25.03.2007

Und Ansonsten 2007-03-25

Eine
drollige Einrichtung, die deutsche Sozialdemokratie, die manchmal mutig immer
noch als "Volkspartei" bezeichnet wird: In Wiesbaden schaffte es die
SPD zwar noch, einen Bürgermeisterkandidaten aufzustellen, scheiterte aber am
Versuch, diesen Kandidaten rechtzeitig zur Wahl anzumelden. In Hamburg
scheiterte die SPD bereits daran, überhaupt einen Bürgermeisterkandidaten
aufzustellen. "Genosse Trend": es wird böse enden…

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Zeitungs-Schlagzeilen vom 27.Februar 2007:
"UN-Gericht spricht Serbien der Beihilfe zum Völkermord für schuldig."
(Berliner Zeitung)
"Keine direkte Schuld Belgrads am Massaker von Srebrenica." (Neue
Zürcher Zeitung)
"Serbien vom Vorwurf des Völkermords freigesprochen." (Frankfurter
Allgemeine Zeitung)
Ach, was lob ich mir die Pressefreiheit!
(Bei der Gelegenheit: Zwei der vier bisherigen Ministerpräsidenten des Kosovo
sind schwerer Kriegsverbrechen verdächtig. Mit Hilfe der UN-Verwaltung im
Kosovo wurden entsprechende Haftbefehle bisher nicht vollstreckt, oder der
ehemalige Ministerpräsident Ramush Haradinaj kam gar auf Intervention der
UN-Verwaltung nach mehrmonatiger Untersuchungshaft in Den Haag wieder frei; der
BND in einer Analyse Anfang 2005: "Die im Raum Decani auf Familienclan
basierende Struktur um Ramush Haradinaj befaßt sich mit dem gesamten Spektrum
krimineller, politischer und militärischer Aktivitäten, die die
Sicherheitsverhältnisse im gesamten Kosovo erheblich beeinflussen. Die Gruppe
zählt ca. 100 Mitglieder und betätigt sich im Drogen- und Waffenschmuggel und
im illegalen Handel mit zollpflichtigen Waren." Derartiges liest man in
hiesigen Tageszeitungen praktisch nicht, Pressefreiheit hin, Pressefreiheit
her…)

* * *

Thees Uhlmann, Sänger von Tomte und Mitgeschäftsführer von "Grand Hotel
van Cleef Musik" und bekanntermaßen Lautsprecher der Branche, dessen
Wortmeldungen leider hinsichtlich Großmäuligkeit versus Intelligenzgrad nicht
selten indirekt proportional sind, vergießt Krokodilstränen, als Grand Hotel
van Cleef Music der Öffentlichkeit mitteilen, daß man nun eine eigene
Booking-Agentur betreibe: "Dass wir creative talent und insbesondere
unseren Freund Philipp Styra verlassen mußten, war so schlimm, wie mit zwei
Freundinnen gleichzeitig Schluß zu machen - und das am Tag, an dem der
Lieblingsverein absteigt."
Sicher wurde Herr Uhlmann als Mitgeschäftsführer von Grand Hotel van Cleef
Musik mindestens unter Waffengewalt gezwungen, diese Entscheidung gegen seinen
bisherigen Tourneeveranstalter zu treffen. Nur so ist die mißlungene Metapher
aus der Ausnüchterungszelle zu erklären.

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Eine dieser Schlagzeilen, wie ich sie liebe:
"Daimler-Chrysler-Aktie schnellt auf Rekordhöhen. 13.000 Jobs in den USA
auf der Kippe (…) schon belohnt die Börse den kriselnden Autokonzern…"
(aus "Spiegel Online").

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Gespensterdebatten noch und nöcher.
Teil einer Strategie, von den tatsächlichen gesellschaftlichen Problemen
abzulenken.
Gespensterdebatte I: RAF. Wieder einmal. In regelmäßigen Abständen. Betrachtet
man die so schrillen wie zum großen Teil skurillen Wortmeldungen von
CDU/CSU-Funktionären wie Ronald Pofalla, Markus Söder oder Günther Beckstein,
dann fühlt man sich nicht nur um dreißig Jahre zurückversetzt, sondern man
merkt auch deutlich, daß diese Herren in keinster Weise eine rechtsstaatliche
Gesinnung vorweisen, die sie ihrem politischen Gegner doch so gerne absprechen.
Man kann zu den Äußerungen des ehemaligen RAF-Mitglieds Christian Klar zur
Linken Lateinamerikas und zum Kapitalismus als solchem stehen wie man will,
Tatsache bleibt, daß dies erstens allgemein politische Äußerungen sind, die
hierzulande gemacht werden dürfen, die damit sogar dem Gedanken der
"Resozialisierung" entgegenkommen, und daß die politischen Äußerungen
eines Gefangenen nun einmal zweitens nichts damit zu tun haben, ob
rechtsstaatliche Gedanken wie die vorzeitige Freilassung wegen "guter
Führung" oder eine vorzeitige Begnadigung durch den Bundespräsidenten
umgesetzt werden.

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Gespensterdebatte II: Die Frage der Kinderbetreuung in der Bundesrepublik. Auf
Typen wie den Augsburger Bischof muß man in diesem Kontext nicht eingehen, die
katholische Kirche und allen voran diverse deutsche Bischöfe haben sich über
Jahrzehnte selbst disqualifiziert als ernstzunehmende familienpolitische
Gesprächspartner.
Warum aber hierzulande über einen einigermaßen vernünftigen Vorschlag
tatsächlich noch diskutiert werden muß, ist ebenso rätselhaft wie die
Schlafmützigkeit der SPD, die sich in dieser Frage ausgerechnet von einer
konservativen Familienministerin der CDU wie ein gescheiterter Tanzbär am
Nasenring durch die Manege ziehen läßt (wenn man mal davon absieht, daß der
Elterngeld-Vorschlag, den die große Koalition nun umgesetzt hat, noch aus der
Feder von Renate Schmidt stammt).
Die Art, wie hier eine Politik, die ein Minimum an gesellschaftlicher Realität
und Modernität umsetzt, diskutiert und von bestimmter Seite diffamiert wird,
zeichnet ein trauriges Bild einer im Grunde kinderfeindlichen
bundesrepublikanischen Gesellschaft, deren meiste familienpolitische Konzepte
letztendlich aus dem Geist des 19.Jahrhunderts, des Biedermeier geboren wurden.