25.03.2013

Sklaverei, Milliardäre und Textilindustrie

Jaja, ich weiß, Amazon zahlt Minilöhne für Leiharbeiter. Und auf dem
SPD-Landesparteitag in Mecklenburg-Vorpommern bedienten KellnerInnen, die nur
6,62 Euro pro Stunde verdienten, obwohl die Sozialdemokraten doch einen
Mindestlohn von 8,50 Euro fordern. Und wenn sich die Parteitagsdelegierten
gleich welcher Coleur in den 4- und 5-Sterne-Hotels zur Ruhe betten, wurden
zuvor Zimmermädchen ausgebeutet, die die Zimmer auf Vordermann gebracht haben.
In Berlin etwa „schuften Zimmermädchen“
in den Luxushotels laut einer Recherche des RBB „für drei bis vier Euro Stundenlohn. Angestellt sind sie bei
Fremdfirmen, die den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn für
Reinigungskräfte trickreich umgehen“.

Jeder kann sich jederzeit empören, Anlässe gibt es zu genüge, und man
fühlt sich so viel besser, wenn man Elche beim Elchsein ertappt hat.

Nur, das Ganze ist systemisch. Nichts, was uns (und damit meine ich im
Wortsinn: uns alle!) irgendwo ein Vorteil dünkt, kommt ohne Nachteil daher. Wo
es Gewinner gibt, gibt es Verlierer. Es gibt keine Gewinne, ohne daß irgendwer
irgendwo den Preis dafür bezahlen würde.

Wenn ich im März in die USA zur SXSW fliege und vorher in wechselnde
Städte, wo meine Künstler und ihre Vertreter wohnen, kaufe ich mir stets die
„Billionaires“-Ausgabe von „Forbes“. Immer im März erscheint in den USA „the
definitive Guide to the richest People on Earth“, der alle (in diesem Jahr:
1.426) Milliardäre der Welt verzeichnet. Auf dem Titel der 2013er Ausgabe:
Mikhail Prokhorov, ein russischer Oligarch, Geschäftspartner eines gewissen
Jay-Z in Brooklyn (ihnen gehört gemeinsam eine riesige neue Mehrzweckhalle
sowie der Basketballverein Brooklyn Nets, und jetzt raten Sie mal, wer den
jeweils größeren Anteil daran hält...).

Auch hübsch: ein doppelseitiges Foto von einem Strand in Malibu/Kalifornien,
an dem nebeneinander u.a. Joel Silver (Filmproduzent, u.a. Matrix), Paul Allen
(Microsoft), Haim Saban (Saban Capital Group), Jeffrey Katzenberg (DreamWorks),
Larry Ellison (Oracle), Peter Morton (Hard Rock Cafe), Gerald Schwartz (Onex),
David Geffen (DreamWorks) und Eli Broad (SunAmerica) ihre Multimillionen-Villen
besitzen (die auf dem Foto genau bezeichnet sind). Die Milliardäre zahlen bis
zu über 600.000 Dollar pro Meter (!) Meerblick – und der Strand dort ist,
anders als in Potsdam, wo die Neu-Junker die Bevölkerung nicht ans Ufer lassen,
öffentlich. Da muß man sich schon wundern, warum die Occupy-Leute bei Wind und
Wetter in New York kampierten statt vor den Villen der Milliardäre in Malibu.
Doch ich schweife ab.

Was ich Ihnen eigentlich erzählen wollte, sind ein paar der
Top-Milliardäre der „Forbes“-Liste. Auf Platz 1 steht seit vier Jahren der
mexikanische Telekom-Mogul Carlos Slim Helu, ihm und seiner Familie gehören 73
Milliarden US$. Auf Platz 2 Bill Gates mit 67 Milliarden Dollar. Doch dann,
bereits auf Platz 3, finden wir einen spanischen Superreichen namens Amancio
Ortega, der über ein Vermögen in Höhe von 57 Milliarden Dollar verfügt. Kennen
Sie nicht? Ihm gehören 60% einer Firma namens Inditex (deren Chef er bis 2011
war). Zu Inditex gehört ein Konzern namens Zara. Klingelt etwas bei Ihnen?
Unter anderem mit seiner Textilienkette Zara machte Amancio Ortega im Jahr 2012
derartig hohe Profite, daß ihm selbst unter den wahrlich nicht unvermögenden
Superreichen der Forbes-Liste der größte Sprung nach vorne gelang: sein
Vermögen vergrößerte sich 2012 um sage und schreibe 19,5 Milliarden Dollar. Und,
am Rande: Ortega lebt in einem Land, in dem mehr als die Hälfte aller
Unter-30jährigen arbeitslos sind und zuletzt eine sechsstellige Zahl von Häusern
zwangsgeräumt wurden, weil die Menschen ihre Kredite nicht mehr bedienen
konnten. Es gibt eben allüberall und jederzeit ein Oben und ein Unten.

Auf Platz 9 der Liste der Schwerreichen: Liliane Bettencourt (L’Oréal).
Platz 10: Bernard Arnault (LVMH, u.a. Louis Vuitton und Bulgari). Auf Platz 18
der reichste Deutsche, Karl Albrecht (Aldi), mit 26 Milliarden Dollar.

Platz 12: ein gewisser Stefan Persson, 65 Jahre alt, Vermögen 28
Milliarden Dollar. Kennen Sie wieder nicht? Er ist Vorstandsvorsitzender von
H&M (und hat sein Vermögen zuletzt dadurch vermehrt, daß er in Paris gleich
einen ganzen Häuserblock in bester Lage kaufte). Stefan Persson gehören 38% von
H&M, die Textilkette wurde von seinem Vater gegründet.

Und nun fragen wir uns mal kurz, wie die Herren Ortega aus Spanien und
Persson aus Schweden so superreich werden konnten. Die Waren, die sie in ihren
Textilketten verkaufen, sind eher billig. Wenn Sie ein schickes Oberteil bei
Zara oder ein T-Shirt für wenig Geld bei H&M kaufen, werden Sie sich wegen
des günstigen Artikels eher als Gewinner fühlen. Und es ist anzunehmen, daß
sich auch die Herren Ortega und Persson nicht als Verlierer im globalen Spiel
bezeichnen werden. Wer aber sind die Verlierer, auf deren Kosten die Herren
Ortega und Persson ihre Gewinne machen?

„Terre des hommes“ hat gerade die Arbeitsbedingungen in der weltweiten
Textilindustrie in scharfer Form kritisiert. Danach leben mindestens 12
Millionen Menschen in Sklaverei-ähnlichen Verhältnissen, darunter zahlreiche
Kinder. Gerade die moderne Textilindustrie brauche massiv billige
Arbeitskräfte, weil sie günstig produzieren müsse.

„Es gibt heute
mehr Sklaven als zu Zeiten des transatlantischen Sklavenhandels“, sagte die
Sprecherin von „Terre des hommes“.

Wir schreiben das Jahr 2013. Und wir sind alle Profiteure einer
globalisierten Welt. Und jemand anderes zahlt den Preis. Und wir sind
vielleicht weiter entfernt von jenem „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach
seinen Bedürfnissen“ denn je zuvor.