08.08.2009

Und Ansonsten 2009-08-08

Es
stand auf der gleichen Titelseite der "Berliner Zeitung" - das
Sommertheater ums in Spanien geklaute Dienstauto von Ministerin Ulla Schmidt,
und "Bundesregierung verschont Autolobby". Ich will nicht
mißverstanden werden - daß Frau Schmidt sich ihren Dienstwagen nach Spanien
bringen läßt, ist faktisch wie taktisch bescheuert. Aber daß die große
Koalition um Autokanzlerin Merkel wieder einmal vor der Autolobby kuscht,
sollte doch wohl das tiefergreifendere und wichtigere Wahlkampfthema sein:
Pläne, wonach Autokäufer anhand einer einfachen und transparenten Verbrauchskennzeichnung
zuverlässige Angaben zum Spritverbrauch und CO2-Ausstoß erhalten sollen, wurden
im von CSU-Jungstar zu Guttenberg geführten Wirtschaftsministerium auf Eis
gelegt - "vor dem
Hintergrund der Wirtschaftskrise wolle man eine derartige Kennzeichnung wohl
nicht gegen den Willen der Automobilindustrie einführen".
Und: "Wenn
Bundesministerin Ulla Schmidt bei der Gesundheitsreform ähnlich wenig zustande
gebracht hätte wie das Kanzleramt und das Finanzministerium bei der
Finanzkrise, wäre sie schon längst weg." (taz)

* * *

Und wo wir gerade von der Verkehrspolitik sprechen - das sogenannte
"S-Bahn-Chaos" in Berlin ist in aller Munde. Entpuppt sich aber bei
näherem Hinsehen viel eher als DB-Chaos um Ex-Bahnchef Mehdorn. Die DB als
Besitzerin der Berliner S-Bahn hat über Jahre die neuen, vom Berliner
Bombardier-Konzern gelieferten S-Bahn-Züge nicht ordnungsgemäß kontrolliert
(und damit, nebenbei gesagt, die Schädigung der S-Bahn-Fahrgäste bewußt in Kauf
genommen). Über Jahre hinweg wurde S-Bahn-Personal ausgedünnt, um die Bahn für
die Privatisierung zu "verschlanken" - nun fehlen Personal und
Facilities für Wartung und Überprüfung der Bahnen - ein Lehrstück gegen die vor
allem von CDU und FDP, aber auch von der SPD betriebene Privatisierungspolitik.
Mehdorn hat derweil bei "Air-Berlin" angeheuert. "Jeder Diplomingenieur
unterschreibt im Arbeitsvertrag, daß er während einer Sperrfrist nicht zur
Konkurrenz gehen darf. Mehdorn, alimentiert mit 2,3 Mio pro Jahr vom
Staatsunternehmen, erzählt einem der beiden wichtigsten Wettbewerber der Bahn
nun mal alle Planungen. Warum nennen wir "Manager", was doch nur
Verwaltungsprostituierter ist?" (Friedrich Küppersbusch)
Die CDU fordert im Bundestagswahlprogramm eine stringente Umsetzung der
Bahn-Privatisierung. Von der SPD, auch und gerade von Berlins Regierendem
Wowereit, sind nun klare Worte gefordert, kein Eiertanz um die Privatisierung.

* * *

Pop-Journalismus I.
"Rolling Stone", "Musikexpress" und "Metal
Hammer", allesamt seit einiger Zeit im Besitz von Axel Springer, ziehen
nach Berlin und bekommen einen übergeordneten, neuen Chef: Ulf "Vanity
Fair" Poschardt, ausgerechnet.
Ein gezielter Schachzug vor der Bundestagswahl? Bei der Bundestagswahl 2005
jedenfalls rief Ulf Poschardt dazu auf, die FDP zu wählen. Die linke Subkultur,
so Poschardt seinerzeit, solle eine CDU-CSU-FDP-Koalition als
"revolutionäres Projekt" begreifen. Mit solcherart Schwachsinn
qualifiziert man sich hierzulande für höhere Aufgaben, darf "Vanity
Fair" in die Pleite reiten und dann stellvertretenden Chefredakteur der
"Welt am Sonntag" spielen.
Bisher war den Münchner Musikmagazinen die Zugehörigkeit zur Axel
Springer-Gruppe nicht negativ anzumerken, es ist jedoch zu befürchten, daß
Springer und Springer-Clown Poschardt die Magazine nun auf Kurs bringen wollen.

Bleibt die Hoffnung, daß die geschätzten Kolleginnen und Kollegen in den beiden
Musikmagazinen erhalten bleiben - wir freuen uns auf euch, hier in Berlin! Auch
wenn die Gästelisten damit endgültig aus den Nähten platzen werden…

* * *

"Ich nehme an, daß
Dinge, je stärker sie sich ändern, immer mehr dieselben bleiben. Rockfestivals
sind längst Institutionen des Kulturbetriebs, wie Roskilde und Rock am Ring
seit Jahrzehnten demonstrieren. Niemand denkt mehr daran, mit ihnen eine neue
Welt zu errichten. Im Gegenteil. Sie sind Gelegenheiten, um neue
Marketingstrategien für jugendaffine Produkte auszuprobieren."
(Ed Ward in einem Artikel über "Die Falle
Woodstock", Tagesspiegel)

* * *

"Those rock and roll
boys have lost their fire." (Franz Nikolay)

* * *

Pop-Journalismus II.
Ein Boris Halva versucht in der "Frankfurter Rundschau" eine
Rezension des Patti Smith-Konzerts. Dabei entdeckt Boris Halva ein ganz
besonderes Bandmitglied: "ihr
im Hintergrund agierender Sohn Jackson Smith an der Gitarre".
Die "FAZ" beschreibt den Musiker, den Halva meint, etwas hölzern als "Spezialgast Tom Verlaine, einst
Haupt der Punkformation "Television" (…) Den ganzen Abend sitzt
Verlaine am linken Rand der Bühne und arbeitet, als gäbe es kein Morgen, an
seinem Instrument, dem er für die, die es hören wollen, in manchen Passagen
wahrhaft zauberische Tonfolgen entlockt."
Auch die "taz" bezeichnet den "am hinteren Bühnenrand auf einem
Hocker sitzenden" Musiker als "Tom Verlaine", den "heimlichen Star der Show":
"In diesen Gitarrenfingern wohnt der Geist von John Zorn und der von Jerry
Garcia, in den besten Momenten versöhnt Verlaines Gitarrenspiel die
Antagonismen von Punk und Hippie und das Ganze bekommt einen gläsernen,
schwebenden Glanz", schreibt Klaus Walter.
Nun, daß Autoren, die über Popmusik schreiben, keine Ahnung haben, ist nichts
Neues - warum sollte ein Boris Halva in einer "FR" das Gitarrenspiel
von Tom Verlaine erkennen können? Daß Leute, die Konzertkritiken schreiben,
sich zumindest die Mühe machen, die Besetzungsliste zu recherchieren, sollte
man allerdings doch erwarten können, auch bei Schreiberlingen, die ganz
offensichtlich nur "in it for the Zeilenhonorar" sind.

* * *

Begeistert teilt uns "Universal" mit:
"Cassandra Stehen und
Stanfour spielen zu Ehren des Dalai Lama.
Anlässlich des Dalai
Lama-Besuchs in Frankfurt am Main findet am Samstag, den 1. August, in der
Commerzbank Arena ab 20.00 Uhr eine Jam-Session der ganz besonderen Art statt:
Mit einem individuellen Konzert werden Chartstürmerin Cassandra Steen und die
Band Stanfour beim Dalai Lama Event in Frankfurt (30.07. - 02.08.) neben
anderen bekannten Künstlern musikalisch für Frieden, Freiheit und
Menschlichkeit aufrufen. Cassandra Steen, die mit ihrem Hit "Stadt"
(feat. Adel Tawil) derzeit Platz zwei der deutschen Single-Charts belegt und
Stanfour ("In Your Arms") haben sich der Initiative "Artists for
Dalai Lama" angeschlossen und werden jeweils zwei Songs im Rahmen des
Konzerts "Ein Abend für den Frieden" live performen."

Klasse. Ein "individuelles Konzert", auf dem nicht nur "live
performed" wird, sondern auch noch "für (!) Frieden, Freiheit und
Menschlichkeit aufgerufen" wird.
Etwa so, wie der Dalai Lama im Interview mit dem "Manager Magazin"
mitteilt:
"Sowohl Deutsche als
auch Japaner habe ich gefragt, ob sie schlechte Gefühle gegenüber dem einstigen
Kriegsgegner Amerika hätten, weil zwei Atombomben über den japanischen Städten
Hiroshima und Nagasaki abgeworfen worden sind. Die Menschen, die ich fragte, verneinten
dies. Sie haben vergeben."
Die Deutschen haben also den Amerikanern vergeben, daß diese Atombomben über
Japan abgeworfen haben. Für dieserart Schwachsinn, pardon: Frieden aufzurufen,
würd ich auch gern mal auf einem individuellen Konzert live performen.

* * *

"Universal Music" baut übrigens ein neues Geschäftsfeld auf - laut
"Musikwoche" will der Major jetzt eine eigene Modemarke am deutschen
Markt platzieren. Name der Firma: "Rock & Rebellion." Kein
Scherz.

* * *

Pop-Journalismus III.
Das ist der Gang der Dinge: da schreibt ein Autor wie Tobias Rapp über die
Jahre hinweg einigermaßen o.k.e Popkritiken in der "taz", dann
erscheint bei Suhrkamp (Rider heißt jetzt Twix. Und Kiwi heißt jetzt Suhrkamp)
ein einigermaßen brauchbares Buch mit einem hübschen Titel, und schon kauft der
"Spiegel" Tobias Rapp als Pop-Redakteur ein - so, wie der FC Bayern
ne Zeitlang gerne jeden Spieler, der bei Karlsruhe zwei drei Tore schoß, auf
seine Ersatzbank gesetzt hat.
Den "Spiegel"-typischen altherrenhaften Schreibstil hat Tobias Rapp
jedenfalls schon drauf: "hier
singt eine Frau Anfang fünfzig, im Körper einer Frau Ende dreißig, mit der
Stimme einer Frau Anfang zwanzig", bRAPPelt der
frischgebackene Spiegel-Redakteur in einem Artikel über das CD gewordene Mittelmaß
(um es mal sehr freundlich zu formulieren) namens 2raumwohnung.

* * *

Leider zunehmend Standard ist die Unsitte, daß die öffentlich-rechtlichen
Rundfunkanstalten hierzulande Künstler, deren Konzerte sie mitschneiden, nicht
nur nicht angemessen dafür bezahlen, sondern mehr oder minder gar nicht. Es sei
doch "Werbung", neudeutsch "Promo", wenn Musik der Künstler
im Radio in Bremen, Köln oder München zu hören sei. Nicht selten verlangen die
Mitarbeiter der Sender sogar, daß die Künstler, deren Konzerte sie aufzeichnen
und ausstrahlen, für weniger Geld auftreten, als wenn sie ein normales kleines
Clubkonzert in der Stadt geben würden.
Hier ist etwas Standard geworden, was im Grunde ein Skandal ist - denn wozu
bezahlen wir unsere Rundfunkgebühren, wenn nicht dafür, daß die Musik, die die
öffentlich-rechtlichen Radios ausstrahlen, auch bezahlt wird? Und solange ARD
und ZDF zum Beispiel für eine Sendeminute von "Wetten daß" um die
20.000 Euro ausgeben oder für Zigmillionen Euro die Bundesliga-Senderechte ersteigern,
solange sollte es auch möglich sein, Musiker für ihre Arbeit korrekt zu
entlohnen.
Mitverantwortlich für diesen Missstand sind allerdings nicht zuletzt die
Plattenfirmen, die über die Jahre froh darüber waren, wenn ihre Bands überhaupt
im Radio "liefen", und die ja sogar bei großen Fernsehshows dafür
bezahlen, daß die Künstler dort auftreten, statt sich und ihre Künstler dafür
entlohnen zu lassen.
Eine auf allen Ebenen erbärmliche Situation.

* * *

Laut Statistik der Weltbank ist die Bürokratie für Firmengründer hierzulande
undurchschaubarer als in Ruanda oder Kasachstan.

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Und Deutschland ist im internationalen Vergleich ein außergewöhnliches
Niedrigsteuerland für Wohlhabende. Vermögenssteuern machen nur 0,9 Prozent vom
BIP aus. Würde sich Deutschland dem Niveau Frankreichs angleichen (3,5
Prozent), brächte dies zusätzlich 64 Milliarden Euro; dem Großbritanniens (4,6
Prozent) sogar 92 Milliarden Euro.

* * *

Pop-Journalismus IV.
War in einem Rundbrief vor kurzem noch die Frage, was der Preis der
"Spex" ist, so kann diese nun beantwortet werden: eine Palette
italienischer Nudeln.
"Spex"-Chefredakteur Max Dax, dem der Ruf eines Westentaschen-Ulf
Poschardts (in dem Fall muß man wohl sagen:) hinterherläuft, präsentierte
dieser Tage eine Kooperation mit einem italienischen Nudelhersteller. Letzterer
liefert der "Spex"-Redaktion eine Tonne Nudeln, und die
"Spex" erwähnt den Nudelhersteller dafür ein Jahr lang im Impressum.
Laut Dax hat die "Spex" hiermit einen Partner gefunden, "der zu uns paßt".
In der verquasten Logik des "Spex"-Chefs betont der Deal "Nudeln
gegen Productplacement im Impressum" den "Stellenwert von Unabhängigkeit im
Journalismus", um den es seiner Zeitschrift gehe.
Im Interview mit der "taz" wirft Max Dax auch sonst gerne mit Unsinn
um sich oder beweist einen Politiker-artig laxen Umgang mit Zahlen - laut Dax
könne "Spex" einen
"historischen Auflagerekord - 20 Prozent mehr als vor dem Umzug nach
Berlin" verzeichnen. Die offiziellen IVW-Zahlen dagegen
sprechen eine andere Sprache. Danach hat die "Spex" allein im zweiten
Quartal 2009 im Vergleich zum Vorquartal 16,1% Auflage verloren, bei insgesamt
durchschnittlich 17.452 verkauften Exemplaren pro Ausgabe.
Die Nudelaktion, mit der Max Dax in die Fußstapfen von Steffi Graf tritt (die
sich allerdings ihren Einsatz seinerzeit deutlich höher bezahlen ließ…),
bezeichnet Dax als "dadaistisch".

Dada? Wohl eher komplett gaga. Max Dax, der "Sir Gaga" des deutschen
Pop-Feuilletons.

Wenn man wegen sowas nicht gleich einen Eintrag ins Impressum riskieren würde -
ich würd den "Spex"lern doch glatt ein bißchen Knoblauch und Chili
schicken - etwas Schärfe würde nicht nur ihren Kantinennudeln, sondern auch
ihrem Blatt gut tun.

In diesem Sinne - heiße Tage, scharfe Saucen!