10.05.2008

Und Ansonsten 2008-05-10

Und
das liest man dann in "Newsweek" über Deutschland und seine
politische Klasse:
"Europe's Worst Double
Talkers.
German leaders talk up EU goals on climate and other
issues, but their actions tell a different story. Germany has long painted
itself as the good European. (…) Berlin has fought as hard as anyone (…) for
Europe to become a leader in the battle against climate change. Yet under
Chancellor Angela Merkel, Germany's rhetoric is failing to stand up the reality
of its policy. She portrays herself as a defender of European integration and
the environment by fighting for a new Pan-European treaty and a tough
environmental agenda. But German policymakers in Berlin and Brussels are taking
a different tack altogether."
Was
folgt, ist eine Zusammenfassung der Sprüche, die die deutsche Regierung z.B. in
ihrer Klimapolitik macht, und gleichzeitig eine Aufstellung ihres Versagens,
wann immer es zum Schwur kommt - wie deutsche Politiker unter dem Lobbyismus
der Automobilindustrie einknicken, wie sie der Öffentlichkeit Klimaschutz vorgaukeln,
und in den Hinterzimmern Berlins und Brüssels klimafeindliche Autopolitik
betreiben, usw. usf.
Merkel, Gabriel und wie sie alle heißen - eben nichts als heiße Luft. Gut
genug, daß einheimische Medien in aller Regel drauf reinfallen und die jeweils heiße
Luft als "hottest shit" verkaufen - im Ausland hat man aber längst
erkannt, was wirklich los ist. Blamabel.

* * *

Die Hipness-Marke "Apple" lanciert nach London nun auch in Berlin ein
eigenes Festival, das "iTunes Live: Berlin Festival". Ein "neues einzigartiges Konzept für
Live-Musik" verspricht Apple lt. "Musikwoche". An 15
von Apple organisierten Abenden im subventionierten "Radialsystem"
treten jeweils zwei Bands auf, Karten für die Gigs in "intimer Atmosphäre
von jeweils 500 Fans gibt es nicht zu kaufen", sondern bei iTunes im Netz
oder bei sogenannten Medienpartnern wie Axel Springers "Berliner
Morgenpost"; die Konzerte werden digital aufgezeichnet und exklusiv bei
iTunes bereitgestellt.
Soweit so normal, so sind die Zeiten eben. Wie Markus Schneider in der
"Berliner Zeitung" resigniert schreibt: "Was soll schon komisch sein an Limonadenfirmen,
Handyherstellern oder den Musikverwertern iTunes (…) Da sollte man womöglich
gar nicht groß fragen, was es bedeutet, daß iTunes im Netz schon quasimonopolistisch
aufgestellt ist und, wenn demnächst die CD abgeschafft wird, der entscheidende
Ansprechpartner für die Musiker sein wird. Wohl auch für Konzerte. Betrüblich
ist allerdings, was so ein Monopolist geschmacklich repräsentiert. Als
Werbeträger fürs Festival gibt es den ganz, ganz kleinen gemeinsamen Nenner,
musikgewordenen Mittelstand wie Katie Melua und Ich + Ich, Klee und Madsen und
Gonzales. Da denkt man schon darüber nach, was mit dem Abseitigen und Sturen,
dem Zarten und Zerbrechlichen passieren wird."
Ganz klar - mit Musik, mit Kultur hat ein Computerhersteller und Musikverwerter
wie Apple nichts am Hut, da geht es um Werbung für einen Konzern, nicht mehr,
nicht weniger. Und da wird das Mittelmaß das Mittelmaß aller Dinge, sozusagen.
Wenn Markus Schneider allerdings feststellt, "Für
ein bißchen Werbung gibt es vielleicht günstigere Tickets oder eine Handvoll
Euro mehr Honorar", dann muß ich ihn enttäuschen - worüber
sich Apple und all die Medien, die die Werbetexte des Konzern unhinterfragt abschreiben
und nachplappern, nämlich ausschweigen, ist die Tatsache, daß den Künstlern
keinerlei Honorare bezahlt werden, sie also für lau auftreten. So dreist hat
das schon lange kein Mode- oder Telefonkonzern betrieben. Selbst die
Feudalherren des 18. Jahrhunderts haben den für sie auftretenden Künstlern
irgendwelche Honorare bezahlt, und wenn es nur eine goldene Taschenuhr war.
Nicht so der hippe Trendkonzern "Apple", der die auftretenden
Künstler leer ausgehen läßt. Schon interessant, wie sich solch ein trendiger
Konzern mit feudalistischen Ausbeutermethoden profiliert, und wer ihm dabei
hilft und den Weg bereitet.
Bezahlt werden die Auftritte für Apple letzten Endes von den Künstlern selbst
bzw. ihren Plattenfirmen. Und interessant auch, daß die Plattenfirmen, die
darüber klagen, daß die Konsumenten die Musik ohne zu bezahlen downloaden oder
brennen, selbst ständig dabei sind, die Musik ihrer Künstler kostenlos
anzubieten und damit im wahrsten Sinn des Wortes zu "entwerten".
Die Künstler dieser Agentur haben sich auf die skandalösen Praktiken des
Apple-Konzern übrigens nicht eingelassen und werden beim iTunes-Festival nicht
auftreten.

* * *

Die "FAS" titelt: "Merkel
steht zum Dalai Lama." Was für eine Überraschung!
Als jemand, der dabei war, als in den 80er Jahren diskutiert wurde, ob die
Bundestagsfraktion der "Grünen" den Dalai Lama empfangen solle
(Ergebnis: nein), wundert man sich schon ein wenig, wie perfekt die
"orangene Kampagne" über etwa zwei Jahrzehnte gewirkt hat, und
"Seine Heiligkeit" heutzutage bei Merkel und Koch ein und aus geht.
Aber natürlich: mittlerweile ist China eine Weltmacht, eine Wirtschaftsmacht,
oder, wie der "Tagesspiegel" am gleichen Tag schrieb: "Zweistellige Wachstumsraten,
riesige Devisenschätze und ein weltweiter Run auf die Rohstoffe: Der
wirtschaftliche Aufstieg von China (…) weckt Ängste in Europa und
Amerika." Genau das ist der Punkt. Und wie könnte man die
"neue Macht" besser treffen als mit einer vermeintlichen
"Menschenrechtskampagne", in der man sich für das tibetanische Volk
(und nicht etwa für die Menschen in Tibet) stark macht. Und so tun sie alle
mit, die den USA beim Irak-Krieg noch vor ein paar Jahren ihre
Wirtschaftsinteressen ("Kein Krieg für Öl!") vorgeworfen haben, und
die, die sonst jede Koranschule bekämpfen, setzen sich nun dafür ein, daß in
Tibet bereits vierjährige Kinder in die Klöster geholt und dann jahrelang, bis
zu sechzehn Stunden am Tag, einer religiösen Indoktrination unterzogen werden.
Die Kinder sitzen abgeschlossen in muffigen verdunkelten Räumen, unter Funzeln,
in denen stinkende Yak-Butter verbrannt wird. Die Kinder müssen von morgens bis
abends buddhistische Texte auswendig lernen, die sie andauernd halblaut vor
sich hin murmeln. Individuelle Selbstbestimmung? Wohl eher Gehirnwäsche.
Die lamaistische Elite Tibets besaß und besitzt alle Macht über die Menschen
Tibets: sie war und ist Großgrundbesitzer, sie besaß (und besitzt weitgehend)
die politische Macht. Tibet ist ein feudales Patriarchat, Tibet ist in gewisser
Weise die asiatische Form einer feudalen Sklavenhaltergesellschaft. Wer sich
wirklich für Menschenrechte einsetzen will, hat einiges zu tun und sollte in
Tibet selbst beginnen.
Ich will nicht mißverstanden werden - all dies entschuldigt kein Fehlverhalten
Chinas in seiner Tibet-Politik. Aber man sollte doch die Fakten kennen, bevor
man sich in den weltweiten Chor einreiht, der so hübsch "Free Tibet"
singt und doch nichts Anderes ist als ein Unterstützungsorgan der deutschen und
US-amerikanischen Wirtschaft gegen China.

* * *

"Behandeln die Chinesen aber die Tibeter nicht als - übertrieben gesagt -
Untermenschen? Gibt es in der Bevölkerung eine chauvinistische oder gar
rassistische Grundstimmung?"
(allein für die Frage muß man die "Berliner Zeitung" bereits
liebhaben…)
"In puncto Rassismus
haben wir Europäer und Amerikaner dem Rest der Welt die Nase voraus. Das
Problem Tibet stellt sich aus zwei Perspektiven. Zum einen ist Tibet die
einzige noch lebende feudale Kultur, die aus dem Mittelalter bis in die Neuzeit
reicht. Das hat theologisch sicher seine attraktiven Seiten, ist aber aus
gesellschaftlicher Sicht nicht unproblematisch. Wir reden von Klöstern und
Sekten, die den Anspruch auf eine ziemlich weitreichende Verfügungsgewalt auch
im Diesseits erheben."
So der Schriftsteller und China-Experte Tilman Spengler im Interview der
"Berliner Zeitung".

* * *

Schön übrigens die Tatsache, daß das Gros der Pro-Tibet-Fahnen, die weltweit
zum Anti-China-Protest benutzt werden, just in China produziert wurden.
"It's the globalisation, stupid!"

* * *

Zugegeben: manchmal ist das, was da durchs mediale Dorf getrieben wird, auch
wirklich interessant und/oder gut. Scott Matthew etwa. In der Regel aber muß
man doch den Kopf schütteln - wenn man etwa an Rummelsnuff denkt - so viel Rummel
um ein bißchen Snuff. Oder das sogenannte Buch von Charlotte Roche - eine sehr
banale und sehr schwach geschriebene Geschichte, etwas Analsex, etwas
Tabubruch, und schon berichten alle Medien unisono (unisono ist eh das neue
alte Ding hiesiger Medien - in anderen Ländern heißt sowas dann gerne
"gleichgeschaltet"…). Und so wird der Schmarrn tatsächlich Nummer 1
der Bestsellerliste. Und "Feuchtgebiete" wird zum Jakobsweg der
Indieszene, und die Charlotte Roche zu ihrem Hape Kerkeling.

* * *

Speaking of "Rummelsnuff" - das Track-Finding-Programm des Programms
"iTunes" vermerkt als Genre bei den Rummelsnuff-Tracks:
"Children's Music". Und treffender hätte man das wohl nicht sagen
können. Kinderkacke eben.

* * *

"Ändere die Welt, sie braucht es", betitelt "Spex" eine
Modestrecke mit Bertolt Brecht. Die Schuhe kommen von Adidas oder Converse, die
"Tops" und Hosen von Replay oder Lee. Man erinnert sich an die
VW-Kampagne mit Nick Drake's Song - wobei VW den Anzeigenplatz wenigstens bezahlt
haben dürfte... Schlimm genug, daß in allen möglichen und unmöglichen Magazinen
heutzutage als redaktionelle Beiträge getarnte Modestrecken die Einigkeit von
Redaktion und Anzeigenleitung demonstrieren. Aber wenigstens sollte man Bertolt
Brecht außen vorlassen - es sei denn, man will ihn zum schwäbischen
Heimatdichter degradieren.

* * *

"Denn damit hat das
Crossover, die Verschmelzung von Mode und Kunst wohl ultimatives Niveau
erreicht: Beide begegnen einander völlig gleichrangig, ein Gemälde ist ein
Produkt wie ein Paar Schuhe oder eben eine Tasche. Auf einer Augenhöhe wird
Kunst zum Look, zum Stilaccessoire und zur saisonalen Dekorationsware, die
Käufer passend zur Stimmung und Inneneinrichtung wählen und launenhaft oder
investmentbewußt wieder wechseln."
Eva Karcher in "Süddeutsche Zeitung"

* * *

Tolle Meldung auf "Musikwoche.de": "EMI
verzögert Kündigungen aus Kostengründen. (…) Ohne eine neuerliche
Kapitalspritze ist Terra Firma offenbar nicht in der Lage, die Abfindungen für
die bis zu 2.000 zu streichenden Stellen zu bezahlen."
Ein Grundkurs in Kapitalistik, sozusagen. Für die Firma ist es
"billiger", zweitausend Mitarbeiter zu entlassen. Um dies zu tun,
fehlt der Firma allerdings das Geld. Und so muß die Firma die zweitausend
Mitarbeiter weiter beschäftigen. Am Ende läuft EMI sogar noch Gefahr, daß die
2.000 Mitarbeiter, die der Konzern loswerden will, etwas leisten, etwas
produzieren - das wäre dann allerdings ein wirklicher Super-GAU…

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"Es geht unter anderem
darum, daß die beliebte Ansicht, wir lebten in einer technokratischen
Gesellschaft, nicht stimmt - es herrscht keineswegs die Technik oder die
Techniker-Elite, sondern der Schwachsinn, nämlich der Profit, verwaltet von
Profitmachern."
Dietmar Dath im Interview von "de:bug"

* * *

Der religiösen Schwärmerei unserer Tage haben wir wenig entgegenzusetzen,
weswegen wir bis zur Olympiade in Peking im August 2008 in jedem Rundbrief mit
einem Originalzitat des Chefs des Gelbmützen-Ordens, Tentzin Gyatsu, schließen
werden - Besinnlichkeit hat ja nun auch etwas Gutes, dem wollen wir uns nicht
entziehen. Hier also die tibetanische Bauernweisheit zum Monat Mai:
"Eine Pflanze muß
regelmäßig gegossen werden."
Also sprach Seine Heiligkeit die Wiedergeburt.