01.11.2011

Und Ansonsten 2011-11-01

Eine tolle Lektüre ist die Antwort der Bundesregierung auf
eine Große Anfrage der SPD-Fraktion zum Thema „Musikförderung durch den Bund“
(kann man kostenlos beim Deutschen Bundestag downloaden). Endlich wissen wir,
was offizieller Staatspop ist, der von der Politik gefördert wird. Vereinfacht
gesagt: das Spektrum reicht von Tokio Hotel bis zu den Toten Hosen.

Ein Auftritt von Tokio Hotel in Tokyo beispielsweise wurde
im Rahmen der „direkten Projektförderung des Auswärtigen Amtes“ im Dezember
2010 mit 25.738 Euro bezuschußt. Begründung: Das Auswärtige Amt fördert „in Einzelfällen auch Kunstprojekte direkt,
wenn außenpolitische Erwägungen und auch das Projektvolumen dafür sprechen“.
Tokio Hotel, die Band, die weltweit über sechs Millionen Alben verkauft hat und
als kommerziell erfolgreich gelten darf, als „Kunstprojekt“, das aus
„außenpolitischen Erwägungen“ mal eben für einen Auftritt vom Staat 25.738 Euro
nachgeworfen bekommt – toll!

Auch kommerziell einigermaßen erfolgreich ist die
Schlagerband namens „Tote Hosen“, die so um die 22 Millionen Tonträger verkauft
hat. In den Augen des Auswärtigen Amtes muß der Band, die aus irgendwelchen
Gründen mitunter als „Punkband“ gilt, aber unter die Arme gegriffen werden –
aus „außenpolitischen Erwägungen“ eben: Die „Toten Hosen“ haben jedenfalls im
vergangenen Jahr für zwei Auftritte im usbekischen Taschkent und im
kasachischen Almaty insgesamt 68.793 Euro Staatsförderung erhalten – war das
nun eher „Opium fürs Volk“, „Auswärtsspiel“, „Zurück zum Glück“ oder „In aller
Stille“? So nämlich heißen Alben der Düsseldorfer Schlagerrockband. So klingt
Staatspop.

Doch nicht nur irgendwelche dumpfen Mainstreambands werden
vom Staat subventioniert. Unter der Rubrik „Förderung der (professionellen)
populären Musik“ etwa hat der Bundesverband Musikindustrie, die allseits
bekannte und beliebte Lobbyorganisation, 75.000 Euro als „Anschubfinanzierung“
für den von ihr veranstalteten Jazz-Echo erhalten. Delikat – die oberste
Musiklobby-Organisation des Landes erhält Staatszuschüsse zur Finanzierung
ihrer Promo-Veranstaltung.

* * *

Was ich mich frage: Ob die Lobbyisten vom Bundesverband der
Musikindustrie, die ahnungslosen Nachplapperer und Renegaten vom sogenannten
Verband unabhängiger Musikunternehmen und ihr gemeinsamer Jünger und Apostel,
der heilige Manfred von Berg am Laim, heute das Feuilleton der „FAZ“ gelesen
haben? Klar, dahinter würde ja eigentlich ein kluger Kopf stecken, also... aber
könnte ja sein, daß die Copyright-Fans nicht immer nur auf die Märchen
reinfallen wollen, die ihnen ein CDU-Hinterbänkler auftischt (wir berichteten).

Als Aufmacher des FAZ-Wochenendfeuilletons jedenfalls
erklärte der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion,
Peter Altmaier, in der für diese Zeitung manchmal typischen Bieder- und
Altväterlichkeit, was ihm und uns das Internet heutzutage bedeutet. Und
schreibt den Cheflobbyisten eines strikten Hadopi-Copyrights a la Sarkozy oder
Berlusconi ein paar wohlfeile (und mitunter drollige) Selbstverständlichkeiten
ins Stammbuch:

„Der Zugang zum Internet
ist so wichtig wie der zu Wasser und Nahrung.“

„Die politische
Freiheit und Gleichheit der Bürger realisiert sich im Netz zum ersten Mal in
Permanenz: Die neu entstehenden Strukturen eröffnen die Möglichkeit
jederzeitiger und umfassender politischer Einflußnahme und Gestaltung.“

„Die Integrität dieses
Netzes und der Zugang zu ihm sind zu Rechtsgütern von höchstem Wert geworden.
Der Anschluß ans Internet ist heutzutage wesentlich wichtiger als der Anschluß
ans Telefon-, Strom- oder Fernsehnetz, von größerer Bedeutung als PKW,
öffentlicher Nahverkehr oder Waschmaschine. Aus meiner Sicht hat er eine
Bedeutung, die derjenigen des Zugangs zu Wasser und Grundnahrungsmitteln sehr
nahe kommt. Die Schwelle für Eingriffe in dieses Rechtsgut liegt daher heute
sehr viel höher, als dies vor drei, fünf oder zehn Jahren der Fall gewesen ist.
Ein Vorschlag, bei wiederholten Verletzungen des Urheberrechts den Netzzugang
zu sperren, wäre vor zehn Jahren vielleicht noch diskussionswürdig gewesen: Aus
heutiger Sicht ist er schlicht unverhältnismäßig.“

„Siegfried Kauder hat
Internetsperren angekündigt für User, die wiederholt das Urheberrecht
verletzen. Alles, was unsere Politiker über Jahre aufgebaut haben, ist
gefährdet. Kurz entschlossen tweete ich: „Kauder-Strikes geht gar nicht: Wer
Bücher klaut, ist kriminell, aber man nimmt ihm nicht die Lesebrille weg.““

„Das Aufkommen der
Piratenpartei zum jetzigen Zeitpunkt wirkt wie ein Fanal. Man spürt, daß eine
Entwicklung in Gang kommt, wie es sie in der stabilen deutschen Nachkriegsdemokratie
nur alle zwanzig bis dreißig Jahre gegeben hat. (...) Die Piraten sind junge
Leute voller Ideale, die die Welt zum Besseren verändern wollen...“

Also sprach der Parlamentarische Geschäftsführer der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

Schon bitter, wenn sich die Cheflobbyisten der deutschen
Musikindustrie, Gorny und Chung, ausgerechnet von einem CDU-Politiker
attestieren lassen müssen, daß sie ungefähr zehn Jahre hinter der Entwicklung
herhinken...

Was ich an den Ideologen und Polemikern des Hardcore-Copyrights
nie verstanden habe: Lobbyismus versucht doch gemeinhin, die Politik in eine
bestimmte Richtung zu bewegen. Wenn man aber so eisern wie blind an einer
ewiggestrigen Position festhält und mit ideologischem Eifer und dumpfester
Polemik für sie kämpft, ist man doch eigentlich als Lobbyist nicht zu
gebrauchen. In welcher politischen Konstellation wollen BVMI, VUT und ihr
embedded journalism denn ein verschärftes Urheberrecht und grundgesetzwidrigen
Internet-Entzug nach Sarkozy-Vorbild hierzulande umsetzen? Mit FDP und Grünen
dürfte das nicht zu machen sein, selbst mit der SPD nicht. Und nun hat sogar
die CDU das Internet begriffen. Vielleicht wären die Verbände gut beraten, das
umzusetzen, was hinter vorgehaltener Hand etliche Mitglieder und Funktionäre in
den Verbänden schon lange fordern – man verschiebe die gescheiterten
Topfunktionäre aufs Abstellgleis (wo sie gesellschaftlich ohnedies schon lange
vor sich hin kau(d)ern...) und wähle sich offene, moderne neue Vertreter, die
die Musikindustrie tatsächlich erneuern könnten und als Gesprächspartner für
die Politik endlich wieder ernstgenommen werden würden.

* * *

Was haben Medien und Bevölkerung sich vor ein paar Jahren
über die US-amerikanischen Wahlen, speziell im Bundesstaat Florida, lustig
gemacht und von afrikanischen Verhältnissen gelästert. Si tacuisses...

Im September 2011 hat das Land Berlin versucht, eine Wahl
durchzuführen. Bereits im Vorfeld gab es Probleme – wer Briefwahlunterlagen
beantragt hatte, der hatte nicht selten Probleme, seine Unterlagen rechtzeitig
zu erhalten – der Autor dieser Zeilen etwa wollte rechtzeitig vor seinem Urlaub
zur Briefwahl schreiten, doch die Unterlagen kamen nicht – sie wurden vom
damals noch rot-roten Senat (zur Erinnerung: das sind die beiden Parteien, die
in ihren Programmen Mindestlöhne fordern...) per privatem Briefdienst
zugestellt und kamen entsprechend häufig nicht an – ein Anruf beim Wahlbüro
Mitte ergab, daß dies beileibe kein Einzelfall war, sondern daß es etliche
Beschwerden gab – mal wurden die Wahlunterlagen gar nicht zugestellt, dann
kamen sie als „unzustellbar“ ans Wahlamt zurück, obwohl die Adresse korrekt war
– Probleme über Probleme (zur Erinnerung: die PIN AG gehört der Verlagsgruppe
Holtzbrinck; die im vergleich zur Deutschen Post günstigeren Portopreise wurden
in der Vergangenheit laut ver.di durch zu niedrige Einkommen der Zusteller
erkauft, die teilweise unter dem Existenzminimum lagen, viele Mitarbeiter waren
zur Aufstockung auf das staatliche Arbeitslosengeld II angewiesen; außerdem
wurden Betriebsräte nicht anerkannt und nicht zugelassen, und die PIN Group
versuchte, rechtmäßige Streikaktivitäten per Gerichtsbeschluß zu
unterbinden...). Mir sind einige andere Berliner BürgerInnen bekannt, deren
Wahlunterlagen nicht oder nicht rechtzeitig eintrafen und die daher an den
Wahlen gar nicht teilnehmen konnten.

Doch erst mit der Wahl selbst begann etwas, das die Berliner
Zeitung als „Auszählungsdebakel“ beschrieb. In den Tagen nach der Wahl „waren Wahlpannen bekannt geworden die man
eher aus Ländern mit weniger Demokratieerfahrung kennt. Briefwahlunterlagen
waren im Müll gelandet, es gab Auszählungsfehler, Ergebnisse wurden anderen
Parteien zugeschlagen – mit weitreichenden Folgen. Zweimal änderte sich nach
Feststellung des amtlichen Endergebnisses die Sitzverteilung im
Abgeordnetenhaus.“ Zustände wie in einer Bananenrepublik also.

In einzelnen Wahlbezirken wurde ganz offenbar falsch
ausgezählt, es gab mehrere Anträge darauf, wegen „Unstimmigkeiten“ diese
Wahlkreise nochmals auszuzählen – was laut Landeswahlleiterin nicht möglich
sei. In einem anderen Stimmbezirk waren mehr Stimmen abgegeben worden als
überhaupt Wähler erschienen waren. Außerdem waren laut eines SPD-Vertreters
„300 Briefwahlunterlagen nicht angekommen“, was niemandem aufgefallen sei. „Könne es nicht sein, daß irgendwo in einem
Mülleimer weitere 400 Briefwahlunterlagen liegen, die nie vermißt wurden, aber
mandatsentscheidend gewesen wären. Die Frage war nicht abschließend zu klären:
Auch die anwesenden Bezirkswahlleiter konnten das nicht ausschließen,“ so
die „Berliner Zeitung“. Am Ende haben von den fünf anwesenden Beisitzern des
Berliner Landeswahlausschusses nur zwei (CDU und Grüne), also die Minderheit,
dem fehlerbehafteten Endergebnis der Wahl zugestimmt – drei Beisitzer (2 SPD, 1
Linke) enthielten sich, der Beisitzer der FDP war nicht erschienen. Das
Endergebnis der Wahl ist damit amtlich...

* * *

Als Gewinner der Berliner Wahl gilt in der Öffentlichkeit
Bürgermeister Klaus Wowereit von der SPD, der Partei, die nach dem Verlust von
2,5% bei nur noch 28,3% liegt. Sowas reicht, um von der „roten Gurke“, Frau
Nahles (das ist die Frau, die vor Jahren eine halbe Stunde lang mal als
intellektuelles linkes Aushängeschild der SPD galt...), zum Kanzlerkandidaten
ausgerufen zu werden. Ein Politiker neuen Typs eben, dieser Klaus Wowereit, ein
Politiker, der in paar Jahrzehnten Politkarriere noch keine erinnerungswürdige
politische Idee geäußert hat. Ein Politiker, der für alles und damit eben für
nichts steht. Und der jetzt in einer Stadt, in der weniger als ein Viertel der
stimmabgebenden Wähler CDU und FDP gewählt haben, die Konservativen in die
Regierung holt.

In seiner Autobiographie (denn merke: wer nichts zu sagen
hat, schreibt heutzutage seine Autobiographie – Philip Lahm, Eva Padberg, Klaus
Wowereit und wie sie alle heißen, wegen denen unschuldige Wälder sterben
müssen) unter dem Titel „...und das ist auch gut so“ äußerte sich Wowereit über
die letzte Große Koalition in Berlin:

„Es war eine
verheerende Phase, für die Hauptstadt und für die Berliner Sozialdemokratie...
Die ganze Stadt funktionierte nach diesem Prinzip des aufgeregten Stillstands,
die IHK, die Sportverbände, die Kulturszene, die Wohlfahrt. Überall sorgte der
Proprz der beiden Parteien für Lähmung.“

Smarte Idee Wowereits, das, was er eine „verheerende Phase“
und „Lähmung“ nennt, nun ohne Not wieder als Koalition für Berlin einzugehen.

* * *

Wie hört sich das an, wenn ein deutscher Musikvideoanbieter
im Jahr 2011 Mitarbeiter sucht? So: „Du hast „Eier in der Hose“? media sales
manager @ tape.media (m(w) Du kannst verkaufen? Du hast keine Angst vor großen
Zahlen? Du hast ein großes Maul? Du erzählst gerne Geschichten? Du tanzt gern
auf allen Hochzeiten? Du findest Dich geil? Du willst fame, fun, cash? Für Dich
ist Musik ein Grundnahrungsmittel? Du bist außerdem noch „trinkfest“ und hast
vor allen Dingen eines: Eier! Bewirb
Dich jetzt!“ (Hervorhebungen im Original)

Gewissermaßen ein schöner neuer Klappentext zu Alain
Ehrenbergs „Das erschöpfte Selbst“. Die allgegenwärtige Erwartung „eigenverantwortlicher Selbstverwirklichung.
Damit hat das Projekt der Moderne, die Befreiung des Subjekts aus überkommenen
Bindungen und Traditionen, eine paradoxe Verkehrung erfahren. War die Neurose
die pathologische Signatur eines repressiven Kapitalismus, so ist die
Depression die Kehrseite einer kapitalistischen Gesellschaft, die das
authentische Selbst zur Produktivkraft macht und es bis zur Erschöpfung
fordert.“

* * *

Amazon schlägt mir auf Platz 71 meiner „Empfehlungsliste“
das Soloalbum von Thees Uhlmann vor, „weil Sie Mashup – Lob der Kopie (edition
suhrkamp) in ihren Einkaufswagen gelegt haben“.

Wo ist hier der „I like it!“-Button?!?

(unvergessen und abgeheftet übrigens, wie Thees Uhlmann,
betrunken, es mir bei einem Festival auf dem Salzburgring schriftlich gegeben
hat, daß ich von Musik keine Ahnung habe...)

* * *

„Geheimkonzert von Ich + Ich: Du kannst dabei sein!“,
schlagzeilt es ganzseitig aus „Prinz“. Muß ein sehr geheimes Konzert sein, wenn
es zwei Monate im Voraus ganzseitig in einer Zeitschrift angepriesen wird...

* * *

Äpfel und Birnen kann man doch vergleichen. Denn so geht
bürgerliche Presse: „Vom Kaffeetrinker zum Berliner Start-Up-Millionär“ heißt
es auf der Titelseite der „Berliner Zeitung“. Vom Konzertveranstalter zum Grüner
Tee-Trinker. Was Berlin eben an Karrieren bereithält.

* * *

Die hiesigen Klassik-Tonträgerfirmen sind regelmäßig nicht
mehr ganz bei Trost.

Jüngstes Beispiel: Seit 2006 hat das unbedingt
verehrungswürdige und geniale Artemis Quartett sämtliche Beethoven-Streichquartette
auf CD eingespielt – und es sind einige der besten Klassik-CDs überhaupt
entstanden, und die Konzerte mit den Beethoven-Quartetten waren schlicht
glücklich machend.

Doch „paradise doesn’t come without mistakes“: Mit den
Quartetten op. 18/3, 18/5 und 135 betrachtet das Artemis Quartett bzw. ihre
Plattenfirma „Virgin Classics“ die Aufnahme als beendet. Während die Quartette
op. 74 und op. 14.1 nicht als Einzel-CD erschienen sind. Wer also wirklich alle
16 Beethoven-Quartette, vom Artemis Quartett eingespielt, in seinem CD-Schrank
haben möchte, muß auf die gerade erschienene Kassette mit allen
Beethoven-Quartette zurückgreifen – op. 74 und op. 14.1 sind nur in der Box
erschienen.

Üble Geschäftemacherei!

Zumal mit dem Erscheinen der Box aller Beethoven-Quartette
die treuen Fans bestraft werden, die die sechs bisher erschienenen CDs des
Artemis Quartett einzeln zum im Klassikbereich üblichen Preis zwischen 15,99
und 19,99 Euro erworben haben – während die Gesamtbox mit 7 CDs bereits zum Preis
von 39,99 Euro erhältlich ist.

Eine Geschäftspolitik, die Kunden und Musikfreunde vor den
Kopf stößt. Und ich würde sagen: eine Geschäftspolitik, die sich die Kunden
merken werden. Wer soll denn noch teure Klassik-CDs kaufen, wenn kurze Zeit
später die gleichen CDs als Bestandteil von CD-Boxen für nur noch 5 bis 6 Euro,
also weniger als ein Drittel des Originalpreises, erhältlich sind oder sonstwie
verramscht werden?

* * *

Ein schönes Beispiel vorauseilenden Gehorsams gegenüber der
von der Tonträgerindustrie inszenierten Vermarktungsmaschinerie zeigte
ausgerechnet das sonst sehr geschätzte Feuilleton der „Berliner Zeitung“: auf
mehr als einer halben Seite durften sich dort Sido und Bushido über ihr
gemeinsames Album verbreiten, das zu dem Zeitpunkt weder erschienen war, noch
der Redaktion zum Hören vorlag.

Wie sagt Bushido in dem Interview? „Musik ist ungefähr 20 Prozent, und Geschäft ist 80 Prozent.“

* * *

Und was hat Rapper Bushido, dem wegen seiner Musik und
seines Verhaltens Schwulenfeindlichkeit, Frauenverachtung, Antisemitismus,
Antiamerikanismus und Jugendgefährdung vorgeworfen werden, der mehrfach zu
Schadensersatz wegen Urheberrechtsverletzungen verurteilt wurde und neben
seiner Tätigkeit in der Musikindustrie erfolgreicher Immobilienhändler ist, und
der sich ausgerechnet von der "FAZ" verarschen lassen muß, daß er mit
seinem neuen, mit Sido eingespielten Album "auch
einen FDP-Parteitag beschallen" 
könnte, was also hat Bushido ausgerechnet mit dem
„Grünen“-Bundespräsidentenkandidaten Gauck gemeinsam?

Nun, sowohl Bushido als auch Gauck machen sich über die
weltweiten Proteste gegen die Banken lustig. Bushido fühlt sich bei den
Anti-Banken-Protesten laut „FAZ“ an eine „bescheuerte
Facebook-Party“ erinnert, und fragt:
„Wogegen demonstrieren die Penner denn?“ Denn der Rapper hält Deutschland
für „eines der geilsten Länder der Welt“.

Das würde Gauck auch so denken, aber wohl geringfügig anders
formulieren. Die Proteste der Anti-Banken-Bewegung hält Gauck jedenfalls für
„unsäglich albern“. Was können wir froh sein, daß Grünen-Kandidaten bei einer
Bundespräsidentenwahl noch keine Mehrheit finden...

* * *

„Kreative verlangen
Reformen bei Urheberrecht“, heißt es bei „Musikwoche.de“.

Doch wo „Kreative“ draufsteht, ist meist „Industrie“ drin –
denn nicht etwa Künstler, Autoren und ihre Vertreter werden in dem Artikel
zitiert, sondern die Vertreter der Kulturindustrie: der Bundesverband
Musikindustrie, der Börsenverband des Deutschen Buchhandels, die GEMA, die
„Allianz Deutscher Produzenten – Film & Fernsehen“, ARD, ZDF usw. usf.

Die Arbeit- und Auftragsgeber der Kulturindustrie also
verlangen wieder einmal Reformen beim Urheberrecht – „kreativ“ ist daran nur
die Verdrehung der Tatsachen beim embedded journalism...

* * *

In einer der „NZZ“ beigelegten Zeitschrift namens
„Gentlemen’s Report – Das Magazin für Männer“, in der vornehmlich Artikel der
Art „Schweizer Qualitätsuhren müssen
nicht stinkteuer sein“ stehen, in dem eine günstige Mondphasenuhr für 8000
Franken oder eine Zweizonenuhr für nur 6000 Franken angeboten werden, finden
wir einen Artikel über „Gentlemen, on your bikes“, in der ein paar sich für
wenig zu schade seiende neureiche Männer sich und ihre Fahrräder selbst
inszenieren, in eitlen Posen und herausgeputzt vor ihrem Lieblingsfahrrad:

Ein „Urban-Art-Künstler
und Inhaber einer Agentur“ freut sich etwa über sein Fixie-Rad, das „ich individuell mit meiner Kunst verziert
habe“, ein „Betreiber einer
Biomarkthalle“ präsentiert „eines von
sechs Rennvelos, die ich besitze. Das exklusivste Exemplar kostet rund 17000
Franken.“ Ein „Inhaber eines
Outdoorladens“ spielt den englischen Lord: „Pashley ist eine englische Traditionsmarke, die alles von Hand und
noch wie in den dreißiger Jahren baut. (...) Meistens habe ich meinen Hund
dabei, der ebenfalls englischen Ursprungs ist und mit seinem schwarz-braunen
Fell sogar farblich ideal zu diesem Velo paßt.“

Wenn man dazu die posenden Jung- und Altmänner sieht, möchte
man vielleicht sagen „Die spinnen, die Schweizer!“ Aber Vorsicht: solche Typen
können euch auch in jedem hiesigen Manufaktum-Laden oder am Prenzlauer Berg
über den Weg laufen. Denn: „Die Deutschen
werden immer reicher. Das Geldvermögen (also nur Vermögen in Wertpapieren,
Versicherungen und auf Bankkonten, ohne Immobilienbesitz z.B., BS) ist
hierzulande trotz Finanzkrise so hoch wie nie und erreicht mit gut 60000 Euro
je Einwohner einen neuen Rekordwert“ (FAZ). Besonders interessant ist
übrigens, daß in den letzten 10 Jahren das Geldvermögen der reichsten 10% der
Deutschen von 189.750 auf 266.345 Euro gestiegen ist, und das der nächsten 10%
von 92.947 auf 130.467. Lediglich das Geldvermögen der ärmsten 10% der
Bundesbürger blieb gleich: 0 Euro.

* * *

Aus unserer Reihe „Unverlangte Künstlerangebote“:

„Herbsttournee 2012
mit Markus Wolfahrt & Band und Sie als Veranstalter?“, fragt die Email
eines mir unbekannten Anbieters. Nun folgten dem ersten Soloalbum des Künstlers
„außergewöhnlich viele Live und
Halbplayback-Auftritte“, und „um das
Ganze noch zu toppen, wird bereits im Frühjahr 2012 sein zweites Soloalbum
erscheinen“ – und gleichzeitig kann es die Firma, die „eine kleine Live-Hallentournee ins Leben rufen möchte“, „kaum erwarten in Planung zu gehen“ und
hält „natürlich Sonderkonditionen
inklusive Technik“ für mich bereit. Und das Programm wird eine „gelungene Mischung aus den zwei Soloalben“ sein
– was für eine brillante Idee!

Dennoch, leider: Herbsttournee 2012 ohne ich als
Veranstalter, ich danke Sie...

* * *

Wo auch immer Diktatoren Feste feiern, unsere Popstars sind
gerne dabei. Beyoncé, Lionel Ritchie, Mariah Carey oder Nelly Furtado spielten
für Millionengagen am Hofe Gaddafis auf. Nun lud der tschetschenische
Machthaber, „Brüderchen Diktator“
(„Spiegel“) Ramsan Kadyrow (35), zum Geburtstag, und alle kamen: Hilary Swank
trällerte ein Liedchen, Geigerin Vanessa Mae fiedelte, und unserer Heidi
„Katjes“ Klum ihr Seal sang ebenfalls für den tschetschenischen Präsidenten,
dem Verstrickungen in Auftragsmorde und Verschleppungen vorgeworfen werden.
Aber wie sagte Seal doch so schön per Twitter: „Ich bin Musiker und habe für die tschetschenischen Menschen Musik
gemacht. Ich würde es begrüßen, wenn ihr mich aus eurer Politik rauslaßt.“
Auf dem dazugehörigen Foto singt Seal inbrünstig vor tschetschenischen Menschen
– ganz zufällig steht er vor Präsident Kadyrow und seiner Regierungsmannschaft...
Weiter erklärt Seal per
Twitter: „I had a great time. It is
always interesting.g form e to play in countries I’ve never been to before.“

Vom deutschen Staatsfernsehen wurde zu der Geburtstagsshow
für den Diktator das MDR-Fernsehballett entsandt. Der MDR, der Skandale ja
länger schon als Teil seines Daseinszwecks begreift, teilte mit, es habe
lediglich „Bedenken in Sachen Sicherheit,
nicht aber in politischer Hinsicht“ gegeben. Amnesty International nimmt
sich mittlerweile des Vorfalls an und wird das MDR-Fernsehballett zu dem
Auftritt im tschetschenischen Fernsehen befragen (wenn Sie meine Meinung hören
wollen: Amnesty International sollte den MDR auch zu etlichen Fernsehsendungen
befragen, die unterhalb aller von Menschenrechten gefaßten Geschmacksschwellen
sind...).

Wenn Sie sich allerdings schon länger fragen, wie das
unterirdische Niveau des MDR zustande kommt, wird Sie interessieren, was im
Zuge der Recherchen des „Spiegel“ nun herauskam, nämlich: die deutschen
Bischöfe haben ihre Finger im Spiel! Das MDR-Fernsehballett gehört nur zum
Teil, nämlich zu 40%, dem MDR. 30% der Berliner Tanzgruppe gehören der Münchner
Firma Tellux. Und Gesellschafter dieser Firma wiederum sind neben einem Fürst
Georg von Waldburg zu Zeil „neun deutsche
Bistümer – vom Erzbischöflichen Stuhl zu Hamburg über die Erzdiözese Köln bis
zum Ordinariat des Erzbistums München-Freising“. Muß man sich auf der Zunge
zergehen lassen – erzreaktionäre deutsche Bischöfe befehlen dem
MDR-Fernsehballett „Beinchen hoch!“ – gerne auch mal für einen Diktator. Die
Investments deutscher Bischöfe werden natürlich durch Kirchensteuern bezahlt.

* * *

Der Repräsentant der "Deutschen Grammphon"
begrüßte die Besucher der "Yellow Lounge" mit Pierre-Laurent Aimard
unlängst im Berliner "Berghain" so: "Wie gerade auf Facebook zu
lesen war, feierte Franz Liszt seinen 200. Geburtstag"..

Wie gut, daß es Facebook gibt! Gerade, weil das bürgerliche
Feuilleton den runden Geburtstag des Komponisten ja flächendeckend verschlafen
hatte...

Allerdings: wie ich auf Google gelesen habe, soll Liszt in
der Zwischenzeit verstorben sein - kann also leider seinen 200. Geburtstag
nicht mehr feiern...

* * *

Und wenn die „Heilandisierung
von Steve Jobs“ (Wiglaf Droste) – obwohl, bei einem Buddhisten wie Jobs sollte
man vielleicht eher von Dalailamaisierung sprechen? – bei Medien und Publikum
endlich abgeschlossen ist, könnte man vielleicht darauf zu sprechen kommen, ob
Steve Jobs – ich weiß: de mortuis nil nisi bene... – wirklich ein
Weltverbesserer sondergleichen war und nicht einfach nur ein recht guter
Verkäufer. Die „iSklaven im
Apple-Imperium“ („Berliner Zeitung“) etwa werden eine etwas andere Sicht
der Dinge auf den Mann haben, der seine etliche Hunderte Euros teuren Produkte
in China von Arbeitern in Fabriken unter skandalösen Bedingungen
zusammenbasteln ließ – Arbeitsschutz gibt es keinen, Hunderte von Arbeitern
haben Gesundheitsschäden davongetragen, weil sie ungeschützt mit giftigen
Chemikalien hantieren mußten; es gibt Kinderarbeit; 13 Angestellte der Apple-Zulieferer
begingen Selbstmord und klagten in ihren Abschiedsbriefen über hohen Druck,
lange Arbeitszeiten, niedrige Bezahlung. Die Produktionsstandards der späteren
Designprodukte sind skandalös, und es ist nicht bekannt, daß Steve Jobs oder
irgend jemand sonst aus der Chefetage des Konzerns sich bemüht hätte, dies zu
ändern.

Gewiß, beim chinesischen Zulieferer Foxconn wird nicht nur
für Apple produziert, auch Sony und Nokia z.B. lassen dort herstellen. Wir
sprechen hier also eher von einem globalen Lifestyle, der für die Nutzer der
schicken und modernen Produkte etwas anders aussieht als für die Arbeiter, die
diese Produkte herstellen.

Ein systemisches Problem. Wir konsumieren Produkte, an deren
Hülle im schlimmsten Fall Blut klebt. In weniger schlimmen Fällen sprechen wir
einfach nur von normaler Ausbeutung. Die schicken, preiswerten H&M-Teile,
die die Apple-Nutzer in den Großstadt-WiFi-Cafes gerne tragen, während sie an
ihren mobilen Teilen herumfingern, werden zulasten der H&M-Produzenten und
-Beschäftigten hergestellt. Und der Kaffee in den Einwegbechern
(schätzungsweise werden jährlich ca. 23 Milliarden Einwegbecher weltweit
verkauft, wofür etwa 9,4 Millionen Bäume abgeholzt werden müssen) wird in der
Regel von Arbeitern in Kaffeeplantagen produziert, die einen Hungerlohn
erhalten. „Bauern verfüttern immer mehr
billiges Getreide an Schlachttiere, damit wir mehr teures Fleisch essen können;
außerdem nehmen die Agrarflächen zu, die der Produktion von Biosprit
vorbehalten sind, damit wir Auto fahren können, ohne Erdöl zu verbrennen. Das
Resultat: Die Preise der Grundnahrungsmittel haben sich zwischen 2006 und 2008
verdoppelt bis verdreifacht, in Afrika und Asien ist es zu Hungeraufständen
gekommen“ (Ian Morris). Die global agierenden Konzerne des Rohstoffhandels
maximieren mit raffinierten Tricks ihre Gewinne. Undundund.

Es ist eine Frage des Lifestyles. Eine Frage der Haltung und
des Bewußtseins. Reicht es, wahlweise als schulterzuckender
Trainingsjackenträger oder mit einem schwarzen (in Berlin produzierten, wie wir
erfahren durften) Steve-Jobs-Kaschmirpulli durchs Leben zu gehen, oder will man
bestimmte Dinge doch nicht akzeptieren, sondern sie ändern?

 (...dieser Rundbrief
wird auf einem Apple Computer geschrieben; man nennt das Dialektik, glaube ich...)

„Diese Gesellschaft
ist insofern obszön, als sie einen erstickenden Überfluß an Waren produziert
und schamlos zur Schau stellt, während sie draußen ihre Opfer der Lebenschancen
beraubt.“ (Herbert Marcuse, Versuch über die Befreiung)

„Für mich ist das ganz
klar. 1989 ist das Korrektiv weggebrochen. Bis dahin mußte das Kapital damit
rechnen, daß es möglicherweise eine Gesellschaftsform gibt, die besser ist.
Jetzt können sie alles bis zum Äußersten treiben. Das erkennt plötzlich sogar
Herr Schirrmacher. Irgendwie ist es frivol, daß sie so tun, als hätten sie es
entdeckt. Aber es zeigt auch, daß ihnen gar nichts anderes mehr übrig bleibt.
Sogar der Bundespräsident erkennt auf einmal, daß es falsch ist, wenn Gewinne
individualisiert und die riesigen Verluste sozialisiert werden. Das ist die
Systemfrage. Wahrscheinlich ist die Demokratie doch nicht das richtige
Gesellschaftssystem für den Kapitalismus. Was jetzt kommt, das wird Blut und
Dreck sein. Da war das, was bisher passiert ist, noch gar nichts.“ (Josef Bierbichler)

Denken Sie dran, wenn ihnen die Politiker von CDU, CSU, FDP,
SPD und Grünen, die gerade im Bundestag den fiesesten Hebelgesetzen zugestimmt
haben, wieder einmal weismachen wollen, es gebe keine Alternative... Wer Christ
ist, mag im November die zahlreichen herbstlichen Buß- und Bettage zum Anlaß
nehmen, Buße zu tun oder zu beten. Denn wer jetzt keine Bank ist, findet keine
mehr...