12.08.2012

Bernd "ein Stück weit" Schlömer

Die Vorsitzenden der „Linken“, Katja Kipping, und der
„Piraten“, Bernd Schlömer, haben, moderiert vom Verleger des „Freitag“, Jakob
Augstein, in Berlin eine Podiumsdiskussion bestritten. Herausgekommen ist dabei
nichts, aber alle bürgerlichen Medien berichteten groß – wie es eben oft so
ist, daß über jeden Köttel, den jemand auf den Weg setzt, eifrig berichtet
werden muß. Besonders fiel auf, daß nahezu alle sogenannten seriösen
Tageszeitungen ausführlich über das der Diskussion vorangegangene Foto-Shooting
berichteten, bei dem sich Frau Kipping und Herr Schlömer sehr nahegekommen und
in die Augen gesehen haben müssen. Da konnten die bürgerlichen Medien kaum an
sich halten und bewiesen, daß der Unterschied zwischen sagen wir „Frankfurter
Rundschau“, „Zeit“, „Tagesspiegel“ („Er
in orangefarbener Hose, sie in schicken hochhackigen roten Schuhen“),
„Financial Times Deutschland“ („Sie saßen
auf einer Holzbank und schauten sich tief in die Augen, sanft strich der Wind
über die nahen Bäume“) oder „Welt“ und der Yellow Press und
People-Magazinen wie der „Bunten“ im Zweifelsfall ein eher marginaler ist –
sind eben alle Teil der gleichen Propagandamaschine...

Alle genannten Medien berichteten übereinstimmend, daß die
beiden Parteichefs sich jetzt duzen würden, und daß Schlömer gesagt habe: „Bisher habe ich Frauen, denen ich so nahe
kam, immer geküßt“, worauf Frau Kipping geantwortet habe: „Bevor ich jemanden küsse, habe ich erst ein
paar kritische Fragen.“ Das war wohl die wichtigste Nachricht des Abends.

Ansonsten muß der Abend frustrierend verlaufen sein, was
wohl hauptsächlich am Ober-Piraten Bernd „ein Stück weit“ Schlömer lag. Auf
„Carta“ bezeichnete Duke Erdmann den Piratenchef als ein „liberales Stück Seife“, er nenne „Inhalte Ideologie und hält
die persönliche Meinung eines Politikers für ein Vorgreifen auf Beschlüsse (...) ein Fisch im Schwarm,
der zufällig der Vorsitzfisch ist“.

Wenn man wissen will, was die Positionen des
Piraten-Bundesvorsitzenden (im Hauptberuf Regierungsdirektor im Verteidigungsministerium)
oder seiner Partei sind – hier ein paar Beispiele:

„Die Piraten werden
zwar ein Stück weit aufgrund ihrer Programmatik gewählt, in erster Linie aber
wegen einer allgemeinen Wechselstimmung. Insbesondere junge Menschen werden von
pragmatischen Lösungen geprägt, nicht von Ideologie.“

Befragt nach der Abschaffung der Netzneutralität, läßt
Schlömer ein Stück weit die Hosen runter: Die Piraten seien für Lösungen, mit
denen „Monopolbildung verhindert wird“,
oder  „Monopolbildung und Oligopolbildung reduziert und ausgeglichen werden“.
Wohl gemerkt: Die Monopole und Oligopole sollen nicht etwa abgeschafft, sondern
reduziert und ausgeglichen werden. Ein Stück weit, wahrscheinlich.

Für Schlömer geht es bei der Piratenpartei vor allem um „eine neue Methodik in der deutschen
Politik“, nicht um eine alternative Programmatik. Schlömer definiert
Politik als „die Suche nach lösenden
Kompromissen für gesellschaftliche Probleme, an der die Bürger beteiligt werden
müssen“.

Zur Steuerpolitik, zur stärkeren Besteuerung der Reichen und
der Konzerne stellt Schlömer fest: „Wir
sind in dieser Frage in der Werkstattdiskussion, aber wir wollen ein einfaches,
transparentes, gerechtes Steuersystem.“ An dem wahrscheinlich irgendwie die
Bürger beteiligt werden müssen.

Als Augstein Schlömer fragt, ob er sich eher links oder
rechts fühle, antwortet Schlömer, er empfinde sich als „liberal“, und bekundet
seine Verehrung für die FDP der 80er Jahre.

Soweit so schlecht. Immer gut, wenn sich Parteien und ihre
Funktionäre rechtzeitig demaskieren (und wer die Zitate nicht glaubt: man kann
die langweilige Veranstaltung im Netz anhören...). Wer kurz mal den Eindruck
gehabt hatte, mit den Piraten könne das was werden, wer sich über ihren
Berliner Wahlkampf und die dortigen politischen Forderungen oder über einige
kluge Köpfe in der Partei gefreut hatte, wer die Positionen von Bruno Kramm zum
Urheberrecht schätzt – der weiß jetzt: mit den Parteien in toto ist es nicht
weit her. Wer sich einen FDP-Fan der 80er Jahre (also der Zeit, als der
verurteilte Steuerhinterzieher Otto Graf Lambsdorff Wirtschaftsminister und
Bundesvorsitzender der Partei war und extrem unternehmerfreundliche
Wirtschaftspolitik betrieb) als Bundesvorsitzenden hält, braucht keine Feinde
mehr.

Ich saß im Juni 2012 einmal einen Samstagnachmittag lang
zwei Plätze neben Bernd ein Stück weit weg Schlömer, nämlich beim sogenannten
Urheberrechtsdialog der Piratenpartei, einem runden Tisch zur Rock- und
Popmusik. Ganz ehrlich: das war mein langweiligster Samstagnachmittag seit
vielen Jahren. Die Funktionärin des bekannten Lobbyverbandes der unabhängigen
Musikindustrie verstand nicht, warum man gegen die GEMA demonstrieren wolle, Ein
alternder Rockmusiker forderte, daß das Urheberrecht noch länger als 70 Jahre
nach dem Tod der Urheber Geltung haben solle, weil auch seine Urenkel noch von
seiner Arbeit profitieren sollten. So ungefähr ging es da zu, und die paar
kompetenten Teilnehmer gingen relativ unter in der Diskussion. Doch deswegen
erzähle ich das nicht. Ich erzähle es, weil wie gesagt Bernd Schlömer zwei
Plätze neben mir saß. Er sagte kein einziges Wort, er machte sich auch keine
Notizen, nein: Er studierte immer, wenn ich zu ihm rübersah, stundenlang die
Website von, nun raten Sie mal? Genau: von „Bild Online“.

Daß wir uns nicht falsch verstehen: Mir ist schon klar, daß
der Bundesvorsitzende einer Partei auch checken muß, was die Blödzeitung so
treibt, und wie sie die Massen manipuliert. Aber wenn er nach zehn Minuten
immer noch auf Bild Online ist, und nach einer weiteren halben Stunde immer
noch, und eine weitere halbe Stunde immer noch, dann... na, Sie wissen schon.

Ein Stück weit enttäuschend war das alles. Oder erhellend.
Wie man will.