08.11.2008

Und Ansonsten 2008-11-08

Was
man sich bei diesen ganzen Banken-Pleiten-Geschichten unter anderem fragt, ist
ja, wer da wie in den Banken arbeitet. Wie darf man sich die Realität
vorstellen? Zum Beispiel: die Hypo Real Estate braucht von Bundesregierung und
"Finanzsektor" eine Hilfe von 35 Milliarden Euro. Eine Woche später stellt
sich dann heraus, nach einer neuerlichen Prüfung der Bücher, daß die Bank nicht
etwa 35, sondern allein 2008 noch "bis zu" 50 Milliarden benötige.
Bis Ende 2009 könnten sogar bis zu 100 Milliarden notwendig werden.
Ich meine, beschäftigen diese Banken nicht ein Heer von Controllern und
Betriebswirtschaftlern und Rechnungsprüfern und wasweißich? Und dann ist da mal
eben ein Loch von extra 15 Milliarden Euro für drei Monate und ein weiteres von
50 Milliarden für 15 Monate, das man binnen Wochenfrist "entdeckt".
Eine Milliarde ist eine zehnstellige Zahl, mit neun Nullen. So ein Loch entgeht
den Damen und Herren Bankern?
Sitzt dann da einer mit Ärmelschonern übers Wochenende am Schreibtisch, und
plötzlich, huch, ist da ein Loch, perdautz? Sorry, liebe Banker, ich meine, ihr
habt ja eh völlig abgewirtschaftet und seid für die nächsten paar Jahrzehnte
weltweit als Oberdeppen unten durch, was ein Schaden nicht ist, aber:
verarschen lassen wir uns nur ab einem gewissen Niveau, so billig könnt ihr
Kriminellen und Betrüger uns nicht (davon)kommen!
Mal abgesehen davon, daß ein Finanzminister, der derartige Summen in eine Bank
pumpt, ohne einen Gegenwert dafür zu erhalten, vulgo: die Bank nicht zumindest
zum Teil zu verstaatlichen, nicht nur nicht ganz bei Trost ist, sondern auch
massiv gegen die Interessen der Steuerzahler und damit letztlich gegen seinen
Amtseid verstößt. Aber das ist ja auch ein Faszinosum an der Bankenkrise:
Konsequenzen werden letztlich keine gezogen, die Banken erhalten zum Dank für
ihre beschissene Arbeit Staatskredite, was ja eine Art bundesamtliches
Schulterklopfen und "weiter so" darstellt. Wunderbar. Beim
Monopolyspielen im großen Stil pleite gehen und zum Dank nicht die Karte
"Gehen Sie sofort ins Gefängnis! Gehen Sie nicht über Los!" gezeigt,
sondern die Bank geschenkt zu bekommen. Eine Schmierenkomödie (oder Tragödie?)
sondergleichen, und eben leider auch die Realität.

* * *

Und der Schwätzer Hans-Olaf Henkel, der auf der Terrasse seiner
Dachgeschoßwohnung in Berlin-Mitte eine große, von einem, natürlich,
zeitgenössischen chinesischen Künstler modellierte Mao-Figur stehen hat und das
ganz sicherlich tres chic findet, der ehemalige Arbeitgeberführer Hans-Olaf
Henkel also sollte sich dieser Tage mal fragen lassen, "wer denn nun mehr Geld vernichtet
hat, die Sozialtransferbezieher, die er jahrelang als Hängemattenbewohner
verhöhnt hat, oder seine Helden von den Finanzmärkten" (FAS).

* * *

Schön auch, wie der deutsche Finanzminister, bevor ihn die Meldung einer
bevorstehenden Bankenpleite aus München aufschreckte, immer von einer
amerikanischen Krise redete. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf, und die
Welt nicht global funktioniert, sondern eine Scheibe ist.

* * *

Und ein letztes - nun, da ein neues Gesetz "harte Auflagen"
("FAZ") für die Banken vorsieht, nämlich u.a., daß die Vergütung der
Bankmanager auf 500.000 Euro begrenzt werden soll, fragt sich unsereiner,
wieviel der Steuerzahler, der die Milliarden für die angeschlagenen Banken
aufbringen muß, höchstens verdienen darf, um seinen Beitrag zum Banken-Support
leisten zu dürfen…

* * *

Während der Olympiade in Peking hatte die "Frankfurter Rundschau"
gemeldet: "Peking
schickt alte Frauen in Arbeitslager - Zwei betagte Frauen müssen nach einer
Entscheidung der chinesischen Behörden ein Jahr in einem Arbeitslager
verbringen, weil sie während der Olympischen Spiele gegen eine Zwangsräumung
protestieren wollten." Keine Quelle wurde genannt, unter einem
Foto, das zwei Frauen zeigte, stand "AP", das Kürzel der
US-amerikanischen Nachrichtenagentur "Associated Press".
Die Meldung war eine Falschmeldung. Zuerst erschien sie, wen wunderts, im ZDF.
In "Heute" hieß es einen Tag vorher: "Jetzt müssen zwei Rentnerinnen, 77 und 79 Jahre
alt, womöglich ins Arbeitslager." Man beachte:
"womöglich".
ZDF-Peking-Korrespondent Johannes Hano teilte mit: "Doch statt ihren Protest zu genehmigen, wurden die
beiden Seniorinnen jetzt zu einem Jahr Arbeitslager verurteilt. Das jedenfalls
berichtet eine Menschenrechtsorganisation." Mal abgesehen
davon, daß man von Journalisten scheinbar nicht mehr verlangen kann, die
deutsche Sprache zu beherrschen - aber "eine
Menschenrechtsorganisation" als Quelle?
Die dpa hat am gleichen Tag gemeldet, daß zwei Rentnerinnen Arbeitslager
"droht", weil sie in einer der drei olympischen Protestzonen
demonstrieren wollten. "Die
Strafe wurde (…) aber ausgesetzt."
Es würde jetzt zu weit führen, den Fall im Detail auszubreiten, man kann dies
in "Ossietzky" 18/08 nachlesen, Tatsache ist jedoch, daß es die
"Menschenrechtsorganisation" gar nicht gibt, jedenfalls keine seriöse
und unabhängige wie etwa "amnesty international". Die
Informationsquelle der Story war "HRIC" ("Human Rights in
China") mit Hauptsitz in New York, die zwar als Nicht-Regierungs-Organisation
firmiert, aber vom US-Außenministerium "gefördert" wird. "Ein Rädchen in der
Desinformationsmaschinerie Washingtons"
("Ossietzky") zwar, aber selbst auf der HRIC-Internetseite war
korrekt zu lesen: "Die
Anordnung (…) legt fest, daß sie bei weiteren Verstößen in ein Lager gebracht werden
könnten." Bei weiteren Verstößen also, und
"könnten".
Was schon ziemlich etwas anderes ist, als das, was ZDF und "FR" als
Faktum berichtet hatten. Aber so machen sie eben ihren sogenannten
Journalismus, Quellen sind längst wurscht, es muß hinten das rauskommen, was
als Gesinnung längst feststeht.

* * *

"Nie waren handwerklich
und ethisch gut ausgebildete Journalisten notwendiger als heute, um das
Überleben des Qualitätsjournalismus in der digitalen Welt zu sichern."
ZDF-Intendant Markus Schächter

* * *

Die "taz" lädt ein zu ihrer Veranstaltungsreihe "Im
Gespräch":
"Der Sänger und Texter
von BAP kommt ins tazcafe zu einer exklusiven Veranstaltung (…) Peter Unfried
wird mit Wolfgang Niedecken darüber sprechen, warum er für Horst Köhler als
Bundespräsident ist, warum er Joschka Fischer immer noch gut findet, warum er
auf der neuesten BAP-Platte Bob Dylan-Lieder singt - und vieles mehr."
Und so kommt zusammen, was zusammen gehört, Arsch und Eimer.

* * *

"Ich will nicht
denken", schreibt Dieter Bohlen in seinem neuesten, nun ja,
"Buch". Als ob es bei ihm auf den Willen und nicht eher auf das
Vermögen ankommen würde…
Hübsch doppeldeutig, nicht? Ha!

* * *

Rot-grüne Erfolgsbilanz unter Kanzler Schröder:
"Armut und ungleiche
Verteilung der Einkommen haben in den Jahren 2000 bis 2005 in Deutschland so
stark zugenommen wie in keinem anderen Industrieland. Das teilte die
Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gestern
bei der Vorlage einer Studie zur Einkommensentwicklung in den Industrieländern
mit. Der Anteil der Menschen in Deutschland, die in relativer Armut leben,
liege inzwischen über dem OECD-Mittel, hieß es. Anfang der 1990er Jahre lag die
Quote noch rund ein Viertel darunter. Gleichzeitig stiegen höhere Einkommen
überproportional an." (Berliner Zeitung)

* * *

Der Posten des popkulturellen Pausenclowns, des Alibi-Rockers, der in
Boulevardmagazinen wie am Katzentisch der Bundesregierung den Deppen markieren
darf, war über Jahrzehnte von Heinz Rudolf Kunze bestens besetzt. In den
letzten Jahren gab es einen eindrucksvollen Nachfolgekampf verschiedenster
Bewerber, die bereit stehen wollen, wenn Kunze mal aus dem Sessel kippen
sollte. Bedingung: Man muß in möglichst schlechtem Deutsch banale Texte
schreiben, die einsame Biologielehrerinnen zum Kauf von CDs verleiten, zum
Beispiel. Die das beinhalten, was "Zeit"-Leser für
"Rockmusik" halten. Vertont auf eine Art, die mit dem Wörtchen
"Musik" zu anspruchsvoll beschrieben sein würde.
In den letzten Jahren hatte man verschiedentlich den Eindruck, die Nachfolge
Heinz Rudolf Kunzes in dieser Rolle würde zugunsten von Judith Holofernes
entschieden, sie tat wirklich alles dafür, die Nachfolge anzutreten. Doch nun
ist ein neuer und unschlagbarer Kandidat im Ring: Tomte, Großschwätzer und
Kleintexter aus Hamburg-Berlin, der einzige Musiker, der mir je schriftlich
gegeben hat, daß ich "keine Ahnung von Musik" haben würde.
Kostproben der Songtexte gefällig?
"Ich fühle mich wie der
letzte große Wal, der Tau auf dem Gras, der erste Sonnenstrahl im Tal der
Lust."
"Du nennst es Pathos
und ich nenn es Leben."
"Es gibt Dinge, die
kann man nicht übersteigern."
Alle aus dem neuen Tomte-Album "Heureka".
Und um die Bewerbung für die irgendwann freiwerdende Heinz Rudolf Kunze-Stelle
zu untermauern, gab Tomte-Sänger Thees Uhlmann dem Hausblatt alternativer
Popkultur, nämlich dem "Zeit"-Magazin, ein Interview:
"Herr Uhlmann, in dem
Song "Voran voran" des neuen Albums ihrer Band Tomte ist eine Zeile
zu hören, die wir aus nicht ganz objektiven Gründen zitieren: "Willst du
die Welt verändern / lies ein ganzes Jahr die ZEIT".
(Uhlmann:) Ich meine das
genau so. Wie viele Menschen lesen jede Woche die ZEIT und das ZEITmagazin?
Vielleicht zwei Millionen? Man hält das für selbstverständlich, aber das ist
doch Klasse, Mensch!"
Willst du die Welt verändern, Mensch, abonniere ein ganzes Jahr die ZEIT! Das
ist wirklich Klasse. Frau Merkel sollte Tomte in ihren Beraterstab aufnehmen.

* * *

Zwei Artikel aus der aktuellen Ausgabe einer Musikzeitschrift:
"Spex präsentiert die Sony Ericsson Mobile Sessions in Berlin"
"Spex präsentiert die Levi's Unbuttoned Tour"
Der erste Artikel der Schelme endet: "Zu
den Mobile Sessions sind selbstredend auch Benutzer anderer Handymarken
willkommen." Ob bei der Levi's-Tour auch Träger anderer
Hosenmarken die Konzerte besuchen dürfen, darüber schweigen sich die
Journalisten allerdings aus. Und hinterlassen zutiefst verunsicherte Leserinnen
und Leser…

* * *

Und auch damit könnte man sein Geld verdienen:
"Liebe Veranstalter,
wir freuen uns (…) folgendes Celebrity-Special anbieten zu können: Stefan &
Claudia Effenberg (…) Kaum ein Paar in Deutschland hat eine größere
Medienpräsenz als Stefan & Claudia Effenberg. (…) Ab sofort stehen beide
für ausgesuchte Events, Clubs & Diskotheken mit einer Special
Guest-Appearance, Autogrammstunde etc. zur Verfügung."
(aus dem Angebot eines Mitbewerbers)

* * *

Den Nordkoreanern bleibt auch nichts erspart. Nun muß der ehemalige
"Schurkenstaat" auch noch eine Ausstellung mit Berliner
"Buddy"-Bären ertragen, den widerlichen Kunststoffgestalten, die das
Stadtbild der deutschen Hauptstadt verunzieren und denen der Künstler Andreas
Siekmann in einer Installation namens "Trickle Down" für die
"skulptur projekte münster 07" auf die einzig angemessene Art und
Weise gerecht wurde: nämlich, indem er sie zerschredderte.

* * *

Unlängst wurde an dieser Stelle noch sarkastisch über die Branchenkontakte der
sogenannten "Initiative Musik" nach China berichtet. Und nun wurde
der Inhaber dieser Agentur eingeladen, an einer kostenlosen Reise zu einem
Wirtschaftstreffen in sechs chinesischen Städten und an einem Forum
"Musikmarkt in Bewegung / Musikmarkt der Zukunft" in Guangzhou im
November teilzunehmen. So schnell geht das manchmal. Die Einladung wurde
selbstverständlich abgelehnt.

* * *

Was einem ja wirklich auf den Keks geht, ist das ewige
"Bahn-Bashing", in dem sich der sogenannte "kleine Mann"
und die ihn (und sie) manipulierenden Medien so hübsch einig sind. Und dann
wird wieder mal über Mehdorn hergezogen. Zugegeben, der macht keine besonders
tolle Bahnpolitik, aber dafür wird er ja auch nicht bezahlt. Es ist ja nicht
Mehdorn, der die Deutsche Bahn privatisieren will, es sind die Politiker, die
ihm dazu den Auftrag gegeben haben. Man sollte also damit aufhören, über die
Bahn und über Mehdorn herzuziehen, und stattdessen die Politiker dazu bringen,
endlich ihre verhängnisvolle Privatisierungspolitik zu beenden. Die
Wirtschaftsereignisse der letzten Wochen sollten neoliberalen Politikern aller
Coleur doch eigentlich ihr Privatisierungsgebaren ins Maul zurückstopfen, oder?

* * *

Aus der ZDF-Sendung "Lesen!":
Kerkeling: "Du, ich bin
irgendwann drauf gekommen, daß der tibetische Buddhismus ganz spannend, ganz
interessant ist."
Heidenreich: "Faltest
du auch manchmal die Hände und sagst danke, bitte, Hilfe?"
Kerkeling: "Oh ja, das
passiert schon."
Heidenreich: "Ich
auch."
Aber mitunter gibt es doch gute Nachrichten, wenn auch manchmal das Richtige
aus falschen Gründen getan wird. Elke Heidenreich etwa, diese unerträgliche und
inkompetente Schwätzerin, wurde ja nicht etwa vom ZDF gekündigt, weil ihre
Sendung so furchtbar ist, sondern weil sie das ZDF kritisiert hat. Nun ja,
unsereiner ist da nicht wählerisch und freut sich übers Ergebnis…

* * *

Montag, der 3.11.2009. Vielleicht kann man sagen, die Welt schaut diese Woche
nach Washington zu den US-Wahlen. Die kleine deutsche Welt schaut vielleicht
nach Hessen. Das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" aber erscheint, wir
hattens schon vermisst, wieder einmal mit Adolf Hitler auf der Titelseite. Man
hat halt seine Prioritäten…

* * *

Und dann war da noch die Provinzzeitung, die über einen nur berichtet, wenn man
sich von der Frau des Foto-Chefs fotografieren läßt…

So ist die Welt.