30.04.2012

Und Ansonsten 2012 05

Die „Linken“ im Berliner Abgeordnetenhaus forderten bei den
Haushaltsberatungen, daß bei Zuschüssen an die freie Szene der Hauptstadt „die Zahlung des Mindestlohns sichergestellt
werden“ solle.

Seit Jahren fixiert der Berliner Senat bekanntlich in seinen
Bewilligungsbescheiden für Projekte der freien Szene Stundenlöhne von 3 bis 5 Euro.

Übrigens: Die „Linken“ bildeten die letzten 10 Jahre zusammen mit der
SPD die Berliner Regierung und stellten fünf Jahre lang den Kultursenator – wie
wäre es denn gewesen, die „Linken“ hätten zu der Zeit, als sie selbst an der
Regierung waren, die sozialen Bedingungen für freie Künstler umgesetzt, die sie
jetzt neuerdings als Opposition so vehement fordern?

* * *

Und der Chef der Berliner Senatskanzlei, Björn Böhning
(SPD), sagt: „Ich warne vor der These des
Klubsterbens.“ Das könne eine „gefährliche,
sich selbst erfüllende Prophezeiung werden“, so Böhning laut „Berliner
Zeitung“.

Wohlgemerkt: Der pfiffige Sozialdemokrat warnt nicht etwa
vor dem real stattfindenden Clubsterben in der Hauptstadt, sondern vor der
„These“ des Clubsterbens.

Jens Balzer faßte im Januar 2012 zusammen: „Das neue Jahr wurde in Berlin wieder damit
eröffnet, daß viel zugemacht wurde, insbesondere Clubs: Die Maria feierte ihre
allerletzte Party, ebenso wie das Chez Jacki im gleichen Gebäude; das Icon
verabschiedete sich, und der Klub der Republik in der Pappelallee wurde
geschlossen. (...) Der Prenzlauer Berg ist damit fast komplett clubbereinigt.“

Ich finde, Jens Balzer hat hier eine These vom Clubsterben
aufgestellt, die zwar durch die Realität irgendwie bestätigt wird, vor deren
Gefährlichkeit man aber natürlich nicht genug warnen kann, vor allem, wenn man
Sozialdemokrat ist und in Berlin Kulturpolitik betreibt.

* * *

„Die grüne
Bürgermeisterin der Stadt Aachen, Hilde Scheidt, Jahrgang 1950, hat sich im
Dezember 2011 über einen Auftritt von Ralph Giordano und mir bei der
Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) in Aachen dermaßen aufgeregt, daß sie
aus Protest aus der DIG austrat. »So etwas können wir hier in Aachen wirklich
nicht gebrauchen.« Was »wir« in Aachen gebrauchen können, hängt inzwischen
nicht vom Wohlwollen des zuständigen Gauleiters,

sondern der grünen
Bürgermeisterin ab. Und gleich zwei Juden, die in der »Palästina-Frage« anderer
Meinung sind als sie, waren ihr einfach zu viel. Noch gewagter war nur noch
ihre Erklärung, es müsse »möglich sein, auch die israelische Politik zu kritisieren,
etwa eine Regierung, die dem israelischen Volk schadet«.

Und weil das
israelische Volk zu blöde ist, um zu erkennen, was ihm schadet, fällt diese
Aufgabe der grünen Bürgermeisterin von Aachen zu, die sich ohne Weiteres
zutraut, den Israelis zu sagen, was für sie gut wäre – zeitgleich mit der
Erhöhung der Müllgebühren und dem Ausbau der Radwege in Aachen.“

Henryk M. Broder in „Vergeßt Auschwitz“, zitiert nach „Die Achse des
Guten“* * *

“Sie ist eins mit sich
und der Natur. Gegen eine kleine Affäre hätte sie aber nichts einzuwenden.“

Die „Bunte“ über Ali MacGraw

Man beachte besonders das schöne "aber".* * *

Es war beim ausverkauften Konzert von Laura Gibson im Grünen
Salon der Berliner Volksbühne, wieder einmal: vor lauter Gequatsche und Gequake
eines Teiles des Publikums konnte man die Musik nicht mehr hören. Da stand ein
etwa dreißigjährigen Mann mit weiblicher Begleitung vor einem, der pausenlos
mit seinem Smartphone flirten mußte – Fotos aufnahm, telefonierte, seiner
Begleitung das Smartphone ans Ohr hielt, während da vorne Laura Gibson ein ganz
wunderbares, oft stilles Konzert gab. Man hätte sich gewünscht, das Paar vor
einem würde zu konkreten Aktionen aneinander schreiten, anstatt sich nur mit
dem Smartphone zu beschäftigen. Doch kaum kam einem dieser Gedanke, prasselte
es von rechts ans Ohr: „Ich hab ja in Mannheim studiert“, quäkte eine junge
Frau ihre Begleitung an und quatschte und kicherte minutenlang lauthals vor
sich hin – wäre sie doch in Mannheim geblieben, uns allen wäre geholfen
gewesen!

An dieser Stelle wurde vor Monaten schon einmal das Fotografieren
mit Mobiltelefonen in Konzerten kritisiert. Manchmal wünscht man sich das bloße
Fotografieren zurück – es ist bescheuert, zumal die Fotografen ja dann nicht
etwa weiter dem Konzert folgen, sondern das soeben und meist in eher mediokrer
Qualität – ein Smartphone ist nun mal keine Leica... – Fotografierte endlos
betrachten, herumzeigen und natürlich unmittelbar auf sämtlichen sogenannten
sozialen Netzwerken posten müssen – aber nun ja, es stört vergleichsweise wenig
gegenüber den Jungmenschen, die meinen, ein Konzert als Chatraum mißbrauchen zu
müssen und die denken, das, was ihnen ununterbrochen in großer Lautstärke aus
dem Mund herausquillt, sei wichtiger als das, was auf der Bühne passiert. Nun
kann es einem egal sein, wie bescheuert nicht wenige Zeitgenossen sind –
allerdings nicht, wenn sie stören, und das tun sie. Markus Schneider schrieb in
der „Berliner Zeitung“ über dieses Konzert bzw. über die Geräuschkulisse: „Fast bis zur vorderen Hälfte des
rammelvollen Saales herrschte jedoch ein derart unerträglicher und respektloser
Schnatterpegel, daß sogar erfahrenste Labelchefs grübelten, ob vielleicht der
Eintrittspreis zu niedrig sei. Positiv gewendet könnte man vielleicht annehmen,
daß die Grüppchen sonst nur über soziale Netzwerke kommunizieren und so
angenehm überrascht von der physischen Realität waren, daß sie aufgeregt den
Chatroom analogisierten.“

Eigentlich bin ich kein Kulturpessimist, aber ich denke, man
kann festhalten, daß die Kulturtechnik "mal eine Stunde seine Klappe
halten und einem Künstler zuhören, der auf der Bühne ein Konzert gibt", im
Aussterben begriffen ist. Heutzutage sind die Konzerte voll von Menschen, die
wohl unter von Smartphones und Facebooks vage übertünchten
Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störungen leiden – man besucht leise
Singer-Songwriter- oder Indiefolk-Konzerte, kann aber nicht zuhören und auch
weder stillstehen noch stillsitzen, alles, was man gerade denkt, muß
dahergeplappert und auf Facebook gepostet werden. Rätselhaft, warum Leute 15
Euro Eintritt bezahlen, um doch nur zu quatschen oder zu telefonieren oder zu
fotografieren. Wo ist hier der „I don’t like“-Button?!?

(...und übrigens: wenn ihr dann alle mal ausgeplappert und
all eure banalen Gedanken auf Facebook gepostet habt, werdet ihr feststellen,
daß man soziale Netzwerke nicht essen und Facebook-Freunde nicht in den Arm
nehmen kann; und in den Konzertsälen habt ihr dann längst Hausverbot...)

* * *

Mir gefällt, wie Papst Benedikt XVI. in einem Brief an die
deutschen Bischöfe verlangt, daß bei der Eucharistie im deutschsprachigen Raum
nicht mehr wie bisher gesagt werden darf „mein Blut, das für euch und für alle
vergossen wird“, sondern zukünftig gilt: „mein Blut, das für euch und für viele
vergossen wird“, also eben: nicht für alle!

Da kann die „taz“ noch so sehr heulen, der Papst habe damit
eine „ökumenische und interreligiöse
Zeitbombe gelegt“ (man bedenke: eine „interreligiöse Zeitbombe“,
huiuiui...). Ich bins zufrieden, wenn die Katholiken mich bei ihrer Eucharistie
künftig nicht mehr einbeziehen – fair enough! Danke, Herr Ratzinger!

* * *

Wer gedacht hatte, mit den Berliner Versuchen einer
popmusikalischen Stadtmarketingveranstaltung sei es nach den grandiosen Flops
von Popkomm und Konsorten endlich vorbei, und die Berlinerinnen und Berliner
hätten künftig Ruhe vor solcherart steuerfinanziertem Unsinn, der sieht sich
eines Schlechteren belehrt: Eine „Berlin Music Week“ wird die Stadt im
September belästigen. Mit Mitteln des Senats entsteht ein, wie zu hören war, „zentralisierter Event im Herzen Berlins“,
und die laut Eigenansage „gemeinnützige“
Veranstalter-Gesellschaft hat als Partner ausgerechnet die Gema, MTV und
Universal gewonnen (Universal wohl anläßlich des zehnten Jahrestags der
Berliner Steuerverschwendung – wir erinnern uns: der Berliner Senat hat den
Umzug der Deutschlandfiliale des weltgrößten Musikkonzerns von der Alster an
die Spree mit etlichen Millionen subventioniert).

Das Konzept für die Konzerte der „Berlin Music Week“ spricht
Bände: „Lieber weniger Konzerte mit
vielen Zuschauern als jede Menge Auftritte, zu denen sich nur eine Handvoll
Publikum verirrt“, sagt der „Venue Manager“ der Veranstaltung. Während der
„Head of Communications“ verspricht: „Berlin
wird zur Stadt der 1000 Bühnen“. Hm. Vielleicht sollten die Herren erstmal
miteinander klären, was sie wollen, bevor sie Pressekonferenzen geben?

Und auch die Musikexportbüros haben sich wieder angesagt –
es bleibt einem nichts erspart...

Wir sagen jedenfalls: Nein danke! Berlin braucht diesen
subventionierten Unfug nicht. Das ist so wie Muttertag und Welttag des
geistigen Eigentums gleichzeitig am Totensonntag – überflüssig. In Berlin und
seinen Clubs ist sowieso jeder Tag Musiktag!

* * *

Einer Helena Helmersson, „H &
M-Nachhaltigkeitsverantwortlicher“, haben sie eingebleut, daß sie in der
Öffentlichkeit nur oft genug das Wort „Nachhaltigkeit“ fallen lassen soll, dann
wird das alles schon. Und so versucht die Dame, der „Berliner Zeitung“
unfallfrei ein Interview zu geben:

„Kann ein T-Shirt, das im Laden für fünf Euro angeboten
wird, nachhaltig produziert werden?“

„Natürlich können wir
hier in Bezug auf Nachhaltigkeit noch besser werden. Aber ein niedriger Preis
bedeutet nicht automatisch, daß etwas weniger nachhaltig ist.“

„Unabhängigen Berechnungen zufolge erhält ein Arbeiter von
einem für fünf Euro verkauften T-Shirt gerade mal 0,13 Cent. Würden Sie
zustimmen, daß da die Relation nicht stimmt?“

„Diese Berechnungen
möchte ich nicht kommentieren. Aber ich versichere Ihnen, daß das Thema Löhne
bei Zulieferern seit Jahren ganz oben auf meiner Agenda steht (...) Deshalb
haben wir uns in Bangladesh für höhere Löhne stark gemacht. (Also für 13
Cent statt für 10 Cent? BS) Außerdem
versuchen wir in Niedriglohn-Ländern, die Arbeiter dazu zu ermutigen, für
gerechte Bezahlung einzutreten, sich zu organisieren. So, wie wir es in Europa
tun, wenn wir uns ungerecht behandelt fühlen.“

(Also, ihr Idioten da unten in Bangladesh, selbst schuld,
wenn ihr für so wenig Lohn arbeitet, aber wir, die wir euch gnadenlos
ausbeuten, damit wir unsere T-Shirts hier in Europa billig verdaddeln können,
wir ermutigen euch: tretet doch für gerechte Bezahlung ein! Und organisiert
euch gefälligst erstmal!)

„Der Mindestlohn in Bangladesh liegt bei etwa 30 Euro. Die
Gewerkschaften fordern 50 Euro als Minimum zum Überleben. Und Menschen- und
Arbeitsrechtorganisationen weltweit halten 116 Euro im Monat für notwendig, um
bei einer 40-Stunden-Woche eine vierköpfige Familie zu ernähren. Davon ist H
& M weit entfernt.“

„Es gibt eine große
Debatte über die Höhe der Löhne. (...) In den meisten Ländern gibt es gar
keinen Mindestlohn. Wo soll man da ansetzen?“

„Denken Sie darüber nach, künftig mehr in Europa produzieren
zu lassen?“

„Es bleibt dabei, daß
wir 80 Prozent in Asien und 20 Prozent in Europa fertigen lassen. Es geht
darum, immer die richtige Balance zwischen Mode, Qualität, Preisen,
Lieferzeiten und Nachhaltigkeit zu wahren. (hat die Dame an dieser Stelle
nicht etwas vergessen? Nämlich die Hungerlöhne, die ihr Konzern in Asien
bezahlt?) Nur so können wir nachhaltige,
gute Qualität zu günstigen Preisen anbieten.“

(uns doch egal, wie die Leute in Bangladesh vor sich hin
vegetieren, die sind ja noch nicht mal organisiert, obwohl ich sie doch gerade
dazu ermuntert habe)

Wer diese zynische Weltsicht der H & M-“Nachhaltigkeitsverantwortlichen“
liest und immer noch bei H & M einkauft, ist ein Lump.

* * *

Das sogenannte „Anti-Produktpiraterie-Abkommen“ Acta gilt
nicht nur als Sargnagel der Freiheit im Internet, nein, auch aus
entwicklungspolitischer Sicht ist das geplante Abkommen gefährlich. Das belegt,
wie die „taz“ meldet, ein aktuelles Gutachten der wissenschaftlichen Dienste im
Bundestag, das im Auftrag der Vorsitzenden des Entwicklungshilfeausschusses,
Dagmar Wöhrl (CSU), erstellt wurde: „Erstens
würde der Zugang zu preiswerterer Medizin erschwert. (...) Überlebensnotwendige
Medikamente könnten nicht mehr vertrieben werden. Zudem drohten durch
Beschränkungen von Generika höhere Preise. Zweitens würde Acta jene Konzerne
stärken, die Patente auf Saatgut anmelden, eine Praxis, die die UN mehrfach als
unvereinbar mit dem Menschenrecht auf Nahrung bezeichnet hat.“

Sogar die CSU-Expertin Wöhrl fordert daher laut „taz“: „Die Ratifizierung von Acta sollte
ausgesetzt werden.(...) Die Zeit der Hinterzimmer-Deals ist vorbei.“

* * *

Und wenn Ihnen im Mai mal nichts mehr einfallen sollte,
halten Sie sich an den großen Komponisten Frederic Rzewski und studieren Sie
seine Komposition „The People United Will Never Be Defeated“. Es lohnt sich!

Und auch ansonsten ist Frederic Rzewski immer ein kluger und
interessanter Zeitgenosse, der dieser Tage im Interview mit der „FAS“ zum
Beispiel sagte:

„Daß sich die
Avantgarde so einfach sang- und klanglos verkrümelt hat, ist ja schon schlimm
genug. Daß aber auch der Kapitalismus noch immer nicht besiegt ist, das kann
einen ganz schön fertigmachen.“

Dem haben wir nichts hinzuzufügen. Genießen Sie den
Frühling!