Snowden und Datenschutz und Politik
Die meisten werden diese berühmte Zeile aus Patti Smith’s „Gloria“
kennen:
„Jesus died for
somebody’s sins but not mine.“
Man kann das auf T-Shirts tragen, und wann immer Patti Smith auf ihren
Konzerten „Gloria“ singt (oder sollte man nicht besser sagen: performed?), gehört
das zu den Höhepunkten der Show. Bei ihren Deutschland-Konzerten im Juli
buchstabierte Patti Smith jedoch aus guten Gründen einen anderen Namen, nicht
mehr das legendäre G-L-O-R-I-A:
„And I said
darling, tell me your name, she told me her name
She whispered to me, she told me her name
And her name is, and her name is, and her name is, and her name is...
And the tower
bells chime, 'ding dong' they chime
They're singing, 'jesus died for somebody's sins but not mine.':
S – N – O – W –
D – E – N!“
Und ansonsten – geht es Ihnen auch so wie mir? Man will die ganzen
Einzelheiten um den Überwachungsskandal gar nicht mehr weiter verfolgen, weil
die Grundlinien längst klar sind: Wir leben in Überwachungsstaaten, egal ob in
den USA oder in der BRD, wir Bürger stehen generell „unter Verdacht“ (was dann
wieder eine Gemeinsamkeit zum sogenannten „Biedermeier“ ist, zu Metternichs
Spitzelstaat). Die Geheimdienste drehen frei und tun, was sie wollen (nur von
Nazis systematisch begangene Morde ignorieren sie eher). Die herrschende
Narration von Merkel und dieser Witzfigur, die wir uns als Innenminister
leisten, lautet: „Alles nicht so schlimm! Wenn
die USA uns und die deutsche Wirtschaft systematisch bespitzeln würden, wäre das ein Skandal.“ Leben im
Konjunktiv – das, was Snowden aufgeklärt hat, das, was Guardian oder Spiegel
veröffentlicht haben, wird systematisch wegignoriert, es kann ja schließlich
nicht sein, was nicht sein darf. Und das gigantische Bespitzelungsprogramm der
USA dient schließlich dem „edlen Zweck, Menschenleben in Deutschland zu retten“
(Friedrich). Aha.
Hier jedenfalls noch ein paar Schnipsel zum Thema aus den letzten
Wochen:
„Eine der Fragen,
die Menschen wie Bradley Manning und Edward Snowden stellen, lautet: Was ist
wichtiger – die Wahrheit oder die Nation? Der unkontrollierten Macht im Inneren
der Macht ist beides egal. Ihre stärkste und einzige Waffe ist Geheimhaltung.“
(Peter Glaser in „Edward mit den Sharing-Händen“, Berliner Zeitung) –
Außenminister
Guido Westerwelle (FDP) sprach sich gegen die Aufnahme Snowdens aus, er verwies
darauf, daß die USA "enge
Verbündete", "Freunde"
und ein "Rechtsstaat mit
unabhängiger Justiz" seien. Außerdem würden sich sowieso die "dunklen Wolken der Abhöraffäre wieder
vom Himmel verziehen". –
100 Millionen Euro
soll der BND für ein Technikaufwuchsprogramm bekommen, um das Internet
besser zu überwachen – „natürlich müssen
auch unsere Nachrichtendienste im Internet präsent sein"
(Bundesinnenminister Friedrich). „Es kann
ja nicht sein," so der Minister, „daß
die Verbrecher technologisch aufrüsten, immer effizienter das Netz nutzen - und
wir als Staat dem nichts entgegensetzen können." Man müsse dafür Sorge
tragen, „daß wir Kontrollverluste über
die Kommunikation von Kriminellen durch neue rechtliche und technologische
Mittel ausgleichen" (laut „Telepolis“). Natürlich kann man von einem
deutschen Innenminister nicht erwarten, daß er die Verfassung kennt – danach
ist für die Verbrechensbekämpfung nämlich immer noch die Polizei zuständig,
nicht der BND... –
Doch auch die SPD,
die sich aktuell und aus Wahlkampfgründen gegen die Überwachung der Bürger
ausspricht, ist eigentlich für mehr Überwachung, sie forderte ebenfalls den „Ausbau der Internetüberwachung“
(Stern.de), ihr innenpolitischer Sprecher, Michael Hartmann, geht konform mit
CSU-Innenminister Friedrich: „Deutschland
hat einen gewaltigen Nachholbedarf in der Internetüberwachung." Gegenüber
der "Berliner Zeitung" erklärte Hartmann, es sei wichtig, „Geld in die Hand zu nehmen, damit der BND
auf die Höhe der Zeit kommt." –
„Müssen wir uns mit dieser Monstrosität nun
abfinden, weil es eine Art Naturgesetz sein soll, daß die Geheimdienste eben
machen, was technisch geht? Aus den verwanzten europäischen Gremien ist
jedenfalls Hilfe kaum zu erwarten.“ (Constanze Kurz, „FAZ“). –
Einer Analyse von
„Daten-Speicherung.de“ zufolge liegt die Beteiligungsquote der SPD an
„verfassungswidrigen Überwachungsgesetzen“ bei 78 Prozent. Auf Platz 2 folgen
CDU/CSU mit 67 Prozent, auf Platz 3 die Grünen mit 44 Prozent (laut
„Telepolis“). –
Der
SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz erklärte zum Asylantrag des
Whistleblowers Edward Snowden: „Ich kann
nicht erkennen, dass der Mann politisch verfolgt wird." –
„’Tagesspiegel’-Kolumnist Harald Martenstein
verschmolz Faktenaversion mit sensationell selbstgerechter Onkeligkeit und
schrieb: ‚Die Amerikaner tun also nichts, was Tausende Deutsche in ihrer
Familie nicht auch tun: Sie spionieren.’ Als wären Privatpersonen und Staaten
auch nur ironisch vergleichbar.“ (Sascha Lobo auf SPON).
„Es geht bei diesem Grundrechte-Skandal nicht um
konservative oder progressive Einstellungen und auch nicht mehr um die Abwägung
zwischen Sicherheit und Freiheit. Die ausufernde Spionagemaschinerie ist keine
Krise des Internets, sondern eine Krise der Demokratie, die sich am Internet
entzündet hat. Ein international vernetzter Überwachungsapparat ignoriert die
Maßstäbe der Demokratie. (...)
Es geht um die Frage, ab welchem Punkt sich ein
Rechtsstaat durch systematische, heimliche Überwachung selbst pervertiert. Die
Antwort darauf ist nicht trivial. Aber wer diese Frage angesichts der
Enthüllungen durch Edward Snowden gar nicht erst diskutieren möchte, weiß
entweder nicht, wie tief die digitale Vernetzung bereits in das Leben
ausnahmslos aller Menschen eingreift. Oder er verhält sich antidemokratisch,
indem er ohne umfassende Kenntnis der Vorgänge und Technologien vorauseilend
Unbedenklichkeitsbescheinigungen ausstellt.“ (Sascha Lobo, SPON) –
Selbst sein
eigenes Ministerium muß den Innenminister korrigieren, um ihm aus der Patsche
zu helfen. In einer Pressekonferenz hatte Friedrich nach seiner Rückkehr aus
den USA behauptet, daß die NSA-Spähprogramme weltweit 45 Anschläge - und fünf
davon in Deutschland - verhindert hätten. Nur zwei Tage später mußte ein
Sprecher des Innenministeriums die Darstellung des Ministers widerrufen. Als
Journalisten darauf drängten, mehr über die vereitelten Anschläge außer bloßen
Ziffern zu erfahren, stellte sich heraus, daß der Begriff "Anschlag"
irreführend ist: „Auf der
Regierungspressekonferenz am Montag schien nun durch, dass offenbar nicht
ausschließlich konkrete Anschläge verhindert, sondern teilweise auch nur
'Überlegungen' dazu durchkreuzt wurden." Wie konkret die
"Überlegungen" waren, ob sie sich in Anschlagplänen äußerten, wie
weit fortgeschritten sie waren, darüber verweigerte das Innenministerium nun
ein Festlegung - es könne auch ein „sehr
frühes Stadium gewesen sein", zitiert die
SZ. „Was dem hinzugefügt wird, entkernt
die Behauptung Friedrichs völlig und stellt sie als potemkinsche Fassade aus“,
stellt „Telepolis“ fest und zitiert den Sprecher des Innenministeriums: „Zu sagen, dass wir hier vor fünf konkreten
Terroranschlägen standen, das wäre jetzt sicherlich die falsche
Botschaft." –
Der
CSU-Innenminister, der einen Eid darauf geschworen hat, die Verfassung zu
schützen (wobei wir natürlich wissen, was die Eide von CSU-Innenministern wert
sind, denken Sie an Old Schwurhand Zimmermann...), erklärt der verblüfften
Welt, es gebe ein „Supergrundrecht
Sicherheit“. Blöd nur, daß so ein Grundrecht Sicherheit im deutschen
Grundgesetz nicht zu finden ist, weder als „Grundrecht“, noch als
„Supergrundrecht“. Eine glatte Lüge des Innenministers also. Im Grundgesetz
könnte man dagegen, wenn man nur wöllte, ein Grundrecht auf den Schutz des Fernmeldegeheimnisses
oder auf den Schutz der Privatsphäre oder den Schutz der Menschenwürde finden.
Aber davon hat der Superinnenminister sicher noch nie etwas gehört.
Dafür findet
Friedrich, die Bürger sollten selbst für den Datenschutz sorgen. Nehmen wir den
Innenminister beim Wort und sorgen selbst für Aktion: Jagen wir den
Superinnenminister aus dem Amt. Natürlich nicht, ohne vorher für ausreichend Teer
und Federn gesorgt zu haben... –
Aus einem
Interview mit der US-Juristin Marjorie Cohn (Juraprofessorin in San Diego und
etliche Jahre Vorsitzende des Juristenverbands National Lawyers Guild) auf
„Telepolis“ (Hervorhebungen von mir): „Frau
Cohn, die Regierung von US-Präsident Barack Obama setzt derzeit alles daran,
des Geheimdienst-Enthüllers Edward Snowden habhaft zu werden. Was hätte Snowden
im Fall einer Auslieferung aus Russland an die USA zu erwarten?
Marjorie Cohn: In den USA würde Snowden wohl andauernde Einzelhaft
drohen. Zumindest läßt der Fall des Militärs Bradley Manning darauf schließen. Das Problem bei dieser Einzelhaft ist, daß
sie Folter gleichkommt, weil sie früher oder später zu Halluzinationen,
Katatonie und sogar Suizid führen kann. Für
Snowden wäre es sehr schwer, einen fairen Prozess zu bekommen, wenn man das
politische Klima betrachtet, das die Obama-Regierung in Bezug auf Whistleblower
geschaffen hat.
Frage: Nach der Flucht Snowdens aus den USA hat es
von US-Seite zahlreiche Drohungen gegen China und Russland gegeben, die dem
30-Jährigen geholfen haben. Wie bewerten Sie diese Politik der US-Führung?
Marjorie Cohn: Nach Ansicht von Michael Ratner, dem Anwalt von
Wikileaks- Mitbegründer Julian Assange, übt die Obama-Regierung massiven Druck
auf Staaten weltweit aus, um eine Auslieferung Snowdens zu erreichen. Er soll
um jeden Preis wieder in den Zugriffsbereich der USA gelangen. (...)
Außenminister John Kerry hat Russland aufgefordert, "das Richtige zu
tun", also Snowden die Ausreise zu verweigern und ihn an die USA zur
Strafverfolgung auszuliefern. Dies sei wichtig vor dem Hintergrund der Beziehungen
zwischen Washington und Moskau, dem geltenden Recht und seiner Standards. Das
alles hat ein Ziel: Die US-Regierung
will möglichen Nachahmern die klare Botschaft zukommen lassen, dass die etwaige
Weitergabe geheimer Daten schreckliche Konsequenzen für weitere Whistleblower
haben würde. Schon jetzt geht die
Obama-Regierung auf eine beispiellose Weise gegen Geheimnis-Enthüller vor. Sie hat gegen acht Personen Anklage auf
Basis des Spionage-Gesetzes erlassen. Das sind doppelt so viele entsprechende
Anklagen unter dieser Regierung als unter allen Regierungen zuvor
zusammengenommen.“ –
Angela
Merkel und ihre Minister wollen erst aus der Presse von den Spähprogrammen der
US-Regierung erfahren haben. Doch nach Informationen des SPIEGEL nutzen
deutsche Geheimdienste eines der ergiebigsten NSA-Werkzeuge selbst. –
„Die Strategie der Koalition, sich im Zuge
des NAS-Skandals extra doof zu stellen... (...) Was gilt dort („auf
deutschem Boden“, BS)? Einstweilen
Anarchie. Deutsches Recht gilt auch nicht bei Facebook, denn das wohnt in
Irland. So als wären das ferne Gestade, Neuland oder Taka-Tuka-Land, mit denen
uns kein Abkommen und keine EU verbindet. Und es gilt auch nicht in Wiesbaden,
jedenfalls nicht auf dem schicken neuen Stützpunkt der Amerikaner, denn der gehört
ja denen. Was gilt dort? Was ganz anderes.
Merkel und Friedrich suggerieren den
Bürgern, die sie für Kinder halten, eine fragmentierte und letztlich vormoderne
Welt. In manchen Winkeln unserer großen Welt toben wilde Kerle, gegen die man
nichts tun kann. (...) Nur in Merkels kleiner Republik ist man geborgen.“
(FAZ)