01.02.2013

Beckett, Briefe und Feuilleton

Die alte Tante „Zeit“ kriegt sich in ihrem Feuilleton förmlich nicht
mehr ein und schreibt in einer Rezension der Briefe Samuel Becketts 1929-1940
unter anderem:

„So klug und so
persönlich (...) 800 unglaublich reiche Seiten funkelnder Briefprosa (...)
Seite für Seite Witz und stilistischer Glanz.“

In der am gleichen Tag in „Konkret“ erschienen Rezension lesen wir
einige Beispiele der laut „Zeit“ „so klugen“ und „funkelnden Briefprosa“ voll
„stilistischem Glanz“:

„Mein lieber Tom,
Bronowski ... sagt, er nimmt drei Kackwürste aus meiner Zentrallatrine. Aber
leider nicht die doppelt gekringelten und zugespitzten... Ich weiß nicht ... ob
das Proustsche Arschloch als entrée oder als sortie zu betrachten ist – libre
in jedem Fall.“

Ach, wie der kluge stilistische Glanz hier doch funkelt!

Über Furtwängler schreibt Beckett, er schüttele „seine zarten Hinterbacken, als müßte er ganz dringend zur Toilette“
usw. usf.

In der Suhrkamp-Edition der Briefe findet sich in der Einleitung der
Satz, der den Ton der Rezensionen im embedded Feuilleton vorgibt: „Samuel Beckett zählt zu den großen
literarischen Briefschreibern des 20.Jahrhunderts.“ Eine Behauptung, die
sich in der „Zeit“ im vorauseilenden Gehorsam quasi selbst erfüllt. Stefan
Ripplinger zieht in „Konkret“ jedenfalls das gegenteilige Fazit: „Wer Becketts Prosa liebt, sollte seine
Briefe meiden.“

Und wahrscheinlich die Briefe wirklich großer Briefschreiber des
20.Jahrhunderts lesen, sagen wir: von Tucholsky bis Hacks.