20.11.2011

Beim Kulturforum der Sozialdemokratie. Wang Hui und Sigmar Gabriel.

„Die Gleichheit neu denken.“ Besuch beim Kulturforum der SPD.

Das „Kulturforum der
Sozialdemokratie“ hat in der Reihe „philosophy meets politics“ eingeladen zu
einer Veranstaltung namens „Die Gleichheit neu denken. mit Wang Hui und Sigmar
Gabriel“.

Einer der wichtigsten
zeitgenössischen chinesischen Denker also trifft auf den Parteivorsitzenden der
SPD. Interessant.

Das Signet der SPD-Reihe
„philosophy meets politics“ lädt zu zahlreichen Assoziationen ein: ein „alter
Grieche“, es ist wohl Sokrates gemeint, ist neben dem Bundesadler zu sehen –
das Symbol, das Sozialdemokraten oder ihrer Werbeagentur einfällt, wenn sie den
Begriff „Politik“ auf den Punkt bringen wollen. Ungewollter Nebeneffekt: da
steht jetzt gleich der Bundesadler als Symbol derer, die in Europa und in
Europas Wirtschaft Deutungshoheit und Entscheidungsmacht haben, neben dem
Symbol des Landes, dessen Demokratie sie gerade in die Knie zwingen, das Symbol
des Landes, deren Kanzlerin gerade den Griechen beigebracht hat, daß sie sich eine
Volksabstimmung über die EU-Knebelbedingungen gefälligst abzuschminken haben,
neben dem Symbol des Opferlandes – „Gleichheit neu denken“ eben...

Öffentlich ist diese Veranstaltung
nicht, sondern nur für Eingeladene und für Pressevertreter – man benötigt
Einladung oder Presseausweis. Mit normalen, einfachen BürgerInnen hat die
ehemalige Volkspartei wohl ein Problem.

Vor Beginn der Veranstaltung kommt
Beruhigungsklassik vom Band, so, wie sich Verkehrsminister Ramsauer das
vorstellt oder wie am Hamburger Hauptbahnhof die Drogenszene beschallt wird.

Dann ertönt ein Signal in der Halle
des SPD-Hauses in Berlin, wie auf dem Pausenhof einer Schule. Auftritt Prof.
Dr. Julian Nida-Rümelin mit einer „Einführung“. Ich will an dieser Stelle nicht
auf die Inhalte der Redner eingehen, nur die Stimmung beschreiben, daher kein
Wort zu der eitlen Selbstdarstellung des SPD-Politikers und zum Vortrag Prof.
Dr. Wang Huis.

Den Vortrag Wang Huis kann man im
Netz downloaden.

Auf Youtube ist ein interessanter
Ausschnitt seiner fundamentalen Kritik der Demokratie zu sehen:

 

An Sigmar Gabriels Vortrag fällt
auf: zunächst geht Gabriel in freier Rede auf Wangs Vortrag ein und gibt dem
chinesischen Gast auf vielen Ebenen Recht. Ja, es gebe im Westen, speziell in
Deutschland eine „gespaltene Gesellschaft“, die Politik habe den Kontakt zu
großen Teilen der Bevölkerung verloren, man fühle sich den Finanzmärkten ausgeliefert
und von der Politik nicht mehr vertreten. Doch was der Vorsitzende der SPD dann
konkret vorzuschlagen hat, ist intellektuell erbärmlich, ergeht sich in banalen
Politikerforderungen (klar will die SPD ein Mindestlohn und mehr
Volksabstimmungen...) und belegt eine komplette Hilflosigkeit, wie man auf eine
im Grunde korrekte Analyse der Situation politisch antworten könnte. Da wird
dann von Sozialpartnerschaft gefaselt, da wird der mittlerweile in der
Bandbreite von Sarah Wagenknecht bis hin zum Feuilleton der FAZ in der ganzen
Gesellschaft angekommene banale Satz „die Gewinne werden privatisiert, die
Verluste werden vergesellschaftet“ noch einmal zum Besten gegeben. Aber es
fehlt sowohl eine Auseinandersetzung mit den Thesen von Wang Hui, als auch ein
politischer Weg, wie man die beklagte Situation ändern könnte. „Sinn dieser von
Julian Nida-Rümelin begründeten Veranstaltungsreihe ist es, der praktischen
Politik Impulse aus der politischen Philosophie zu geben“, heißt es im
Einladungstext. Nie war der Sinn einer Veranstaltung derart verfehlt worden...

Obwohl: in der kurzen Pause, bei
Schnittchen und Kaffee (jeweils 1,50 €), hört man an vielen Tischen Klagen über
das schwache Niveau von Gabriels Rede; aber auch: „Sie hätten letztes Mal bei
Habermas und Steinmeier dabei sein müssen, das war noch viel schlimmer...“ Aha.
Scheint ein systemisches Problem zu sein.

Nach der Pause gibt es dann eine
Podiumsdiskussion – der Parteivorsitzende, dem die politische Philosophie doch
„Impulse“ geben sollte, ist längst verschwunden, er hatte wohl wichtigere
Termine – unter der Moderation von Wolfgang Thierse (der u.a. kritisiert, „in
der DDR hat die Demokratie nicht der Wirtschaft gedient“) diskutieren Wang Hui
und Thomas Meyer, und schließlich bleiben 20 Minuten übrig fürs Publikum – aber
nicht etwa für Diskussionsbeiträge, nein, „für präzise und kurze Fragen“, denn
das ist alles, was die SPD-Funktionäre wollen: daß die Menschen sie „präzise
und kurz fragen“... und natürlich ist der erste Fragesteller abgekartet,
nämlich SPD-Julian Nida-Rümelin.

Demokratie, das zeigt sich an der
Konstruktion dieser Veranstaltung, ist „die da oben, wir hier unten“, wie
Sigmar Gabriel es im Voraus auf den Punkt gebracht hat, ohne es zu wollen. An
Teilhabe, an Auseinandersetzung haben die Realpolitiker der SPD kein Interesse.
Ihre Veranstaltungen sind autoreferentielle Selbstvergewisserungen und dienen
der medialen Selbstdarstellung.

Zu so etwas wird man nicht wieder
hingehen wollen...