Musikindustrie investiert Milliarden in Künstler!
Ach, war das wieder eine schöne Schlagzeile: „Musikunternehmen investieren Milliarden in
die Nachwuchsförderung“ titelte die „Pjöngjang Times“ der Musikindustrie,
die „Musikwoche“. Was war geschehen? Hatte die Tonträgerindustrie plötzlich ihr
Herz für die Musik entdeckt und ihre heimlichen Goldschätze versilbert und an
die jungen Bands verschenkt? War ein Wunder geschehen? Ist die Erde plötzlich
eine Scheibe? Iwo.
Es war bloß Propaganda auf quasi nordkoreanische
Art. Die sogenannte „Studie“ hat der „Internationale Dachverband für Tonträgerhersteller“,
IFPI, hergestellt – man hat also nicht einmal so getan, als ob man ein
„unabhängiges“ Marktforschungsinstitut beauftragt, nein, man hat die „Studie“
gleich selbst zusammengebastelt. Mit welchen Zahlen aber? Genau: „Für die
Studie wurden die Investitionen von Musikfirmen zusammengetragen“, kann man
beim „Musikmarkt“ lesen (nicht bei der „Musikwoche“, da wird so getan, als ob
es tatsächlich eine Studie sei, die da veröffentlicht wurde...). Und die von
der Musikindustrie, also von sich selber, zusammengetragenen Zahlen ergeben schwupps
genau das Ergebnis, das die Musikindustrie erwartet hatte, und das die
Musikindustrie dann kommentieren darf, etwa der Kim Il Sung der deutschen
Musikindustrie, Dieter Gorny („...damit
sind die Musikfirmen die wichtigsten Investoren beim Aufbau langfristiger
Musikerkarrieren“), oder der Chef von Warner Music, Bernd Dopp („Deshalb brauchen die jungen, talentierten
Künstler von heute mehr denn je Partner wie uns, die sie auf eigenes
wirtschaftliches Risiko und mit (...) Herzblut fördern und gemeinsam mit ihnen
zu Marken aufbauen und etablieren“), oder der Chef von Universal, Frank
Briegmann („Investing in Music ist ein
Credo von Universal Music“).
Die durchschnittlichen Kosten dafür, einen neuen
Künstler am Markt zu etablieren, beziffert die IFPI auf bis zu 1,4 Millionen
Dollar (man beachte: „durchschnittlich“ und „bis zu“ – echt Studie eben). Mal
so rumgefragt, liebe Universals, Warners oder wie ihr alle heißt – in wie viele
„junge, talentierte Bands“ habt ihr denn zuletzt, sagen wir in den letzten
drei, vier Jahren „im Durchschnitt bis zu“ 1,4 Millionen Dollar investiert?
Guter Scherz.
Hinzu kommt, daß es eben letztendlich in der Regel
nicht die Plattenfirmen sind, die in die Künstler investieren – denn die
Investitionen, für die sich die Musikindustrie hier so brüstet, sind ja in den
Künstlerverträgen zu großen Teilen „recoupable“, wie es im Musikindustriesprech
heißt, bedeutet: jeder Euro, den die Plattenfirma ausgibt, wird im Zweifel gegen
die Einnahmen der jeweiligen Künstler gerechnet bzw. verrechnet – im Klartext:
kommt eine Band in die Gewinnzone, erhält sie nicht etwa irgendwelche
anteiligen Gewinne aus ihren Plattenverkäufen, sondern muß erstmal der
jeweiligen Plattenfirma die von diesen getätigten Investitionen zurückbezahlen.
Also: die Plattenfirmen leihen sich sozusagen das Geld von den Bands, sie
betreiben eine Art Bankgeschäft. Von wegen „wir investieren in die Karrieren
junger, talentierter Künstler“ – alles fake, alles nur geliehen! Wenn
heutzutage bei Plattenfirmen noch langfristiger Künstleraufbau betrieben wird,
dann von den kleinen Plattenfirmen – und die haben alles andere als „im
Durchschnitt bis zu“ 1,4 Millionen pro Band oder Künstler zur Verfügung...
Was für ein aufgeblasener Bullshit, den die Funktionäre
der Musikindustrie da Hand in Hand mit dem embedded journalism der
Musikindustrie von sich gegeben haben!
Die Wahrheit sieht doch eher so aus wie in diesem
Beispiel: Eine der Bands des Jahres 2011 waren The Weeknd aus den USA. Während
die Musikindustrie sich über Copyright-Verletzungen erregte, verschenkte der
junge Kanadier Abel Berihun Tesfaye, der sein Projekt The Weeknd nennt, seine
Musik. Und zwar konsequent, nicht nur hier mal einen Song und da einen
Download, nein, komplette Kurz-Alben (die er Mixtapes nannte) konnten
monatelang von seiner Website kostenlos heruntergeladen werden. Und was
passierte? The Weeknd wurden eine der angesagtesten Bands in den USA, und ihre
Konzerte waren ausverkauft – ja, genau, eine Newcomer-Band ohne Albumveröffentlichung,
die von keinem Label „gesigned“ war, verschenkte ihre Musik auf der eigenen
Website, und paar Wochen später erhielt diese Band Gagen von 25.000 Dollar und
mehr, verkaufte ihre Konzerte aus, spielte die wichtigsten amerikanischen
Festivals, verschenkte immer noch ihre Musik auf ihrer Website, trat in
wichtigen amerikanischen Fernsehshows auf, die Konzertgagen stiegen weiter, die
Band verdiente weit mehr, als wenn sie sich auf die Herren Gorny, Dopp oder
Briegmann eingelassen hätte. Alles per „Mund“- (also Internet-)propaganda und
durch Verschenken ihrer Musik.
Natürlich – The Weeknd machen auch verdammt gute
Musik. Das ist das Geheimnis. Aber: früher wären sie mit ihrer guten Musik auf
die Gnade von Labels angewiesen. Heute veröffentlichen sie ihre Musik selbst
und machen sich selbst zu Stars. Willkommen im 21.Jahrhundert! (und hübsche
Drehung: mittlerweile haben sie ihre ersten drei Mixtapes wahrscheinlich für
ziemlich viel Geld an Universal verkauft, die diese mit paar zusätzlichen
Tracks als „Trilogy“ auf den CD-Markt gebracht haben – wahrscheinlich ein smart
move der Band, denn so können auch die old school-Musikkäufer sich die Alben
ins Regal stellen...).
Und jetzt fragen Sie einmal den Herrn Briegmann
von der Firma Universal so wie im Ricola-Werbespot: „Wer hat The Weeknd
erfunden?!?“ – „Wer hat The Weeknd zu Stars gemacht?!?“ Genau, Herr Briegmann,
nicht die Musikindustrie ists gewesen, sondern DO IT YOURSELF!