06.06.2011

Und Ansonsten 2011-06-06

Im
Fußball werden wir nächstes Jahr sehen, wer Europameister wird – der
Europameister bei den Rüstungsexporten steht bereits fest: es ist Deutschland.
Ein trauriger Titel. Deutschland hat Waffen an das autoritäre Regime von Hosni
Mubarak in Ägypten geliefert, Deutschland hat das Regime von Muammar Gaddafi in
Libyen aufgerüstet und die Genehmigung für die Lizenzproduktion des
Sturmgewehrs von Heckler & Koch an das Königreich Saudi-Arabien (das ist
das autoritäre Regime, von dem Politik und Medien hierzulande schweigen)
erteilt.
Kleinwaffen, einer der Exportschlager der deutschen Rüstungsindustrie, fordern
weltweit den größten Teil der Todesopfer in Kriegen und Bürgerkriegen. Allein
die Firma Heckler & Koch hat mittlerweile schätzungsweise 1,5 Millionen
Tote durch Entwicklung und Export von Kleinwaffen zu verantworten.
Waffenexporte richten gigantischen Schaden bei der Bekämpfung von Armut und
Hunger an.
Im Grunde sind all diese Waffenexporte dem Geist des Grundgesetzes folgend
nicht erlaubt. Friedens- und Menschenrechtsgruppen wollen nun mit einer
Kampagne eine Präzisierung des Artikels 26 GG durchsetzen, wonach Rüstungsexporte
wirksam verboten werden sollen: „Kriegswaffen und sonstige Rüstungsgüter werden
grundsätzlich nicht exportiert.“ Bis zur Bundestagswahl 2013 sollen 262.000
Unterschriften gesammelt werden:
www.aufschrei-waffenhandel.de

* * *

Am Samstag, dem 7.Mai, morgens in der Wochenendbeilage der „FAZ“ zwei Seiten
Vorabdruck des in der kommenden Woche erscheinenden Buches „Toscana mia“ von
Robert Gernhardt gelesen. Später am gleichen Tag in der Wochenendbeilage der
„Süddeutschen“: eine Seite Vorabdruck des in der Folgewoche erscheinenden neuen
Gernhardt-Buches...
Die Feuilletons unserer Qualitätszeitungen sind sich eben extrem ähnlich. Aber
sie entscheiden ja nicht nur selber, was sie drucken, sondern lassen sich von
gut arbeitenden Marketingabteilungen der Verlage auch Texte verkaufen. Wie im
embedded music journalism unserer Tage die Plattenfirmen entscheiden längst die
Verlage, was wann wo erscheint.
(gute Texte aber!)

* * *

Rätsel über Rätsel. An was würden Sie denken, wenn Sie die Anzeige „Berlin
Tattoo“ irgendwo sehen? Wahrscheinlich so wie ich an das, was auf Wikipedia so
beschrieben wird: „Ein Tattoo ist ein Motiv, das mit Tinte oder anderen
Farbmitteln in die Haut eingebracht wird.“
Was aber hat der „Deutsche BundeswehrVerband“ damit zu tun? Der nämlich
präsentiert „Berlin Tattoo.“ (nur original mit dem Punkt...) am 3.-5.November
2011, und in der ganzseitigen Anzeige auf der Rückseite von „event“ erfahren
wir: „Das Berlin Tattoo vereint als offizielles Nachfolgeevent des Berliner
Militärmusikfests erstmals die Welt der Musik vor einer spektakulären Kulisse
in der“ Mehrzweckhalle am Ostbahnhof, die von manchen beharrlich auch
anders genannt wird. „Eine einmalige Show der Extraklasse“ versprechen
der „Deutsche BundeswehrVerband“ und die „O2 World“, und ich habe keine Zweifel
daran, daß das Wörtchen „Extraklasse“ nicht zu hoch gegriffen ist, wenn sich
Pest und Cholera zusammentun, um Militärmusik zu veranstalten. Unterstrichen
wird die „Extraklasse“ vom ausgewählten Fotomotiv, einem bärtigen,
uniformierten Dudelsackbläser mit relativ wenigen, um nicht zu sagen: gar
keinen in die Haut eingebrachten Tintenmotiven.
Nur – warum um Himmels willen nennen sie das alles „Berlin Tattoo“???
Ich bin bereit, eine brauchbare oder zumindest originelle Erklärung mit einer
Flasche Weißwein aus meinen Beständen zu honorieren.

* * *

Kurz vor der Entscheidung der deutschen Sozialdemokratie, die unsereiner
mitunter ebenso wenig verstehen kann wie den Bundeswehrverband oder die besagte
Berliner Mehrzweckhalle, Thilo Sarrazin in der Partei zu belassen, sah ich
Sarrazin beim Zappen in einer Talkshow, und knappe fünf Minuten von Sarrazins
Geschwurbel reichten aus, um bestätigt zu sehen, daß Sarrazin ein fremdenfeindlicher
Reaktionär ohne Format ist. Daß so etwas in der SPD seinen Platz hat, ist
bedauerlich.
Kaum hatte die von Andrea Nahles angeführte Parteikommission zum Erstaunen der
Öffentlichkeit den Verbleib Sarrazins in der SPD verkündet, ätzte dieser in
einer öffentlichen Veranstaltung erneut diffamierend gegen Migranten. Bayerns
SPD-Chef Florian Pronold bezeichnete Sarrazin daraufhin als „schizophren“:
Wer sich in einer Erklärung von seinem bisherigen Verhalten distanziere, um bei
der nächstbesten Gelegenheit Menschen erneut zu beleidigen und zu
diskriminieren, sei „nicht mehr ganz dicht. Damit hat er endgültig belegt,
daß man ihn nicht mehr ernst nehmen kann“, sagte der SPD-Funktionär.
Wer „schizophren“ und „nicht mehr ganz dicht“ ist, scheint mir allerdings viel
eher die SPD zu sein. Wer einen ausgewiesenen Reaktionär und Rassisten in der
Partei behält, um sich dann öffentlich zu wundern, daß dieser ausgewiesene
Reaktionär tatsächlich weiterhin dumpfe Fremdenfeindlichkeit verbreitet, der
hat „endgültig belegt, daß man ihn nicht mehr ernst nehmen kann.“

* * *

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) meinte ebenfalls, den Sarrazin geben zu müssen,
und kritisierte die „Südländer“, also Griechen, Spanier und Portugiesen, dafür,
zu wenig zu arbeiten und zu viel frei zu machen. 2009 hatte Italien
durchschnittlich 28 bezahlte Feiertage, Griechenland 23, Spanien und Portugal
22. Im Vergleich: in Deutschland gab es durchschnittlich 30 bezahlte
Urlaubstage... Selbst wenn man die arbeitsfreien Feiertage hinzuzählt, liegt Deutschland
weit vorn, mit 40,5 freien Urlaubs- und Feiertagen, im Vergleich zu 39 in
Italien, 36 in Spanien, 35 in Portugal und gar nur 33 in Griechenland.

* * *

Warum die Karten für das – wunderbare! – Sonderkonzert der Berliner
Philharmoniker unter Claudio Abbado anläßlich des 100.Todestages von Gustav
Mahler im Mai 2011 zwischen 70 und 220 Euro kosten mußten, ist ein anderes
Rätsel. Die Berliner Philharmoniker sind ein von der öffentlichen Hand
finanziertes Orchester, die in einem Konzertsaal spielen, der den BürgerInnen
gehört; zusätzlich werden sie mit zig Millionen jährlich von der Deutschen Bank
unterstützt. Und dennoch soll nur die Elite, sollen nur die Reichen oder doch
zumindest Wohlhabenden in der Lage sein, Mahler bei den Berliner Philharmonikern
zu sehen?
Da kann Frau von der Leyen jedenfalls noch viel Geld aufbringen, bis
Hartz-4-Familien sich den Eintritt zu solch einem elitären Konzert leisten
können. Eben nicht „Kultur für alle“. Lediglich Kultur, die von allen
finanziert wurde, mit ihren Steuergeldern...
Beim Konzert des New York Philharmonic Orchestras am Tag darauf, also einem
Orchester ebenfalls von Weltrang, ebenfalls in der Berliner Philharmonie,
ebenfalls mit einem erlesenen Mahler-Programm, ebenfalls prominent besetzt,
ebenfalls von einer Bank gesponsort (der Credit Suisse), allerdings von einem
Privatunternehmen auf dem freien Markt plaziert, kosteten die Tickets übrigens
zwischen 30 und 130 Euro, also etwa die Hälfte der vom Steuerzahler
subventionierten Preise des Konzerts der Berliner Philharmoniker.
Wie Eleonore Büning in der „FAS“ schreibt, steht das „höchstsubventionierte
deutsche Orchester“ mit der Öffentlichkeit auf Kriegsfuß, „es nennt sich
„Republik“, fühlt aber aristokratisch“... Bei den Salzburger
Osterfestspielen haben die Berliner Philharmoniker laut „FAS“ für „sechs
Konzerte plus zwei Opern 1,2 Millionen Euro erhalten“; dazu kommen 123.500
Euro für ihren Chefdirigenten Simon Rattle, für sechs Dirigate von drei
Programmen... Den Vertrag mit den Salzburger Osterfestspielen haben die
Berliner Philharmoniker allerdings aufgekündigt, in Baden-Baden scheint ab 2013
noch mehr Geld zu verdienen sein.
Die Publicity-Aktionen ihres „Education“-Programms mit Jugendlichen haben
jedenfalls einen mehr als schalen Beigeschmack, wenn man sich diese Zahlen (die
der Honorare wie die der Eintrittspreise) betrachtet...

* * *

In dieses mehr als unglückliche Bild, das die Berliner Philharmoniker
vermitteln, passt die Meldung, daß das Orchester unter dem berüchtigten
Gastdirigenten Christian Thielemann unkommentiert Werke aufgeführt hat, die
nationalsozialistisch belastet sind, nämlich eine sogenannte „Festmusik der
Stadt Wien“, die Richard Strauss dem NS-Statthalter Baldur von Schirach
offeriert und die 1943 am 5.Jahrestag des Anschlusses der Stadt und Österreichs
an „Großdeutschland“ uraufgeführt wurde. Das Programmheft der Berliner
Philharmoniker salbadert laut „Welt“ dazu: „Äußerste Virtuosität fordert die
Festmusik mit ihren brillanten Sechszehntelkaskaden den Interpreten in jedem Falle
ab, weswegen es dem Werk nutzen und frommen wird, einmal in den heiligen Hallen
der Philharmonie zu erklingen“. Außerdem wurde ein „Festliches Präludium“
des gleichen Komponisten dargeboten, das, wie es im offiziellen
Philharmoniker-Programm lapidar hieß, zuletzt „1943 im Rahmen der Vorfeiern
zum Geburtstag Adolf Hitlers“ von den Philharmonikern gespielt wurde.
Es würde dem historisch ja durchaus belasteten Orchester sicher „nutzen und
frommen“, bei der Stückeauswahl ohne naziverseuchte Musik auszukommen, und in
den „heiligen Hallen der Philharmonie“ mehr historische Sorgfalt bei den
Programmtexten walten zu lassen. Auch wenn man einen Thielemann wohl als
Kontrast zu Rattle oder Abbado bucht, um auch die „im Publikum überwiegende
Zahl von Siegelringträgern“ („Welt“) bei derartigen Konzerten an sich zu
binden.
Ekelhaft.

* * *

Ein Freund schickt mir aus Peking einen Link zum YouTube-Video mit der Rede des
New Yorker Bürgermeisters Bloomberg bei der Eröffnung der Ai
Weiwei-Tierkreis-Skulpturen und schreibt, „von wegen man kann das nicht sehen
in China. IP-Adresse ändern und los gehts!“
Am nächsten Tag schreibt ein Peer Junker (wer sagt da noch, daß Namenswitze
verboten seien?...) im Berliner „Tagesspitzel“: „Die Lage in China ist
derart angespannt, daß offener Protest gegen die Verhaftung Ai Weiweis kaum
möglich ist. Wenn überhaupt, kann Kritik an den Behörden höchstens noch im
Internet geäußert werden. Doch auch dort läßt sich die Zensur kaum noch
umgehen.“
Sie sehen nur, was sie sehen wollen und sollen...

* * *

Dem „Zeit“-Magazin erzählte Klaus „Scorpions“ Meine, er wolle in Rente gehen,
„solange dieser Hurrikan noch ein Hurrikan“ ist, und er wolle nicht
„eines Tages als Karikatur unterwegs sein“.
Eines Tages?!?

* * *

Wie Politiker rechnen, „denken“ und brabbeln:
Die Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Birgit Homburger, erhält bei der
Wahl zur baden-württembergischen FDP-Landesvorsitzenden im ersten Wahlgang 180
von 400 Stimmen, exakt so viele wie ihr Gegenkandidat. Im zweiten Wahlgang
erhält Frau Homburger 199 von 400 Stimmen, bringt also erneut nicht einmal 50%
der Delegierten hinter sich, und gewinnt die Wahl, weil ihr Gegenkandidat nur
192 Stimmen erhielt.
Der FDP-Europaabgeordnete Michael Theurer verkündete daraufhin, der
Landesverband stehe „zu hundert Prozent“ hinter Homburger.

* * *

Überhaupt der mit großem Getöse verkündete „Neustart“, der „Neubeginn“ der
Pünktchenpartei:
Gesundheitsminister Rösler wird Wirtschaftsminister.
Wirtschaftsminister Brüderle wird Vorsitzender der Bundestagsfraktion.
Fraktionsvorsitzende Homburger wird Vize-Parteivorsitzende.
Staatssekretär Bahr wird Gesundheitsminister.
Frau Leutheusser-Schnarrenberger bleibt Justizministerin und
Vize-Parteivorsitzende.
Westerwelle bleibt Außenminister.
„Alles neu / macht der Mai“, im Remix der FDP...

* * *

Der große Michael Althen schrieb anläßlich des Todes von Robert Mitchum:
„Das ist ja das Wunder des Kinos, daß es sich das Leben mit einer
Leichtigkeit anverwandelt, von der andere Künste nur träumen können. Es kann
sich leisten, einen Schrank von einem Mann, der mit Schauspielerei nichts am
Hut hat, vor eine Kamera zu stellen, und uns damit auf eine Weise zu berühren,
daß man einen Moment lang tatsächlich glaubt, alles sei möglich. Wirklich
alles. Man könnte aus dem Dunkel der Säle auf die Straße treten und die
Einsamkeit ertragen. Die Dinge auf die leichte Schulter nehmen. Im rechten
Moment die richtigen Sätze  sagen. Erkennen, wann man handeln muß. Wissen,
was man tut. Trotzdem das Falsche tun.“
In jedem einzelnen Absatz, den Michael Althen schrieb, steckt mehr Qualität,
Intensität und Können als im gesamten deutschen Kino der letzten zwanzig Jahre
(Werner Herzog und Herbert Achternbusch zählen hier nicht als deutsche, sondern
als bairische Filmemacher, und Andreas Dresen ist die Ausnahme, die die Regel
bestätigt...).
Was für ein Skandal, daß Michael Althen mit 48 Jahren starb, und daß, sagen
wir, um mal eine Bandbreite anzugeben, Til Schweiger oder Wim Wenders
weiterleben...

* * *

14.Mai 2011. Fast den kompletten „Eurovision Song Contest“ auf ARD gesehen.
Anke Engelke prima, sehr souverän und mitunter witzig. Die Technik state of the
art, die Lightshow bunt und wild. Alles o.k. so und nicht weiter der Rede wert,
alles eine monströse Partyzone, wie man sich im Fernsehen halt heutzutage eine
„Pop“-Show vorstellt. Aber wozu gab es diese 25 größtenteils langweiligen,
nicht einmal mediokren, unoriginellen Musikbeiträgen zwischendrin? Welche
Bewandnis hatte es damit?

* * *

Können denn Politiker und ihre Kinder gar keine Doktorarbeit mehr selber
schreiben?
Erst der Mann, der über Wasser gehen kann, dessen Ausreden, warum seine
Ghostwriter große Strecken seiner Doktorarbeit geklaut haben, immer dubioser
und peinlicher werden. Die Familie hat zu viel von ihm erwartet? Awcmon...
Dann die Tochter von Stoiber – Doktortitel futschikato.
Und nun die FDP-Politikerin Silvana Koch-Mehrin – und mal ehrlich, wer Frau
Koch-Mehrin jemals in einer Talkshow ein paar Sätze hat sagen hören, mußte
ernsthaft Zweifel daran hegen, daß diese Frau rechtmäßig einen Doktortitel
erwerben konnte. Hat sie ja auch nicht: abgeschrieben, Doktortitel futschikato.
Es wird berichtet, die FDP-Politikerin habe „Konsequenzen gezogen“ und trete
„von allen politischen Ämtern bei den Liberalen“ zurück. Wenn man sich das genau
anschaut, wird’s aber besonders ärgerlich: denn zwar trat Frau Koch-Mehrin als
Vorsitzende der FDP im europäischen Parlament, als Vizepräsidentin des
Europäischen Parlaments und als Präsidiumsmitglied der FDP zurück. Ihr Mandat
als Europaabgeordnete behielt Koch-Mehrin aber. Was für die FDP nicht mehr gut
genug ist, für den Bürger, den Deppen, solls also reichen, für den Bürger, der
sie ins Parlament gewählt hat, ist Betrug anscheinend gut genug. Was für eine
Message, die die FDP-Frau da aussendet!

* * *

Es stand in der „Berliner Zeitung“: Ai Weiwei sei nicht nur „Chinas
berühmtester Künstler“ und „populärer Regimegegner“, nein, man
konnte anläßlich der Verhaftung Ais auch die absurde Feststellung lesen:
„Vage heißt es in Chinas Staatspresse, es gehe um Wirtschaftsvergehen, leider
ein besonders schlechtes Zeichen: In Rußland wurde Michail Chodorkowski gleich
zweimal unter solchem Vorwand der Prozeß gemacht. Also schlimmer hätte es nicht
laufen können.“
Mal jenseits der Frage, ob es angemessen ist, die Freilassung eines Gefangenen
zu fordern, ohne überhaupt zu wissen, weswegen er angeklagt wurde, und ob er
nicht tatsächlich gegen Steuergesetze verstoßen haben könnte – aber
ausgerechnet einen russischen Oligarchen, der es innerhalb weniger als eines
Jahrzehnts vom Funktionär des kommunistischen Jugendverbands Komsomol zum Chef
der ersten Privatbank Rußlands, zum stellvertretenden Minister für Brennstoffe
und Energie und wenig später zum Vorstandsvorsitzenden des Energiekonzerns
Jukos und damit zum reichsten Mann Rußlands gebracht hat, also ausgerechnet
jemanden, der sich ganz offensichtlich seinen Privatbesitz aus den Beständen
des russischen Staatseigentums zusammenergaunert, vulgo das russische Volk mit
mafiotischen Mitteln beklaut hat, ausgerechnet einen derartigen korrupten
Oligarchen also zum Kronzeugen für Menschenrechte und Demokratie zu machen, ist
schon ein mediales
Bubenstück und beweist besondere Chuzpe.

* * *

„Wir mögen Tomaten lieber geworfen als gekocht“, wirbt das „Missy
Magazine“ pseudo-aufmüpfig. Und was ist mit den Tomaten auf den Augen?
Ich mag Papier mitunter jedenfalls lieber als Baum denn abgeholzt und
bedruckt...

* * *

Einen Beitrag zum von „Spex“ ausgerufenen Revival-Wettbewerb des politischen
Liedes hat die Popgruppe „Ich + Ich“ eingereicht; unter dem 68er-Motto „alles
Private ist politisch“ singt die Band: „Du bist das Pflaster für meine Seele
/ Wenn ich mich nachts im Dunkeln quäle / Es tobt der Haß, da vor meinem
Fenster.“ Mir gefällt vor allem die überraschende Wendung in der dritten
Zeile. Und unter dem Pflaster wartet bekanntlich der Strand, auch wenns
manchmal nur der frankfurterisch-babbelnde Pflasterstrand ist – was aber
zugegeben eine andere Geschichte ist.

* * *

Und was macht ein anderer Könner des deutschen politischen Liedes? Was macht
Wolfgang Niedecken? Er fährt Skoda. Im Ernst. Teilt zumindest der Pressedienst
der „Skoda Auto Deutschland GmbH“ mit:
„Wolfgang Niedecken ist SKODA Kulturkopf und fährt Superb Combi“, erfahren
wir und können uns noch so mancher Werbeprosa erfreuen: „Denn BAP-Frontmann
Niedecken bereichert seit Jahresbeginn den Kreis der SKODA Fahrer und ist
begeisterter Fahrer eines Superb Combi (...) Er schätzt das
Business-Class-Gefühl seines neuen Autos (...) „Meine Musik soll berühren“,
sagt er (...) Der „Bob Dylan vom Rhein“, der privat eher schweigsam sein soll,
bringt in seinen Liedern den Kölner Dialekt zum Funkeln und verbindet
politische Wachsamkeit mit humanitärem Engagegemnt (sic! BS). „Gerade deshalb
freuen wir uns, Wolfgang Niedecken zu den SKODA Kulturköpfen zählen zu dürfen“,
sagt Hermann Schmitt, Geschäftsführer von SKODA AUTO DEUTSCHLAND. „Unsere
Kulturköpfe stellen zuweilen die Kulturszene auf den Kopf, zerbrechen sich auch
mal den Kopf und lassen den Kopf dabei nicht gleich hängen“, textet der
SKODA-Chef gekonnt. Fehlt eigentlich nur noch die naheliegende
Postkarten-Feststellung, daß der SKODA-Kulturkopf rund ist, damit das Denken
die Richtung wechseln kann.
Zugegeben, diese Pressemitteilung wirft ein paar kleine Fragen auf. Etwa: wäre
die Welt nicht eine  bessere, Niedecken wäre privat ein rechtes
SKODA-Plappermaul und würde dafür öffentlich „eher schweigsam sein“? Wäre es
nicht schön, die Autofirma schriebe einen SKODA Kulturkropf aus? Ich wüßte
einen Kandidaten für den ersten Preis. Er tut sich durch viel Engagegemnt
hervor, und Sie werden ahnen, an wen ich denke...

* * *

„Ein Marshall-Amp, eine Strat, ein festes Drumset werden die Welt niemals
aus den Angeln heben, wie es derzeit eigentlich notwendig wäre, aber sie können
mit dazu beitragen, sich über die politischen, sozialen und wirtschaftlichen
Verhältnisse zu empören.“
(Klaus Wallinger vom Kino Kulturverein Ebensee in „...shopping in the big
store“, Buch anläßlich des 25jährigen Jubiläums des Kino Ebensee, einem der
führenden Kulturzentren Europas. Reschpekt und dicken Glückwunsch nach Ebensee
of all places!)

„Isch lieben aus tubiklär!“, wie Lady Gaga im schönen Song „Scheiße“
ihres gerade erschienenen neuen Albums singt. Womit sie sehr nahe an Flaubert
ist, der 1873 an Turgenjew schrieb: „Ich habe immer versucht, in einem
Elfenbeinturm zu leben, aber ein Meer von Scheiße schlägt an seine Mauern,
genug, ihn zum Einsturz zu bringen.“
In diesem Sinne: genießen Sie den Juni! Auf welchem Turm auch immer Sie ihn
verbringen...