Und Ansonsten 2008-10-06
Eine
der besten Radiosendungen über Popmusik, Klaus Walters "Der Ball ist
rund" im HR, wird zum Jahresende nach 24 Jahren endgültig eingestellt. Der
Kurs der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, ihr Programm zu begradigen,
sich auf eine wie auch immer geartete Mitte zu fokussieren, ihr Programm rund
um die Uhr "durchhörbar", also für Menschen mit Geschmack unhörbar zu
machen, setzt sich per Salamitaktik fort. Allüberall nur noch formatierter
Durchschnitt, die anspruchsvollen Sendungen werden eingestellt, die Linie ist
lang, von den WDR-Matineen der Liedersänger über das WDR-Weltmusikfestival bis
hin zu "Der Ball ist rund", jahrelang Spitzenreiter aller
Spex-Leserpolls in Sachen "beste Radiosendung".
So kommt es zu der einigermaßen absurden Konstellation, daß renommierte
Radiomacher von WDR, HR oder NDR, die jahrzehntelang im öffentlich-rechtlichen
Radio Qualitätssendungen in nächtlichen Nischen mach(t)en, seit Januar
unentgeltlich für das tolle Internet-Radio byte.fm arbeiten. Dort bauen sie
unter schwierigen finanziellen Bedingungen ein Radioprogramm auf, das die
Öffentlich-Rechtlichen in den letzten Jahren systematisch abgeschafft haben.
Die Lage ist deprimierend. Vor allem auch, weil kein Widerstand wächst - dabei
sind es doch die Radio- und Fernsehnutzer, die mit ihren Zwangsgebühren ARD und
ZDF finanzieren, mithin ein Recht haben, auf Sendungen von Format (aber bitte
formatlos!) zu bestehen. Wofür werden sonst die Gebühren erhoben? Dafür, daß
korrupte Sportjournalisten in der Art von Ehmig (und vor Gericht macht der
HR-Chef den Hasen und weiß von nichts…) oder Mohren ihre Zusatzgeschäftchen mit
öffentlich-rechtlichen Mitteln betreiben? Daß Gerichtsserien und
Nachmittagsschnulzen a la Privatfernsehen hergestellt werden? Man sollte an
einem Gebühren-Boykott arbeiten - solange die öffentlich-rechtlichen Anstalten
ihre Pflichten nicht mehr wahrnehmen (z.B. ihren Kultur- und Bildungsauftrag),
solange sollten sich die Nutzer auch nicht mehr verpflichtet sehen, für etwas,
das sie fast genauso bei Privaten sehen und hören können, noch teure Gebühren
zu bezahlen!
* * *
Unglaublich, was das ehemalige Politikmagazin "Der Spiegel" in einer
Titelstory über die "RAF" so zusammenraunt - ein
"Meisterstück" verwahrlosten Journalismus. Etwa das Angebiedere an
Eichingers Film, eine kostenlose Werbebroschüre mit Texten, die für die
"Bunte" zu anspruchslos wären: Als "Meilenstein
für den deutschen Umgang mit der RAF" gilt dem Autor des
Geschwurbels, wie die Schauspielerin Nadja Uhl, die übrigens "sehr schön lächeln kann",
ihre Rolle interpretiert: Daß Uhl alle biographische Recherche wegläßt und sich
"darauf konzentriert,
das Töten in ihr Gesicht zu kriegen". Das Feuilleton der
"Neuen Zürcher Zeitung" kommentiert: "Schmierenstücke solcher Art haben wir zuletzt
gelesen, als es darum ging, Eichingers Produktion "Der Untergang" als
Meisterwerk über Hitlers letzte Tage im Führerbunker zu verkaufen."
Soviel Untergang war in der Tat nie…und Psychologen mögen rätseln, woher die
Faszination des "Spiegel" für Nazi- und RAF-Geschichten rührt, das
gemeinsame "Untergangs"-Pathos, die Unerbittlichkeit, etwas
"durchzuziehen", all das, was so gern als "typisch deutsch"
bezeichnet wird.
* * *
Der Hitler aus Eichingers "Untergang" gibt jetzt den BKA-Chef Herold.
Und Rider heißt jetzt Twix.
* * *
Im Interview des "Zeit Magazin" stellt Stefan Aust, dessen Buch als
Vorlage für Eichingers Film dient, unter Beweis, daß er bis zwei zählen kann -
manchmal:
"Ich könnte den Fall
mit einer einzigen Frage lösen (…) Meine Frage würde lauten: Herr Löw, erstens:
Wen haben Sie gefragt? Und zweitens: Was war die Antwort?"
Und ansonsten chauvinistisches Altherrengeschwätz: "Sie (gemeint ist
Gudrun Ensslin, BS) sah ja
anfangs nicht schlecht aus. Baader auch nicht. Die waren wirklich gut
aussehende Leute, bevor sie in den Untergrund und später ins Gefängnis
gingen."
* * *
Auf dem Gelände der Bavaria Filmstadt in Geiselgasteig bei München wird
neuerdings die Todeszelle von Gudrun Ensslin ausgestellt, in der sie sich am
18.10.1977 erhängte. Seit den bairischen Sommerferien ist ein Teil der
Filmkulisse, die Bernd Eichinger in seiner Produktion "Der Baader Meinhof
Komplex" verwendet hat, in dem Freizeitpark zu sehen. Nachgebaut wurde
unter anderem der Zellengang aus dem 7. Stock von Stammheim.
"Herzstück der neuen
Bavaria-Attraktion ist aber die Zelle von Gudrun Ensslin. Der Clou: Sowohl die
Kloschüssel, als auch das Waschbecken, der Seifenhalter, der Türgriff, Tisch
und Stuhl sind Originalstücke aus ihrer Zelle. Jahrelang waren die
Einrichtungsgegenstände nach dem Selbstmord der Gefangenen eingelagert. Erst
für den Film (…) wurden sie wiedergefunden. (…)
Auf eine
"Attraktion" werden die Schüler im Filmpark allerdings verzichten
müssen: Davon, die erhängte Ensslin als Puppe in der Zelle zu zeigen, hat man
in der Filmstadt lieber abgesehen." (Abendzeitung München)
* * *
Hübsches Bonmot eines Architekturkritikers über die Neubevölkerung des
Prenzlauer Bergs in Berlin: "Bionade-Biedermeier".
Aber hat schon mal jemand auf den verkitschten "Süddeutschen
Neobiedermeier" hingewiesen, den die "Süddeutsche Zeitung" ihren
Lesern seit geraumer Zeit um die Ohren haut? Im Politikteil und manchmal im
Feuilleton noch ein wenig biederer Sozialliberalismus, aber im
"Magazin", der Abspielstation für die Werbewirtschaft (in der
aktuellen Ausgabe etwa 25 von 56 Seiten Anzeigen, darunter fünf sogenannte
redaktionelle Seiten, auf denen Klamotten etablierter Marken ausgestellt werden
mit Namensnennung…), der "Shop des Süddeutsche Zeitung Magazins" bei
Ludwig Beck - biederste Wohnzimmermöbel, ein hölzernes Lernlaufrad aus dem
Erzgebirge, eine Schiffslampe "Stelton", ein Armleuchter (das ist
nicht etwa ein Selbstporträt eines SZ-Redakteurs, sondern ein
Einrichtungsgegenstand…), der "jedes
Zuhause zum Leuchten bringt", "Homesticker", die "der Raumdekoration das gewisse
Etwas mit Stil geben", und last but not least einen
"Weinflaschenhalter", der "nicht
nur Weinliebhaber in Staunen versetzt" und in dem sie ihre aus
der SZ-Wochenendbeilage erworbenen Flaschen im Wohnzimmer präsentieren können. "Stil erleben"
eben. Und: "Es gibt
noch viel zu entdecken"…
* * *
Wir sind schon ein tolles gespaltenes Land: Wenn die Banken und Versicherungen
Verluste machen, dann spielen wir Sozialismus und lassen die Gemeinschaft die
Verluste tragen. Wenn Banken, Versicherungen und Anleger allerdings Gewinne
machen, dann machen wir auf Kapitalismus und lassen ihnen ihre Gewinne.
Sozialismus für die Reichen…Vermögenswerte werden vom Staat gerettet, die
Verluste aber der Allgemeinheit aufgebürdet.
Vorbild USA: Die Vereinigten Staaten verstaatlichen Teile ihres Bankenwesens
und die größte Versicherung dazu. Merkwürdige Welten. Ob all die Henkels,
Ackermanns und wie die Konsorten heißen, die über Jahre hinweg bei Christiansen
und anderen medialen Erfüllungsgehilfen gegen den Staat wetterten und jetzt
nach Hilfe vom Staat wimmern, wenigstens die nächsten paar Jahre in der
Öffentlichkeit ihre Klappe halten? Wahrscheinlich eher nicht…
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Die braune Brause läßt wieder vor dem Brandenburger Tor singen:
"Coca-Cola" dürfen auch dieses Jahr zum "Tag der Deutschen
Einheit" an dem Ort ihr sogenanntes "Soundwave Festival"
abhalten, der Barack Obama verwehrt geblieben ist. Das Programm der braunen
Brause ist dem Anlaß entsprechend furchterregend: Ich + Ich, Jennifer Rostock
und Thomas Godoj sind angekündigt…
* * *
Was sich heutzutage so alles "Skandal" nennen darf: In einem Porträt
in "U_mag" über den Jungschauspieler Tino Mewes war zu lesen:
"Skandal: Auf YouTube
ist er zusammen mit Jacob Matschenz in dem Clip "Fuck a Dog in the
Ass" in sehr eindeutigen Szenen mit einem Stoffhund zu sehen."
Ach Goddile, "sehr eindeutige Szenen mit einem Stoffhund"… die wollen
doch nur spielen!
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"Am Ende erschöpfte
Gott Himmel und Erde." (Mauricio Kagel)