Das neue Album von Tocotronic
Na gut. Ich ergebe mich.
Nachdem bereits im Dezember, mehr als einen Monat vor Erscheinen des
Albums, der „Rolling Stone“ gewissermaßen, wie Sportreporterinnen im
Staatsfernsehen das formulieren würden, seinen inneren Reichsparteitag erlebt
hat („eine der letzten großen Bands des
Landes“) und die Band auf die Titelseite hob, und im gleichen Monat, also
über einen Monat vor Erscheinen des neuen Albums, auch die vom ehemaligen
„Rolling Stone“-Redakteur geführte „Spex“ nicht anders konnte und die Band auf der
Titelseite präsentierte, und nachdem das Staatsfernsehen Wochen vor dem
Erscheinen des Albums von dessen Besonderheit raunte, und nachdem sozusagen
kein Feuilleton der Qualitätspresse der Republik ohne einen großen Vorabbericht
über die Band und ihr neues Album, ohne umfangreiches Interview („Berliner
Zeitung“) oder ganze Seite Bericht („Die Zeit“) oder ganze Seite Jubelarie („Gitarren, Drums und Bass sitzen nun immer
am richtigen Platz“, beruhigt uns der „taz“-Experte, das ist ja noch mal
gut gegangen...) oder profunde Vorab-Einschätzungen von „schön verwaschen, unscharf und undeutlich“ („Rolling Stone“) bis „eine ungleich artifiziellere Ästhetik, die
von Verwaschungen, Unschärfen, Hall- und Echoeffekten getragen ist“
(„Spex“) ausgekommen ist, nachdem nun also in einer wochenlangen, vom weltgrößten
Plattenkonzern angezettelten und finanzierten Marketingkampagne, bei der die
deutschen Musikmagazine und die deutschen Qualitätszeitungen ihrer Pflicht zur
Vorab-Konsumberatung und Lobhudele des Produktes der Bewußtseinsindustrie zu
mehr als Genüge nachgekommen sind, nachdem also das neue Album „einer der
letzten großen deutschen Bands“ nun, am 25.Januar des Jahres, endlich erschienen
ist, habe ich mich ergeben und bin meiner Pflicht als treuer und braver
Konsument der Produkte der Kulturindustrie nachgekommen und habe also nun das
erste Tocotronic-Album meines Lebens erworben.
Ob man das anhören muß, ob ich es anhören werde – ganz ehrlich, ich weiß
es noch nicht. Aber ich glaube, darauf kommt es letztlich auch gar nicht an.
Erstmal geht es einfach darum, Beweismaterial zu sichern.