
versteht doch jeder… Shareholder value rules.

* * *

Im Übrigen, zurück zur Eingangsbemerkung dieses Rundbriefes, wünsche ich
eigentlich nicht mehr, mit irgend jemandem mich übers Musikbusiness unterhalten
zu müssen, der nicht wenigstens das Buch „a dysfunctional success – The
Wreckless Eric Manual“ von Eric Goulden gelesen hat…

* * *

Im letzten Rundbrief wurde es bereits berichtet: die schwer von
Zweitklassigkeit und Weihnachtsverlust gebeutelte Klüngel-Kapitale Köln schießt
im Nazi-Jargon zurück – nach dem „Kölner Stadtanzeiger“ und verschiedenen
Ex-„Spex“-Redakteuren (siehe „Spex, die Flakhelfer-Söhne und die Popmusik“ auf
unserer Website unter „Texte“) dreht nun auch der Trainer des 1.FC Köln auf:
Christoph Daum verwendete den Freddy Quinn-Song „100 Mann und ein Befehl“, um
seine Zweitliga-Kicker zu motivieren. In der Kabine mußten umgedichtete
Liedzeilen von den Profis gesungen werden. Kostprobe lt. „FAS“: „30 Mann und
nur ein Ziel. Und ein Weg, den jeder will. Fern von zu Haus’ ist einerlei, denn
ich bin bei den 30 Mann dabei.“
Übrigens – erinnert sich irgendwer daran, daß Daum vor Unzeiten mal kurz als
Lichtgestalt des deutschen Fußballs galt? Vom Daum zum Däumling ists manchmal
nur so weit wie eine kleine Linie Koks…

* * *

„Oh Mann. Hat Deutschland Style oder hat Deutschland keinen Style?“
Eine wohl eher rhetorische Frage von Jan Delay bei Raabs „Bundesvision Song
Contest“. Die sich übrigens auch allein schon dadurch beantworten läßt, daß ein
Jan Delay es für nötig hält, an diesem „Contest“ teilzunehmen. Auf seinem Album
„searching for the jan soul rebels“ sang Jan Delay noch: „die mit dem
sonnenbank-funk und dem talkshow-soul / die mit dem kaufhaus-punk und
hannoveranischem rockaroll / ihr wählt doch auch sonst immer das falsche, wenn
ihr die wahl habt / ihr steht doch sonst auch immer auf sauber, ordentlich und
aalglatt! / (und darum) / möchte ich nicht, daß ihr meine lieder singt!“…

* * *

Eigentlich war ich ja davon ausgegangen, daß ein erledigter Fall wie Heinz
Rudolf Kunze nicht nur als „Musiker“, sondern auch generell seine Klappe hält.
Aber nein, er hat es gewagt, ein neues Album zu veröffentlichen, und da er aus
unerklärlichen Gründen als Sachverständiger (boah!) der Enquete-Kommission
„Kultur in Deutschland“ im Bundestag fungiert (da könnte man mit Jan Delay
fragen: Oh Mann. Hat Deutschland Kultur, oder hat Deutschland keine Kultur
mehr? wenn jeder Hinz und Kunze im Bundestag Sachverständiger für Kultur
spielen darf…), hat er auch ein Thesenpapier (boah!) zum Stand des
Kulturjournalismus (boah!) vorgelegt. Darin finden sich neue schöne Sätze von
Kunze, der vor noch nicht allzu langer Zeit gegen „die Flut von ausländischem
Schund“ in deutschen Radios gewettert hat:
„Radio ist Lärmterror für Schwundhirne“ (deswegen möchte Kunze wohl gern im
Radio gespielt werden, haha…), es sei „die systematische Verkürzung und
Verstümmelung der Wahrheit: nicht nur der ästhetischen. Primitive
umgangssprachliche Metastasen durchwuchern die Sprechhaltung am Mikrophon“. So
schwurbelt ein Ex-Lehrer legasthenisch daher, dem noch nie je auch nur eine
Metapher gelungen ist. Aber Kunze setzt noch einen drauf:
„Es gibt einen Flüsterkonsens der Medienarbeiter in den Kantinen, der an das
verdruckste Einverständnis von Mitläufern in Diktaturen erinnert.“ Nun ist der
Autor dieses Rundbriefes bekanntermaßen kein Freund der Entwicklung der
bundesdeutschen Radiolandschaft, aber daß das Nichtspielen von Zeugs des Heinz
Rudolf Kunze, das ja für sich gesehen durchaus eine geschmackssichere Tat
darstellt, nur als „Diktatur“ erklärt werden könnte, scheint doch ein ganz
klein wenig hochgegriffen. (alle Zitate lt. FAS)
Schöne Grüße daher an die flüsternden Medienarbeiter in den Kantinen!