01.09.2013

Rassismus in Berlin

Dieser Tage konnte man auf Arte den Dokumentarfilm „Soundtrack for a
Revolution“ sehen. Es geht um die schwarze Bürgerrechtsbewegung und ihren Kampf
gegen Rassismus in den USA in den 60er Jahren. Es ist eindrucksvolle Musik zu
hören (ungeheuer groß: Richie Havens, The Roots!), man lernt, welche Bedeutung
Gospel für die Afroamerikaner in der Zeit hatte oder Lieder wie „Which Side Are
You On“ oder eben „We Shall Overcome“ (den Film kann man wohl noch ein paar
Tage bei Arte im Netz sehen, und die DVD kostet auch nicht die Welt). Bürgerrechtler
erzählen von ihren Sitzstreiks in Restaurants, Kantinen und Bars, etwa bei
Woolworth – sie hatten trainiert, sich an den Tresen zu setzen und darauf zu
warten, bis sie bedient werden. Sie wurden bedrängt, bespuckt und belästigt.
Sie wurden verprügelt und von der Polizei festgenommen; ihr Verbrechen: an
Plätzen zu sitzen, die für Weiße reserviert waren.

Wenn man die dokumentarischen Szenen bei Woolworth
sieht, wünscht man sich einen Weißen, der sich zu den Schwarzen setzt. Ich
träume, wie der Weiße leise seinen schwarzen Nachbarn fragt, „was möchtest du
trinken“, und dann einen Kaffee oder eine Limonade bestellt, und als er das
Getränk erhält, gibt er es seinem schwarzen Nachbarn weiter und lädt ihn ein,
das Getränk zu trinken. Aber das ist natürlich nur ein Traum, nichts
dergleichen ist passiert.

Fünfzig Jahre ist das jetzt her. Über das Heute
lese ich am 29.August in der „FAZ“, daß Roma aus Rumänien und Bulgarien über
Monate in einer verlassenen Gartenkolonie, an deren Stelle demnächst eine
Stadtautobahn gebaut werden wird, in Neukölln gewohnt haben – unter
erbärmlichsten Umständen. Und mit Nachbarn, die man nicht zum Nachbarn haben
will: „Die haben immer wieder nach Wasser
gefragt“, sagt ein Schrebergartenbesitzer in Sporthose, der auf die Bagger
schaut. „Aber ich habe denen keines gegeben.“ („FAZ“) Natürlich nicht.

Und Reinickendorfer Wutbürger verbieten den in
einem Flüchtlingsheim lebenden Kindern, auf einem privaten Spielplatz direkt
gegenüber der Einrichtung zu spielen.

Auch den Schwarzen in Alabama hatte vor fünfzig
Jahren kein ordentlicher Weißer ein Glas Wasser angeboten, und ihre Kinder
durften nicht auf den Spielplätzen der Weißen spielen. Der Rassismus lebt –
auch im angeblich so weltoffenen Berlin.