21.10.2012

Deutschland - Schweden 4:4

Ich weiß gar nicht, was die Kommentatoren an dem
letzten Länderspiel auszusetzen haben. War doch höchst unterhaltsam. Sechzig
Minuten lang sah man eine technisch und spielerisch anspruchsvolle deutsche
Mannschaft 4:0 gegen überforderte Schweden gewinnen. Dann sah man eine
kämpferische schwedische Mannschaft mit gradlinigem Fußball 4:0 gegen
hoffnungslos überforderte Deutsche gewinnen. Acht Tore, ein unterhaltsamer
Fußballabend. So what?

Das Problem ist natürlich klar. Unterhaltsam war
das Spiel nur für unbefangene Zuschauer, denen es einigermaßen egal ist, welche
Mannschaft gewinnt, solange interessanter und attraktiver Fußball gespielt
wird. Die Kommentatoren des Staatsfernsehens dagegen erleben bekanntlich nur
dann ihren „inneren Reichsparteitag“, wenn „Deutschland“ gewinnt, insofern den
ekligen Zuschauern in Hitlers Berliner Olympiastadion nicht unähnlich, die nach
der deutschen Führung „Sieg!“ mit dreimaligem rhythmischen Klatschen
skandieren, und das Wort, das dann folgen soll, kann sich jeder denken.

Ich will noch ein letztes Mal in diesem Rundbrief
den Historiker Eric Hobsbawn zitieren, der in seiner vorzüglichen Studie
„Nationen und Nationalismus – Mythos und Realität seit 1780“ über das „Nation
Building“ durch Fußball geschrieben hat: „Die
vorgestellte Gemeinschaft von Millionen gewinnt mehr Anschaulichkeit in der
Gestalt von elf Stars.“

Was die deutsche Fußballnationalmannschaft angeht,
ist früheren Analysen an dieser Stelle im Grunde nichts hinzuzufügen – wie mein
Zürcher Freund und Fußballkenner vor der Europameisterschaft gesagt hat: Die
haben einfach furchtbare Frisuren, so wird das nichts. Da spielt eine
Generation von Fußballern, die technisch gut geschult sind, die teilweise
brillante Spielzüge können – die aber letztlich reine Schönwetterfußballer
sind. Sobald es Probleme gibt, sobald sich ihnen eine Naturgewalt wie Mario Barwuah
Balotelli oder ein siegeswilliger Instinktfußballer wie Zlatan Ibrahimovic
entgegenstellt oder, wie im Fall des FC Bayern, eine destruktiv kämpferische
englische Mannschaft, sind die deutschen Nutellabubis mit ihren
Milchbubifrisuren heillos überfordert. Sie sind aufgewachsen in zwei
Jahrzehnten neoliberaler Ideologie, sie beherrschen, darin vielen jungen
Musikern in der Musikindustrie nicht unähnlich, die Kunst der
Selbstoptimierung, sie haben brav alle von ihren Managements verordneten „wie
gebe ich am besten Interviews“-Medienseminare besucht – nur, wie man ein
schwieriges Fußballspiel gewinnt (oder: wie man gute, besondere Musik
macht...), das hat ihnen niemand beigebracht. Und dazu fehlt ihnen, mit den
Ausnahmen, die die Regel bestätigen, einfach Persönlichkeit. Dissidenz. Eigenständigkeit.
Selbstbewußtsein. Man muß sich nur die hilflosen Interviews mit dem sogenannten
Kapitän Lahm oder mit Kroos oder mit Herrn Löw angesehen haben, um zu wissen:
Titel werden die nie gewinnen. Das ist klar. Sie werden das eine oder andere
schöne Spiel bestreiten, doch wenn es ernst wird, werden die Mannschaften aus
den PIGS- oder BRIC-Staaten auch weiterhin den Sieg davontragen. Und das ist ja
auch eine Form von Gerechtigkeit, oder?