15.12.2007

Und Ansonsten 2007-12-15

Das
muß man sich auf der Zunge zergehen lassen: Der Stromkonzern Eon, einer der
Energiemonopolisten dieses Landes, der im ersten Halbjahr 2007 seinen Gewinn
vor Steuern auf sagenhafte 5,43 Milliarden Euro bezifferte (und gleichwohl
höhere Strompreise fordert…), finanziert den „Thüringer Literaturpreis“ mit
sage und schreibe 6.000 Euro jährlich. Deutlicher hat wohl selten ein
Großkonzern die Kultur spüren lassen, daß man deren Protagonisten (in diesem
Jahr immerhin Ingo Schulze) nicht einmal mehr ein Almosen zukommen zu lassen
gedenkt. Da waren die vergangenen Zustände feudaler Landesherren gerade
kulturfördernder Luxus dagegen.

* * *

„Mich stört, daß es kaum
noch einen Ausstellungskatalog gibt ohne das Logo oder den Namen einer Firma,
beinah jedes Festival oder Gastspiel gibt zu Beginn die Liste seiner Sponsoren
bekannt.“ (Ingo Schulze)
Singing for Pepsi, singing for Coke, singing for Jägermeister, singing for Eon…
Der
Sound unserer Tage.

* * *

Für sein Lebenswerk hat Heinz Rudolf Kunze am 20.November aus den Händen von
Ministerpräsident Christian Wulff die höchste Auszeichnung Niedersachsens, den
„Staatspreis“, erhalten.
Und das ist keine Satire.

* * *

Daß der deutsche Verlag von John Mearsheimers anti-israelischem Bestseller „Die
Israel Lobby. Wie die amerikanische Außenpolitik beeinflußt wird“ auf dem
Buchcover eine amerikanische Flagge mit Davidsternen darin verwendet hat, die
es so bereits 1942 auf einem Nazi-Pamphlet über die „Kräfte hinter Roosevelt“ gegeben
hat, ist erstmal nur ein besonders „hübsches“ Beispiel vorauseilendem
antisemitischen Gehorsams, der viel über diese Zeit und die geistige Situation
dieses Landes aussagt. Die Autoren distanzieren sich nicht etwa von dem Cover
der deutschen Auflage, sondern stellen nur lapidar fest, sie „hätten davon zu
spät erfahren“.
Und die „Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik“ distanziert sich nicht
etwa von der antisemitischen Natur der „Verschwörungstheorie“, die Mearsheimer
und sein Co-Autor anbieten, sondern geben den beiden Autoren unkommentiert
Gelegenheit, ihre antisemitische Propaganda in Berlin auf Einladung der DGAP
darzulegen.
Daß das kein Zufall ist, dazu gibt es weiter unten noch zwei weitere
signifikante Beispiele.

* * *

Ein anderes gelungenes Bild des „neuen Deutschland“ bietet „Schöner Wohnen im
alten Reichskriegsgericht“ („Berliner Zeitung“): 2005 haben holländische
Investoren das bundeseigene Gerichtsgebäude erworben, in dem sich von 1936 bis
1943 das Reichskriegsgericht, die höchste Instanz der Wehrmachtsjustiz, befand.
Dort wurden mehr als 260 Kriegsdienstverweigerer und zahllose Frauen und Männer
aus dem Widerstand zum Tode verurteilt. Allein in der Zeit des Zweiten
Weltkrieges wurden in dem Gericht mindestens 1.400 Todesurteile gefällt,
darunter gegen die Widerstandskämpfer der „Roten Kapelle“.
Nun wurde das Gebäude von den Investoren zu Luxuswohnungen umgebaut, mit Räumen
„zum Verlieben“, alles „vom Besten“, „vom Feinsten“, wie es in der Werbung
heißt. Der große Gerichtssaal ist noch nicht fertig umgebaut. Er wird lt.
„Berliner Zeitung“ „originalgetreu
saniert, aber nicht, um Wohnraum zu schaffen, denn „wer will hier wohnen“,
fragt Groth (der Geschäftsführer des Investoren). Er möchte dort einen
Mietergemeinschaftsraum einrichten, mit rotem Samt, Kamin, Klubsesseln und
einem Fernseher zum Fußballgucken. „Hier sollen sich Mieter treffen, ihre
Zigarren rauchen und ihren Cognac trinken“, sagt er.“
Das hätte den verbrecherischen Nazi-Richtern, die in dem Saal ihre Todesurteile
ausgesprochen haben, sicher auch gut gefallen, wenn sie nach „getaner Arbeit“
im gleichen Raum noch ein bißchen bei Zigarre und Cognac hätten „chillen“
können. Nun können das ihre Söhne und Enkel nachholen…

* * *

So sind sie, die Damen und Herren Musikjournalisten (zumindest manche von
ihnen, manchmal, grins…). Da rezensiert ein Kritiker für die „FAZ“ ausführlich
die gerade erschienene DVD von Lambchop, „No Such Silence“. Zu dem, was er
festhält, läßt sich wie immer einiges sagen, manches teilt man, manches weniger,
wie es eben so ist. Aber dann der Satz:
„Das polnische
Dafo-Quartett, das als fester Gast die Konzerte begleitet, spielt zum Auftakt
Pendereckis zweites Streichquartett – allerdings nur einen vierminütigen
Happen, den die DVD dreist als ganzes Stück ausgibt.“
„Dreist?“
Dreist ist etwas ganz anderes. Offensichtlich ist, daß der Musikkritiker der
„FAZ“ von Streichquartetten überhaupt keine Ahnung hat, denn sonst wüßte er,
daß Pendereckis 1968 entstandenes und 1970 bei den Berliner Festspielen uraufgeführtes
zweites Streichquartett eben nur aus einem kurzen Satz besteht – und eben
dieses kurze, aber komplette Streichquartett hat das Dafo-Quartett aufgeführt,
und es ist komplett auf der DVD enthalten.
Nun kann man sich darüber streiten, ob ein Lambchop-Kritiker so etwas wissen
muß. Ich finde: im Grunde schon, und erst recht, wenn er sich darüber ausläßt.
Jenseits dessen, daß man von einem „FAZ“-Kritiker erwarten können muß, daß er,
wenn er schon keine Ahnung hat, doch wenigstens kurz bei Google recherchiert,
um seine allzu offensichtlichen Wissenslücken nicht drucken zu lassen.
Aber um Kompetenz geht es bei hiesiger Musikkritik eben schon lange nicht mehr.
Es geht einfach darum, etwas zu behaupten, was dann „bewiesen“ wird. Reiner
Behauptungsjournalismus. Den man aber „dreist“ als Kritik gegen die Band und
ihre Plattenfirma wendet. Daß selbst bei der seriösen „FAZ“ heutzutage solch
inkompetenter Schmierenjournalismus möglich ist, ist traurig und zeigt den
Zustand der Musikkritik in diesem unserem Land. Wahrscheinlich sollte man noch
froh sein, daß der Kritiker die DVD, über die er schreibt, überhaupt angesehen
hat…

* * *

Ist inkompetenter Musikjournalismus in der „FAZ“ noch selten, so ist er in der
alten Tante „Zeit“ längst gang und gäbe. Oder was halten Sie von folgendem
Geschwurbel:
„Ich wollte Maria atmen
hören. Die schöne, beseelte Maria Joao, eingehüllt in die Luft von Lissabon.
Atlantik-nah. Einen Scat aus Hechel-Lauten stellte ich mir vor, denn ihr Gesang
ist so. Immer hat sie Luft unter den Tönen und treibt sie wie Dünung. Sie
sollte nur dastehen und ventilieren, das Gesicht in Aktion, außer Atem.“

Unglaublich? Tschah, würde man denken, und man würde dann weiter denken, so
schreibe ein alternder Lüstling mit sagen wir Erektionsproblemen, der halt
irgendwie vor sich hinsabbert.
„Vor einem Konzert hatte ich
sie hübsch genannt. „Ja“, hatte sie gesagt, „wenn ich musiziere, ziehe ich ein
schönes Kleid an, mein schönstes, um genau zu sein, lege Make-up auf, was ich
sonst nie tue – ich fühle mich hübsch, attraktiv, geliebt…“ Dann hatte sie
gesungen. (…)
Am nächsten Tag ging ich
wieder zu ihr, und sie atmete für mich, vor einer Holzwand stehend, tonlos,
besinnungslos.“ Man stelle sich das vor: sie atmet nicht etwa,
um weiterzuleben, nein, sie atmet für den sie anbetenden Journalisten der
„Zeit“ – wenn Männer zu viel lieben… bzw. zu viel plappern… Doch der Text endet
mit einem Softporno a la David Hamilton, das war wohl die Zeit, in der sich der
Autor erotisch „sozialisierte“ – „Dann
fuhren wir an den Atlantik, und sie sagte: „Das Meer orchestriert all deine
Möglichkeiten, glücklich zu sein. Ich habe es hier in mir, es ist immens, mal
blau, mal grau mit all seinen Farben, und alles scheint möglich… Manchmal ist
das Meer bitterkalt. Aber heute ist es angenehm. Komm rein!“ Dann legte sie ihr
Leibchen ab und tauchte durch die Schaumkronen. Von Liebeskummer keine Spur.
Viva Maria!"
Das, was da auf der „Feuilleton“ genannten Seite der altehrwürdigen „Zeit“ vor
sich hinsabberte, nennt sich Roger Willemsen. Ob die „Redaktion“ seinen
Pennäler-Erlebnisaufsatz gekürzt hat? Denn wir wüßten doch zu gerne, ob auch
das Roger Willemsen sich seines „Leibchens“ entledigte, und warum ihn die
„Schaumkronen“ des Atlantiks vor Portugal wieder hergegeben haben. Oder war das
Willemsen plötzlich „besinnungslos“? „Tonlos“ ja nun leider nicht…

* * *

Der gleiche Roger Willemsen übrigens, der sich auf einer gemeinsamen
Veranstaltung mit NSDAP-Kindermitglied Dieter Hildebrandt lt. „Konkret“ nicht
entblödete, ein angebliches Talmudzitat (u.a. „Denn das Vermögen des Nichtjuden ist als Gemeineigentum
anzusehen, und es gehört dem Juden, der es sich sichern kann.“) zu verlesen,
das „seit über 150 Jahren eifrig weitergereicht wird, zusammengelogen
vornehmlich von katholischen Theologen des 19.Jahrhunderts (…) Sicher ist, daß
das erfundene „Talmudzitat“ exakt in der Formulierung von Willemsen im Internet
von diversen bekennenden Antisemiten triumphierend hochgehalten wird.“
(„Konkret“)
Unser kleiner, gemütlicher, alltäglicher Antisemitismus…

* * *

Die „FAS“ betitelt einen Artikel über eine andere Medien-Nervensäge:
„Zehn Jahre verkörpert
Johannes B. Kerner Mittelmaß – und das wird sich nie ändern“.
„Mittelmaß“? Ganz schön hoch gegriffen, fast schon ein Kompliment…

* * *

„Burger King“ propagiert in ganzseitigen Anzeigen einen „Whopper Dollar“ mit
den Worten „Ausschneiden.
Falten. Essen.“ Ob den Testessern der Unterschied zwischen
Zeitungspapier und den Dingern, die da als „Whopper“ aus den Filialen der
Hamburgerkette kommen, auffallen wird?

* * *

„Wenn das, was Mario Barth
macht, Unterhaltung ist, müßte ein Trabi das erfolgreichste Auto aller Zeiten
sein. Und jeder Kuhfladen könnte darauf bestehen, zukünftig mit Pizza Margarita
angeredet zu werden.“ Henryk M. Broder im „Spiegel“

* * *

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die sich gerne als Heldin im Kampf gegen
die Klimakatastrophe geriert, schreibt am Tag, an dem ihr Kabinett
symbolträchtig neue Klimaschutzgesetze verabschiedet, lt. „Berliner Zeitung“
einen Brief an EU-Kommissionspräsident Barroso, in dem sie ihr wahres Gesicht
zeigt, nämlich das einer gnadenlosen Auto-Lobbyistin. In ihrem Brief setzt sich
Merkel dafür ein, für kleine und große Fahrzeuge unterschiedliche Obergrenzen
der Grenzwerte für den CO2-Ausstoß festzusetzen, ganz so, wie es die deutsche
Autoindustrie fordert, denn dies würde der deutschen Autowirtschaft nutzen, die
anders als die Konkurrenz etwa in Frankreich oder Italien vornehmlich schwere
Wagen mit hohem CO2-Ausstoß produziert.
Leuchtet ja auch unmittelbar ein – wer es sich leisten kann, ein protziges
deutsches Auto zu kaufen, sollte berechtigt sein, auch mehr CO2 auszustoßen –
mir san mir!
Mag sein, daß Frau Merkel, wie immer gern behauptet wird, irgendwo „bella
figura“ macht – auf dem Gebiet der Politik allerdings nicht.

* * *

Da hatten sie sich schon die Hände gerieben über ihren Medien-Coup: der
deutsche Außenminister Steinmeier (SPD) beim fröhlichen Singsang mit dem
Berliner Rapper Muhabbet, und alle Medien, bis hin zur Tagesschau, waren dabei,
wie sich der stellvertretende SPD-Vorsitzende locker und anbiedernd gab.
Nur die renommierte Journalistin Esther Schapira mochte sich nicht mitfreuen,
sie erinnerte sich daran, wie der angeblich so moderate Star-Rapper Muhabbet
sich paar Tage vorher bei einer Filmpreisverleihung als islamistischer
Extremist geoutet, ihr gegenüber nicht nur den Mord am niederländischen
Regisseur Theo van Gogh gebilligt, sondern noch eins draufgesetzt hatte – laut
Schapira sagte Muhabbet, „daß
van Gogh Glück gehabt habe, daß er so schnell gestorben sei. Wenn es nach ihm
gegangen wäre, hätte er ihn erstmal in den Keller gesperrt und noch gefoltert“
(„FAZ“).
Soweit, so schlecht.
Interessant ist aber, was dann passierte: der SPD-Außenminister Steinmeier etwa
distanzierte sich nicht von Muhabbet, sondern warf den Journalisten vor,
sorglos recherchiert zu haben. Die „taz“, ausgerechnet, spricht von
„Verdachtsjournalismus“. Hübsch auch die Position der „Berliner Zeitung“, die
festhält, „Muhabbet ist,
auch wenn er mit Außenministern singt, ein Musiker“, und für den
würden andere Kriterien gelten als für Politiker. Daher fragt die „Berliner
Zeitung“ jovial: „Wie politisch inkorrekt dürfen eigentlich Muslime sein?“ Als
ob es darum gehe, ein bißchen „politisch inkorrekt“ zu sein, und nicht um
Akzeptanz von Mord und Folter.
Wes Geistes Kind der Islam-Rapper ist, der sich mit seinen Kuschelballaden und
Soft-Raps gern als Außenministers Liebling geriert, hätten SPD-Steinmeier und
die Journalisten von „taz“ bis „Berliner Zeitung“ unschwer feststellen könnten,
wenn sie sich mit den Texten von Muhabbet auseinandergesetzt hätten. Kleine
Kostprobe:
„Diese Stadt ist voller
Schwuchteln und Schlampen, oberflächlicher Ottos und richtig linken Ratten.“
Auch eine Gewaltandrohung ist bei Muhabbet enthalten: „Ich bin der, der schweigt und dir das
Messer zeigt / nachdem ich zugestochen habe, warne dich: geh nicht zu weit! /
Kill dich, denn für Fotzengelaber hab ich keine Zeit (…) Lauf oder willst du
als Kanakenfutter dienen / eine Holzkiste hab ich für dich reserviert / Die
Straßen gehörn mir“ usw. usf.

* * *

„oh diese Deutsch’n!
„Die halbe Nazion iss irre;
(& die andre Hälfde
Nich ganz bei Groschn!)““

(Arno Schmidt)

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„Difficile est saturam non scribere.“ (Juvenal, um 100 n.Chr.)

In diesem Sinne, eine angenehme Jahresendzeit