Und Ansonsten 2008-03-08
Es
ist das Erscheinen eines Büchleins von Gewicht anzuzeigen, eines Büchleins, das
so perfekt und großartig geraten ist, daß es schlicht atemberaubend ist. Ein
Büchlein, das etliche Highlights der wunderbaren Fachzeitschrift und kulinarischen
Kampfschrift namens "Häuptling Eigener Herd" vereint, verbunden mit
schönsten Zeichnungen des Gottoderwerimmerhabihnselig F.K. Waechter. Ein Buch
voller Wahrheit - da wird klug über "Vom Genusszwang zur Simulation"
oder "Vom Muckefuck zur Schaumschlägerei" referiert, da gibt es
herrlichste und erfrischendste Gedichte wie etwa "Diät ist Mord am
ungegessenen Knödel", da wird anschaulichst vom Fachmann erklärt, was es
mit der Jakobsmuschel auf sich hat, oder die "Verteidigung der Kartoffel
gegen Veronica Ferres" betrieben, da wird aufs Treffendste mein Erlebnis
beim Betreten eines Fuldaer Bioladens in den 80er Jahren beschrieben (woher
weiß WD das?!?), oder man betrachte nur die Rezepte, man kann da einige Monate
lang von glücklich kochen. Der Blutwurst-Kartoffel-Auflauf! Knurrhahn in
Bouillabaisse!! Borscht nach dem Codex Leninensis!!! Und den Fachartikel
"Die Wespe. Ein Abschiedswort" kann man nicht genug begrüßen, er ist
eins in die Fresse all der wahnhaft verirrten Biohudler und Naturburschen und Naturmädels,
die uns die Killerwespen als "nützlich" verkaufen wollen und ständig
anraten, man solle angesichts der Killerwespenpest stille halten ("Die Wespe ist ein Fehlgriff der
Schöpfung, sie entbehrt jeglichen Charmes. (…) Wespen sind so eklig, sie könnten
Soldaten sein.").
Die einzige kleinliche Mäkelei, die einem zu diesem Buch einfällt, ist
vielleicht das Fehlen einer Kulturgeschichte der Nußecke samt Beschreibung, wo
man die weltbeste finden kann. Aber man kann eben nicht alles haben.
Nur den schönen Artikel "Einiges über das Barwesen" hätte ich kürzer
gekonnt (nämlich: "Was
ist eine richtig gute Bar? Das B…" ach was, das kann man jetzt
nicht verraten, sonst geht da jeder hin, und wer will schon seine Lieblingsbar
mit der Welt teilen? Eben. Nur soviel: Sie fängt mit B an und hört mit N - und
keinesfalls mit S! - auf…).
Also - wer nicht das Glück hatte, daß ihm dieses Buch von einem der beiden
Autoren frei Haus geschickt wurde, der kann, nein: der sollte und muß es
käuflich erwerben, denn dieses Buch darf in keinem Haushalt, der sich der
Kultur und dem Genuß verschrieben hat, fehlen. Es heißt "Wir schnallen den
Gürtel weiter", wurde geschrieben von Wiglaf Droste und Vincent Klink und
ist erschienen im Reclam Verlag. Und das war jetzt keine Werbung, sondern eine
Tatsachenbeschreibung.
* * *
Wie man sie doch lieben muß, die Musikbranche!
Da schaltet eine Firma namens "Kontor New Media" im Fachblatt
"Musikwoche" eine ganzseitige Anzeige, in der lediglich steht:
"Da ist mehr drin!
90/10
Wir distribuieren Ihren
Audio- und Audiovisuellen Content ab einem Split von 90/10."
"Wir distribuieren Ihren Content" - wow! "Wir vertreiben jeden
Scheiß" hätte sich wohl zu banal angehört.
* * *
"The music industry is
a cruel and shallow money-trench. A long plastic hallway where thieves and
pimps run free and good men die like dogs. There is also a
negative side."
Hunter S. Thompson
* * *
Nun sang Hitlers Liebling Johannes Heesters in seiner Heimatstadt Amersfoort,
und erntete etliche Proteste in Holland. Die niederländischen Medien
behandelten ausführlich die Karriere des "singenden
Nazi" (De Pers) oder vom "Großverdiener
des Naziregimes" (NRC Handelsblad), dem vorgeworfen wird, in
München Stammgast in der Ehrenloge von Hitler gewesen zu sein, und einen Brief
an Goebbels unterzeichnete Heesters mit "Heil Hitler! Ihr sehr ergebener
Johannes Heesters".
Man fragt sich allerdings, warum sich die Holländer so aufregten. Heesters trat
anläßlich der Wiedereröffnung des Berliner Admiralspalastes an dem Ort auf, an
dem er während der Nazizeit Triumphe gefeiert hatte - und niemand hat
protestiert. Aber Bolle… oh Verzeihung, nein, nicht Bolle wars, der sich
köstlich amüsierte, sondern der Ackermann von der Deutschen Bank…
* * *
Tolle Kulturberichterstattung im Berliner Stadtmagazin "Zitty": Der
Aufmacher ihrer 14 Tage-Kulturübersicht zeigt ein ganzseitiges Foto der
französischen Sängerin "Rose", und dazu diesen schwülstig-sabbernden
Text:
"Verliebt in Berlin. In
diesen Tagen reden Berliner Männer nur noch über ein Plakat, es zeigt die
französische Chanson-Sängerin Rose, sie wird hier singen. Die Musik, das
Konzert - bestimmt nicht schlecht, aber unwichtig. Die Frau ist gerade
schlichtweg das Hübscheste, was in dieser Stadt rumhängt."
Perfekter hätte man den Sexismus, der in Berlin grade so rumhängt, nicht auf
den Punkt bringen können. Und Musik bei Frau eh unwichtig, weil Hauptsache
hübsch.
(übrigens, es sei beklagt, eine Form von Alltagssexismus im Musikjournalismus,
der gang und gäbe ist, bis hin zur Spex, die mal eben in einem Artikel über die
Jolly Goods Altherrenfantasien über "erwachsenen Sex" junger Frauen
zum Schlechtesten gibt - siehe dazu auch den Leserbrief der Band in der
aktuellen Spex - Respekt! wenn wir die Jolly Goods nicht längst toll finden würden,
das wäre ein weiterer Anlaß, gewiß!)
* * *
Eine Entschuldigung in der Zeitschrift "Spex", 63 Jahre nach der
"Kapitulation", wie man in dem Heft die Befreiung vom
Nationalsozialismus zu nennen pflegt:
"PPS: Eine unglückliche
Formulierung im Vortext zu Aram Lintzels Jahresrückblick in Heft #312 möchten
wir an dieser Stelle korrigieren: Wo stand "Null Bock im neoliberalen
Arbeitslager" hätte korrekt stehen müssen "Null Bock im neoliberalen
Trainingslager. Den Fehler bitten wir zu entschuldigen."
Aber gerne doch. Besser hätte man sich nicht entblößen können…
* * *
Sexismus kann übrigens auch der "Rolling Stone" perfekt:
"Auch diesmal stehen bei Rock am Ring vorwiegend harte Jungs wie Mettalica
auf der großen Bühne. Mit der süßen Kate Nash gibt's aber schon mindestens eine
Kandidatin, mit der wir uns gerne auch in einem stillen Eckchen verkriechen
würden."
Altherrenträume. Wo es doch nicht mal mehr mit der Sprache zu klappen scheint
(verkriechen wollen sich die Herren sicher mit Kate Nash in ein stilles
Eckchen, um dann in eben diesem stillen Eckchen usw. usf.).
* * *
Ob jetzt, wo BMW in Jahren von Rekordgewinnen Massenentlassungen angekündigt
hat, Politiker aller Couleur auf ihre bairischen Staatskarossen verzichten
werden? Ob jetzt, wo Henkel am gleichen Tag Rekordgewinne und
Massenentlassungen ankündigt, all die Politiker, die grade noch ihr
Nokia-Telefon werbewirksam weggeworfen haben, auf Pattex und mein Bac dein Bac
verzichten und ihre Frauen, Haushälterinnen und Geliebten anweisen, künftig
nicht mehr mit Pril abzuwaschen? Und wer wird ihnen künftig einen Persilschein
ausstellen?
So viele Fragen.
* * *
Die gleichgeschalteten Medien dieses unseren Landes berichten seit Wochen von
der in Wiesbaden gerade stattfindenden Weltrevolution, der aktuelle
"Spiegel" schreibt den SPD-Rechten Beck in eine Linie mit Marx und
Lenin. Ich scheine etwas verpaßt zu haben. Das, was ich gehört habe, lautete
lediglich, daß Beck der Genossin Ypsilanti empfahl, sich im hessischen Landtag
von der scheinbar vorhandenen Mehrheit zur Ministerpräsidentin wählen zu
lassen. Sowas nennt die Bourgeoisie Demokratie. Oder? Von einem Politikwechsel,
von der Rücknahme etwa der Agenda 2010 oder von Hartz IV, habe ich nichts
mitbekommen. So what? Hilflos geschwurbelte Aufregung, die glauben macht, es
handele sich um "Politik". Und da hinten rauskommen muß, was vorne
behauptet worden war, kann die Medienmaschine nach zwei Wochen vereinter
Gehirnwäsche dann auch die gewünschten Umfrageergebnisse vorweisen. Merkwürdige
Zeiten.
* * *
Ein Schelm, der behauptet, diese Medienmaschinerie solle nur von dem ablenken,
was deutsche Politik eigentlich heutzutage treibt. Etwa die Kosovo-Politik, die
die seit fast zwei Jahrzehnten betriebene fatale Balkanpolitik Deutschlands auf
die Spitze treibt. Die Sezession des Kosovo, ohne Einverständnis des
UN-Sicherheitsrates betrieben, sichert die neudeutsche Hegemonie auf dem
Balkan. Mittlerweile sind "nahezu
alle Führungsfunktionen auf dem Balkan mit deutschen Staatsbürgern
besetzt". Freilich, im Kosovo sei "die Internationale Gemeinschaft bisher mit ihren
Reformbemühungen gescheitert". "Jenseits politischer Rhetorik gilt es
zu konstatieren, daß der Versuch des Aufbaus einer multiethnischen Gesellschaft
im Kosovo gescheitert ist." In das Kosovo wolle "angesichts der grassierenden
Korruption, der teilweise offenen Schutzgelderpressung sowie der breiten
Übernahme staatlicher Kontrollfunktionen seitens krimineller Akteure" kaum
jemand gehen oder investieren. "Aus früheren UCK-Strukturen im Kosovo haben
sich unter den Augen der Internationalen Gemeinschaft mittlerweile mehrere
Multi-Millionen-Euro-Organisationen entwickelt, die sowohl über
Guerilla-Erfahrung als auch über Geheimdienstexpertise verfügen."Die
Geschäftsfelder dieser Organisationen sind Geldwäsche sowie Rauschmittel-,
Waffen- und Frauenhandel. Zurückhaltenden Schätzungen zufolge erzielen sie
damit einen Jahresumsatz von ca. 550 Millionen Euro - rund ein Viertel des
gesamten kosovarischen Bruttosozialprodukts! "Ein
umfangreiches Waffenarsenal sichert diese Gruppierungen dabei ebenso vor
externen Zugriffen ab wie das hohe soziale Ansehen ihrer Führer, die infolge
ihrer ebenenübergreifenden Machtkonzentration die Fähigkeit zur
Massenmobilisierung besitzen (…) Eine nahezu infiltrationsresistente Clanorganisation
sowie die weitgehende Kontrolle über den Regierungsapparat vervollständigen den
lokalen Herrschaftsanspruch, der mit der Unabhängigkeit des Kosovo in eine neue
Phase treten wird."
"Seit der Stationierung
einer internationalen Friedensgruppe (Kfor) im Juli 1999 und der Einrichtung
der Zivilverwaltung der Unmik ist das Kosovo ein Hauptzielland für Frauen und
Mädchen geworden, die in die Zwangsprostitution verkauft werden."
All die Zitate stammen aus einer als "Verschlußsache" klassifizierten
Studie des Verteidigungsministeriums dieser Republik (mit einer Ausnahme: der
letzte Satz stammt aus einem ausführlichen Bericht von "amnesty
international"). Die, die da regieren, wissen also genau, was sie tun,
wenn sie den Kosovo als Staat anerkennen. Man könnte diese Politik auch als
"verbrecherisch" bezeichnen - wenn, ja, wenn darüber überhaupt
hierzulande berichtet werden würde. Aber hierzulande schreibt man ja lieber
über den Beck und seine Flausen. Ein Schelm, wer Absicht dahinter vermutet.
(Zitate nach "Konkret" 2/08).
* * *
Wie darf man sich das übrigens vorstellen, wenn Carla Bruni ihr neues Album
veröffentlicht? Ruft da die Plattenfirma im Elysee-Palast an? Reicht Carla
Bruni mal eben den Hörer an ihren Mann, den französischen Präsidenten, weiter,
und Sarko erklärt dann dem Produktmanager der Plattenfirma, wann das Album
seiner Frau zu veröffentlichen sei und wie die Werbekampagne auszusehen habe?
Wie gesagt, Fragen über Fragen.
* * *
Und dann war da noch der Geschäftsführer einer hessischen Plattenfirma, der im
Monatsmagazin der Frankfurter "Industrie- und Handelskammer" eine
Eloge auf seinen Arbeitgeber, den Künstler, dem auch das Label gehört,
absonderte, die hündischer kein nordkoreanischer Parteisekretär auf Kim Jong Il
formuliert haben könnte. Aber das ist eben der Zustand der Musikbranche unserer
Tage, zumindest in weiten Teilen - wo in den 60er Jahren
"Jubelperser" waren, da sind heute die "Jubelhessen".
Oder, wie eine Sendung im "MDR" heißt, der "Kahn der guten
Laune".
Und wer wollte sich die gute Laune nehmen lassen? Die Lage ist hoffnungslos,
aber nicht ernst.