Und Ansonsten 11/2012
Daß es nur ein Mythos ist, daß sich Radio-DJs und
Radio-Macher nach Hören und nach Qualität für die Musik entscheiden würden, die
sie im Radio spielen, ist eine Weisheit der Marke Binsen (und die bekannten
Ausnahmen bestätigen diese Regel).
Ein besonders perfides Druckmittel, mit dem die
Tonträgerindustrie darüber mitentscheidet, was gespielt wird und was nicht,
stellte die wichtigste französische Fernsehzeitschrift „Telerama“ Mitte Oktober
in einem gut recherchierten Artikel vor (hierzulande via „Perlentaucher“): Man
nennt es „Co-Ausnutzung“. Ein Radiosender beschließt, über seine Playlist und
mittels deutlich rabattierter Werbung eine Band oder einen Sänger zu
unterstützen. Im Gegenzug erhält der Radiosender Prozente aus den Einnahmen vom
CD-Verkauf, häufig mit einem garantierten Minimum. Heißt: je öfter der Sender
den Titel spielt, desto mehr Tonträger werden verkauft, und desto größer die
Chancen des Senders, damit Geld zu machen über die garantierte
Verkaufsbeteiligung.
Wer französisch versteht, kann die Recherche von
Valerie Lehoux aus „Telerama“ mit dem schönen Titel „La musique à la radio,
bonjour business?“ hier nachlesen:
http://www.telerama.fr/radio/la-musique-a-la-radio-bonjour-business,8793...
Ob jemand garantieren kann, daß solche Praktiken
hierzulande nicht vorkommen? Ob all unsere Radiomacher ihre Playlisten redlich
und unbestochen zusammenstellen?
* * *
Das italienische Pendant zur deutschen GEMA, die
sogenannte SCF, hat sich dieser Tage ein Mussolini-Gesetz zunutze gemacht, um
bei den Konzertveranstaltern zusätzlich abkassieren zu können. Unser
italienischer Partner hat uns informiert, daß sich die SCF neuerdings auf das
italienische Gesetz Nr. 633, verabschiedet am 22.April 1941, beruft, um von
Veranstaltern und Künstlern, die vor und nach ihrem Konzert noch Musik vom Band
abspielen, zusätzlich zur ohnedies anfallenden Verwertungsgebühr nochmal
abzukassieren. Bislang war dieses Mussolini-Gesetz stillschweigend unter den
Tisch gefallen.
Die SCF sendet nun Spitzel aus, die überprüfen, ob
bei den Konzerten vorher und nachher Verwertungsrechts-relevante Musik
abgespielt wird, und kassieren dann doppelt bei den Konzertveranstaltern ab.
Calexico haben angesichts ihrer beiden
Italien-Konzerte im November verfügt, daß dann eben vor und nach ihren
Konzerten Stille sein soll.
Schon interessant, wie es die
Verwertungsgesellschaften immer mit den Faschisten haben, nicht? Die italienische
SCF bezieht sich auf ein Mussolini-Gesetz, während die deutsche GEMA
bekanntlich die Nachfolgeorganisation der 1933 von Goebbels zu einer
Monopolorganisation zwangszusammengeführten STAGMA ist - „die
in den Jahren 1933/34 verfügte monopolistische
Ausschließlichkeit der Wahrnehmung der Musikverwertungsrechte ist erhalten
geblieben“, betonte der dieses Jahr verstorbene Komponist und Musikwissenschaftler
Hans G Helms.
* * *
Und drollig ist sie auch, unsre GEMA, sie macht
immer wieder Spaß – wenn es nicht gleichzeitig zum Heulen wäre. Jetzt ließ die
Gema in einer Infratest-„Studie“ beweisen, was sowieso jeder wußte – nämlich „den hohen Stellenwert, den Musik
hierzulande genießt“. 90 Prozent der Deutschen halten es der
Infratest-Umfrage zufolge für „wichtig,
daß Musikschaffende angemessen für ihre schöpferische Leistung bezahlt werden“,
faßt die GEMA zusammen – was für eine Überraschung! Die Umfrage unter sage und
schreibe 1004 Personen brachte außerdem angeblich an den Tag, daß im
Durchschnitt 30 Prozent der Eintrittsgelder für die Musikurheber angesetzt
werden sollen.
Nur – wenn man sich die Umfrage genauer ansieht,
kann davon keine Rede sein. Die Gema wäre nicht ein bekloppter Gangsterladen
oder, wie Marek Lieberberg gesagt hat, „ein Ministerium der Angst“ mit einem „allmächtigen Vorstand, der Kadavergehorsam verlangt“, eine
Institution, die mit „ihrer Politik in
der Kreativwirtschaft Angst und Schrecken verbreitet“, wenn sie nicht die
von ihr in Auftrag gegebene Umfrage so manipuliert hätte, daß auch ja
herauskommt, was herauskommen soll.
Wobei,
die GEMA kann nicht mal die Ergebnisse der eigenen Umfrage korrekt
zusammenfassen – wie Stefan Niggemeier in seinem Blog nachweist, haben sich die
genannten 90 Prozent der Deutschen nicht etwa für eine „angemessene“ Vergütung
der „Musikschaffenden“ ausgesprochen, sondern sie haben bloß gesagt, daß sie es
angemessen finden, daß Komponisten und Texter eine Vergütung bekommen. Was ja
schon etwas anderes ist, solange die deutsche Sprache und Logik noch Sinn machen.
Wenn
die GEMA behauptet, daß die Befragten „30,1 Prozent des Eintrittsgeldes“ für
eine angemessene Vergütung halten würden, ist das schlicht gelogen, denn in
Wahrheit bezieht sich die Zahl nicht auf die Gesamtheit der Befragten, sondern
nur auf die 90 Prozent, die in der Frage vorher angegeben hatten, daß sie eine
Vergütung grundsätzlich für angemessen halten – die fehlenden gut 9 Prozent
läßt die GEMA in ihrer Interpretation der Umfrage einfach unter den Tisch
fallen. Wenn man sich die Umfrage dann genauer ansieht, merkt man, daß die GEMA
mit einer Vielzahl von Taschenspielertricks die Ergebnisse der von ihr in
Auftrag gegebenen Umfrage irgendwie hinbiegt. Laut GEMA gibt es „eine Art Konsens unter den Deutschen, daß
gut 30 Prozent des Eintrittsgeldes bei einer Musikveranstaltung an die Urheber
gehen soll“ (Niggemeier), während die Wahrheit ist, daß erstens immerhin 56
Prozent der Befragten, also eine deutliche Mehrheit, genau das Gegenteil,
nämlich Anteile von weniger als 30
Prozent als angemessen genannt haben, und gerade einmal 29 Prozent der
Befragten für eine Beteiligung von mehr als 30 Prozent plädierten.
Vor
allem aber: die Fragestellung von Infratest ist natürlich hochmanipulativ. Wenn
man 1004 Bundesbürger fragt, ob sie es angemessen finden, daß Bäcker für ihre
Brötchen bezahlt werden, dürften mindestens 90 Prozent mit „ja“ antworten,
gewiß. Wenn man aber detailliert nachfragt, welche Anteile des Preises eines
Brötchens an den Staat (via Mehrwertsteuer), an den Bäcker, an den
Bäckereifachangestellten, an den Mehlfabrikanten usw. gehen soll, wird man eine
andere, eine differenziertere Antwort erhalten. Ich wage die Behauptung, daß
ein Großteil der Befragten nicht wußte, daß es nicht darum geht, daß die Musiker einen Anteil von den
Eintrittsgeldern erhalten, sondern die Urheber,
was ja nicht immer und automatisch identisch ist. Und um welche Veranstaltungen
soll es gehen? Um Konzerte? Diskos? Kindergartenumzüge (bei denen die Gema ja
bekanntlich auch zur Kasse bittet)?
Wenn
sich Infratest im Auftrag der GEMA die Mühe gemacht hätte, detailliert
nachzufragen, etwa: „Sind Sie bereit, höhere Eintrittsgelder zu bezahlen, damit
die von der GEMA vertretenen Urheber künftig statt ca. 1,8 Prozent zwischen
5,76 und 7,2 Prozent der Eintrittseinnahmen erhalten?“, dann wäre ich zum Einen
gespannt auf die Antwort der Befragten gewesen, und zum Anderen hätte man mit
den Antworten vielleicht wirklich etwas anfangen können.
Birgit
Walter schrieb in der „Berliner Zeitung“:
„Für die nächste Umfrage schlagen wir vor,
den Katalog um folgende Fragen zu ergänzen:
1. Halten Sie die Abgabensteigerungen des
Monopolisten Gema bis zu 1500 Prozent für angemessen?
2. Finden Sie es gerecht, daß 65 Prozent der Gema-Einnahmen an fünf Prozent der
Urheber fließen und daß allein die Spitzenverdiener über die Verteilung
entscheiden?
3. Ist es angemessen, daß Gema-Vorstände mit ihrer öffentlich nicht
wahrnehmbaren Verantwortung bis zu 484.000 Euro bekommen? (Zum Vergleich: Die
Bundeskanzlerin verdient 260.000 Euro.)“
* * *
Liebe Plattenfirmen, liebe Künstler!
Habt doch ein bißchen Mitleid mit denjenigen
Käufern eurer CDs, die eine Brille tragen und nicht mehr so gut sehen. Muß es
denn wirklich sein, daß ihr eure Booklet-Texte und die sonstigen Angaben auf
euren CDs dunkel auf dunkel drucken laßt? Daß ihr bevorzugt Schriftgrößen
verwendet, die zu entziffern ohne Lupe unmöglich ist?
Zeigt euch barmherzig! Druckt eure Booklets in
anständiger Größe und in Farben, die man leicht lesen kann. Oder, falls ihr
wirklich kein Interesse daran haben solltet, daß irgendjemand eure Booklets
lesen kann – laßt sie weg, und macht dafür die CDs billiger!Dankeschön.
* * *
Wer der „Initiative Musik“ vorwerfen möchte, nur
Staatspop zu initiieren, muß sich eines Besseren belehren lassen. Zu den
staatlich geförderten Bands gehören nicht nur Gruppen mit so hübschen Namen wie „Beißpony“, sondern
auch Fritz Kalkbrenner. „Mit Fritz
Kalkbrenner haben wir einen Künstler, der zwar den ersten Schritt schon
geschafft hat, sich aber nun weiter etablieren möchte“, sagt
Aufsichtsratsmitglied Norbert Niclauss laut „Musikwoche“.
Und um sich weiter etablieren zu können, benötigt
der Charts-Künstler also Staatskohle. Die ihm bereitwillig gewährt wird.Staats-Techno.
* * *
„In the US, we have the best
politicians money can buy.“ Tony Crow (Lambchop-Pianist, bei einem Auftritt
während der aktuellen Europatournee)