02.04.2010

Und Ansonsten 2010-04-02

Der
"Spiegel" hat ein Kind - "Dein Spiegel" heißt das Magazin,
das sich an Kinder und Teenies ranwanzt. Auf dem Titel: "Die
Kloster-Kids", womit nicht etwa die von der katholischen Kirche
mißbrauchten deutschen Kinder gemeint sind, sondern "Buddhas junge
Mönche". Nun gut, auch in Laos ist für die jungen Kloster-Kids nicht alles
Zuckerschlecken: "Morgens
um vier geweckt werden, ums Frühstück betteln - das klingt nicht nach einem
schönen Leben. Doch für Phou bedeutet das eine große Chance: Er ist Mönch, darf
im Kloster zur Schule gehen und auf eine bessere Zukunft hoffen",
weiß das "Spiegel"-Junior-Magazin und wirbt ansonsten für den
"Gottkönig von Tibet", den Dalai Lama, den klügere Menschen wie zum
Beispiel Friedrich Küppersbusch als "Repräsentant
einer diktatorischen Mönchs-Junta" bezeichnen.
Aber worauf wollen die "Spiegel"-Macher (Chefredakteure des Magazins
für Kids sind Mascolo und Müller von Blumencron, die auch als Chefs des
eigentlichen "Spiegel" fungieren) hinaus? Wollen sie den Skandal-geschüttelten
Eliten, die ihre Kinder bevorzugt auf Klosterschulen geben, schildern, wie es
in Buddhas Schulen zugeht? Oder die verunsicherten Kinder darauf stoßen, daß
sie es im Grunde noch ganz gut getroffen haben, wenn sie, wie in der
Klosterschule Ettal, nur geprügelt werden, und nicht ums Frühstück betteln
müssen?
Untertitel dieses merkwürdigen Magazins: "Einfach
mehr wissen". Aha.

* * *

Unsereiner ist nicht sonderlich überrascht über den flächendeckenden Skandal
des sexuellen Mißbrauchs Schutzbefohlener durch Amtsträger der katholischen
Kirche - letztlich nur ein weiteres Mosaiksteinchen einer zwei Jahrtausende
währenden "Kriminalitätsgeschichte" (Karlheinz Deschner, leider immer
wieder aktuell). Was einen schon mehr wundert, ist die Tatsache, daß man
eigentlich nur in den USA, in der "New York Times", eine ausführliche
Berichterstattung über die Skandale des deutschen Katholizismus liest, der die
entscheidende Frage stellt, nämlich: Wie kann das eigentlich sein, daß nur in
Deutschland die Kirche eine gesetzesferne, unangetastete Rolle spielt? Wie kann
es sein, daß nur in Deutschland der Staat die Finanzierung der Kirchen
organisiert und absichert? Wie kann es sein, daß in Deutschland der Staat eine
gesetzesferne Arbeit der Kirchen ausdrücklich erlaubt und fördert - und eben
finanziert? Laut Gesetz sind die Kirchen "Tendenzbetriebe", für die
zum Beispiel das Arbeitsrecht nicht gilt. Und die Mißbrauchsskandale läßt man
die Kirche selbst aufklären, die Begrifflichkeit "Bock und Gärtner"
wäre eine zu freundliche Umschreibung dieser Tatsache - hierzulande läßt man
die Mafia die Mafia überprüfen. Ein schlechter Scherz. In keinem anderen
Industriestaat gibt es eine derart enge Verzahnung von Staat und Kirche - und
es hat ja Gründe, warum keine Kanzlerin, keine Parteien, keine Medien
hierzulande fordern, was überfällig ist: daß die Kirchen auf das ihnen
zustehende Maß zurechtgestutzt werden, ohne Sonderrechte, ohne staatlich
organisierte und abgesicherte Finanzierung, eben so, wie es selbst in den
christlichsten Staaten dieser Erde Brauch ist.
Solange keine Initiativen in diese Richtung gestartet werden, möchte ich von
Medien und Politik nichts mehr hören zu diesem Thema, denn ohne diese
Konsequenzen ist jede weitere Berichterstattung über die Kirche und ihre
Skandale unglaubwürdig.
Der unübertroffene Peter Hacks hat es in einem knappen Zweizeiler unter dem
Titel "Recht auf Gleichbehandlung" auf den Punkt gebracht:
"Die Glocke stört, es stört der Muezzin,
Man bringe sie zum Schweigen, die wie ihn."

* * *

Besser als die Stellungnahme von Papst Benedikt, der angesichts des
Mißbrauchsskandals vor dem "Zeitgeist" gewarnt hat, gefällt mir
übrigens, was der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller - "dann macht
es bumm!" - hat verlautbaren lassen, u.a. nämlich dies:
"Indem man endlos
antikatholische Klischees bedient und alte Ressentiments weckt, soll der
Widerspruch zwischen virtueller Medienrealität und der Wirklichkeit, die immer
eine Mischung ist von Licht und Schatten, verschleiert werden (legenda negra).
Es besteht die Gefahr, dass sich bei "mediengläubigen" Zeitgenossen
der Eindruck festsetzt, es könne doch nicht alles falsch sein, was "in der
Zeitung steht". Missbrauchte Pressefreiheit lässt sich nicht mehr
unterscheiden von einer Diffamierungs-Lizenz, mit der man scheinbar legal all
diejenigen Personen und Glaubensgemeinschaften ihrer Ehre und Würde beraubt,
die sich dem totalitären Herrschaftsanspruch des Neo-Atheismus und der Diktatur
des Relativismus nicht fügen."
Wer regelmäßig auf die Website www.kath.net
geht, kann sich das Abo für eine Satirezeitschrift sparen.

* * *

Auch irgendwie Papst und sehr unfehlbar ist der deutsche Außenminister Guido
Westerwelle. Die FDP nennt jedwede Kritik an Westerwelle "demokratiegefährdend".

Ich bitte um Verzeihung, nein: Vergebung, den FDP-Chef in meinem letzten
Rundbrief kritisiert zu haben. Ich gelobe Besserung. Hoffe, die Demokratie hat
den März-Rundbrief noch mal ausgehalten und überlebt...

* * *

Uns erreicht eine Werbemail einer Plattenfirma. Der Titel: "wavemusic - vom sauber getimten
Kuß". Ja, "sauber getimt". Bitte laut aussprechen,
hört sich hübsch an. Etwas sonderbar, aber wer "die allseits bekannte
Anthropologin Margaret Mead" heranzieht, um seine komische CD namens
"wavemusic Volume 14" zu bewerben, mit "28 wunderbaren Songs, die zum romantischen und
musikalischen Eskalieren einladen", dem ist wahrscheinlich
sowieso nicht mit den Geheimnissen deutscher und englischer Sprache zu helfen.
Aber was ist nun "musikalische Eskalation"? Und muß man sich Sorgen
machen, wenn die musikalische Eskalation mal nicht "sauber getimt"
wird? Fragen über Fragen wirft diese Werbemail auf.

* * *

Auch gut ist dieser Abschnitt aus der Werbemail eines Mitbewerbers:
"Der Bozz vereint die
Klänge des Betons mit seinen Fähigkeiten als Poet der Strasse. Nachdem Azad
durch seine letzten beiden Veröffentlichungen bewiesen hat, dass ehrlicher,
rauer Rap hierzulande gefragt ist, gewährt er auf diesem Strassenalbum
zusätzlich tiefe Gefühlseinblicke."
Wenn Betonklänge auf Straßenalben zusätzlich tiefe Gefühlseinblicke zeigen...

* * *
Während es "Pur" nicht lassen können:
"PUR planen die
Veröffentlichung einer umfangreichen, limitierten und durchnummerierten
Live-Box in einer hochwertigen Verpackung. Dabei sollen Wünsche der Fans
berücksichtigt werden. Nimm Dir ein paar Minuten Zeit und sag uns, was Du
denkst.
Du hast die Chance
mitzubestimmen, welche Inhalte in die Box kommen, und wie die Verpackung
aussehen wird." (Hervorhebungen im Original)
Ich habe mir "ein paar Minuten Zeit" genommen, um zu sagen, was ich
denke: Ich denke, daß "Pur" ganz großer Mist sind, daß sie weh tun,
und daß sie, solange hierzulande keine Gefangenenlager á la Guantánamo
existieren und entsprechende Foltermusik benötigt wird, besser nicht gespielt
werden sollten. Daher sollte die limitierte und durchnummerierte (seit wann
können "Pur"-Fans zählen?) "Live-Box" leer sein, und was
aufs Cover soll, nämliche eine kleine Abbildung von diesem Zeugs, was in Berlin
so auf den Straßen zu liegen pflegt, dürfte auch klar sein.
Dachte ich mir. Und wollte es "emimusicnews" at "emihosting.com
im Auftrag von PUR" auch, wo sie so nett drum gebeten hatten, kurz
mitteilen - dann aber mußte ich feststellen, daß es "unter anderem 2
Tickets für ein PUR Open Air Konzert" zu gewinnen gab - und dann habe ich
es vorgezogen, meine Gedanken lieber doch nicht abzuschicken, sicher ist
sicher...

* * *

Ein anderer Clown, der gerade wieder mal im Zirkus aufgetreten ist, nennt sich
Dieter Gorny. Der fühlt sich angesichts jüngster Umsatzrückgänge der
Musikbranche "von der
Politik im Stich gelassen" und erwartet "Millionenverluste an
Steuern".
Dieter Gorny, der Mann, der in seinem ganzen beruflichen Leben noch kein
eigenes Geld in die Hand genommen hat, kommt einem vor wie der Bäcker ums Eck,
dessen Geschäftsmodell nicht mehr funktioniert, der seine Kunden verliert. Wo
aber der Bäcker entweder versuchen würde, bessere Brötchen zu backen, oder eben
seine Bäckerei aufgeben würde, um etwas anderes zu versuchen, da ist Dieter
Gorny einer, dessen Brötchen altbacken daherkommen und nicht schmecken, der
aber, anstatt sein Geschäftsmodell zu hinterfragen, wie das jeder anständige
Mensch tun würde, lauthals nach dem Staat ruft - Gorny ist wie ein schlechter
Bäcker, dem die Kunden weglaufen, der aber von der Regierung nicht einmal
Finanzhilfen, sondern gleich ein Gesetz fordert, wonach jeder, der in seiner
Straße wohnt, ach was, jeder, der durch seine Straße geht, auch seine lumben
Brötchen zu kaufen habe.
Ein armer und trauriger Clown, dessen seit Jahr und Tag rotgesichtig und
jämmerlich wiederholten Scherze schon beim ersten Mal niemanden zum Lachen
brachten, und der ernsthaft niemanden mehr schert (der aber natürlich als
bezahlter Lobbyist weiter durchs Berliner Milieu kraucht als Faktotum aus einer
vergangenen Zeit).

* * *

Die Lichtgestalt in der kleinen, tristen Welt des Dieter Gorny ist ganz sicher
Bushido, der durch rigoroseste Verfolgung downloadender Fans genau das tut, was
sich unser kleiner Dieter und sein "Bundesverband der Musikindustrie"
wünschen und vorstellen. Dumm nur, daß Bushido nun selbst beim dumpfesten
Diebstahl erwischt wurde - und zwar nicht beim kreativen Umgang mit Samples,
wie es seit Mahler unter Künstlern gang und gäbe ist, sondern beim simplen
Klauen kompletter Motive, die er einfach von einer französischen
Gothic-Rock-Band namens "Dark Sanctuary" gestohlen und mit eigenen
dumpfen Texten unterlegt hat. Laut "Spiegel Online" muß Bushido nun
Schadensersatz in noch unbekannter Höhe an die französische Band und deren
Plattenfirma bezahlen, und die elf (!) betroffenen Alben, Singles und Sampler
dürfen nicht mehr verkauft werden, bereits ausgelieferte Tonträger muß die
Plattenfirma zurückrufen und vernichten.
Wenn Bushido-Alben geschreddert werden, kann man Schadenfreude wohl kaum
verhehlen. Jemand, der Texte wie "Berlin
wird wieder hart, denn wir verkloppen jede Schwuchtel / Du Nutte kannst nach
Hause gehen, ab jetzt ist Hardcore du Opfer" veröffentlicht,
dem gebührt nicht nur jedwede Form von Verachtung, sondern aus 1000 anderen
Gründen als dem Urheberrecht das Schreddern seiner Alben - man kann bekanntlich
auch aus falschen Gründen das Richtige tun. Bushido ist übrigens der Künstler,
den Kanzlerin Merkel und ihre damals schwarz-rote Bundesregierung 2007 vor dem
Brandenburger Tor auftreten ließ...

* * *

Junker Günther Jauch macht sich nicht nur für konservative Architektur in
Berlin und für flächendeckenden Religionsunterricht öffentlich stark, sondern
finanzierte nun auch mit SAP-Gründer Hasso Plattner den Neubau des
Brandenburger Landtags in Potsdam - ach was, es ist natürlich nicht wirklich
ein "Neubau"; da kennt man den erzkonservativen
Lieblingsschwiegersohn und Junker Jauch schlecht - die historische Schloßfassade
mußte es natürlich sein, deren Rekonstruktion nun das Gesicht des Parlamentsbau
abgeben soll. Hübsche Demokratie, der nichts Besseres einfällt, als ihr
Parlament in den historischen preußischen Schloßnachbauten stattfinden zu
lassen!

* * *

In der Berliner "Neuen Nationalgalerie" findet folgendes, in der
hiesigen Presse in großformatigen Anzeigen angekündigtes, nun ja,
"Event" statt:
"Red Bull Flying Bach -
Die Flying Steps tanzen zu J.S. Bachs Wohltemperiertem Klavier."

Wobei Red Bull größer als der Titel in den Anzeigen steht. Und das Bild des
Meisters in einer hippen Sportjacke, unten die Logos, u.a. "Staatliche
Museen zu Berlin", "Bösendorfer", "Klassik Radio" und,
eben, "be.Berlin".
Deutschland ist eine Kulturnation. In echt jetzt, ey. "Be.Bach".

* * *

Warenwelten:
"Der Mauerbär.
Das KaDeWe präsentiert
exklusiv zum Jubiläum "20 Jahre Mauerfall" den limitierten
Steiff-Bären. Der Mauerbär ist ca. 46 cm groß, auf 500 Stück weltweit limitiert
und kostet 299,00 Euro. Nutzen Sie die Gelegenheit und lassen Sie sich Ihren
großen Mauerbären am Do 1.4.2010 ab 12 Uhr im Steiff-Shop in der 5.Etage mit
einem Motiv Ihrer Wahl auf eine der Tatzen airbrushen."
Kein Aprilscherz, leider. Ich wüsste allerdings schon ein geeignetes Motiv, das
ich dem Mauerbären gerne auf seine Tatze airbrushen ließe: den Mann im 1990er
Weltmeister-Trikot nämlich, der sich, vor den in Rostock brennenden
Asylbewerberunterkünften stehend und die Hand zum Hitlergruß erhoben, in seine
Trainingshose gepisst hat. Eine deutsche Ikone eben.

Einen netten ersten April und frohes Ostereiersuchen, mit oder ohne limitiertem
Mauerbären, wünscht Ihnen Ihr Berthold Seliger