04.07.2009

Und Ansonsten 2009-07-04

Die
Perversion hört ja nicht auf. Da geben Politikerinnen und Politiker das Geld,
das wir nicht haben, aus für Banken und Autofirmen, die wir nicht wollen. Und
es handelt sich um Zigmilliarden. Und was Schulen, Universitäten,
Kindertagesstätten, ErzieherInnen angeht, scheinen diese alle ein Problem
gemeinsam zu haben - sie sind für Politiker und Medien eben nicht
"systemrelevant", weswegen z.B. ErzieherInnen dafür auf die Straße
gehen müssen, um endlich wenigstens so bezahlt zu werden wie Müllmänner (und
nichts gegen deren Gehalt, das ist ein Drecksjob im wahrsten Sinn des Wortes,
und sie bekommen jeden Euro völlig zu Recht!), während die Bank- und
Konzernmanager, die für die Krise verantwortlich sind, im Kanzleramt empfangen
werden, wo sie gefragt werden, wieviele Milliarden man ihnen denn bitte in den
Hintern stopfen darf - weil Banken und Autokonzerne ja angeblich
"systemisch" sind. Mal ganz abgesehen davon, daß die Herstellung
eines einzigen Autos laut UNESCO 400.000 Liter (virtuelles) Trinkwasser
vergeudet, woran eine selbsternannte "Klimakanzlerin" vielleicht auch
mal einen halben Gedanken verschwenden sollte… (aber kein Anlaß zur Häme,
Freunde, auch ein PC frißt etwa 20.000 Liter Trinkwasser…).
Und gleichzeitig entblöden sich die gleichen Politikerinnen und Politiker
nicht, uns für dumm zu verkaufen, und tun so, als ob das alles nichts kosten
würde, als ob nach der Bundestagswahl nicht die Steuern erhöht werden würden.
Wenn ein CDU-Generalsekretär verkündet, es würden in der nächsten Legislaturperiode
"garantiert" keine Steuern erhöht werden, dann zuckt der gemeine
Wähler zusammen und erinnert sich an die Zeit nach der letzten Bundestagswahl,
als zwei Parteien eine Koalition eingingen, die zwischen "null" und
"zwei" Prozent Mehrwertsteuer- erhöhung im Wahlprogramm hatten - und
als Mittelwert aus null und zwei kam drei heraus, wenn Politiker rechnen…
Wie wäre es denn, wenn die Parteien, die wir im September wählen sollen, uns
einfach vor klare und ehrliche Alternativen stellen würden - Alternativen
dergestalt "wollt ihr, daß der Staat Opel rettet? und wenn ja, benötigen
wir dafür folgende Steuererhöhung…", oder "wollt ihr, daß wir
weiterhin die Großbanken retten, und kein Geld für Kindertagesstätten oder die
Erhöhung der Hartz IV-Sätze übrig ist?"
Besonders nett wäre es natürlich, wenn die Parteien, die von uns gewählt werden
wollen, uns anbieten würden, die Finanzierungsinstrumente, die die
Weltwirtschaftskrise hervorgerufen haben, rückgängig zu machen - etwa den
Handel mit Derivaten. Wenn die Deutsche Börse Ende 2006 stolz den Rekord
meldete, daß der Börsenumsatz im abgelaufenen Jahr um rund 32% auf fünf
Billionen Euro geklettert, während das deutsche Bruttoinlandsprodukt im
gleichen Jahr 2006 mit 2,3 Billionen Euro nicht einmal halb so groß war, oder
wenn die BIZ das Volumen des außerbörslichen Handels mit Derivaten Ende 2008
für das abgelaufene Jahr auf weltweit 863 Billionen Dollar bezifferte (21% mehr
als sechs Monate zuvor), während die Bruttowertschöpfung aller Länder der Erde
bei 50 Billionen Dollar liegt, dann braucht man kein Wirtschaftsexperte zu
sein, um zu wissen, daß da etwas völlig aus den Fugen geraten ist und nach
gesundem Menschenverstand nicht funktionieren kann. Ein Pyramidengeschäft, ein
Kettenbriefsystem ist in den letzten zwei Jahrzehnten entstanden, und es geht
nicht um den Quatsch namens "Regulierung", den uns nun die gleichen
Wirtschaftsexperten einzureden versuchen, die in den letzten zwei Jahrzehnten
keine Gelegenheit ausgelassen haben, uns weiszumachen, daß der Finanzmarkt
Freiheit und unbedingte Freiheit brauche, daß Arbeit zu teuer sei und was des
neoliberalen Schwachsinns noch alles Allgemeinplatz wurde - sondern es geht nun
darum, die Wettpapiere zu verunmöglichen. Freilich, wenn stimmen sollte, was
die Europäische Kommission lt. Londoner "Telegraph" vor wenigen
Monaten ermittelt hat, daß nämlich bei allen europäischen Banken insgesamt
faule Papiere in Höhe von 18,2 Billionen Euro liegen und mithin "44
Prozent aller Vermögenswerte der Banken aus Schrottpapieren bestehen"
(Werner Heine in "Konkret"), "ein Umstand, der zwingend zu ihrer
sofortigen Insolvenz führen müßte", dann kann man sich leicht ausmalen,
warum das EU-Papier geheim ist, und warum die Politiker, die den genauen
Sachverhalt kennen, lieber nicht darüber reden wollen…

* * *

Aber ein bayerischer Ministerpräsident tut dieser Tage so, als ob die Welt
immer noch einen Versandhauskatalog brauche - wohl in Sympathie für einen
Konzern, der mittlerweile so überflüssig und altbacken ist wie seine eigene
Partei.

* * *

"Grünen"-Politiker Jürgen Trittin im "Spiegel"-Interview:
"Ich lege demnächst
wieder als DJ auf, da spiel ich die "Toten Hosen" und ihr: "Es
gibt tausend gute Gründe, auf dieses Land stolz zu sein. Warum fällt uns jetzt
auf einmal kein einziger mehr ein?" Wenn Sie das spießig finden -
bitte."
Ja, lieber Jürgen Trittin, finden wir furchtbar spießig. Und quasi unterirdisch
by many means.

* * *

Ein gewisser Wolfgang Niedecken fragte an, ob er denn mit seinen beiden Söhnen
in der Frankfurter Jahrhunderthalle Patti Smith angucken könne… und er meinte
natürlich nicht, an welchen Vorverkaufsstellen Tickets zu erwerben sind,
sondern er wollte die Tickets geschenkt.
Unglaublich - mit schlechter Musik Millionär geworden, aber Geizkragen durch
und durch, keinen Euro für gute Musik ausgeben, sondern sich mit seinen Söhnen
aufs Konzert schnorren. Nun könnte man sagen, ein bißchen musikalische und
lyrische Nachhilfe wäre für den Kölner Altrocker ja durchaus nötig (wenn er
nicht so ein hoffnungsloser Fall wäre), aber andrerseits würde diese Nachhilfe
allzu große Risiken beinhalten, am Ende macht Niedecken aus Patti Smith's Songs
noch kölsche Mundartversionen.
Kölle Alaaf!

* * *

Die "Kampagne für Saubere Kleidung" (CCC) hat Firmen, die funktionale
Outdoor-Bekleidung herstellen, daraufhin überprüft, ob die Firmen bei der
Herstellung ihrer Hochpreisprodukte soziale und Menschenrechts-Standards
beachten. Das Ergebnis ist ernüchternd: mit Mammut und Odlo haben sich
lediglich ganze zwei Firmen verpflichtet, den ArbeiterInnen in ihren
Produktionsstätten einen existenzsichernden Lohn zu bezahlen. Lediglich vier
Firmen (Helly Hansen, Mammut, Odlo, Patagonia) engagieren sich im Rahmen einer
Multistakeholder-Initiative für Verbesserungen der Arbeitsbedingungen in ihren
Lieferketten, bei den restlichen Großfirmen der Outdoor-Initiative war entweder
gar nichts in Erfahrung zu bringen (Schöffel), oder die Firmen reagierten mit
vagen Zusagen - so geben Jack Wolfskin, die 80 Prozent ihrer Artikel in Asien
produzieren lassen, zwar an, einen Existenzlohn zu bezahlen, verifizieren dies
aber nicht; oder Branchenprimus The North Face, bei deren Zulieferer in El
Salvador massive Arbeitsrechtsverletzungen festgestellt wurden; oder Vaude, die
Teile ihrer Produktion in Myanmar herstellen, behaupten, die dortigen Standards
seien "für asiatische Verhältnisse relativ hoch" - man beachte die
doppelte Relativierung. Der UNO-Menschenrechtsrat drückte zuletzt im März 2009
seine "tiefe Besorgnis" wegen schwerwiegender und systematischer
Menschenrechtsverletzungen im ehemaligen Burma aus.
Die Resultate der Studie der CCC sind unter www.evb.ch/outdoor
veröffentlicht, über die Arbeit der "Christlichen Initiative Romero"
(CIR) für Arbeitsrechte weltweit kann man sich unter www.ci-romero.de
informieren.

* * *

Callcentern, die nach Berlin ziehen, finanziert der rot-rote Senat ab Juli 2009
die Personalsuche. Mindestlöhne, für die sich die SPD-Linke-Koalition sonst
gerne einsetzt, müssen die Firmen nicht zahlen, besondere Sozialstandards für
die vermittelten Arbeitsstellen gibt es nicht. Für diesen besonderen Service
für Unternehmen ist die Senatsverwaltung für Wirtschaft von Linkspartei-Senator
Harald Wolf zuständig. Für die Unternehmen, die normalerweise die Aufwendungen
für ihre Personalauswahl selbst zahlen müssen, ist dieser Service in Berlin
kostenlos - der Steuerzahler zahlt dafür bis zu 115.000 Euro pro Halbjahr.
Auch in der Vergangenheit gab es laut "taz" eine vergleichbare
Förderung, von der beispielsweise das "Quelle Communication Center"
profitierte - eine Firma, die lt. Ver.di vielen Mitarbeitern einen Stundenlohn
von 6,04 Euro zahlt. Der im Auftrag des Wirtschaftssenators bei der
Personalsuche für Callcenter tätige Mitarbeiter der
Wirtschaftsförderungsgesellschaft "Berlin Partner" empfiehlt den
Unternehmen, einen Stundenlohn von mindestens 6,50 Euro pro Stunde zu zahlen,
was allerdings "nur eine Einschätzung, aber keine Vorschrift"
darstelle.
Der rot-rote Senat setzt sich auf dem Papier für einen Mindestlohn von 7,50
Euro ein, die Linkspartei fordert auf Bundesebene einen Mindestlohn von 10
Euro. Was scheinbar allerdings nur im Wahlkampf gilt, nicht aber dort, wo man
tatsächlich in Regierungsverantwortung steht.

* * *

Was hat Nordkorea Deutschland voraus? Genau: die Qualifikation zur
Fußball-Weltmeisterschaft 2010… Die "Berliner Zeitung" versucht sich
anläßlich der Qualifikation Nordkoreas an einigen Fragen an einen Asienexperten,
darunter sind so hübsche scheinheilige Fragen wie "Inwiefern ist die
WM-Qualifikation der Fußballer das Ergebnis einer Steuerung von oben"
(meint die "Berliner Zeitung" da den Fußballgott?) oder "Wie hat
Nordkorea bisher den Sport für die Propaganda genutzt?" Auf diese Frage
antwortet der Herr Experte: "Es
werden die eigenen Erfolge groß herausgestellt." Perdauz, was
für eine Überraschung! So etwas kennt man hierzulande natürlich überhaupt
nicht, hierzulande, wo Kanzler und Kanzlerkandidaten noch zu jedem
"deutschen" WM-Finale fuhren und erfolgreiche Fußballer im Kanzleramt
begrüßten, wo der "sympathische Patriotismus" eines schwarz-rot-gold
delirierenden Landes 2006 noch in schlechter Erinnerung ist und wo
Sportreporter jede, aber auch wirklich jede internationale Sportübertragung nur
aus nationalistischer Sichtweise begleiten.

* * *

Angela Merkel, Bundeskanzlerin, bekommt Besuch vom togolesischen Präsidenten
Faure Gnassingbé. Weil Frau Merkel sich mit den ganzen afrikanischen Staaten
nicht so recht auskennt, lässt sie sich vorher instruieren, wo denn Togo genau
liegt, und fragt im Gespräch mit Herrn Gnassingbé "gekonnt", wie es
denn um die Beziehungen zwischen Togo und Benin aussehe. Gnassingbé antwortete
darauf lt. "Spiegel", der diese kleine Begebenheit berichtet:
"Unsere Beziehungen sind besser als das deutsch-französische
Verhältnis." Frau Merkel war angeblich verblüfft und bezweifelte später
öffentlich, ob der Mann aus dem fernen Lomé das Verhältnis zwischen Paris und
Berlin wirklich beurteilen könne. Gnassingbé hat übrigens in Paris studiert.
Was lehrt uns diese kleine Begebenheit? Sie ist auf vielen Ebenen entlarvend:
für das Politikverständnis hierzulande etwa, dafür, daß eine bundesdeutsche
Kanzlerin im Jahr 2009 afrikanischen Präsidenten nicht viel anders begegnet als
irgendwelche Kolonialisten im 19.Jahrhundert, die den "Wilden"
irgendwelche Glasperlen andrehen wollten - nämlich mit einer Mischung aus
Ignoranz und Arroganz. Während Merkel sich in Afrika nicht auskennt, wird gleichzeitig
erwartet, daß der "Wilde" von europäischer Politik keine Ahnung hat,
da soll er gefälligst keine Meinung zu haben. Und was will der hier überhaupt?
Wahrscheinlich betrachtet Frau Merkel es als Gnade, einen afrikanischen
Politiker überhaupt im Kanzleramt eine Audienz zu gewähren. Ekelhaft.

* * *

Einkaufen als Polit-Happening in Berlin-Kreuzberg - laut "taz" haben
sich rund 400 Konsumenten vor einem Spätkauf versammelt, um den Laden
leerzukaufen, weil der Laden versprochen hat, einen Teil des Umsatzes in
Energiesparmaßnahmen wie etwa neue Glühbirnen zu investieren.
"Carrotmob" heißt die Aktion der selbsternannten Gutmenschen, die
sich Politikmachen wohl nur als Konsum vorstellen können. Shoppen für die
Umwelt. Saufen für den Regenwald. Fressen gegen Armut. Tanzen für den Frieden.

Die Welt scheint mitunter einigermaßen verrückt und hoffnungslos. Aber:
"Die Welt taumelt,
Musik fängt sie auf." (Martin Geck)

In diesem Sinne einen schönen Sommer!