Und Ansonsten 06/2013
Und, haben Sie schon das großartige Album des Rappers Ghostface Killah
gehört? Dessen wie immer hinreißende Musik kann auch zu ganz anderen Gedanken
verleiten, etwa zu denen, die ausgerechnet die konservative „FAS“ so
formulierte: „Wenn man mit diesen samtigen
Aus-einem-Guß-Soulchören auf dem Ohr durch die Stadt läuft, dann überlegt man
sich das doch noch mal ganz genau mit dem gesetzestreuen Leben.“
Ich weiß nicht, wie gesetzestreu Sie Ihr Leben so führen, ich glaube
aber, daß Ghostface Killah sich unter einem nicht gesetzestreuen Leben etwas
anderes vorstellt als sagen wir Uli Hoeneß, der angeblich mit seinen an der
Steuer vorbeigeschleusten Millionen, die er sich irgendwie von Adidas
ausgeliehen hat, an der Börse zockte. Hoeneß macht ja ansonsten Werbung für
McDonalds, während Herr Killah eher zu Burger King geht, was ich genau weiß,
denn ich selbst war mal mit Ghostface Killah in einem Burger King essen. Und
das kam so:
Der Wu-Tang Clan war, ich würde sagen Ende der 90er Jahre, auf
Europatournee, und neben den einschlägigen Festivals wie Roskilde und den
üblichen Großstadtkonzerten war auch ein Konzert in Offenbach of all places
angesetzt, zu dem ich mit einem Kumpel ging.
Wir hatten uns das so ausgedacht: wir fahren mit dem Zug nach Offenbach,
treffen uns dort, laufen zur Halle und gehen dort in der Nähe, bis das Konzert
beginnt, etwas Essen und Trinken. Und so trafen wir uns am Offenbacher Bahnhof
und liefen zur Konzerthalle. Ich weiß nicht, ob Sie schon einmal in Offenbach
waren. Ich kann Ihnen jedenfalls versichern, daß Offenbach zumindest auf dem
etwa halbstündigen Weg zwischen Bahnhof und Konzerthalle eine Stimmung
verbreitet, die mit „Tristesse pur“ sozusagen euphorisch beschrieben wäre. Wir
kamen also an einem grauen Tag an der Halle an, wo Tausende junge Menschen
rumstanden und warteten. Um die Halle herum: Nichts, nur Wohnblocks. Keine
Kneipe, nirgends. Nur: eine Tankstelle (wenn ich mich richtig erinnere), und
ein Burger King. Nach einiger Zeit Rumlungern entschieden wir uns dafür,
mangels Alternativen ins Burger King zu gehen, und reihten uns in die Schlange
ein, die vom Eingang bis zur Verkaufstheke reichte. Plötzlich Gekreische und
Blitzlichtgewitter. Wir wußten, das konnte nicht uns gelten. Aber wem dann?
Ganz offensichtlich dem jungen Schwarzen, der direkt vor uns in der Schlange
stand. Und der einer der Rapper des Wu-Tang-Clans zu sein schien.
Nun weiß ich nicht, wie Ihnen das mit dem Erkennen von sogenannten
Promis geht. Ich bin da jedenfalls völlig ungeeignet. Man hat mir schon mal
Michael Stipe backstage vorgestellt, „Berthold, you know Michael?“, und mir
ging erst gefühlte fünf Minuten später auf, daß ich da mit dem REM-Sänger
plauderte. Und als in einem anderen Backstage mal direkt vor meiner Nase Bob
Dylan vorbeischlurfte, hab ich ihn auch nicht erkannt. Also... Jedenfalls waren
die einzelnen Rapper des Wu-Tang Clans jenseits von RZA, Ol’ Dirty Bastard und
Method Man damals noch nicht soo bekannt, und die Plattenfirma verteilte
deswegen draußen vor der Halle Drehscheiben, mit dem man die einzelnen
Gesichter und die dazugehörigen Namen recherchieren konnte. Und dann wußten
wir, daß es zweifelsfrei Ghostface Killah war, der in der Schlange im Burger
King direkt vor uns stand und sich mit Victory-Pose von den kreischenden
Jungmenschen fotografieren ließ, relativ gelassen wartete, bis er seinen Fraß
bestellen konnte, uns kurz anlächelte und mit einer Tüte voll Fast Food in dem
neben der Halle geparkten Tourbus verschwand.
So war das also, als ich mal mit Herrn Ghostface Killah im Burger King
zu Offenbach war.
Das Konzert war, als es dann endlich mit mehrstündiger Verspätung
losging, leider nicht besonders, wie so oft bei Rap-Gruppen, deren Alben man
liebt, live ists dann eben nicht selten eine Enttäuschung (wie unlängst in
Berlin zum Beispiel auch Kendrick Lamar – während Chance The Rapper in Austin
eine Offenbarung war btw). Aber ich hatte immerhin eine kleine Geschichte, mit
der ich meine Tochter beeindrucken konnte.
* * *
Eine deutsche Szene im Mai 2013:
Die Musikgruppe „Rammstein“ tritt an zwei Abenden im 1939 von den Nazis
feierlich eröffneten Heizkraftwerk von Wolfsburg auf, das mittlerweile das vom
von den Nazis gegründeten Automobilkonzern „Volkswagen“ gesponserte „werkseigene“ („Welt“)
Moviementos-Festival beherbergt.
Laut „Welt“ legt vor Rammsteins Auftritt ein DJ auf, „er mischt die Rockhymnen mit schlimmer
Tanzmusik und läßt dazu Bilder aus Videos laufen – auch die Ausschnitte aus
Leni Riefenstahls Olympia-Film, mit denen Rammstein sich Mitte der Neunziger in
Stellung brachten“.
Rammstein wandeln ihren Songtext dem veranstaltenden Automobilkonzern
zuliebe ab und singen statt von einem Mercedes von einem VW: „VW Passat und Autobahn / Alleine in das
Ausland fahren / Reise, Reise, Fahrvergnügen.“
Und die Kreativdirektorin der „Autostadt“, Maria Schneider, würdigt laut
„Welt“ Rammstein für ihre „deutsche
Wertarbeit“: „Hier zeigt sich der
Gestaltungswillen in seiner furchtlosesten und furiosesten Form, irgendwo
zwischen Wagner und Wernher von Braun.“
* * *
Man würde ja gerne mal wissen, wer genau die alte Tante „Zeit“ liest,
dieses Vereinsblatt der deutschen Mittelschichts-Spießer. Klar, auch in der
„Zeit“ gibt es immer mal wieder einen Lichtblick, einen brauchbaren Artikel.
Aber die Grundposition der „Zeit“ gegenüber der modernen Welt, dieses ständige
Hinweisen auf die Gefährlichkeit des bösen Internet, dürfte für Menschen mit
ein bißchen Restgrips nur schwer erträglich sein. Manchmal jedoch wird diese
Grundposition einfach nur ekelerregend – wenn die „Zeit“ zum Beispiel ausgerechnet
in der Woche, in der endlich der Prozeß gegen die NSU-Terroristen beginnt,
nichts Dämlicheres zu schreiben hat wie: „Der
bevorzugte Ort des Hasses ist das Internet.“
Vielleicht sollte sich die „gutbürgerliche“ Zeit mal fragen, was
Immigranten, die einer neonazistischen Mordserie unter detaillierter
Beobachtung bundesdeutscher Geheimdienste und unter kompletter Ignoranz von
Politik und Medien ausgesetzt waren, von dieser These des „bevorzugten Ortes
des Hasses“ halten.
Wie Harald Staun in der „FAS“ beobachtet, will die „Zeit“ dagegen „ausgerechnet am Fall Hoeneß einen
‚Kipppunkt’ im ‚Umgang der Gesellschaft mit Skandalen’ erkennen, ein
‚Bewußtsein dafür, daß es so nicht weitergehen kann’.“
* * *
Ich habe die Düsseldorfer „Tannhäuser“-Inszenierung nicht gesehen, kann
also nichts zur Ästhetik dieser Inszenierung sagen. Was ich aber sagen kann,
ist, daß es ein Skandal ist, wenn eine Inszenierung nach nur einer Vorstellung
abgesetzt, also zensiert wird, wie es der Intendant der Düsseldorfer Oper, Christoph
Meyer, nun getan hat, der alle weiteren Aufführungen aufgrund von einzelnen
Zuschauerprotesten gekippt hat. Entscheidend, so Meyer, sei allein
gewesen, daß „einige Szenen, insbesondere
die sehr realistisch dargestellte Erschießungsszene, für zahlreiche Besucher
sowohl psychisch als auch physisch zu einer offenbar
so starken Belastung geführt haben, dass diese Besucher sich im Anschluss in
ärztliche Behandlung begeben mussten".
Wolfgang Höbel hat es im „Spiegel“ auf den Punkt gebracht: „Der zürnende Kulturbürger von heute (...)
ruft nach dem Sanitäter. Mindestens zehn Premierenbesucher, so wird in
Düsseldorf berichtet, hätten sich nach der Premiere in ärztliche Betreuung
begeben müssen. Das hat für die Absetzung gereicht. Die Deutschen haben in
ihrer jüngeren Geschichte sechs Millionen Juden umgebracht, aber wenn sie im
Jahr 2013 auf einer Opernbühne daran erinnert werden, rufen sie nach dem Onkel
Doktor.“
* * *
McDonalds verkauft laut Aussage von Firmenchef Don Thompson auf der
jüngst stattgefundenen Hauptversammlung des Fastfood-Konzerns „kein Junk-Food“, sondern „wir verkaufen viel Obst und Gemüse bei
McDonald's und wir wollen noch mehr verkaufen." Ah ja. Doch nicht nur Herr Thompson
verkauft uns für doof, nein, auch die sogenannten deutschen Film- und
Fernsehstars spielen mit.
In einem neuen Werbespot für McDonalds treten u.a. Moritz Bleibtreu (der
einen, sic, Cheeseburger
verkörpert), Alexandra Maria Lara, Christian Ulmen (die Bio-Apfeltüte), Jürgen
Vogel (der Veggieburger TS) oder Joko Winterscheidt auf und machen Werbung für
die ungesunde Ernährung, für die zuletzt auch schon der steuersündende
Wurstfabrikant Uli Hoeneß und der sogenannte Starkoch Alfons Schuhbeck auf die
Pauke hauten (was im Fall von Schuhbeck schon besonders perfide ist, wo er sich
doch sonst allüberall als Apologet gesunder, frischer Ernährung inszeniert).
Martin Nowicki, Vorstand Marketing McDonald’s Deutschland,
sagt dazu: „Mit der hochkarätig besetzten
Kampagne inszenieren wir auf charmante Art und Weise unsere Snack-Produkte. Wir
haben dafür erstklassige Schauspieler und Künstler buchstäblich auf die Bühne
geholt, die unsere Produkte spielen und in überraschenden Dialogen unser neues
Angebot vorstellen." Das ist werbechinesisch für: Wir haben wieder
paar Idioten gefunden, die sich nicht zu schade sind, für ein paar Euro den
jungen Menschen unseren Fraß andrehen.
Ach ja, und im Hintergrund steht der komische Typ mit der
Pandamaske rum – Cro macht McDonalds den Snack Wrap TS. Für Geld tun unsre
B-Promis eben wirklich alles.
* * *
Wiglaf Droste erzählt in seiner neuen Glosse „Ahlmänner, aalglatt“ von
den Herren Dehm und Niedecken – hier zu Ihrem Vergnügen der Teil über den
Kölner Volkssänger, mit herzlichem Dank an Wiglaf Droste für die
Abdruckgenehmigung:
„Auf Facebook / vulgo Fressenkladde forderte der
62jährige BAP-Sänger Niedecken seine Anhängerschaft auf, bei einem von C &
A ausgelobten Schulwettbewerb für den Abiturjahrgang seiner Tochter zu
stimmen. Gekürt werden sollte „das originellste Abi-Motto mit dem besten
Logo“, eine Vorauswahl von 25 Einsendungen wurde zur Abstimmung ins Internet
gestellt, als Preis gab es von C & A 10.000 Euro für den Abi-Ball und für
alle Beteiligten T-Shirts mit dem prämierten Logo. Der Abiturjahrgang von
Niedeckens Tochter nannte sich „Die wilde 13“, und als Parole hatten sich die
jungen Menschen ganz bescheiden „Take over the world“ ausgedacht.
„Jim Knopf und die wilde 13“ ist eins von den
erträglicheren Kinderbüchern, und Pubertierenden ist vieles erlaubt. Dennoch
könnten unverschlafene deutsche 19jährige schon mal darüber nachdenken, ob sie
mit ihrer Forderung nicht doch erschreckend den Gleichaltrigen ähneln, die ab
dem 1. September 1939 eben mal so die Welt übernehmen sollten oder wollten.
Das Engagement von Papa Niedecken war ein
Rohrkrepierer. Die angebliche Schwarmintelligenz des Internets, die Niedecken
nutzen wollte, erwies sich zuverlässig als das, was sie ist: als pure Doofheit.
Man warf Niedecken, erwartbar fade, Manipulation vor. Niedecken, dem
Legionär Taubenus aus „Streit um Asterix“ geistesverwandt, nölte allerdings
nicht minder öde zurück: „Habt ihr eigentlich nichts besseres zu tun??“ Die
Frage hätte er sich vorher selber stellen können, wenn er denn dazu fähig
gewesen wäre.
„Ahl Männer,
aalglatt“, Alte Männer, aalglatt hieß ein BAP-Album, das 1986 erschien, und 27
Jahre später hat man die überlebenden Lemuren am Hacken, die nicht einmal einen
anständigen Abgang hinkriegen. Wolfgang Niedecken, der Weltgeneralbeauftragte
für Menschenrechte auf kölsch, zeigt, was ein sich als politisch ausgebender
Musiker heute noch wählen kann: C & A. Als – gepriesen sei das Wort –
„Skoda-Kulturkopf“ steckt Niedecken ja selbst ohnehin schon bis zu den
Schultern in der Brown-Nosing-Werbebranche.“
* * *
Haben Sie schon das explosive neue Video „FIXURLIFEUP“ von Prince
gesehen?
Oh. ich vergaß, Sie leben ja im GEMA-Land, da sind Sie natürlich von
solchen kulturellen Vergnügen ausgeschlossen. In China dagegen, nur am Rande,
könnten Sie das Video ohne Probleme sehen...
* * *
Wenn Sie in einem Düsseldorfer Hotel eine Broschüre finden, in der ein
Artikel „Comeback des Neandertalers – Einer für alle“ überschrieben ist, an wen
haben Sie dann sofort gedacht? Na?!? Genau, an den Schlagersänger Andreas Frege
natürlich, der sich in seinem Bühnenleben nach einem Fruchtbonbon benennt und
der aus unerfindlichen Gründen „als ein
Vertreter der rebellischen Bewegung“ und als der „berühmteste Punk Deutschlands“ gilt. Aber in diesem unseren Land
gilt ja auch „Bild“ als Zeitung, was will man also erwarten.
* * *
Speaking of Blödzeitung – haben Sie sich auch gefragt, warum deren Boss
Kai Diekmann so herzlich mit dem deutschen Wirtschaftsminister Philipp Rösler
in der Öffentlichkeit herumgeschmust hat, als Rösler Diekmann im Silicon Valley
besucht hat?
Genau, es war der Wirtschaftsminister der FDP, der gerne damit
kokettiert, mit Internet und Emails nicht viel zu tun zu haben (um seine
„Privatsphäre zu schützen“...), und der gegen den Widerstand des
Koalitionspartners CDU/CSU und der Opposition den deutschen Pressekonzernen,
angeführt vom Axel Springer-Konzern, von Gruner+Jahr und von Burda, heftig zu
Willen war und ein Leistungsschutzrecht im Bundestag durchgesetzt hat, das sehr
einseitig die Interessen der Medienkonzerne berücksichtigt und die von Urhebern
und Konsumenten ignoriert.
Rösler auf Schmusekurs mit den Pressekonzernen, für die er Politik macht
– jetzt eben auch als Bildgeschichte...
* * *
Der Hannoveraner Reservekorvettenkapitän Eckhard von Klaeden ist
Staatsminister im Bundeskanzleramt. Zum Ende des Jahres wird von Klaeden
Cheflobbyist beim Daimler-Benz-Konzern. Wer nun erwartet hätte, daß von Klaeden
sofort beurlaubt wird, kennt natürlich unsere Lobby-treue Regierung und
Kanzlerin Merkel schlecht - von Klaeden soll seine letzten Monate vor dem
Wechsel zu Daimler weiter im Machtzentrum der deutschen Regierung verbringen,
wo er seinem neuen Arbeitgeber natürlich besonders nützlich sein kann.
"Diese Haltung
offenbart ein Ausmaß an Dreistigkeit und an Ignoranz von Regeln guter
Regierungsführung – die Angela Merkel in anderen Ländern gern lehrmeisternd
einfordert –, daß man nur staunen kann. Andererseits folgt sie konsequent der
Linie von CDU/CSU und FDP, die noch jedes Bemühen um mehr Transparenz und
Lobbykontrolle im Bundestag blockiert hat. Anhand des Falles von Klaeden
versteht man erst jetzt so richtig, weshalb Schwarz-Gelb im vergangenen Herbst
alle Anträge der Opposition so entschieden abgelehnt hat, die auf eine
Karenzzeit für Politiker zielten, die in die Wirtschaft wechseln. Wären sie
angenommen worden, müsste der CDU-Staatsminister jetzt mindestens 18 Monate
warten, ehe er die Stelle bei Daimler antreten könnte. So lange währt die
Abkühlzeit für EU-Kommissare. Lobbykontrollorganisationen fordern sogar drei
Jahre für Regierungsmitglieder", kommentiert Holger Schmale in der
"Berliner Zeitung".
Doch die enge Verstrickung des Regierungsmitglieds von Klaeden
mit Konzernen, für die seine Regierung Politik macht, ist kein Zufall - wir
hatten bereits berichtet, daß "sein Bruder
Dietrich beim Axel-Springer-Verlag, der als Hauptinteressent an dem jüngst vom
Kabinett und Bundeestag beschlossenen neuen Monopolrecht für Presseverlage
gilt, für die Beziehungen zur deutschen Bundesregierung zuständig ist“ („Telepolis“).
An Dreistigkeit ist unsere Regierung jedenfalls kaum zu überbieten.
* * *
Die Blödzeitung leistet sich ansonsten die Frechheit, ausgerechnet ein
Buch von Kurt Tucholsky (nämlich „Deutschland, Deutschland über alles“) in
einer „Bild“-Mini-Bibliothek noch einmal neu aufzulegen. Und dafür zu werben,
dieses Buch sei „ein Buch wie eine frühe
‚Bild’-Zeitung“.
Tucholsky kann sich gegen derartige Unverschämtheiten und
Leichenfleddereien nicht wehren. Wir aber können Tucholsky lesen. Das hilft.
Auch gegen jedwede Blödzeitung.
* * *
Daß die Großverlage unter „Urheberrecht“ alles andere als das, sondern
vielmehr ein Verwertungsindustrierecht
verstehen, ist eine Weisheit der Marke Binsen, das weiß mittlerweile jedes
Kind. Von einem besonders drastischen Beispiel berichtet Stefan Niggemeier auf
seinem Blog: Gruner+Jahr, die auch die Münchner Vereinszeitschrift für
Urheberrechtspropaganda in der Musikindustrie herausgeben, versucht vor Gericht
durchzusetzen, daß Zeitschriften das Recht haben sollen, „Texte ihrer Autoren auch gegen deren Willen komplett umzuschreiben,
keinen Satzbaustein auf dem anderen zu lassen, selbst wörtliche Zitate von
Gesprächspartnern zu ändern“ (Niggemeier). So nämlich argumentieren die
Anwälte des Gruner+Jahr-Blattes „Geo“ in einem Prozess gegen den altgedienten
Reporter und langjährigen „Geo“-Autor Christian Jungbluth, der „Geo“ verklagt
hatte, weil die Zeitschrift einen Artikel von ihm in einer grundlegend
veränderten und für ihn nicht akzeptablen Version unter seinem Namen
veröffentlicht hatte. Urheberrecht, wie die Großverlage und Medienkonzerne es
verstehen, die sich in der Öffentlichkeit sonst so gerne als Vertreter der
Autoren inszenieren.
In erster Instanz hat Gruner+Jahr übrigens vor dem Landgericht Hamburg
verloren, doch „Geo“ ist in Berufung gegangen, in zweiter Instanz gab es dann
einen Vergleich.
Wer wissen möchte, auf welch ekelhafte und würdelose Art und Weise die
Anwälte des Gruner+Jahr-Blatts nicht nur gegen die Rechte seiner Autoren,
sondern auch gegen die Pressefreiheit argumentieren, kann das detailliert auf
Niggemeiers Blog nachlesen:
http://www.stefan-niggemeier.de/blog/wie-geo-gegen-die-rechte-von-autore...
* * *
Das Feiertags-Abendprogramm am 9.Mai („Christi Himmelfahrt“) im
Staatsfernsehen, ARD/„Das Erste“: 20.15 „Helene Fischer – Für einen Tag –
live“. Eine 105minütige Show des „Schlagerstars“. Gefolgt von: 22.00 „Helene
Fischer – Allein im Licht“. Eine „Doku über Leben und Arbeit der mit Kollegen
Florian Silbereisen liierten Sängerin“ – ich würde eher sagen: eine unkritische
90minütige Werbesendung für Helene Fischer.
Und um 01.20 Uhr wird die Show von 20.15 Uhr nochmal wiederholt, damit
auch wirklich jede und jeder von Helene Fischer beglückt wurde.
Ich will Sie an dieser Stelle jetzt nicht mit dem verfassungsmäßigen
Kulturauftrag der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten langweilen – ich wäre
schon zufrieden, wenn das Staatsfernsehen auch mal zu bester Sendezeit eine
anderthalbstündige Sendung mit sagen wir klassischer Musik und ein andermal mit
HipHop und Rap oder mit Weltmusik ausstrahlen würde. Zum Beispiel. Wenn es also
irgendeine Art von kultureller Vielfalt im Programm des Staatsfernsehens gäbe,
und nicht nur quotenorientierte Promosendungen für Schlagerstars und sonstigen
Weltzustimmungs-Schwachsinn.
(Nachbemerkung: Der „Musikmarkt“ meldet zweieinhalb Wochen nach der
Ausstrahlung des Werbeabends für Helene Fischer in der ARD den Erfolg der
Promo-Maßnahme: „Keine andere Künstlerin
konnte vor ihr drei Alben gleichzeitig in den Top 10 der deutschen Charts
platzieren.“)
* * *
„Wenn ich ein Schostakowitsch-Konzert
spiele, ist es nicht Sinn der Sache, daß sich das Publikum dabei amüsiert.“ Julia
Fischer
* * *
Die „Berliner Zeitung“ schafft es, in einem vierspaltigen Artikel im
Feuilleton über „Schriftsteller, die es
aus dem Westen in den Osten zog“, Ronald M. Schernikau mit keinem Wörtchen
zu erwähnen...
* * *
„Mit Typen wie
Diepgen oder Landowsky an der Macht gäbe es die Love Parade heute noch in
Berlin. Die waren viel offener. (...) Man spart jetzt jedes Jahr vielleicht
eine Million für die Müllbeseitigung, aber dafür gibt man 20 Millionen für die
Be-Berlin-Kampagne aus.“ Westbam im Interview mit der „taz“
* * *
„Große Fische,
wenige Angler“ lautet der Titel einer Sonderseite der „Berliner Zeitung“ am 18.5.d.J.
Es geht um Steuerfahnder – „rund 1,5
Millionen Euro treibt ein Beamter im Jahr ein. Dennoch sind die
Steuerverwaltungen hoffnungslos unterbesetzt, besonders im Süden der Republik
(wo die CSU regiert und wo die meisten Reichen wohnen, BS). Warum der Staat sich jährlich bis zu 30 Milliarden
Euro entgehen läßt.“
Ja, warum wohl? Lassen Sie uns raten...
* * *
In den letzten
Monaten wurde in etlichen Medien, von „Süddeutscher Zeitung“ bis Bayerischer
oder Hessischer Rundfunk, immer wieder beklagt, daß die Streaming-Plattformen
Spotify und Simfy für Musikstücke bedingt bekannter Gruppen pro Abspielvorgang
lediglich 0,001312 und 0,001248 Euro (beziehungsweise 0,1312 und 0,1248 Cent)
zahlen – wir berichteten (siehe auch Berthold Seligers Artikel "Mozarts
Subscriber" im "Freitag", den Sie auf unserer Homepage unter
"Texte" finden können). Deshalb, so das Fazit der Berichte, biete das
Streaming Musikern keine wirtschaftliche Basis. Legt man diese Maßstäbe an,
dann gilt das jedoch für das herkömmliche Analogradio in noch weit stärkerem
Maße – darauf weist jetzt Peter Mühlbauer in „Telepolis“ hin.
Demnach „errechnete Christian Hufgard vom Verein
Musikpiraten, wie viel Geld die deutschen Radiosender auf einzelne Hörvorgänge
umgerechnet zahlen, indem er anhand von Zahlen der Medien-Analyse Radio und der Verwertungsgesellschaften GEMA und GVL“
nachrechnete. Dabei kam Hufgard
auf einen Betrag von sage und schreibe 0,000193644 Euro – „nicht einmal ein Siebtel dessen, was die relativ unbekannte
Beispielsband aus der BR-Sendung on3 pro Abspielvorgang bei Spotify erhält.“
* * *
Wie der „Musikmarkt“ dieser Tage meldete, hat der EU-Mediator António
Vitorino ein Jahr lang unabhängig die verschiedenen Pauschalabgaben für
Privatkopien in der EU untersucht und ist zu dem Schluß gekommen, daß „die Pauschalabgabe eine Doppelbelastung für
die Verbraucher darstellt. Denn Urheber würden dank lizenzierter Inhalte bereits
direkt vergütet und eine Privatkopie des Verbrauchers bedeute keinen Schaden
für den Urheber. Der Käufer zahle allerdings aufgrund der Pauschalabgabe
doppelt. Insgesamt habe Vitorino Zweifel an dem bestehenden System und
empfiehlt eine intensive Debatte über Alternativmodelle.“
Ich habe ehrlich gesagt auch „Zweifel am bestehenden System“, aber
ändern wird das wenig – Sie werden auch künftig doppelt bezahlen, und das
sogenannte Urheberrecht wird weiterhin zu Ihren Lasten und zugunsten der
Verwertungsindustrie funktionieren. Da wette ich drauf.
* * *
Lustig, wie die konservative „FAZ“ anläßlich der blamablen
Verlosungsaktion für die Presseplätze im Münchner NSU-Verfahren plötzlich zur
harten Kritikerin von großen Medienkonzernen, von Monopolen und Großindustrie
wurde. In der Gerichtslotterie hatten
„konzernunabhängige Titel wie die
(...) taz oder diese Zeitung (die FAZ, BS) kaum eine Chance“ (man betrachte
die schöne Konstruktion der gemeinsamen Konzernunabhängigkeit!), während „große Medienhäuser sich mit Mann und Maus
an dem Losverfahren beteiligen konnten nach dem Motto: mehr Lose, mehr Chancen“.
Die FAZ also als linksradikale Kampfpresse gegen Monopolismus und
Wirtschaftskonzentration? Wir hören nicht auf zu lernen.
* * *
Und wenn Ihnen interessierte Kreise einhämmern wollen, daß in Wembley
„der deutsche Fußball“ gesiegt habe, „wir“ als „Fußballnation“ in Europa
führend und quasi schon Weltmeister seien – gemach, gemach, ich rate zur
Nachdenklichkeit. Nur im "Großkotzertum"
(Krauss/Wittich in "Jungle World") sind deutsche Fans und Medien
unerreicht.
Das Endspiel um die Championsleague war ein attraktives Stück Fußball,
keine Frage. Und der komische FC Bayern hat nicht völlig unverdient gewonnen,
auch wenn Dortmund ein mindestens ebenbürtiger Gegner war – und die Bayern
hätten sich nicht beschweren dürfen, wenn in der ersten Halbzeit Ribery vom
Platz geflogen wäre, und wenn der Schiedsrichter bei Dantes Foul Elfmeter
pfiff, mußte er ihm auch gelb-rot geben und vom Platz stellen. Aber es ist nun,
wie es ist.
Man sollte jedenfalls vorsichtig sein mit der sogenannten
„Vorherrschaft“ – die Bayern waren gegen Arsenal im Achtelfinale fast schon ausgeschieden, hatten dann im Halbfinale das Glück, auf
einen FC Barcelona in einer Krise und ohne Messi zu treffen; und Dortmund kam
gegen Malaga und Real Madrid zweimal auch nur mit viel Glück weiter (so sehr
ich mich über die glanzvolle Dortmunder Championsleague-Saison gefreut habe).
Vor allem aber – wo war er denn genau, der dominante deutsche Fußball? Die Mehrzahl der
Spieler des FC Bayern hat jedenfalls keinen deutschen Paß, und ohne die Tore
von Lewandowski und die Qualität seiner drei ausländischen Kollegen wäre
Dortmund nie ins Finale gekommen. Zehn der zweiundzwanzig
Endspiel-Protagonisten waren keine deutschen Spieler, und unter anderem genau
deswegen konnte so ein attraktives Spiel geschehen. Und wieviele Spieler kamen
aus den eigenen Nachwuchsabteilungen der beiden Vereine?
Sehen Sie, es lohnt sich, genauer hinzuschauen. Im Fußball wie im Leben.
Ich halte es jedenfalls weiterhin mit dem klugen Xavi Hernández vom FC
Barcelona, der nicht nur sagt, er und seine Mitspieler wollten immer „einen sehenswerten Fußball bieten, mit dem
sich die Leute identifizieren können“, sondern auch: „Es gibt etwas Größeres als das Ergebnis, etwas Nachhaltiges, ein
Vermächtnis.“
Das hätte ich nicht besser formulieren können. Denn auch anläßlich des
25jährigen Jubiläums meiner kleinen Tourneeagentur kann ich nur immer wieder
versichern: Es gibt etwas Größeres als Einspielergebnisse, als ausverkaufte
Hallen, als kommerziellen Erfolg. Nämlich etwas Nachhaltiges – schöne,
intensive, glücklich machende Konzerte! Ich wünsche Ihnen und uns allen
möglichst viele davon – Konzerte, die in Erinnerung bleiben mögen.