09.05.2011

Und Ansonsten 2011-05-09

Zu
Jahresbeginn haben wir an dieser Stelle aus Karl Bruckmaiers anrührendem
Nachruf auf  Capain Beefheart zitiert: „Animalisches stieg da auf,
zugleich aber etwas renitent der Moderne Verpflichtetes, Antireaktionäres,
Unversöhnliches...“
Eine sehr schöne Captain Beefheart-Anekdote hat dieser Tage Wiglaf Droste
erzählt:
„Bono, dem das Gefühl für Peinlichkeit nicht bekannt ist, schrieb an Captain
Beefheart, der auf einem anderen musikalischen Planeten lebte als Bono und
seine Spießgesellen, er könne doch gern einmal mit U2 auftreten. Captain
Beefheart schrieb zurück: „Sehr geehrter Herr Bongo, ich weiß nicht, wer Sie
sind, aber bitte schreiben Sie mir nicht mehr.“ Allein dafür muss man den im
Dezember 2010 verstorbenen Captain Beefheart in Ehren halten.“

* * *

Kann mir eigentlich irgendjemand mal erklären, wozu es die Pünktchenpartei, die
FDP, noch weiter geben soll? Der sogenannte „politische Liberalismus“ findet
längst in allen bürgerlichen Parteien statt. Von den Herren Westerwelle, Rösler
und wie sie alle heißen ist in all den Jahren und Jahrzehnten keine politische
Idee und kein signifikantes politisches Handeln bekannt. Und nun will das neue
Führungsteam die Partei sozialer und irgendwie grüner machen, weil das gerade
en vogue ist – dazu hat Gabor Steingart im „Handelsblatt“ süffisant angemerkt: „Ob
der FDP die Wähler wegliefen, weil sie nicht links genug war?“ Nein, das
Wörtchen „überflüssig“ ist das einzige, was einem zur FDP einfällt. Von daher
wäre ich den hiesigen Medien sehr dankbar, wenn sie ihre Berichterstattung über
diese in Kürze verschwindende Partei auf das begrenzen würden, was sinnvoll
ist: kurze Meldung auf den hinteren Seiten, statt jede Wasserstandsmeldung der
untergehenden Partei groß auf den Titelseiten aufzublasen.

* * *

Auf der Medienseite der „Süddeutschen Zeitung“ staunt man über eine Studie
zweier Journalisten, die u.a. behaupten, daß die Blödzeitung „gar keine
richtige Zeitung sei, sondern sich nur so inszeniere, um Geschäfte machen zu
können (...) Das Blatt sei mit seinen „Volksprodukten“ und seiner „Marketing-
und Verkaufsmaschine“ zu „einem der großen Einzelhändler Deutschlands
geworden“.
Schön, wie der „Perlentaucher“ süffisant anmerkt: „Als wäre nicht gerade die
SZ ein Pionier der Tschiboisierung gewesen!“
Und passend dazu liegt das „Osterangebot“ des Münchner Tschiboverkaufsblattes
mit angeschlossener „Qualitätsjournalismus“-Abteilung in meinem Briefkasten –
und nun raten Sie mal, was mir die Süddeutsche anbietet, wenn ich für vier
Wochen die Zeitung abonniere? Eine „Tschibo-Geschenkkarte im Wert von 10 Euro“.
Kein Scherz.

* * *

Daß nun ausgerechnet die süddeutsche Zeitungs-Tschibo-Filliale Hand in Hand mit
„Spex“, die ja bekanntlich für Geld auch alles machen inklusive der Vermischung
journalistischer und werblicher Inhalte, daß nun ausgerechnet SZ und Spex also
unzufrieden sind mit dem Zustand des „politischen Pop“ in Deutschland, der
„merkwürdigerweise fast nichts mit der Gegenwart zu tun“ habe, und daß die Spex
sogar so weit geht, sich nicht zu entblöden, einen Wettbewerb für „neue
Protestsongs“ auszuschreiben, ist schon eine drollige Verarsche. Und daß sowohl
Süddeutsche als auch Spex ihre Artikel ausgerechnet an Bob Dylan aufhängen („Bob
Dylan wird 70, der Protestsong ist abgemeldet“ titeln die einen, „nach
den Auftritten Bob Dylans in Peking und Shanghai war es wieder da, das Gespenst
des politischen Pop“, raunen die anderen), ist signifikant – ganz so, als
ob Bob Dylan, der längst für Papst, Damenunterwäsche und Pepsi singt, noch
irgendeine Protest-Relevanz haben würde (und das ist jetzt unabhängig von
seinem Rang als Songwriter, versteht sich).
Natürlich fragt man sich, warum der Zorn, der angesichts der Weltenläufe mehr
als berechtigt wäre, hierzulande so gar nicht in der Popmusik zu hören ist –
während Bands wie die Gang of Four oder die Mekons ebenso die Katastrophen der
modernen Welt thematisieren, wie es sogar Alison Krauss tut. Während
hierzulande ein Sven Regener im „Musikexpress“ in bräsiger Selbstzufriedenheit
und selbstgefälliger Saturiertheit sagt: „Es gibt keinen Zusammenhang
zwischen Politik und Kunst (...) Wir wollen Menschen mit Kunst glücklicher
machen. Wir sind nicht der verlängerte Arm der Volkshochschulen. Politik ist
nicht die Basis, das ist falsch verstandener Marxismus.“
Andrerseits: will man die Bots zurück? Texte von Dieter „das weiche Wasser“
Dehm? Heinz-Rudolf Kunze? Der übrigens 1988 nicht nur das von Dieter Dehm
geschriebene Parteilied der SPD auf deren Parteitag sang, sondern auch im
gleichen Jahr auf Einladung des Zentralrats der FDJ bei der sogenannten
„Friedenswoche der Berliner Jugend“ vor 120.000 Zuschauern auftrat, um das
damalige DDR-System zu stabilisieren, live im DDR-Fernsehen übertragen und von
Kathi Witt moderiert, während die DDR-Künstler, die eine andere DDR wollten,
das FDJ-Spektakel boykottierten. Mit solcherart Spagat qualifiziert man sich
hierzulande dafür, als einziger Pop-Künstler in der Enquete-Kommission „Kultur
in Deutschland“ des Deutschen Bundestags zu sitzen...
Natürlich gibt es Kai und Franz-Josef Degenhardt, Hannes Wader oder Ja, Panik,
klar.
Wer wie SZ und Spex allerdings allen Ernstes ein Revival des deutschen
politischen Pop, des Protestsongs fordert, hat kulturell und politisch
irgendetwas nicht so ganz mitbekommen. Mal abgesehen davon, daß der Pop
hierzulande doch längst politisch ist, als von der Initiative Poli...
Verzeihung, von der Initiative Musik geförderter Staatspop...
Etwa fünf Jahrzehnte nach der Hochzeit des US-Protestsongs nach einem Revival
des Protestliedes zu rufen, zeigt, daß man knappe fünf Jahrzehnte Entwicklung
von Popmusik und Zeitläufen nicht mitbekommen hat und ist ungefähr so
originell, wie wenn die Konservativen danach rufen, in Berlin das Stadtschloß
wieder aufzubauen. Laßt den Protestsong in Frieden ruhen. Und wer hierzulande
politische Musik hören möchte, der greife zu den Goldenen Zitronen, zu Ja,
Panik, oder zu Corazons „Scheißautoreferentialität“ (ich weiß, ich wiederhole
mich) oder summe den „Heimlichen Aufstand“ (den von Eisler, wohlgemerkt!). Und
lasse uns mit seinen abstrusen Feuilleton-Aufrufen bitteschön in Ruhe.

* * *

Die Literatur-Szene ist in Aufruhr. Es geht um das Engagement des Atomkonzerns
Vattenfall für die Hamburger „Vattenfall Lesetage“. Engagierte Autoren wie
Harry Rowohlt oder Brigitte Kronauer haben in einem Aufruf gegen die Lesetage
geschrieben: „Wir wollen nicht mehr dabei helfen, wenn
Energiekonzern-Lobbyisten sich mit einem Literaturfestival schmücken. Wir
weigern uns, durch unsere Arbeit das Image eines dreckigen Stromanbieters
aufzupolieren.“
Autoren wie Moritz Rinke oder Feridun Zaimoglu wollen allerdings weiter für
Vattenfall (bzw. für von Vattenfall gezahltes Bares...) lesen.
Das Sponsoring von Atomkonzernen ist nicht selten: RWE sponsort zum Beispiel
das Hamburger „Harbourfront Literaturfestival“, die Rhein-Energie AG
unterstützt die Lit.Cologne, und E.on ist Hauptsponsor des
„Schleswig-Holstein-Musikfestivals“ (und Vattenfall war übrigens auch in den
Jahren vor der Atomkatastrophe in Japan schon ein Atomkonzern...).
Natürlich kann man so tun, als ob alles egal sei. Wer etwas bezahlt, für wen
man spielt, singt und auftritt. Man kann für Gaddafi spielen oder für den
Papst. Man kann für Jägermeister auftreten oder für Pepsi, oder wie die braune
Brühe gerade heißen mag. Oder man kann wie weiland Neil Young festhalten:
„Ain’t singing for Pepsi, ain’t singing for Coke.“ Hatten wir schon.
Die Haltung der Künstler dieser Agentur ist im Prinzip sehr eindeutig: Keine
unserer Bands spielt direkt für Sponsoren, keiner unserer Künstler läßt sich
von sogenannten Markenartiklern finanzieren. Und wir sind stolz darauf,
derartig konsequente Künstler vertreten zu dürfen.
Ansonsten gibt es Varianten, wenn es darum geht, von welchen Firmen Events oder
Festivals finanziert werden, die unsere Bands einladen. Calexico zum Beispiel
treten generell nicht bei Festivals auf, die von Atomkonzernen oder
Zigarettenfirmen finanziert werden; sie haben es sogar geschafft, daß während
ihrer Auftritte bei Hurricane und Southside die Coca-Cola-Werbung von ihrer
Bühne verbannt wurde – man sieht also, Künstler sind angesichts des Sponsoringtsunamis
nicht ganz so hilflos, wie immer getan wird.
David Thomas, wir haben es bereits berichtet, schließt jedes Sponsoring seiner
Konzerte aus, für Bratsch ist es eine Selbstverständlichkeit, sich nicht von
Firmen finanzieren zu lassen. Und ein Künstler wie Bonnie „Prince“ Billy läßt
nicht einmal die beliebte Tournee- und Konzertpräsentation von sogenannten
Medienpartnern zu und erklärte dies ganz simpel: „Ich möchte nicht, daß auch
nur einer meiner Fans denkt, ich hätte etwas mit dem Musikmagazin zu tun,
dessen Logo auf meinem Poster steht. Ich will das nicht.“

* * *

Der Mann, der über Wasser gehen kann, hatte bei seinem Rücktritt noch
verlautbaren lassen, die Aufklärung seiner Plagiatsaffäre sei ihm ein
„aufrichtiges Anliegen“. Der seinerzeit quasi größtmögliche Aufklärer versuchte
dann, durch seine Anwälte die Veröffentlichung des Kommissionsbericht der
Universität Bayreuth über die Plagiatsvorwürfe unterbinden zu lassen. Der
Bericht kommt laut Medienberichten zu dem Schluß, daß Guttenberg bei seiner
Dissertation bewußt getäuscht haben müsse – ein simpler Betrüger also... Erst
durch die öffentliche Entrüstung pfiff der Mann, der über Wasser gehen kann,
dann seine Anwälte wieder zurück. Um nun mitzuteilen, seine Doktorarbeit sei
ein „Mißverständnis“, sozusagen.
Neulich ein Berliner Taxifahrer allerdings: „...der einzige gute Politiker, den
wir in den letzten Jahren hatten, mußte zurücktreten“... So ist das alles, die
da unten identifizieren sich immer noch mit dem, der in seinem Schloß weiter
oben ist als die meisten anderen...

* * *

Ich stoppe übrigens, wenn ein deutscher Songwriter oder eine deutsche
Popsängerin „tief in mir drin“ singt, ähnlich schnell den CD-Player, wie ich
das Fernsehen beim Wort zum Sonntag ausschalte. Geht gar nicht.
„Schmetterlinge im Bauch“ oder „die Seele baumeln lassen“ sagt man ja auch nur
noch in viertklassigen Fernsehfilmen (also zu bester Sendezeit bei ARD und
ZDF...).

* * *

Enthaltung im Sicherheitsrat bei der Entscheidung, Libyen zu bombardieren? Wäre
mit einem „grünen“ Außenminister nicht passiert. Da wurde von Serbien bis
Afghanistan bombardiert, was das Zeug hielt.
Während sie jetzt ein Land suchen, das Gaddafi aufnehmen könnte, ohne ihn an
den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag auszuliefern – ob diejenigen,
die sich das ausdenken, Angst haben, wegen Beihilfe ebenfalls in Den Haag
angeklagt zu werden? Schließlich haben Regierungen wie die Großbritanniens,
Frankreichs oder Deutschlands, also die Länder, die am meisten Öl aus Libyen
bezogen haben, über Jahre den mittlerweile Diktator nicht nur hofiert, sondern
ihm auch systematisch die Waffen geliefert, die Gaddafi jetzt gegen seine
Bevölkerung einsetzt.

* * *

Wer wissen möchte, was für eine Sorte von Demokratie hierzulande als
Exportmodell herrscht, der betrachte sich das Verfahren, wie ohne öffentliche
Diskussion und ohne jede parlamentarische Abstimmung das „Einheitsdenkmal“ von
Sasha Waltz und Johannes Milla durchgesetzt wurde – ein banales Designobjekt
für 10 Millionen Euro. Die vergoldete Baby-Wippe zeigt dabei recht anschaulich,
wie sich die Oberen unter Anführung von Kulturstaatsminister Neumann (CDU) die
Beteiligung der Bürger, ja, letztlich die „deutsche Einheit“ in Wahrheit
vorstellen: ein paar Bürger können die Einheitsschale betreten, und wenn sie
sich einig sind, können sie ein bißchen hin und her wippen (selbstredend nur in
einer vorgegebenen Richtung: immer um die eigene Achse...), und wenn sie die
Babywippe wieder verlassen, ist alles wie zuvor. Änderung, Beweglichkeit sind
nicht vorgesehen.

* * *

Susanne Messmer hat nicht nur ein Problem mit der deutschen Sprache, sondern
scheiterte in der „taz“ vergangener Jahre auch schon an eher einfachen Aufgaben
wie der Rezension eines Calexico-Konzertes (wir berichteten). So etwas
qualifiziert natürlich für höhere Aufgaben, in diesem Falle: für die
China-Berichterstattung, und für den taz-eigenen Beitrag an der Installierung
Ai Weiweis zu einer Art neuen Dalai Lamas.
Aufgabe Susanne Messmers war es, über die Vorstellung eines Essaybandes
„Konfliktkulturen“ zu berichten, den das Goethe-Institut dieser Tage
herausgegeben hat. Aber Messmer gefällt das, was sie hört, nicht: Der Autor
Abdel-Samad und die Regisseurin Waldmann schlagen vor, sich von der
Besserwisserei und Hochnäsigkeit früherer Tage zu verabschieden und andere
Kulturen zu achten. Das ist mit Frau Messmer nicht zu machen: „Die Kunst“,
schreibt sie, „fragt derzeit täglich, ob die Ausstellung „Die Kunst der
Aufklärung“ wegen der Verhaftung von Chinas bekanntestem Künstler Ai Weiwei
vorzeitig geschlossen werden soll.“
Schöner Satz. „Die Kunst fragt täglich“... Hat jemand die Kunst gesehen? Bei
wem sie an die Haustür klopft und fragt, der rufe bitte mal durch, ich würde
gerne mal mit ihr sprechen, mit „der Kunst“.
Doch nicht nur „die Kunst“, nein, auch „die Politik fragt dringend, wie
angemessen mit einer Großmacht umzugehen ist, die immer erfolgreicher und
aggressiver wird“. Fragen Politik und Kunst, diese beiden, die Frau Messmer
so genau kennt.
Natürlich kann man sich denken, was Susanne Messmer sagen möchte, auch wenn ihr
die Mittel dazu fehlen. Sie möchte „China mit harten Restriktionen unter
Druck setzen“ und stößt damit ins bereitstehende Horn – sie würde sagen,
„die Presse fragt...“
Aber so, wie niemand ernsthaft erwarten wird, daß bei all den „Brennpunkten“ in
der ARD, bei all den entrüsteten Berichten in der deutschen Presse zu Libyen,
zu Ägypten, zu Tunesien auch nur einmal ein kritischer Bericht zur Diktatur in
Saudi-Arabien oder zur systematischen Sklavenhaltung des Systems Dubai zu lesen
sein wird, so kann man, mit wenigen Ausnahmen, nichts über die Probleme lesen
und hören, die China wirklich hat. Die dreistelligen Millionenzahlen von
Arbeitsmigranten innerhalb des Landes. Die Frage der Arbeiterrechte – gerechte
Bezahlung, soziale Versorgung, all dies. Und mit welchen Mitteln westliche
Konzerne, von Apple bis Adidas, dazu beitragen, daß chinesische Arbeiter
ausgebeutet werden.
Aber ein Land wie "unseres", das für die Rechte Ausgebeuteter wenig
übrig hat, hat auch wenig Interesse, über reale Probleme zu berichten. Es geht
um Vereinfachung, um Individualisierung eines Problems, um das Kreieren einer
bürgerlichen Symbolfigur, mit der man Politik machen kann. Und zu diesem Behuf
hält man sich den einen oder anderen Journalisten – ob der oder die nun die
deutsche Sprache beherrscht oder gar politische Zusammenhänge begreifen kann,
darauf kommt es nicht an. Gefragt ist Ideologie, gefragt ist Selbstbestätigung
und Vereinfachung.

* * *

Daß sich der Bundesverband Musikindustrie, die GEMA, die „Spitzenorganisation
der Filmwirtschaft" (was es so alles gibt...die Hauptsache
"Spitze"!), der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, der VPRT und
die „Allianz Deutscher Produzenten Film & Fernsehen“ zu einem neuen
Lobbyistenverband namens „Deutsche Content Allianz“ (Sprache können sie also
auch nicht) zusammentun, ist ungefähr so überraschend und berichtenswert, wie
wenn in China eine schwarzgebrannte CD im Regal umfällt. Was aber an
Dreistigkeit und Chuzpe kaum zu übertreffen ist, ist die Tatsache, daß ARD und
ZDF in diesem Lobbyverband mittun. Die WDR-Intendantin und derzeitige
ARD-Vorsitzende Monika Piel, auch sonst von eher beschränkter
Einsichtsfähigkeit, lamentiert allen Ernstes darüber, daß „die Leistung von
Inhalteanbietern und -produzenten in Vergessenheit“ gerate, und fordert, daß „bei
allen Entscheidungen und Weichenstellungen zur digitalen Entwicklung unsere
Positionen berücksichtigt werden müssen“. Es gelte, mit der
„Kostenlos-Kultur“ des Internets aufzuräumen.
Wenn man bedenkt, daß die Öffentlich-Rechtlichen jährlich 7 Milliarden Euro
Zwangsgebühren einnehmen, sind diese Forderungen von Frau Piel eine blanke
Unverschämtheit, wie überhaupt die Tatsache, daß ARD und ZDF an einem
derartigen Lobby-Verein mittun, dreist ist. Als ob die Inhalte, die ARD und ZDF
im Internet bereitstellen, nicht längst durch die Zwangsgebühren finanziert
worden wären, und als ob jährlich 7 Milliarden Euro Einnahmen allein durch
diese Zwangsgebühren keine „angemessene Rahmenbedingung“ wären...

* * *

Wie der „Perlentaucher“ meldet, geht die Schlacht um das Copyright weiter: „In
der EU drängen die Lobbyisten der Musik- und Filmindustrie darauf,
Internetprovider ohne jede richterliche Kontrolle als ihre private Copyright
Polizei benutzen zu dürfen und die 3-Strikes-Regelung EU-weit zu legalisieren“,
mithin also fundamentale Freiheitsrechte einzuschränken. Französische
Netzaktivisten von „La Quadrature du Net“ warnen vor Zensur und Persilscheinen
für autoritäre Systeme: „By encouraging the circumvention of judicial
authorities in order to set up direct blocking and filtering of the Internet
and its services, European decision-makers would be laying the ground for a
censorship infrastructure similar to that used for political purposes in
authoritarian regimes."
Die designierte  neue Urheberrechtsbeauftragte der EU, Maria Martin-Prat,
war übrigens jahrelang Lobbyistin für die Musikindustrie und hat sich in dieser
Zeit beispielsweise sogar gegen das Recht auf Privatkopie ausgesprochen.

* * *

Die SPD hatte im nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampf gefordert, daß
„Dauer, Bezahlung und Anzahl von Praktika gesetzlich geregelt werden“.
Mittlerweile sind SPD und Grüne in NRW seit geraumer Zeit in der Regierung –
die Praktikanten in nordrhein-westfälischen Ministerien arbeiten allerdings für
umme – keiner der 62 Praktikanten erhält eine noch so geringe Vergütung.
Besonders pikant ist, daß das vom ehemaligen DGB-Landesvorsitzenden Schneider
geführte Arbeitsministerium ebenfalls keine Praktikantenvergütung bezahlt,
während das unter dem CDU-Vorgänger des Arbeiterführers noch der Fall gewesen
war...
Die erweiterte Version des Artikels von Berthold Seliger aus dem Feuilleton der
„Berliner Zeitung“ zum Thema Kultur-Prekariat, „Die Selbstausbeuter“, ist in
Kürze endlich unter „Texte“ auf unserer Homepage zu finden.

* * *

Was ist der Ausstieg aus der Atomenergie gegen den Ausstieg aus der staatlichen
Finanzierung der evangelischen und katholischen Kirche? Ein Kinderspiel!
Allein als sogenannte „Staatsleistungen“ haben die beiden Kirchen seit 1949
laut einer Untersuchung der „Humanistischen Union“ 14 Milliarden Euro vom Staat
erhalten. Im vergangenen Jahr erhielten die beiden Kirchen 460 Millionen Euro
als Staatsleistungen von fast allen deutschen Bundesländern, wie die „taz“
berichtete – plus Kirchenbaulasten und der staatlichen Finanzierung der
kirchlichen Tendenzbetriebe, von Kindergärten bis Alteneinrichtungen, durch
Transferleistungen der öffentlichen Hand.
Die Staatsleistungen an die Kirchen werden letztlich als Entschädigung dafür
bezahlt, daß die deutschen Länder beim sogenannten Reichsdeputationshauptschluß
im Zuge der Säkularisierung Kirchengüter erhielten. Das allerdings war vor mehr
als zweihundert Jahren, nämlich 1803. Zuletzt wurden diese Staatsleistungen
nach der Revolution 1918/19 vereinbart, als Übergangszahlung, eine Regelung,
die ausdrücklich "bald" beendet werden sollte. An eine Neuregelung
wagten sich Politiker weder während der Weimarer Republik noch in der BRD oder
der DDR. Ins Grundgesetz z.B. wurde nur der Passus der Weimarer Verfassung
übernommen. Und so zahlen wir weiter munter jedes  Jahr Hunderte von
Millionen Euro dafür, daß im Jahr 1803 Kirchengüter säkularisiert wurden...

* * *
Die Künstlerangebote, die uns im letzten Monat erreichten, waren so vielfältig
und abwechslungsreich wie das Leben. Da gab es eine Band, die uns ihr „kurzes
Demo“ namens „Fukushima – Atomkraft nein danke“ nahelegte – „Es war uns zum
ewig unleidigen Thema, eine Herzenssache dieses Lied, gewidmet den Menschen von
Fukushima, zu schreiben“, rumpelte es im Anschreiben vor sich hin; ich habe
mir den Song nicht angehört, fürchte aber, er klingt ungefähr so wie dieser
„unleidige“ Satz. Immerhin: „Der Song ist brandneu und wird hoffentlich auch
bei Ihnen Gefallen finden“, und „in den nächsten Tagen wird ein Bilder
Video unter youtube eingestellt“, sagen Sie also nicht, ich hätte Sie nicht
vor dem "Bilder Video" gewarnt.
Mein persönliches Highlight der unverlangt eingesandten Künstlerangebote war
allerdings „Giftdwarf“: „...stell Dir einfach vor, GRAVE DIGGER, BADESALZ,
REBELLION und FLATSCH stehen zusammen auf einer Bühne – METAL meets COMEDY“
– tschah, um mir dies vorzustellen, dafür reicht meine Fantasie leider nicht
aus.
Oder doch „A Tribute To Johnny Cash“? Denn die „spielten wie die Legende
selbst auch schon in vielen Gefängnissen und anderen Locations und begeisterten
dort!!!“
„Gefängnisse und andere Locations“...

* * *

Während die „Deutsche Gesellschaft für Ernährung“ davon ausgeht, daß ein
gesundes Schulessen mindestens 2,50 Euro pro Portion kosten sollte, hat der
Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg jetzt laut einem Bericht der „Berliner
Zeitung“ für seine Schulkinder Dumpingessen angefordert. Bei der aktuellen
Ausschreibung zur Vergabe des Auftrags für die Schulessen hat der Bezirk festgelegt,
daß das Essen sogar weniger kosten soll als in der Vergangenheit – das
angelieferte Essen darf höchstens noch 2 Euro kosten, so sieht es die
Ausschreibung vor. Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg wird von den „Grünen“
geführt, verantwortlich für das Preisdumping beim Schulessen, bei dem eine
gesunde Mahlzeit nicht mehr angeboten werden kann, ist Bildungsstadträtin
Monika Herrmann von den „Grünen“.
Bildung, die sie meinen...

* * *

Stand in einer Beilage der „FAZ“ und wurde u.a. im „Hohlspiegel“ nachgedruckt:
„Eine gute Uhr muß nicht immer teuer sein. Wir zeigen lohnende Modelle unter 10
000 Euro.“
Ah ja.
Besonders hübsch allerdings das Interview mit dem Sportkommentator Marcel Reif,
der vor zig Jahrzehnten mal die Winzigkeit einer halben Sekunde lang als
brauchbarer Sportreporter, eben als Einäugiger unter lauter Blinden galt, bevor
klar wurde, daß er auch nur ein eitler Fatzke unter vielen in einer speziell
korrupten Branche ist.
Marcel Reif jedenfalls ist „Feuer und Flamme nicht nur für den Fußball,
sondern auch für Armbanduhren“ und findet „Alle meine Uhren sind sexy!“,
wobei er Vintage-Uhren wie etwa eine „Rolex Submariner“ bevorzugt und generell
meint, daß Armbanduhren „die Fortsetzung der Spielzeugeisenbahn“
darstellen, und genauso muß man sich wohl all die Männer vorstellen, die diese
teuren Armbanduhren kaufen, die allüberall inseriert werden: als geistige
Modelleisenbahner...
Am Ende des Interviews gibt Marcel Reif jedenfalls einen tiefen Einblick in die
deutsche Männerseele und in deutsche Männerfantasien des Jahres 2011:
„Es gibt wunderbare Geschichten mit Karl-Heinz Rummenigge, der ja auch sehr
uhrenaffin ist. Wenn ich weiß, daß ich im Vorfeld des Spiels mit ihm am Tisch
stehe, überlege ich mir sehr wohl, welche Uhr ich anziehe, und wähle gern eine,
die er vielleicht noch nicht hat. Dann ziehe ich ganz bewußt den Ärmel etwas
zurück, bleibe so stehen und warte ab. Nach zehn Sekunden hat er mein
Handgelenk gescanned, sagt aber nichts. Das sind herrliche Spielchen unter
Männern.“ Fürwahr. Köstlich.

* * *

Und wenn Sie sich wundern, in welches Land Sie am Freitag, dem 29.April,
hineingeraten waren, denn welchen Sender Sie auch eingeschaltet hatten, das
Fernsehen war gleichgeschaltet wie in Nordkorea und zeigte auf praktisch allen
Kanälen eine dubiose Prinzenhochzeit in England – ja, Sie waren immer noch in
Deutschland. Dem Land, dessen öffentlich-rechtliches Fernsehen Sie mit Ihren
Gebühren bezahlen. Und das nichts Besseres zu tun hat, seinen Bildungs- und
Kulturauftrag zu erfüllen, indem auf allen Kanälen eine Prinzenhochzeit aus
einer vordemokratischen Inselmonarchie stundenlang live übertragen wird.
Komplett gaga.
Wenn Sie vom gleichgeschalteten Prinzenhochzeitsfernsehen die Nase voll haben:
besuchen Sie unsere Konzerte! Dort werden Sie vielseitig und anspruchsvoll
unterhalten. Und ganz sicher ohne Prinzen dieser oder jener Provenienz, und
garantiert ohne Königshäuser. Ehrenwort.