09.08.2008

Und Ansonsten 2008-08-09

Bei
solchen Gelegenheiten freut man sich doch gleich noch mehr über ein
Firmenjubiläum:
"Sehr geehrter Herr
Seliger, herzlichen Glückwunsch zum 20-jährigen Jubiläum!!! Wir möchten Ihnen
die Möglichkeit bieten, Ihr Wirken in der Branche mit einer Anzeige in …
darzustellen.
(…)
Selbstverständlich kann man
sich dann mit der Redaktion unterhalten und Ihr eine Beschäftigung mit Ihren
Themen vorschlagen (!). Ein Feedback würde mich sehr freuen. Viele Grüße…"
(Interpunktion und Rufezeichen so im Original).
Musikjournalismus den sie meinen - wer Anzeigen schaltet, über dessen Künstler
wird berichtet. Nichts Neues, gewiß, nur ein kleiner Beleg für die an dieser
Stelle bereits des Öfteren vertretene Ansicht über den gekauften Journalismus hierzulande.

* * *

In der "taz" versucht sich eine Anne Waak an einer Konzertkritik des
Bonnie "Prince" Billy-Konzerts im Berliner Schillertheater. Leider
fällt ihr nichts ein, leider hat sie von Musik scheinbar keine Ahnung, also
ergeht sie sich über viereinhalb ihrer fünf Spalten über das Aussehen der
Musiker, über das vergangene Konzert (da fällt ihr die originelle Meinung ein,
das damalige Konzert in der Passionskirche handelte sich um eine "dem Ort
angemessene, sprich sakrale Veranstaltung"…), darüber, daß der Sänger die
Hosen aufgekrempelt hat und das Hemd "trotzdem" (?) "verschwitzt
an Brust und Rücken" klebt, und daß der Perkussionist "Bauch und
grauen Zopf" trage - um die Namen der Musiker zu erfragen, wäre schon wieder
eine Recherche nötig, dazu reicht es bei der Dame naturgemäß nicht.
Wenn Sie mich fragen - Anne Waak tut es der Messnerin nach und qualifiziert
sich für höhere Aufgaben, die nächste "Konzertkritik" sollte in der
"Zeit" erscheinen, die drucken heutzutage auch alles.

* * *

Wie Wolfgang Müller in der "Jungen Welt" mitteilt, haben sich Roger
Kusch und Oswald Metzger getroffen, um … nein, nicht wie unsereiner hoffen
würde, ähem… nein, sie haben eine neue Partei gegründet: Die F.T.P. Die
"Freie Todes Partei". Tief beeindruckt von Metzgers Ausspruch "Unser Problem ist die
Längerlebigkeit!" , rief Müller zufolge Kusch den bei Grünen
und CDU gescheiterten Metzger an. "Schneller Sterben: FTP, die Partei des
Todes."

* * *

Aus einer Agenturmeldung:
"Die Sängerin der Band
Wir sind Helden, Judith Holofernes, wäre lieber Autorin in New York statt
Popstar in Berlin. Über ihren Traumarbeitsplatz sagte die 31-jährige der
Hamburger Wochenzeitung "Die Zeit": "Monatelang in einem
wunderbaren, verschrobenen Arbeitszimmer, am besten in New York. Mit einem
Blick zum Schweifen und einem Park vor der Tür zum Hineinspazieren. Keiner will
was von mir." Dort könne sie dann etwas schreiben, "was man am Ende nicht in der
Gegend herumtragen und verkaufen muß"."
Wer denkt, ich würde diese Meldung kommentieren, hat sich getäuscht.

* * *

Laut Musikwoche wertet "der
CDU-Politiker Steffen Kampeter den Vorschlag der EU-Kommission zur Verlängerung
der Leistungsschutzfristen für ausübende Musiker auf 95 Jahre auch als Erfolg
der deutschen Politik". Kampeter wörtlich: "Auch im Leistungsschutzrecht
müssen wir die längere Lebenserwartung zur Kenntnis nehmen und das Recht den
heutigen Gegebenheiten anpassen. Es ist doch aberwitzig, wenn ein Künstler noch
zu Lebzeiten alle Rechte an seinen eigenen Werken verliert",
brabbelt der CDU-Cheflobbyist, "dem
Musikgeschäft als Aufsichtsratsmitglied der Initiative Musik und Vorsitzender
des Dialogforums Musikwirtschaft verbunden".
Wenn man mal davon ausgeht, daß Songs frühestens mit ca. 20 Jahren geschrieben
werden, in der Regel deutlich später, dann geht Kampeter also von einer
Lebenserwartung von 115 und mehr Jahren aus… wer das einfach nur für eitlen
Schwachsinn eines CDU-Politikers hält, hat freilich den Kontext nicht
verstanden: denn natürlich geht es Kampeter und Konsorten nicht um die
Interessen der Musiker, sondern um die Interessen der Musikindustrie.

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In der "FAZ" vom 22.7.d.J. war übrigens zu lesen: "Noch Mitte Juni hatte eine
Gruppe von Wissenschaftlern und Künstlern die Europäische Kommission gewarnt,
"in einem spektakulären Kotau vor einer einzelnen Interessengruppe, der
multinationalen Plattenindustrie", die Schutzrechte verlängern zu wollen
und dies mit Hinweisen auf die "alternden ausübenden Künstler" zu
kaschieren. Die Kritiker waren sich einig in ihrer Ablehnung der
Kommissionspläne: "Die vorgeschlagene Richtlinie zur Verlängerung der
Schutzrechte wird Kreativität und Innovation irreparablen Schaden
zufügen"."

* * *

"Ich kann digitale
Eins-zu-Eins-Kopien machen, und ich habe preiswerte Software, mit der ich diese
Sachen weiterverarbeiten kann. Die technischen Möglichkeiten haben sich
verändert. Wenn ich aber gleichzeitig das Urheberrecht verschärfe, dann tue ich
etwas Paradoxes: Das widerspricht dem Stand der Technik und den Möglichkeiten,
die ja auch die Denkweisen von Künstlern verändern. Aber es wird nichts nützen,
Urheberrechte werden fallen. Ein Herr Schäuble kann schlecht die ganze
Bevölkerung kriminalisieren, nur weil sich Lobbyverbände das so wünschen! (…)
Letztlich stützt man mit der
Gesetzesinitiative nur die, die ohnehin schon irre reich geworden sind. Die
kleinen Produktionen berührt das gar nicht. Die werden aber verschwinden, wenn
sie sich auf Reiussues etwa des Erbes von Furtwängler oder Toscanini
spezialisiert haben. Es gibt ja empirische Untersuchungen darüber, daß in dem
Moment, wo bestimmte Stücke frei werden, sofort ein viel größeres und
variantenreicheres Angebot an Aufnahmen auf dem Markt ist. (…) Urheberrechte
sind eine Einschränkung von Freiheitsrechten und Urheberrechte werden
verschwinden, weil sie nicht durchsetzbar sind. (…) Die Musik- und
Filmindustrie und die EU mit ihren Gesetzgebungen rennen dem Internet nur noch
hoffnungslos hinterher (…) Die laufen einem Zug hinterher, der mit 300
Stundenkilometern durchs Land fährt. Das kannst du vergessen."
Der Komponist Christian von Borries im Interview der "FAS"

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"Musik kann durchaus
einen gewissen Gewinn abwerfen. Aber zu erwarten, daß der Absatz jedes Mal
lächerlich groß wird, ist ein Fehler. Habgier ist oft das Problem. In den 80er
und 90er Jahren stiegen viele Leute ins Musikbusiness ein, die wegen hoher
Löhne und nicht wegen der Musik Gefallen daran fanden. Besser gäbe man sich mit
kleineren Gewinnen zufrieden. (…) Künstler sollten sich vermehrt bemühen, den
Qualitäts-Level etwas anzuheben, der im Musikgeschäft ja ziemlich tief liegt.
(…) Der Hype um Verkaufszahlen und Ehrungen - Nummer eins hier, Top Ten da -
muß aufhören. Solche Preise sind nichts wert, wenn die Musik schlecht
ist."
Danger Mouse und Cee-Lo aka Gnarls Barkley im Interview der "NZZ"

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"Das Privatauto ist am
Ende. Schon einfach deshalb, weil wir keine räumliche Kapazität mehr dafür
haben. Nicht zu sprechen davon, was der Hunger nach Kraftstoff dem Planeten
antut." Paul Virilio

* * *

Der "Spiegel" ist anderer Meinung - in einer Titelgeschichte zum
Thema "Luxus Benzin" tröstet das Heft noch auf der Titelseite: "Warum das Auto trotzdem eine
Zukunft hat."
Diese Erkenntnis wurde dem "Nachrichtenmagazin" mit sechs
ganzseitigen Anzeigen der Automobilindustrie erleichtert.

* * *

In der Berliner Filiale von "Madame Tussauds" ist die Wachsfigur von
Bruno Ganz enthauptet worden. Soviel Untergang war nie.

* * *

Neuerdings darf man mit Fug und Recht behaupten: Universal verkauft Schrott.
Oder auch: Universal veröffentlicht Netrebkos Schrott.
(ich weiß, Namensgags sind eigentlich verboten, aber manchmal…)

* * *

Was der gutaussehende Provinzpolitiker und glänzende Redner noch in Realpolitik
umzusetzen in der Lage ist, wird die Zukunft weisen (auf jeden Fall ist klar,
daß all die, die dem neuen Messias hierzulande grade vorbehaltlos zujubeln,
sich noch ganz schön umschauen werden…). Im Moment ist nur interessant zu
sehen, wie all die, die gerne mit schlechten Witzen über George W. ihren
latenten Antiamerikanismus pflegen, über Holprigkeiten in der Obama-Ideologie
hinwegschauen. Obama verficht die Todesstrafe? Will man nicht wahrhaben. Obama
schlägt vor, die amerikanischen Übersetzer vom Irak nach Afghanistan zu
verlegen? Diejenigen, die darüber lachen konnten, daß George W. Slowenien und
die Slowakei verwechselt haben, findens gar nicht witzig. Und was ist mit dem
Krieg, den Obama in Pakistans Bergen führen will? Und grade stimmte der
"Vorwahl-Obama", der den Überwachungsstaat der Bush-Regierung gerne
öffentlich geißelt, im Senat für die Ausweitung von Telefonüberwachung - sounds
familiar indeed. Und Obama ist mittlerweile für das Recht jeden Amerikaners auf
Waffenbesitz, für Ölbohrungen vor der US-Küste - die Liste läßt sich beliebig
fortzusetzen. Zur Idealisierung, zur Identifikationsfigur bundesdeutscher
Friedens-Träume taugt Obama jedenfalls nicht.

* * *

War schon interessant zu beobachten, wie Merkel und Wowereit um den Platz für
Obamas Berlin-Rede feilschten. Jens Balzer hat in der "Berliner
Zeitung" darauf hingewiesen, daß Frau Merkel und die Bundesregierung
letztes Jahr keine Probleme damit hatten, den Berliner Rapper Bushido
("Berlin wird wieder hart, denn wir verkloppen jede Schwuchtel / Du Nutte
kannst nach Hause gehen, ab jetzt ist Hardcore du Opfer") vor dem
Brandenburger Tor auftreten zu lassen, es dem liberalen amerikanischen
Präsidentschaftskandidaten dagegen verwehrten (Frau Merkel fand nicht etwa
Bushidos Auftritt vor dem Nationalsymbol, sondern Obamas Begehren, dort zu
reden, "befremdlich"). "Was
gefällt der Bundesregierung an Bushido, was ihr an Barack Obama nicht
gefällt?" (Balzer).

* * *

Ein hochinteressanter Artikel über Bienen, zum Bienensterben und der
Verstrickung der Chemieindustrie und, natürlich, der Politik ist auf dem
sowieso immer lesenswerten Blog von Jörg Schröder und Barbara Kalender zu
finden - Pflichtlektüre, würde ich sagen, unter Blogs.taz und dann
Schroederkalender.

* * *

"Deutsche Bands singen
Chinesisch (…) Mit dabei sind Künstler wie Die Ärzte, Wir sind Helden und Die
Sterne", heißt es in einem Presseinfo des zuständigen Labels.
Den Chinesen bleibt aber auch nichts erspart.

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"Olympia hat nichts zu
tun mit Moral, Demokratie oder Freiheit. Olympia is Big Money."
Leon de Winter in der "FAS"

* * *

"The world today seems
absolutely crackers,
With nuclear bombs to blow
us all sky high.
There's fools and idiots
sitting on the trigger.
It's depressing and it's
senseless, and that's why…
I like Chinese."
Monty Python's Flying Circus, 1980

In diesem Sinne fröhliches Olympia-Schaun - trotzen Sie der medialen
Chinaphobie!