06.09.2008

Und Ansonsten 2008-09-06

Den
Chinesen bleibt auch nach ihrer Olympiade nichts, aber auch gar nichts erspart:
Nun hat sich die von der Bundesregierung gesponserte deutsche "Initiative
Musik" angekündigt, die zusammen mit dem Goethe-Institut (wie eine
Institution doch runterkommen kann!) eine Reihe namens "Deutschland und
China - Gemeinsam in Bewegung 2007-2010" in sechs chinesischen Metropolen
veranstalten wird, mit sogenannten "Deutschlandpromenaden". Unter der
Schirmherrschaft von Bundespräsident Köhler und Staatspräsident Ju Jintao wird
die Frage nach der künftigen Entwicklung im Musikgeschäft gestellt, es gibt
Workshops, und 30 deutsche Acts spielen aufs Staatskosten den Chinesen auf,
darunter Kira oder die Söhn e Mannheims. Das deutsche Pop-Faktotum Dieter Gorny
ist natürlich auch dabei: "Hier
treffen Unternehmen der Musikwirtschaft aus China und Deutschland zusammen, um
nachhaltige wirtschaftliche Verbindungen zu knüpfen"…

* * *

"Musik war immer dazu
da, die Dinge ein bißchen wilder und sexier aussehen zu lassen, als sie in
Essays irgendwelcher Uniprofessoren rüberkommen."
Judith Holofernes, "Wir sind Helden"

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"Schaut man sich so die
durchschnittliche deutsche Band an, sowas wie die friedlichen Wir sind Helden
etwa, oder hört die Programme von Mainstream-DJs, dann glaubt man gerne, daß
man außer einem Brauseakademieabschluß oder einem irgendwie
sozialdemokratisch-gewerkschaftlich geleisteten Popabitur nichts weiter braucht
und will, um hier auf eine Bühne steigen zu dürfen. Das klingt sowieso schon
alles, als trüge es das Logo eines Mittelklassewagens oder einer Limonade auf
der Stirn."
Markus Schneider in der "Berliner Zeitung"

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Berliner Pop-Musikfeuilleton im Jahr 2008: Am Freitag 15.8. druckt der
"Tagesspiegel" als Aufmacher seines Feuilletons ein interessantes "Gespräch mit dem Pop-Guru"
Diedrich Diederichsen. Am Samstag 16.8. druckt die "Berliner Zeitung"
als Aufmacher ihres Feuilleton einen Artikel von Diedrich Diederichsen über
eine eventuelle Begegnung des Autors mit einer gewissen Louise Veronica
Ciccone, aka Madonna, 1982 in New York, und wie sie gemeinsam die Kneipe, in
der Madonna damals gearbeitet hat, beschissen haben.

* * *

Aber letztlich besser gleichgeschaltet, als inkompetent, wie es meistens der
Fall ist. Da bespricht eine Reporterin das Berliner Madonna-Konzert für die
"Berliner Zeitung", und sie kennt Gogol Bordello nicht ("Und Spaß schienen eigentlich
auch nur diejenigen Musiker auf der Bühne zu haben, deren Namen man zu Hause
erst mal nachschlagen mußte: Gogol Bordello heißt die
Pauken-und-Trompeten-Band…"). Da bespricht ein ansonsten
durchaus geschätzter Reporter das gleiche Madonna-Konzert für die
"Süddeutsche Zeitung", der nicht einmal mehr den Namen der Band nennt
- "…andere läßt sie in
Zigeunermusikversionen von rumänischen Musikern vorfiedeln…".
Bekanntlich ist ja New York, wo Gogol Bordello herkommen, die Hauptstadt
Rumäniens, was gleichzeitig ein Synonym für die Ukraine ist, woher der
US-Immigrant Eugene Hütz stammt.
Nun sollte man als Popmusikkritiker, der nicht für das Hintertupfinger
Anzeigenblatt, sondern für das Feuilleton angesehener Tageszeitungen schreiben
darf, eine Band wie Gogol Bordello kennen. Und selbst als Madonna-Skeptiker
sollte man gehört haben, daß Gogol Bordello eine Version eines Madonna-Songs
spielen und mit der Künstlerin auftreten. Braucht man denn als Pop-Journalist
wirklich gar keine Ahnung mehr zu haben?!? Manchmal kommen mir Konzertkritiker
vor wie Fans bei einem Fußballspiel, die auch zu jedem Spielzug eine Meinung
haben - nur haben die Fußballfans vergleichsweise viel Kompetenz, was man von
Popjournalisten heutzutage nur noch selten feststellen kann.

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Wenn man von "Kompetenz" spricht, sollte man eigentlich Klaus
Wowereit nicht im gleichen Satz erwähnen, ohne die hübsche Vorsilbe
"In-" zu verwenden. Nun war Klaus Wowereit, seit etlichen Jahren
Regierender Bürgermeister von Berlin, auf einem Ausflug namens
"städtebaulicher Busrundfahrt" und stellte fest, wie grauenvoll die
neue Bebauung des Alexanderplatzes aussieht - ein städtebauliches Grauen, das
von keinem anderen als Klaus Wowereit und seinem Senat zu verantworten ist. Nun
entdeckte Wowereit, dessen Dienstsitz, wie die "FAZ" süffisant
anmerkte, "keine fünf
Gehminuten vom Alexanderplatz entfernt liegt", staunend die
"massive Hässlichkeit" sowohl des Einkaufszentrums "Alexa"
als auch des gegenüber entstehenden Shoppingcenters "die mitte".
Wo ein normaler Politiker angesichts der von ihm zu verantwortenden Bausünden
vor Scham einen Kopf so rosa wie die Betonfassade des "Alexa"
bekommen würde, tut sich Wowereit wichtig, kritisiert flugs die Hässlichkeit
der Gebäude, die sein Senat zu verantworten hat, und tut kund, jetzt müsse der
Senat eine "Gestaltungssatzung" für die historische Mitte der
Hauptstadt entwickeln - jetzt, wo die Bausünden längst von Wowereit und
Konsorten genehmigt wurden und gebaut sind.
Und sowas will Kanzler werden.

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"Weinkäufer sind eine
besondere Klientel; vielen geht es um mehr als um einen guten Begleiter zum
Essen oder um den Swing eines angenehmen kleinen Rausches. Wein ist längst ein
Statusobjekt, demonstrativ ausgestellte Weinkennerschaft ist die kulturelle
Ergänzung zur riesigen Uhr am Herrenhandgelenk. Wer einen Löffel und ein Glas
halbwegs festhalten kann, wird zum Genießer ernannt. Das Bürgertum hat sich
freiwillig unter das Joch des Genußzwangs begeben und taumelt von einem
Genußereignis zum nächsten. Es heißt aber nicht mehr Ereignis, man sagt
Event."
Wiglaf Droste

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Wes Brot ich eß…
Die Staatsministerin im Bundeskanzleramt, Hildegard Müller (CDU), mutiert zur
Vorsitzenden der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbandes der Energie- und
Wasserwirtschaft, dem sie nun in neuer Stelle dienen und nutzen kann.
Der Vorsitzende der Bahngewerkschaft Transet, Hansen, wechselt, nachdem er den
für die Bahn äußerst vorteilhaften Tarifabschluß mit ausgehandelt hat, als
Arbeitsdirektor in den Vorstand der Deutschen Bahn AG. Wo er u.a. zuständig ist
für die Umsetzung des Tarifvertrags.
Werner Müller arbeitete von 19873 bis 1997 bei RWE und bei Veba (heute Eon).
1998 wurde Müller Wirtschaftsminister im Kabinett Schröder, setzte zugunsten
seines ehemaligen Arbeitgebers komfortable Laufzeiten für die AKWs durch, und
ließ 2001 seinen Staatssekretär die sogenannte Ministererlaubnis erteilen,
nachdem das Bundeskartellamt dem Eon-Konzern die Übernahme einer Mehrheit an
der Essener Ruhrgas AG untersagte. Nachdem er aus der Regierung ausgeschieden
war, diente er der deutschen Energiewirtschaft in anderer Funktion, seit 2003
als Vorstandsvorsitzender des RAG-Konzerns (ehemals Ruhrkohle AG, eng verbunden
mit Eon).
Gerhard Schröder hatte als Bundeskanzler mit Wladimir Putin das Projekt einer
Erdgasleitung durch die Ostsee auf den Weg gebracht. Ende 2005 wurde Schröder
zum Aufsichtsratsvorsitzenden jener deutsch-russischen Gesellschaft bestimmt,
die die Leitung bauen und betreiben soll.
Als NRW-Ministerpräsident hat Wolfgang Clement unter anderem dafür gesorgt, daß
RWE seine lukrative, weil extrem umweltfeindliche Braunkohlestrategie forcieren
konnte. Während seiner Zeit als "Superminister" im Kabinett Schröder
versuchte Clement, das britisch-amerikanische Unternehmen Intergen daran zu
hindern, bei Köln ein hochmodernes Gasheizkraftwerk zu errichten, dessen
fortschrittliche Technologie das Zeug hatte, RWE vollständig zu blamieren. Vor
paar Jahren wurde Clement mit einem Aufsichtsratsmandat bei RWE Power belohnt.
Walter Riester, ab 1998 Arbeitsminister in der Regierung Schröder und als
solcher maßgeblich an der Zerstörung des bis dahin geltenden Systems sozialer
Sicherung beteiligt. Die nach ihm benannte "Riester-Rente" spülte
Riesensummen in die Kassen der Finanz- und Versicherungskonzerne. Derzeit ist
Riester, immer noch Bundestagsabgeordneter der SPD, als Redner u.a. für
folgende Auftraggeber tätig: Die Nürnberger Versicherung, die
Signal-Versicherung, die Sparda-Bank, Sparkassen, Volks- und Raiffeisenbanken,
aber auch verschiedene Investmentfonds. Seit 2006 hat Riester mit derartigen
Vorträgen mindestens 274.000 zusätzlich zu seinem Abgeordnetensalär verdient -
für einen hat sich die "Riester-Rente" also sicher gelohnt…
Die Liste ist beliebig fortsetzbar.

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"In einer ehemaligen
afrikanischen Kolonie Englands überlegte die Regierung, den Rechtsverkehr
einzuführen. Um diesen Fortschritt nicht zu übereilen, entschloß man sich, die
neue Regelung vorerst nur für Lastwagen gelten zu lassen. Mir kommt das
irgendwie bekannt vor." André Müller an Peter Hacks, 7.11.1988

In diesem Sinne einen schönen September, fahren Sie immer auf der richtigen
Seite!