Berthold Seliger

Popkomm und Urheberrecht

 

Es tut mir leid, Berlin, aber: die Popkomm war immer überflüssig, die Popkomm ist überflüssig, und die Popkomm wird immer überflüssig sein. Egal, ob sie in Köln oder Berlin stattfindet, egal, ob der nordrheinwestfälische Wirtschaftsminister oder der Berliner Regierende, ob die Tonträgerindustrie oder die Politik sie unterstützen, und egal, wer jetzt Krokodilstränen weint. Für die in der Musikbranche Tätigen ist die Sachlage ganz einfach: die Tourneeveranstalter, Agenten und Festivalbetreiber gehen nach London zur ILMC, die Tonträgerfirmen und Verlage gehen, solange das Geld reicht, noch zur Midem nach Cannes, und diejenigen, die Musik wirklich lieben und Neues entdecken wollen, gehen zur Womex oder nach Austin/Texas zur SXSW. Einen Sinn gemacht hat die Popkomm nie – gegründet wurde sie, weil Dieter Gorny seinerzeit die nordrhein-westfälische Landesregierung davon überzeugen konnte, daß Deutschland eine eigene Popmesse benötige – und wer in den ersten Jahren die Kölner Popkomm besuchte, wird sich an mondäne Parties, an riesige Stände der Plattenfirmen-Majors und an das dumpfe Ringfest, eine Art kölscher Ballermann, erinnern. Die Manager der Musikindustrie residierten im Hyatt oder an der Domplatte, und die wenigen Alternativen versuchten, ihre Krümel vom Kuchen abzubekommen. Es waren die Jubeljahre der Tonträgerindustrie, die ihren Kunden ein Billigprodukt namens CD erfolgreich untergejubelt und ihren gesamten Backkatalog noch einmal zu überhöhten Preisen an die Fans verkauft hatte und entsprechend im Geld schwamm.

Daß das Fest irgendwann zuende gehen würde, zeichnete sich bereits in den ausgehenden 90er Jahren ab – viele Plattenfirmen konnten oder wollten sich die teuren Messestände nicht mehr leisten, die internationalen Geschäftspartner hatten sowieso noch nie die Popkomm besucht, um Geschäfte zu machen, und die wirklich wichtigen Künstler und Labels hatten der langweiligen Veranstaltung am Rhein längst den Rücken gekehrt. Und eine teure Bauchnabelschau mit Dauerparty konnte die Branche nicht mehr finanzieren, die Umsätze der Tonträgerindustrie befanden sich im freien Fall. Da stand 2004 Berlin mit einem  Bürgermeister Wowereit bereit, dessen Lust, sich auf Partys und schicken Empfängen zu sonnen, schon immer indirekt proportional war zu seiner Bereitschaft, politische Konzepte zu entwerfen. In den letzten Jahren verkündeten die Popkomm-Macher gerne Erfolgsmeldungen, die Wahrheit sah jedoch anders aus: leere Messehallen, kaum internationale Besucher, ein Konferenzprogramm, das jede Fachhochschule in der Provinz besser hinbekommen hätte, die Stände wurden hauptsächlich von den in der Krise weltweit aus dem Boden sprießenden staatlichen Musikförderungs-Initiativen und Pop-Export-Büros gebucht, und entsprechend trist waren auch weite Teile des von den staatlichen Institutionen finanzierten sogenannten „Festivals“ – Subventions-Pop eben. Man konnte in drei Stunden auf der 6th Street in Austin mehr spannende neue Musik entdecken als an drei Tagen Berliner Popkomm-Festival. So war es nur logisch, daß nun endlich auch die Macher ihr Scheitern eingestanden und die Funktionärsmesse abgesagt (oder, wie es im branchenüblichen Musiksprech heißt, „ausgesetzt“) haben. –

Soweit, so wurscht. Und ob ausgerechnet die Initiative um Pop-Faktotum, Rammstein-Entdecker und Multiunternehmer Tim Renner und das hochsubventionierte „Radialsystem“ in der Lage ist, gewissermaßen eine „Graswurzel-Popkomm aus dem Boden zu stampfen, darf ernsthaft bezweifelt werden – das riecht doch sehr danach, daß man vom Regen in die alternative Traufe kommt. Wenn die Branche einen Treff in Berlin benötigt, dann wäre es eine moderne Neuauflage der „Berlin Independent Days“, ohne Pop-Funktionäre, ohne Staat, ohne Showcase-Mittelmaß. Danach sieht es allerdings leider nicht aus, da, wo Funktionäre herrschen, ist Mittelmaß Gesetz.

Interessant ist allerdings, wie die Veranstalter der Popkomm ihre Absage begründen: die Popkomm-Messedirektorin verweist auf die schwierige wirtschaftliche Lage der Branche, man hätte wohl Einbußen von bis zu 50 Prozent bei den Fachbesuchern hinnehmen müssen. Dieter Gorny dagegen, als Vorsitzender des „Bundesverbands Musikindustrie“ (BMI) Cheflobbyist der Tonträgerbranche, nutzt die Chance und macht die „Untätigkeit der Politik“ im Kampf gegen das Internet-Raubkopieren von Musik für das Aus der Popkomm verantwortlich: „Die digitale Krise schlägt voll auf die Musikwirtschaft durch. Viele Unternehmen können es sich wegen des Diebstahls im Internet nicht mehr leisten, an der Popkomm teilzunehmen“, ließ Gorny wissen. Keine Rede davon, daß die Branche, was die technische Entwicklung digitaler Tonträger angeht, alles verschlafen hat, was zu verschlafen war – von der Erweiterung der Vertriebswege bis zur Erneuerung des Urheberrechts. Keine Rede davon, daß ausgerechnet der Verband, dessen Bundesvorsitzender Dieter Gorny ist, der BMI, in seinem Jahreswirtschaftsbericht 2008 darauf hinweist, daß schon seit fünf Jahren die Anzahl der illegal heruntergeladenen Titel und ebenso der Absatz der zum Brennen benötigten CD-Rohlinge rückläufig ist: „Von 2003 bis 2007 hat sich die Zahl der illegalen Downloads von 602 Millionen auf 312 Millionen nahezu halbiert, obwohl sich seit 2004 die Zahl der Personen mit einem schnellen Internetzugang (DSL) mehr als verdreifacht hat“, heißt es beim BMI und war bereits in dieser Zeitung nachzulesen. Die großen Tonträgerkonzerne erwirtschaften längst mehr als jeden fünften Euro im Internet, mit drastisch steigender Tendenz (von 2007 auf 2008 etwa um ein Drittel, und bereits 2007 betrug der weltweite Umsatz mit digitaler Musik 3,7 Milliarden Dollar). Allein beim Marktführer Universal haben die Einnahmen aus legalen Downloads bereits die Milliardengrenze überschritten. Es gehört schon eine gehörige Portion Chuzpe dazu, anläßlich der überfälligen Einstellung einer überflüssigen Veranstaltung von der Politik protektionistische Gesetze zu verlangen, wenn man weiß, daß sogar die selbstzusammengestellten Fakten eine andere Sprache sprechen – und mal abgesehen davon, daß die vom BMI veröffentlichten Zahlen generell durchaus fragwürdig sind – wie und woher etwa will der Verband denn die genaue Zahl illegaler Downloads wissen? Und nicht jede beschreibbare CD wird zum „Schwarzbrennen“ von Musik genutzt, im Büro des Verfassers dieser Zeilen etwa dienen die Spindeln mit unbeschriebenen CDs komplett der Datensicherung.

Doch Gornys Konzept ist das stetige Einhämmern von  Forderungen auf die Politik, eine immerwährende Öffentlichkeitskampagne nach dem Motto, „wenn ich tausendfach Unsinn verbreite, bleibt der Unsinn irgendwann hängen“; nach diesem Modell unternahmen Gorny und Konsorten bereits die Kriminalisierungsversuche der Kunden durch ihre fragwürdige „Copy kills music“-Kampagne, und so wiederholt Gorny nun wie eine tibetanische Gebetsmühle, daß Deutschland neue, scharfe Gesetze brauche, um den Diebstahl im Internet abzuwehren. Vorbild für Gorny ist dabei das gerade mit großem Aplomb in Frankreich gescheiterte Prinzip der Netzsperren für einzelne Musik-Piraten – das Gesetz wurde vom französischen Verfassungsgericht einkassiert, es verstößt schlicht gegen das Grundrecht auf Informationsfreiheit.

Das Problem der Tonträgerindustrie, und genau davon wollen Scharfmacher wie Gorny ablenken, ist ein ganz einfaches: ihr Geschäftsmodell ist überlebt und so tot wie der Quelle-Katalog. Der hauptsächliche Daseinszweck der Tonträgerindustrie war es, Musikaufnahmen zu finanzieren, dann zu kopieren und schließlich zu vertreiben. All diese drei Aufgaben sind obsolet geworden: in Zeiten der Beherrschung der eigenen Produktionsmittel durch die Künstler und in Zeiten der Digitalisierung ist nichts einfacher, als den Kontakt zwischen Künstler und Publikum direkt herzustellen, durch das Internet – nicht nur Radiohead verkaufen ihre Musik ja direkt an die Konsumenten. Und da die großen Plattenfirmen zu keiner Phase ihrer Existenz ernsthaft an der Entdeckung und Förderung von guter neuer Musik interessiert waren (im Gegensatz zu all den ehrenwerten Indiependent-Firmen, bei denen Musikliebhaber und Afficinados arbeiten und die genau deshalb und wegen ihres Vertrauensverhältnisses zu ihren Künstlern auch überleben werden, wenn auch mit verändertem Geschäftsmodell), hat die „kulturveräußernde“ Tonträgerindustrie schlicht ihre Existenzberechtigung verloren. Die großen Tonträgerfirmen wissen das natürlich genau, und weil ihnen die Felle davonschwimmen, haben sie als öffentliches Betätigungsfeld das Urheberrecht entdeckt. Die Tonträgerindustrie behauptet, Institutionen wie das Urheberrecht oder die Gema würden den Künstlern nützen – das Gegenteil ist der Fall, in der Regel haben die Künstler genauso wenig von der quasi prä-historischen Form des Urheberrechts, wie sie von den Gema-Gebühren, die Veranstalter für  ihre Konzerten bezahlen, etwas sehen. Hier geht es einzig um die Profitinteressen der Musikindustrie, und wo Opel, die Commerzbank oder Quelle nach staatlichen Geldern rufen, schreien Gorny und die Tonträgerindustrie nach Gesetzen eines Überwachungsstaates. Es gibt wohl kaum einen anderen Wirtschaftszweig, dessen Geschäftsmodell überlebt ist und der gleichzeitig derart vehement nach Gesetzen zur Sicherung seiner Pfründe ruft. Das wirkt in etwa so wirklichkeitsfremd, wie wenn Unterwäschefabrikant  Schiesser von der Bundesregierung fordern würde, ein Gesetz zu erlassen, wonach alle Männer nur noch deren Unterhosen tragen sollen, oder wenn die Bevölkerung verpflichtet würde, mit Märklin-Eisenbahnen zu spielen.

Nein, das Urheberrecht ist ein Kampfbegriff der Verwertungsindustrie, und Künstler und Konsumenten tun gut daran, den Plattenfirmen nicht auf den breit aufgetragenen Leim zu gehen und stattdessen neue Wege in der digitalen Welt zu gehen. Dabei ist besonderes Augenmerk darauf zu legen, daß das Grundrecht auf Informationsfreiheit gewahrt wird. Bereits jetzt konstatiert der Nobelpreisträger Robert B. Laughlin besorgt: „Unsere Gesellschaft schottet Wissen in solchem Umfang, so schnell und so sorgfältig ab wie noch keine andere Gesellschaft in der Geschichte. Tatsächlich sollten wir das Informationszeitalter wohl besser als das Zeitalter der Amnesie bezeichnen.“

Musik gab es schon, bevor Gema und Plattenfirmen gegründet worden – und Musik wird es noch geben, wenn Leute wie Dieter Gorny längst als Treppenwitz der Copyright-Geschichte  vergessen sind. Und wenn die Digitalisierung die Profiteure der Musikwirtschaft zumindest teilweise überflüssig machen kann, ist das eine gute Nachricht. Kommt ins Offene, Freunde!