Der Mann, "TOP"
Der Mann
Wir schreiben das Jahr 2022. DER MANN melden sich zurück. Acht Jahre nach ihrem Debütalbum „Wir sind der Mann“ rufen Ramin Bijan, Maurice Summen, Michael Mühlhaus und Johannes von Weizsäcker mit ihrem neuen Album „TOP“: „Wer auch immer uns vermisst hat: Wir sind wieder da!“
DER MANN sind also wieder auferstanden. Damit passt die Band nicht nur dem Namen nach vorzüglich in eine Welt, in der ein großer Teil derselben den Ablauf eines Jahres noch immer am Geburtstag eines einzelnen, vor mehr als zwei Jahrtausenden geborenen und ständig wiederauftauchenden Dudes ausrichtet, der für die Sünden der Welt gestorben sein mag, aber bekanntlich nicht für die Sünden von Patti Smith, und ziemlich sicher auch nicht für die von DER MANN...
DER MANN passen bestens in eine Zeit, in der sich die Menschen vor lauter fundamentaler Unsicherheit und einem daraus erwachsenden Bedürfnis nach dem Gewohnten in ein Spiegelkabinett des schon Bekannten begeben haben, in dem fortwährend alles Mögliche und Unmögliche der 70er, 80er und 90er läuft und nur ganz manchmal etwas Gutes von heute. Alles Retro, oder was? Oder ist „Retro“ gar das neue „heute“?
DER MANN haben sich jedenfalls musikalisch und visuell dafür entschieden, den Zeitpunkt Ende der 1970er und Anfang der 1980er zu umarmen. Das Cover: in der Ästhetik von Heaven 17s „Penthouse and Pavement“. Die dazu passenden Lifestyle-Accessoires: Kreditkarte, Rolex und Rolodex. Dieser DER MANN ist möglicherweise ein Yuppie. Auch so ein Wiedergänger, nur sieht der heute aus wie Christian Lindner und kommt auch schon mal im Hoodie daher. Verwirrende Zeiten.
Was die musikalischen Ausdrucksformen angeht, hätten Gitarre, Schlagzeug, Bass und Synthesizer eventuell genauso auch schon vor 40 Jahren gespielt werden können. Und auch wieder überhaupt nicht, denn die Kunst von DER MANN besteht unter anderem auch darin, das Alte völlig neu zu deuten und zu denken.
Denn DER MANN diskutiert auf „TOP“ vor allem Oberflächen-Phänomene, und das so tiefsinnig wie ironisch, mitunter gar sarkastisch – immer aber lustvoll! Im flotten Opener „SUV“ und dem zum Offbeat schunkelnden „Bewertungslied“ etwa geht um das fortwährende Hypen, Herum-Meinen und Raunen in den sozialen Medien. Das nachdenklich-sanfte „Country, Western, Coaching & Consulting“ oder der Postpunk-Boogie-Hybrid „Peyote Retreat” singt von psychedelischen Techniken, die mal subversiv waren, mittlerweile aber von Konzernen zur Mitarbeitermotivation und Umsatzsteigerung aufgesogen wurden.
Und immer und vor allem geht es – um den Staat! Einen Staat, der sich mit Fördergeldern und Stipendien eine Subkultur leistet, die sich dann überlegen kann, ob sie die Hand, die sie füttert, überhaupt noch interessiert, ob sie nun gebissen wird oder nicht. „Rock’n’Roll & Sozialstaat” lautet einer der zentralen Tracks von DER MANN, und wenn die hiesige Welt eine gerechte wäre (also eine politisch wie ästhetisch sensible und diskursive), würde „Rock’nRoll & Sozialstaat“ ein Nummer 1-Hit und würde im, ähem, „Staats“radio rauf und runter laufen. Aber ach, die Verhältnisse, sie sind nicht so, und niemand weiß davon so genau zu singen und sagen wie DER MANN:
Spätkapitalismus, Staatspop und Social Media. Kritische Überlegungen und groovy Strategien zwischen roter Ampel und Cambridge Analytics.
„Im Herz schmeißt du Steine / Im Kopf bist du müde“. Die ganze, vielleicht unausweichliche Ambivalenz unseres Daseins wird von DER MANN beschrieben. Doch hier finden sich keine wohlfeilen Handlungsanweisungen, kaum ein Ausweg, die Rebellion ist zwischen dem Falschen und dem Falschen verlorengegangen. DER MANN ist kein
junger Aufrührer mehr, DER MANN ist Ende 40, Anfang 50, also genau in dem Alter, in dem die Kinder für gewöhnlich aus dem Gröbsten raus sind und zu Hause etwas Ruhe einkehrt. Aber der Rücken und die Knie machen noch gut genug mit, dass er jetzt den Gipfel seiner Schaffenskraft (und vielleicht sogar Barrikaden) erklimmen kann. Er ist erfahren und altgedient genug, um in der Firma in die C-Suite aufzusteigen. Als CEO weiß er, dass er nicht mal besonders viel Glück hatte, geschweige denn sich besonders anstrengen musste, sondern einfach nur so gut wie alle Privilegien auf seiner Seite hatte. Was ihm zunehmend unangenehm wird.
Denn DER MANN ist sich wie schon Schubert und Uhland bewusst:
„Nun muss sich Alles, Alles wenden!“
„Wir sind total privilegiert“, sagt Maurice Summen, und meint damit durchaus auch den anhaltenden Untergrund-Status seiner Männer-Band. „Aber wir haben recht wenig daraus gemacht.“ Bisher, ist man geneigt hinzuzufügen. Aber das wird sich nun möglicherweise ändern. DER MANN und die Welt hätten es verdient…
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In DER MANN sind eine Reihe von (Ex)-Mitgliedern von einigen der feinsten und wichtigsten (nicht nur) Indie-Bands tätig, zum Beispiel von Die Türen, Baked Beans, Erfolg sowie Ja, Panik, The Chap und Blumfeld. Sänger Maurice Summen und Bassist Ramin Bijan machen seit ihrer Teenager-Zeit, also seit mehr als dreißig Jahren, zusammen Musik und sind das Gravitationszentrum von DER MANN.
Dazu kommen Michael Mühlhaus, Johannes von Weizsäcker und der Berliner TOP-Drummer Moritz Baumgärtner. Und bei den Konzerten im September darf sich das Publikum noch auf eine exquisite Rhythm Section mit Renu Hossain und Jarita Freydank freuen.
Aber auch die Künstler und Designer Helmut Kraus und Sebastian Kaltmeyer sind erneut dabei, und zwar als Band-Mitglieder, die bei DER MANN für das Visuelle zuständig sind. Vielleicht sind DER MANN gar ein zukunftsweisendes artsy Kollektiv?
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„Der Mann präsentiert uns die unglamouröseste Kunstfigur der Popgeschichte:
Das rechnerische Mittel des mittelalten, mittelschönen, in seiner Hypernormalität schon wieder verstörenden, ja, freakishen Mittelschichtmannes...“ (Jens Friebe)