Und Ansonsten 07/2013
Sie sind jetzt aber nicht wirklich überrascht, daß der US-Geheimdienst
auch Ihre Daten ausspäht, und daß der US-Nachrichtendienst quasi automatisch
und auf dem sozusagen kleinen Dienstweg über einen geheimen Zugang praktisch
alle Nutzerdaten von Konzernen wie Google, Facebook oder Yahoo erhält, oder?
Wußten wir doch alle längst. Nur die Bundesregierung hat wieder einmal nichts
mitbekommen und zeigte sich komplett „ahnungslos“ (Berliner Zeitung). Besser
könnte man die Netzpolitik der amtierenden Bundesregierung nicht auf den Punkt
bringen: Komplette Ahnungslosigkeit eben. Nur wenn es darum geht, den
Lobbyisten, mit denen man neuerdings gerne auch mal öffentlich rumschmust,
genehme Gesetze zu produzieren, zeigt sich die Regierung auch mal einsichtig.
Der deutsche Bundesnachrichtendienst liest ebenfalls kräftig mit: „Bis zu ein Fünftel des Datenverkehrs, der
bei deutschen Internet-Providern über die Landesgrenzen hinaus fließt“,
wird laut „Berliner Zeitung“ vom deutschen Geheimdienst „ausgewertet“. Allein im Jahr 2010 wurden 37 Millionen E-Mails „analysiert“ – gab die Bundesregierung
wohlgemerkt offiziell zu, die wahre Zahl dürfte also bedeutend höher liegen.
Jede fünfte Mail also, die ich meinen ausländischen Künstlern, Managern
und Geschäftsfreunden schreibe, wird vom deutschen Geheimdienst mitgelesen, und
jede fünfte Mail, die Sie Ihren Freunden oder Verwandten im Ausland schreiben.
Über 100.000 Mails werden jeden Tag vom deutschen Geheimdienst mitgelesen und
„analysiert“ – das sind deutlich mehr als die Stasi je Briefe und Pakete pro
Tag mitlas. Und übrigens: die NSA-Vorläuferorganisation, die „Black Chamber“,
hat früher alle Telegramme, die international in den USA eingingen, gelesen,
bevor sie ausgeliefert wurden; später, als Telegramme statt auf Papier auf
Disketten gespeichert wurden, erschienen während der Nachtschicht bei den
Telegrafenfirmen NSA-Kuriere, die die Disketten kopierten. Und heutzutage?
Längst haben Geheimdienstler ihre Geräte direkt mit den Internet-Knotenpunkten
in den USA, in Großbritannien oder, ja, in Frankfurt verbunden und haben
ungehemmten Zugriff auf den kompletten Datenaustausch. Und „die NSA und der BND
sind sogar richtig dicke Freunde, sie tauschen viele Erkenntnisse aus und
arbeiten auch eng zusammen beim Anzapfen von Kabeln“, schreibt Georg Mascolo in
der „FAZ“. Eine Kontrolle findet nur statt, wenn deutsche Staatsbürger
betroffen sind, ausländische Staatsbürger werden von deutschen Gesetzen nicht
geschützt. Mascolo fordert: „Die demokratischen Regierungen müssen ihren
Geheimdiensten das Recht zum grenzenlosen Lauschangriff entziehen.“ Doch daran
haben Frau Angela „Neuland“ Merkel und der BND natürlich nicht das geringste
Interesse.
Wir leben in einem Überwachungsstaat. Ob Obama oder Merkel – letztlich
ist das alles das gleiche Pack, das die Privatsphäre ihrer Untertanen ignoriert
und systematisch verletzt.
Constanze Kurz erklärt auf „SZ Online“, warum das Datensammeln
von beispielsweise Google nicht
zu vergleichen ist mit dem Datensammeln des Staates:
„Google ist
schließlich ein Wirtschaftsunternehmen, das für seine Werbekunden die Daten
seiner Nutzer speichert. Die NSA ist ein Geheimdienst. Wenn der dreimal 'Terror' ruft, dann können Menschen
daraufhin sterben, weil ihnen plötzlich Drohnen über die Köpfe fliegen.
Die möglichen Konsequenzen von Datenüberwachung durch den Geheimdienst sind
also offensichtlich sehr viel krasser als bei Google."
* * *
Am 21.Juli 1913, also vor hundert Jahren, schrieb Franz Kafka in sein
Tagebuch:
„Nicht
verzweifeln, auch darüber nicht daß Du nicht verzweifelst. Wenn schon alles
zuende scheint, kommen doch noch neue Kräfte angerückt, das bedeutet eben, daß
Du lebst. Kommen sie nicht, dann ist hier alles zuende aber endgültig.“
* * *
„Unter anderem
sind es die neuen Teilzeitarbeiter und Wenigverdiener, die zur Senkung der
durchschnittlichen Arbeitskosten in Deutschland beitragen. Auf dem Rücken der
Ärmsten werden die Interessen der deutschen Industrie durchgeprügelt, was dann
in der Politikersprache Niedriglohnsektor heißt. – Sektorengrenze, schöner,
neuer Sinn. Die Grenze, sage ich zu K., verläuft nicht zwischen den Deutschen
und den Griechen, sondern zwischen denen, die immer reicher, und denen, die
immer ärmer werden.“ Eugen Ruge, „Das griechische Orakel“, Tagebuch einer Frühjahrsreise, in
„FAZ“
* * *
Im „Finanzmarkt“-Teil der gleichen Zeitung lesen wir zeitgleich:
„Der Club der
deutschen Millionäre ist um 9 Prozent gewachsen (...) Mit insgesamt 362.000
Millionärshaushalten rangiert Deutschland damit im internationalen Vergleich
auf dem siebten Rang. (...) Das gesamte Vermögen der deutschen Privatanleger“ wird für 2012 „auf 6,7 Billionen Dollar geschätzt – ein
Plus von 6,2 Prozent“. „Deutschland gilt nach diesen Maßstäben als die
fünftreichste Nation der Welt.“ Krise ist eben nicht für alle, selbst in der größten Bankenkrise gibt es
noch jede Menge Profiteure.
* * *
Wenn Sie mal ein deprimierendes Stück Musik auf YouTube sehen wollen,
klicken Sie hier:
Warum sich die Rolling Stones für so etwas hergeben? Ein harmloses
Popsternchen, das praktisch nichts kann, einen Song singen zu lassen, den die
große Marianne Faithfull seinerzeit geadelt hat? Nun, es ist ein Geschäft.
Nichts weiter.
* * *
Daß es auch anders geht, haben zwei Konzerte in Berlin in der ersten
Juni-Woche gezeigt. Zwei Konzerte, die vielleicht unterschiedlicher nicht sein
konnten, die aber mehr gemeinsam haben, als man auf den ersten Blick vermuten
würde. Ich spreche vom Auftritt von Neil Young mit Crazy Horse in der Waldbühne
und vom Klavierabend von Grigorij Sokolov in der Philharmonie.
Bertolt Brecht sagt irgendwo, daß man ohne den Begriff der Schönheit
letztlich nicht auskommen wird. Und ich möchte ergänzen: ohne den altmodischen
Begriff der „Haltung“ wohl ebenso wenig – „sag mir wo du stehst“...
Neil Young und Grigorij Sokolov verkörpern in ihren 60ern genau dies.
Sie machen Musik auf einem ungeheuren Niveau, fernab von dumpfen
Marketingkampagnen der aufmerksamkeits-heischenden Kulturindustrie, fernab vom
„Stahlbad“, das da „Fun“ heißt (wie Adorno mal geschrieben hat). Denken Sie an
all die albernen Kampagnen, die die Klassik-Labels so verzweifelt wie
stumpfsinnig betreiben, wie sie Lackäffchen inszenieren, die sich an den Flügeln
produzieren, wie sie junge Sängerinnen oder Instrumentalistinnen mit einer
vermeintlichen Portion Sexyness versehen und Promobilder veröffentlichen, die
in Softpornos der 80er Jahre eher Berechtigung hätten als auf den Covern von
klassischen Alben. Und dann kommen Sie an einem warmen Juniabend in die
Philharmonie, das Konzert eines alles andere als den herkömmlichen
Schönheitsidealen entsprechenden, älteren Pianisten ist ausverkauft, draußen
versuchen verzweifelte Fans noch an Karten zu kommen. Und was spielt dieser
Pianist? Ein anstrengendes Konzert mit Werken von Schubert und mit Beethovens
Hammerklaviersonate, und das Konzert ist von einer Intensität und Schönheit und
zeugt von einer Haltung und einer Klasse, wie sie all die Kunstprodukte des
aktuellen Klassikzirkus in ihrer ganzen Karriere nicht hervorbringen werden.
Eine glücklich machende Gratwanderung. Ich weiß nicht, ob man den Erfolg von
Sokolov schon als Beginn einer Gegenbewegung bezeichnen kann, als eine
Gegenbewegung gegen all die Hypes und die Trostlosigkeit, die uns die
Musikindustrie gemeinhin vorsetzt. Aber es ist auf jeden Fall ein schönes
Gefühl, zu sehen, daß mehr als zweitausend Menschen es genießen, sich einem
anspruchsvollen dreistündigen Konzert auszusetzen, und glücklich nach Hause
gehen.
All dies kann man auch über den großen Auftritt von Neil Young und Crazy
Horse schreiben. Die Gratwanderung. Die Intensität. Die Schönheit. Die Klasse
einer Musik, die kein Produkt sein will. Musiker mit Haltung, die sich den
Verwertungsprozessen der Kulturindustrie bewußt entziehen und eine Musik
kreieren, wie man sie sonst kaum zu hören bekommt. Musiker, die einem wieder
eine Vision davon verschaffen, wie großartig ROCKmusik doch sein kann, was man
angesichts all der gesichtslosen Magerprodukte, die allüberall hergestellt und
beworben werden, fast schon vergessen hatte.
Kunst beansprucht, wie Dietmar Dath sagt, „keine objektive Gültigkeit. Stattdessen kommuniziert sie eine
Haltung.“
Daran haben Neil Young und Grigorij Sokolov im Juni 2013 in Berlin
eindrucksvoll erinnert.
* * *
Wie den Medien zu entnehmen war, soll Justin Bieber einen Flug ins All
gebucht haben.
Gute Idee. Schickt Justin Bieber auf den Mond! Dann ist der nicht mehr
unbewohnt.
(ich hätte übrigens noch ein paar weitere Vorschläge von Leuten, für
deren Mondfahrt ohne Rückfahrkarte ich mit ner Spendendose oder meinethalben
auch per Crowdfunding sammeln würde...)
* * *
Cem Özdemir, der schwäbische Grünen-Politiker, riet auf seiner
Fressenkladde den „lieben konservativen
Politikern“, doch „vom Rock’n’Roll“
lieber die Finger zu lassen. „Diese
Musik“ stehe „ziemlich für das exakte
Gegenteil Eurer Politik“, meinte er großmäulig den politischen Gegnern
hinter die Ohren schreiben zu müssen, als er las, daß Herr und Frau Wulff
gemeinsam ein Bruce Springsteen-Konzert besucht hatten.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht – aber ich halte viel davon, wenn man
das Privatleben von Politikern ignoriert, genauso wie ich mir wünsche, daß mein
Privatleben privat bleibt. Es geht uns nichts an, und ich will damit auch nicht
belästigt werden. In welche Konzerte Herr Wulff und Herr Özdemir mit ihren
Dulcineas gehen, ist mir herzlich wurscht. Wobei ich anmerken möchte, daß es
mir in etwa so unangenehm wäre, in einem Konzert neben Herrn Wulff zu stehen,
wie neben Herrn Özdemir. Denn wer sich derart an eine vermeintliche Zielgruppe
heranwanzt wie der schwäbische Provinzpolitiker, dem will ich nirgends begegnen
müssen. Nicht auf einem Rockkonzert, nicht im Straßencafé, nicht im
Gemüseladen, nirgends.
Als Berliner kann man Politikern nicht so leicht aus dem Weg gehen. Man
begegnet beim Brotkauf oder in der Oper (Wagner!) schon mal Frau Merkel, man
trifft Herrn Ströbele auf dem Fahrrad oder Herrn Schily im Kaffeehaus. Es ist,
wie es ist, man sieht den einen lieber als den anderen, aber solange sie sich
nicht wichtig machen, ist es einfach ein Stück Alltag, um den man kein Gewese
machen muß. Am wenigsten will ich aber intoleranten schwäbischen
Grünen-Politikern begegnen, deren Politik so spießig ist wie die Musik der
schwäbischen Schlagerband „Pur“, die aber verzweifelt Anschluß an Hipsterkreise
suchen – oder an Kreise, die sie für hip halten, die aber letztlich auch nur so
spießig sind wie sie selber. Oder wollen Sie von jemandem regiert werden, der
von Ihnen einen Gesinnungscheck will, bevor er Sie ins Rockkonzert läßt?
Und ansonsten möchte man Cem Özdemir „si tacuisses“ zurufen, denn laut
„Spiegel“ lief am Ende von Versammlungen der „Grünen“, bei denen sich ihre
Spitzen-KandidatInnen der Basis vorstellten, „Sag mal, hast du das gesehn? Das
hat die Welt noch nicht gesehn“ vom unsäglichen Christen-Popper und
Bundeswehr-Bespaßer Xavier Naidoo.
Sie sitzen im Glashaus und werfen mit Steinen. Es klirrt so schön.
* * *
Die Redakteure der „Geld & Mehr“-Seite der „Frankfurter Allgemeinen
Sonntagszeitung“ haben anscheinend frei genommen, jetzt lassen sie mal die
Volontäre ran – die wissen zwar, was sie schreiben sollen, könnens aber nicht
so recht: Unter der Überschrift „Der Dollar wird stärker“ berichtet die FAS am
9.6.2013: „...der Dollar wertete
gegenüber dem Euro auf. Für einen Euro muß jetzt nur noch 1,3216 Dollar gezahlt
werden.“
Während es vor der Aufwertung viel mehr, nämlich zwischen 1,26 und 1,30
Dollar waren...
* * *
Lassen Sie uns diesen Vorgang mal rekapitulieren, damit wirs alle
verstehen.
Der SPD-„Ich will nicht Kanzler werden“-Kandidat Steinbrück entläßt
seinen Sprecher. Das Verhältnis zwischen Steinbrück und seinem Sprecher wurde
unter anderem dadurch belastet, daß der Sprecher ein Interview Steinbrücks mit
der „FAS“ freigegeben hatte, in dem Steinbrück kritisiert hatte, daß Kanzler
gemessen an ihrer Leistung zu wenig verdienten.
Wohlgemerkt, Steinbrück fand anscheinend nicht, daß er wieder mal Mist
geredet hatte, sondern er ärgerte sich über seinen Sprecher, weil der
Steinbrücks Mist freigegeben hatte. Wäre es nicht einfacher, der, der den Mist
produziert hat, würde sich seiner Veranstaltung stellen und selbst
zurücktreten? Damit wäre uns allen geholfen.
Aber nein, Steinbrück entließ seinen Sprecher und nahm sich einen neuen.
Der hat allergrößte Qualifikationen: Er leitete jahrelang das Hauptstadtbüro
der Blödzeitung und arbeitete zuletzt als Lobbyist für einen umstrittenen
Immobilienkonzern. Diesem Konzern, der „Deutschen Annington“, gehören circa
180.000 Wohnungen mit, um es mal so zu sagen, nicht immer zufriedenen Mietern,
von denen sich etliche in Mieterinitiativen zusammengeschlossen haben. Man
wirft der einer britischen Private-Equity-Gesellschaft gehörenden Firma laut
„Telepolis“ unter anderem „eine
übermäßige Renditeerwartung zulasten der Mieter, undurchsichtige
Nebenkostenabrechnungen und einen Kabel-Zwangsumstieg vor“. Steinbrücks
Sprecher, eben noch Immobilienkonzern-Lobbyist, ist sicher die Idealbesetzung,
wenn es darum geht, die angebliche „Wir kämpfen für die Mieter“-Politik der SPD
im Wahlkampf zu verkaufen...
Ebenfalls in sein Inkompetenz-Team berufen hat Steinbrück die ehemalige
Justizministerin Zypries, die Mutter der erst vom Bundesverfassungsgericht
gestoppten Vorratsdatenspeicherung, die ansonsten auch die Auskunftsansprüche
gegen Access-Provider durchsetzte und so Filesharing-Massenabmahnungen
überhaupt erst möglich gemacht hat, wie IT-Fachanwalt Thomas Stadler erklärte.
Ein echtes Albtraumteam hat der Sozialdemokrat da am Start.
* * *
„Im Lauf der Jahre
habe ich ihre (der Musiker, BS) weiteren Eigenschaften kennengelernt. Ehrgeiz
finden sie anstrengend. Leidenschaft ist ihnen peinlich wie ein
Pubertätspickel. Und Eleganz halten sie für einen Tick von Homosexuellen. Das
Problem an Bands sind die Musiker.“
Kristof
Schreuf in einem herrlichen Text namens „Wie ich Künstler geworden bin“,
hier: http://kristofschreuf.wordpress.com/2013/06/10/wie-ich-kunstler-geworden...
* * *
„Der Name der
Zukunft: Kultur“ ist der Nachruf auf den großen Schriftsteller und Science-Fiction-Autor
Iain Banks von Dietmar Dath in der „FAZ“ überschrieben.
Wenig Kultur hat allerdings allem Anschein nach die Republik der Dichter
und Denker, denn hierzulande ist beispielsweise eines der wichtigsten Werke von
Iain Banks, „Consider Phlebas“, nicht mehr im Buchhandel erhältlich, was ein
echter Skandal ist.
Banks hatte sich übrigens ein von Kapitalinteressen und
feudalmonarchistischen Rückständen befreites Großbritannien gewünscht, „nach innen antiautoritär sozialistisch,
nach außen tolerant anarchistisch“. R.I.P., Iain Banks!
* * *
Andere Wünsche hat die Abiturientin Alina, 18, laut „Berliner Zeitung“
vom 15.6.2013: Sie will sich „die Nase
richten lassen (...) Die Nase lasse ich mir einen Monat vor Ausbildungsbeginn
machen. Ich will den Höcker wegmachen lassen, allgemein kürzen, vorne kleiner
machen, dünner und feiner und anheben. (...) Ich hatte im März Geburtstag, und
zum 18. kriegen die anderen ein Auto und sowas, und ich wollte eine Nase haben.
Meine Eltern haben mir die Nase versprochen, unter der Bedingung, daß ich ein
gutes Abitur mache, mindestens 2,6. Jetzt freue ich mich schon total.“ Denn
Alina hat „sehr, sehr viel gelernt und
nur von Kaffee und Energydrinks gelebt“ und, hurra!, ihr Abi mit 2,5
geschafft. Einer neuen Nase steht nichts im Weg.
Abitur in Deutschland im Jahr 2013...
* * *
2.000 Euro hat ein Benefiz-Konzert für die Flutopfer in der
Kleingartenanlage Klein Attach in Sachsen-Anhalt eingebracht, etwa 4.500 Euro
wurden von Musikern wie Dirk Zöllner, André Herzberg oder Dirk Michaelis bei
einem Benefizkonzert in der Berliner Kulturbrauerei eingespielt. Alle haben auf
ihr Geld verzichtet: Die Künstler haben umsonst gespielt, die Clubs haben ihre
Säle und das Equipment umsonst zur Verfügung gestellt, das Personal hat umsonst
gearbeitet, damit möglichst viel für die Opfer der Flutkatastrophe übrig
bleibt.
Nur einer hielt die Hand auf und hat abkassiert und dafür gesorgt, daß
weniger Geld an die Flutopfer ausgezahlt werden kann: Das war die GEMA. In
Klein Attach hat die GEMA erst etwa 80 Euro berechnet, dann nach dem Protest
der Beteiligten einen 25%igen „Rabatt“ gewährt. Am Berliner Benefizkonzert wird
sich die GEMA mit ca. 160 Euro bereichern.
Bei der GEMA heißt es auf Anfrage von „Telepolis“, man sei den
Benefiz-Veranstaltern „so weit entgegen
gekommen, wie es gesetzlich möglich war“, leider leider, das sei eben „der gesetzliche Rahmen“, für weitere
Zugeständnisse seien der Verwertungsgesellschaft „die Hände gebunden“.
Was natürlich eine glatte Lüge ist. Denn die Regeln, an die die GEMA
gebunden ist, werden von den in Geheimklausur tagenden Gremien der
Verwertungsgesellschaft ja weitgehend selbst aufgestellt (und dann vom
Patentamt genehmigt). Und würde die Öffentlichkeit oder das Patentamt oder die
Politik die GEMA verklagen, wenn sie im Falle von Benefizkonzerten einmal über
ihren eigenen, großen Schatten springen würde und auf die paar Euro verzichtet?
Oder: wie wäre es denn, wenn die GEMA der Öffentlichkeit mitteilen würde, daß
sie das Problem bei den GEMA-Gebühren von Benefizkonzerten sieht und ihren
Gremien eine Änderung der Bestimmungen vorschlägt? Aber die GEMA läßt nichts
unversucht, ja keine Sympathien bei der Bevölkerung zu gewinnen. Während gerade
bei "Musikmarkt Online" zu lesen war, daß die GEMA eine "neue
Kommunikationsstrategie entwickelt"...
* * *
Auch ein toller Verein ist die staatliche „Initiative Musik“, die
unbeirrt unbekannte Nachwuchspopkünstler fördert, die niemand kennt und die
sonst keine Chance hätten. In der aktuellen 22.Förderrunde der Initiative Musik
wurden u.a. unbekannte Nachwuchskünstler wie Thees Uhlmann (dessen letztes
Album bloß auf Platz 4 der deutschen Charts zu finden war und der locker
fünfstellige Gagen für seine Auftritte kassiert), der österreichische Rapper
RAF 3.0 (dessen Alben es bisher bloß auf Platz 7 der deutschen Charts
schafften) oder die Band Kreidler mit Staatsknete bedacht.
Scheint ein Prinzip des Staatspop á la Initiative Musik zu sein – „wir
scheißen unsere Steuerdukaten prinzipiell nur auf die größten Haufen“...
Ähnlich macht es auch die neugegründete Berliner Popbehörde namens Musicboard
– da werden mit der Gießkanne über 462.000 Euro ausgeschüttet über manche
sinnvolle, aber auch etliche merkwürdige Projekte und solche, die sich
eigentlich auf dem Markt finanzieren sollten – und schließlich finden sich
unter den 19 geförderten Projekten auch solche von wirtschaftlich erfolgreichen
und hochkommerziellen Unternehmen wie die des Rolf Budde Musikverlages oder der
Melt Booking GmbH & Co KG. Lang lebe die Berliner Subventionswirtschaft,
die unter dem Pop-Senat fröhlich Wiederauferstehung feiert!
Staatspop und Senatspop sind oft ein rechter Flop.
* * *
Und während der Berliner Senat seine Gießkanne über erfolgreiche
Unternehmen ausgießt, ist für die „Freie Szene“ weiter wenig zu erwarten. Im
Haushaltsentwurf 2014, den der von der SPD ernannte Finanzsenator dieser Tage
vorlegte, wächst der Kulturetat von 368 auf 396 Millionen Euro. Das zusätzliche
Geld allerdings fließt, wie Birgit Walter gerade in der „Berliner Zeitung“
festgestellt hat, „in die Institutionen,
das meiste in die Opern, dort wiederum in höhere Gehälter“. Nun, nichts
dagegen, wenn angestellte Musiker ordentliche Gehälter bekommen. Nur sollte
dies gleichzeitig auch für die hochprekären Protagonisten der freien Szene
gelten, die oft am Existenzminimum entlanghangeln. Birgit Walter schätzt, daß
den rund 1.900 Künstlern und Kulturarbeitern, die in den Institutionen ein
ordentliches Einkommen erhalten, rund 10.500 Beschäftigte in der freien Szene
gegenüberstehen, „die das künstlerische
Prekariat dieser Stadt bilden“. Für die Freie Szene, die SPD und CDU laut
Koalitionsvertrag ausdrücklich stärken wollten, stehen weiterhin nur 10
Millionen Euro von den knapp 400 Millionen des Kulturhaushalts zur Verfügung.
Und daß dieser Etatposten „gehalten
werden konnte“, wird vom Senat als Erfolg verkauft.
Kulturpolitik, die sie meinen...
* * *
Doch nicht nur der Staat läßt die freien und selbständigen Künstler
darben und verelenden.
Auch das Vereinsorgan des liberalen, wohlhabenden Bürgertums und der
Studienräte, die „Zeit“, dreht kräftig an der nach unten weisenden
Honorarschraube.
Wie Silke Burmeister in einem „taz“-Interview mit dem Geschäftsführer
des Zeit-Verlages, Rainer Esser, feststellte, berichtet die Zeit „häufig über Themen wie Fair Trade oder
Generation Praktikum. Die Bedingungen aber, unter denen die Zeit entsteht,
stehen dazu im Gegensatz“, die Honorare, die die „Zeit“ an freie Autoren
zahle, seien sehr gering, und während die Zeit bei 154 Millionen Jahresumsatz
eine Menge Gewinn mache, würden Honorare für freie Autoren drastisch gesenkt
oder für Zweitverwertungen nur minimale Honorare gezahlt. Es ging um die höchst
lukrativen Nebengeschäfte der „Zeit“ und im Kern um die Frage, ob es angesichts
der blendenden wirtschaftlichen Verfassung der „Zeit“ nicht angemessen wäre, die
Freien Mitarbeiter besser zu bezahlen.
Und wie reagiert der Verlagschef der „Zeit“? Er kanzelt die Journalistin
hochnäsig ab und tritt später nach, indem er im Internet Burmeisters Honorare
veröffentlicht.
Den ganzen Vorgang können Sie bei Stefan Niggemeier nachlesen:
http://www.stefan-niggemeier.de/blog/das-revanchefoul-des-zeit-geschaeft...
„Für ›Die Zeit‹ zu
arbeiten, macht sehr viel Freude.“ (Rainer Esser)
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Sony-Chef Ginthör erklärt uns in der „Musikwoche“ die Welt:
„Weitere Maßnahmen
des Gesetzgebers zum Schutz der Kreativen und ein gesamtgesellschaftliches
Bewußtsein für den Wert kreativer Inhalte sind geboten (...) Kommerzielle
Anbieter von illegalen Downloads verdienen unter anderem durch Werbung
unrechtmäßig viel Geld.“
Aha.
* * *
„Change Is Inevitable.“ (Disclosure)
* * *
Leistungsschutzrecht? Anti-Google-Gesetz? War da was?
Jetzt jedenfalls hat Google die Zeitungsverleger aufgefordert, sich zu
entscheiden, ob ihre Inhalte weiter unentgeltlich auf „Google News“ erscheinen
sollen oder ab August, wenn das Leistungsschutzrecht in Kraft tritt, aus Google
News verschwinden sollen.
Und was passiert? „Zeit Online“, „Süddeutsche.de“, „Spiegel Online“ und
andere werden das Angebot annehmen oder prüfen es derzeit wohlwollend. Bisher
hat sich laut „FAZ“ noch kein deutscher Zeitungsverlag ablehnend geäußert.
„Mit dem Leistungsschutzrecht
wollten die Verlage Google eigentlich dazu bringen, ihnen Geld zu zahlen“, schreibt die
„FAZ“. War wohl nichts. „Mit dem weltweit
einzigartigen Leistungsschutzrecht dürften sich die Verleger selbst ins Knie
geschossen haben, denn der eigentliche Wunsch, an dem Dienst mitzuverdienen,
ist damit passé“, kommentiert Markus Kompa auf „Telepolis“.
Wahrscheinlich verliert der Axel-Springer-Verlag, der quasi die Rolle
des Chef-Lobbyisten für das neue Leistungsschutzrecht spielte, jetzt zunehmend
an Einfluß – was das Schlechteste ja nicht wäre. „Welt“ und „Bild“ haben sich
ja schon hinter Paywalls versteckt...
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„I think one of the most
difficult aspects of modern culture is knowing how edit or eliminate all the
crap in order to get to the good stuff.“ (The Residents im Interview mit „Jungle
World“, erscheint dieser Tage)