16.06.2007

Und Ansonsten 2007-06-16

Vorsicht!
Sie betreten den ironischen Sektor dieses Rundbriefes! Hier wird gnadenlos
gescherzt und polemisiert. Eltern haften für ihre Kinder! Die Redaktionen
haften für ihre Journalisten! Explicit content!

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"Wie der komplexe
Handel mit gegenseitigen Gefälligkeiten zwischen Marke, Band und Musikpresse
funktionieren kann, läßt sich am Beispiel Rock Liga exemplarisch beschreiben
(…) Die Musikzeitungen garantieren kontinuierliche Berichterstattung über das
halbe Jahr, in dem die Konzerte stattfinden, gewähren kleine Bevorzugungen wie
zum Beispiel das Abdrucken jener Bandfotos mit Hirschlogo. Sie bekommen dafür
Anzeigen, die unter anderem deshalb wichtig sind, weil sie andere
konkurrierende Markenkunden anziehen. Ungeschriebenes Gesetz einer solchen
"Medienpartnerschaft" scheint zu sein, daß sich eine kritische Berichterstattung
über die Veranstaltung verbietet. Da bei der Rock Liga fast die gesamte
Musikpresse mit im Boot sitzt, ist es nicht weiter verwunderlich, wenn die
meisten Blätter, der Einfachheit halber mehr oder minder offen die Promotexte
ihres Auftraggebers abdrucken. Wie groß die Angst ist, Anzeigenkunden zu
vergraulen, erlebe ich, als ich bei der Intro, mit einer Auflage von 110 000
eines der größten deutschen Musikmagazine, und dem MusikExpress, einem der
ältesten, nachfrage, ob sie nicht Interesse hätten an einem Text über die Rock
Liga.
Die betroffenen Redakteure,
die ich als Journalisten durchaus schätze, antworten unzweideutig: "Sorry,
wir sind da hochgradig verstrickt." Oder: "Mitmachen oder nicht, das
gilt für uns Medien genauso wie für die Bands." Markus Hablizel, als
ehemaliger Redakteur der Spex früher ebenfalls Teil der Verstrickung,
beschreibt die Abhängigkeiten so: "Was definitiv nicht gegangen wäre, ist,
daß wir erst Ankündigungen drucken und dann hingehen und sagen: Die Rock Liga,
das ist eine Scheißveranstaltung. Der Veranstalter ist ja ein Anzeigenkunde vom
Verlag. Das wird dir der Verlag jederzeit rausschmeißen."
Ted Gaier in "Die Zeit" über die "Jägermeister Rock Liga"

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In Berlin-Kreuzberg wird McDonald's dieses Jahr eine Filiale eröffnen. Meines
Wissens gab es zuletzt weltweit lediglich in Kreuzberg und in Nordkorea keine
McDonald's-Filialen - zumindest mit der einen Lücke hat der US-Konzern nun
aufgeräumt…
"Das Schönste an Tokio
ist McDonalds. Das Schönste an Stockholm ist McDonalds. Das Schönste an Florenz
ist McDonalds. Peking und Moskau haben bisher nichts Schönes."
(Andy Warhol, vor Jahrzehnten…)

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"Um ihr neues
Mode-Label in ein interessantes Licht zu stellen, haben Annabelle Mandeng und
Jesko Klatt ihren Werbeclip im Holocaust-Mahnmal aufgenommen."
(TIP Berlin). Zwei erfolgreiche Pop-Unternehmer - "sie hat erfolgreich gemodelt, souverän Galas
moderiert, trat als Schauspielerin mehrfach in Fernsehfilmen und Serien auf und
hat auch beim Prominenten-Eislaufwettbewerb "Stars auf Eis" auf PRO 7
eine gute Figur gemacht", berichtet in einer merkwürdig (und
gleichzeitig passend) verdrucksten Sprache der "Tip" - er, "Ex-Beleuchter, Ex-Barkeeper und
jetzt Betreiber des Clubrestaurants Spindler & Klatt" -
nun haben sie ein neues, gemeinsames Mode-Label namens "Pureberlin",
das "nur noch wie das
I-Tüpfelchen auf einer umfassenden Erfolgsstory wirkt".
"Ja, es ist das
Holocaust-Mahnmal, erklärt Jesko Klatt auf tip-Anfrage. Zusammen mit dem
Regisseur Roman Kuhn, der unter anderem für BMW, die Zigarettenmarke West und
die Bekleidungskette C&A Werbefilme gedreht hat, habe er sich "bewußt
entschieden, daß das in unseren Augen kein Problem darstellt". Jesko Klatt
ist überzeugt, daß sie mit dem Pureberlin-Clip "eine Location"
positiv eingebunden hätten, "die ein Teil von Berlin darstellt, und die
dem Zweck dient, eine Erinnerung am Leben zu halten.""
Mal ganz abgesehen vom Grad der Widerlichkeit, mit dem dieser selbsternannte
Hipster von einem Holocaust-Mahnmal nur als "Location" reden kann (er
hätte sicher auch keine Probleme, seine Mode in einem KZ zu präsentieren, da
würde er sich mit dem Werbefilmer sicher auch "bewußt entscheiden, daß das
in unseren Augen kein Problem darstellt"…) - irgendwie haben sie ja auch
Recht - hier kommt "Pureberlin" ganz genau zu sich selbst. Der
Werbefilmer hat schon für Nazibetriebe gedreht, im "Spindlers und
Klatt" finden auch die Parties der "Yellow Lounge" statt, man
kann also gleich den Wagner-Soundtrack der "Deutschen Grammophon" beim
Catwalking durch die Stelen des Mahnmals verwenden, und so fügt sich in
Pureberlin ganz pur das eine zum anderen. Ekelhaft.

* * *

"Und wenn aus einer
Profession POP wird - siehe unsere Jungschriftsteller von der Firma
KiWi -, dann wird alles
Gewerbe, in jeder Bedeutung des Wortes."
Wiglaf Droste

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Und nochmal Wiglaf Droste, über einen Medienliebling unserer Zeit:
"Was Johannes B. Kerner
in der Welt der medialen Pfannenschwinger tut, hat mit Kochen nichts zu tun,
nicht einmal mit Kochfernsehen (…) Die Mischung aus Gedankenarmut,
uneingeschränktem Abgreiferinstinkt und Ich-hab's-geschafft-Erfolgsgrienen
imponiert hierzulande nicht wenigen; so substanzfern wie Kerner kämen viele
Landsleute auch gern durch ein zusammengelogenes Teuerteuerleben. Müssen dafür
aber unschuldige Filets verbraten werden?"
Nun bin ich seit Längerem der Meinung, daß Kerner in der Klasse von Claudia
Roth spielt, nämlich: in der Klasse der im Grunde
"Nicht-Satisfikations-Würdigen". Aber manchmal dürfen Ausnahmen
gemacht werden. Mir wurde dieser Tage erzählt, wie Bohlen bei Kerner war und
nebenher einfließen ließ, daß er mitunter Musik als Computerfiles verschicken
würde, und daß Kerner dann, ganz Streber, "wissend" einfließen ließ:
"Als PDF-File…" und Bohlen jovial korrigierte: "Nö, als
MP3…" In diesem Moment wäre ich gern dabeigewesen, hätte ich diese Show
gerne einmal 30 Sekunden lang gesehen - wie Kerner einmal Musik als PDF-File
verschickt hat….

* * *

Hübscher kleiner Streit zwischen Frau Merkel und Herrn Putin über die
Demonstrationsfreiheit. Ich möchte ja keineswegs eine Lanze brechen für die
Situation der Menschenrechte in Rußland - wie man allerdings als
Bundeskanzlerin zu einer Zeit, da die Bundesregierung Grundrechte massiv einschränkt
und weiter beschränken will, anderen Staaten über Demonstrationsfreiheit
Vorhaltungen machen kann, läßt sich eigentlich nur so erklären, daß es so schön
klirrt, wenn man im Glashaus mit Steinen wirft…
"Wenn gewalttätige
Demonstranten festgenommen würden, sei das eine Sache. Wenn jemand schon auf
dem Weg zu einer Demonstration festgenommen werde, sei das etwas völlig
anderes", so Frau Merkel lt. FAZ vom 19.5.07.
"Die Polizei stattet
Globalisierungsgegnern im Vorfeld des G-8-Gipfels Hausbesuche ab. Dabei würden
diese vor einer Reise nach Heiligendamm gewarnt, sagte ein Sprecher des
Innenministeriums gestern. (…) Es gehe um eine Zahl im zweistelligen Bereich.
Die Polizei will Demonstrationen rund um den Gipfelort Heiligendamm
verbieten." (dpa-Meldung am gleichen Tag)

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Wie man überhaupt selbst als im Grunde politisch recht desillusionierter
Zeitgenosse über die aktuellen Aktivitäten des Staates, hierzulande Grundrechte
mit den Füßen zu treten, nur staunen kann: Da müssen sich die Herrschenden mit
einem riesigen Zaun, der eher an die Berliner "Mauer" erinnert und
der samt Sicherheitsschnickschnack mehr gekostet hat als die komplette
documenta 2007, vor denen schützen, die sie zu repräsentieren vorgeben; da
greifen hiesige Polizisten zu Stasi-Methoden und sichern Geruchsproben von
Demonstranten; da wird Journalisten die Akkreditierung beim G8-Gipfel
verweigert; da müssen sich die Behörden erst von Gerichten das
Demonstrationsrecht buchstabieren lassen; da finden skandalöse
Hausdurchsuchungen statt, u.a. angeblich, um ein Buch zu finden, das seit
einigen Jahren in jeder Buchhandlung zu kaufen ist; da werden Demonstranten zu
Terroristen gemacht und mit dem Polizeistaatsparagraphen 129a angeklagt, da
können Bürger für 14 Tage in "Unterbindungsgewahrsam" genommen
werden, und und und…
Es ist hier nicht Platz und auch nicht der Raum, dies alles ausführlich
darzustellen und zu kommentieren; wen es interessiert, der sei eingeladen, z.B.
einen Blick auf diesen Aufruf zu werfen: http://129akriminalisiertprotest.wordpress.com

Und was von den ebenso lächerlichen wie ärgerlichen PR-Aktionen von Popgrößen
und Popsternchen von Bono über Grönemeyer bis Wir sind Helden zu halten ist,
dazu hat Berthold Seliger schon vor paar Jahren einen Text für
"Konkret" geschrieben, der auch heute noch ein gültiger Kommentar zu
dem Gewese ist: "Cui Bono?" Kann man auf unserer Website noch mal
lesen, unter "Texte".
Übrigens: Im aktuellen "Spiegel" wurde aus einem geheimen Stabspapier
des Kanzleramts zitiert, unmittelbar nach dem Besuch Geldofs bei Merkel, bei
dem diese ihm von den 750 Millionen Euro erzählt hat, die die Deutschen 2008
zusätzlich für Entwicklungshilfe ausgeben wollen: "Bob Geldof habe ihr
versichert, daß er bei einem solchen Schritt persönlich auf Kritiker wie
Herbert Grönemeyer Einfluß nehmen werde, um deren Kritik zu mäßigen."
Bisher hatte ich mir den Kalauer ja verkniffen, weil Namenskalauer generell
verboten sind, aber nun, da Bob Geldof sich als "Bild"-Chefredakteur
zum nützlichen Idioten (wobei die Betonung auf Letzterem liegt…) gemacht hat,
soll es doch sein: Kein Wunder, daß man aus dem Namen Bob Geldof sowohl die
Wörter "Geld" als auch "doof" zusammenbasteln kann…
Tschuldigung.

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Wie es ja bei G8 ohnedies nur auf die Deutungshoheit über die Symbole ankommt,
auf die "Codes". Da versuchen sich Merkel und in ihrem Gefolge
Wieczorek-Zeul etc. durch die Anhebung der Entwicklungshilfe für Afrika um 750
Millionen Euro ins rechte Licht zu rücken - während die schwarze Angela und die
rote Heidi die Selbstverpflichtung der Erhöhung der Entwicklungshilfe durch die
G8-Staaten die letzten Jahre deutlich unterschreiten, und auch die jetzt
angekündigten 750 Millionen Euro nur ein Tropfen auf den heißen Stein sind. Und
das Geld nicht etwa, wie per Selbstverpflichtung längst festgelegt, aus dem
Bundeshaushalt kommen, sondern über neue Finanzierungsinstrumente
erwirtschaftet werden soll.

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"Die Zeit" wirbt für ihr neues altes Magazin namens "Leben"
mit dem werbe-üblichen Dreier-Wortgeklingel: Denken. Fühlen. Leben.
Was den Werbern dazu an Bildersprachen eingefallen ist, bringt die alte Tante
so ziemlich genau auf den Punkt, ist hübsch selbst-entlarvend: Das Foto zu
"Denken" zeigt den rauchenden Helmut Schmidt. Das Foto zu
"Fühlen" zeigt eine junge Frau in rotem (!) Kleid mit Ausschnitt -
klar, fürs Denken ist bei der alten Tante noch allemal der Mann, fürs Fühlen
die Frau zuständig (letztere aber auch nur in einer sexy Anmachversion). Und
fürs "Leben" dann das "Zeit magazin"… Was für ein
trostloses Leben.

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"Beck were he
belongs."
Titel der "Offside"-Kolumne von Duleep Allirajah in "Sp!ked
Online" zum Wechsel Beckhams in die Disney-Liga

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In einem Artikel über den überschätzten chinesischen Pianisten Lang Lang im
"Spiegel" stellt Moritz von Uslar nicht ganz korrekt fest: "Der
Konsument muß also begreifen, daß die große Kunst - Wahrheit, Eigensinn,
Innovation - in der Klassik in den seltensten Fällen direkt neben der Kasse
liegt, im Pop dagegen immer wieder doch. Das ist er, der letzte griffige
Unterschied zwischen Pop und Klassik im Sommer 2007."
Als ob die multinationalen Unterhaltungskonzerne, die das "Modern
Talking" der Musikindustrie prägen, ganz gleich ob im Pop- oder im Klassikbereich,
nicht längst die Plätze neben der Kasse als Monopol besetzt hielten. Und als ob
man im Popbereich weniger auf Entdeckungsreise jenseits des von den Multis und
ihrer Manipulationsindustrie geprägten Mainstreams gehen müßte. Sonst aber hat er
natürlich Recht, der Autor, wenn er den großen Grigorij Sokolov über das
Marketingprodukt Lang Lang stellt. Gut gebrüllt, Löwe - auf Seite 183.
Auf Seite 184 liest man in einer Anzeige des "Spiegel Shop"
"unsere aktuelle Empfehlung: Aus unserem großen Angebot von rund 1,6
Millionen spannenden, faszinierenden, exklusiven Produkten" hat der
"Spiegel" für seinen Shop nicht etwa CDs des Klavierriesen Sokolov
oder einer spannenden Sängerin wie der Callas "für Sie
zusammengestellt", sondern wirbt für eine CD von "Badewanna"
Netrebko ("Figaro-Highlights"), die zwei Seiten vorher noch als
Beispiel "für Popstar-Ruhm, wie ihn nur Sportler und Schauspieler
kennen" aus dem redaktionellen Teil des Blattes zusammen mit Lang Lang
lächeln darf.
An der Kasse ist der "Spiegel Shop" halt ein Geschäft wie jedes
andere auch…

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Liebe deutsche Verlage!
Daß ihr den schönen, kurzen Text von Jean-Philippe Toussaint über Zidane
("La Mélancolie de Zidane") über das Finale der
Fußball-Weltmeisterschaft nicht übersetzt und hierzulande veröffentlicht habt,
ist zwar überraschend, weil die anderen Bücher Toussaints ja mit ziemlichem
Erfolg erscheinen - aber geschenkt, ihr habt sicher anderes zu tun, und
hierzulande gilt es ja eher, den Mythos von den freundlich-patriotischen Teutonen
und ihrem "Sommermärchen" zu pflegen und zu befeuern, also sei euch
das verziehen.

Wie ihr es allerdings wagen könnt, das berührend-wunderbare Buch "Lettre à
D." des großen André Gorz immer noch nicht auf Deutsch veröffentlicht zu
haben, das ist nicht zu akzeptieren. Und schon gar nicht, wenn man sich all den
Müll betrachtet, den ihr sonst so auf unschuldiges Papier druckt.

Bei der Gelegenheit dürft ihr auch gerne sofort Georg Kneplers
"Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts" wieder auflegen, die skandalöserweise
nur noch antiquarisch erhältlich ist!

Jetzt aber los!