11.08.2012

Ehe, Familie, Homosexuelle

Die Schlagzeilen melden unisono: Homosexuelle
Lebenspartnerschaften sollen endlich steuerlich mit verheirateten
heterosexuellen Paaren gleichgestellt werden. Ehegattensplitting für alle! „Willkommen im Leben, CDU“, kommentierte
die „Süddeutsche Zeitung“.

Doch was ist „das Leben“ in der Bundesrepublik
Deutschland im Jahr 2012?

Das herrschende Konstrukt der Bundesregierung ist
nach wie vor das der „Familie“, die durch „Eheschließung“ begründet wird. Doch
die Zahl der Eheschließungen geht drastisch zurück, nicht einmal die Hälfte der
Deutschen ist verheiratet (ca. 38 Millionen), und die Mehrheit der Ehepaare hat
keine Kinder (lediglich 9,23 Millionen Ehepaare haben Kinder).

Fast jede zweite Ehe wird geschieden (ca. 200.000
pro Jahr), die meisten davon nach 4 bis 8 Ehejahren, und bereits seit 1972 ist
die Zahl der jährlichen „Ehelösungen“ (wie das Statistische Bundesamt das
nennt) höher als die der „Eheschließungen“ (der Überschuß der „Ehelösungen“
beträgt mittlerweile zwischen 150.000 und 175.000 jährlich). Zwischen 145.000
und 170.000 Kinder sind jedes Jahr von Ehescheidungen betroffen.

Knapp 16 Millionen gelten den offiziellen
Statistikern als „Alleinstehende“, hinzu kommen noch einmal 1,7 Millionen
alleinstehende Menschen, die ihren Haushalt mit anderen Personen teilen. Die
konservative „FAZ“ faßt im Juli 2012 in einer Schlagzeile zusammen: „Die Ehe verliert an Bedeutung.“

Wie man angesichts dieser Tatsachen heutzutage als
Regierungspolitik (mit der ja weite Teile der Opposition d’accord geht) immer
noch auf das historisch überlebte Institut „Ehe“ und „Familie“ als das
Nonplusultra modernen Zusammenlebens von Menschen zurückgreifen kann, ist ein
Rätsel. Fast schon skandalös jedoch mutet die Tatsache an, daß die Ehe massiv
finanziell subventioniert wird: Durch das sogenannte Ehegatten-Splitting
gewährt der Staat Ehepaaren einen Steuernachlaß von etwa 15 Milliarden Euro im
Jahr. Die Förderung von Familien an die Förderung der Ehe zu knüpfen, ist ein
Relikt der Adenauer-Zeit, das allmählich selbst bei den Konservativen überlebt
sein sollte. Mal jenseits dessen, daß durch das Ehegattensplitting vor allem
Alleinverdiener-Ehen, egal ob mit oder ohne Kind, gefördert werden (in denen in
der Regel immer noch die Ehefrau diejenige ist, die kein Einkommen bezieht,
also „am Herd“ bleibt...) – und zwar desto stärker, je höher das Einkommen.

Damit wir uns nicht mißverstehen: Natürlich sollen
homosexuelle Lebenspartnerschaften die gleichen Vorteile aus gesetzlichen
Regelungen ziehen wie heterosexuelle Ehepaare. Solange es Ehegattensplitting
gibt, sollte dies selbstverständlich auch homosexuellen Lebenspartnerschaften
gewährt werden. Aber das Problem liegt doch ganz woanders: „Willkommen im
Leben“ sollte doch bedeuten, endlich vom überkommenen und längst überholten
Ehegattensplitting Abschied zu nehmen und in der gesellschaftlichen Realität
des 21.Jahrhunderts anzukommen.

Übrigens: wer denkt, die Anerkennung dieser
Realität falle den Regierenden schwer, der sieht sich zu einem guten Teil
getäuscht: Dann, wenn der Staat daraus Vorteile ziehen kann, behandelt er nicht
verheiratete Paare nämlich längst wie Ehepaare – etwa, wenn es um Hartz IV oder
um Arbeitslosengeld geht. Da soll der eine Unverheiratete wie
selbstverständlich des Mitbewohners Last schultern. Es ist eben alles
Ideologie.