Markku Peltola
Buster Keatonin Ratsutilalla


Seit etwas mehr als einem Jahrzehnt machen verrückte Finnen die Kulturszene unsicher. Aki Kaurismäki mit seinen Filmen, die Rocker von 22 Pistepirkko, Sammlungen finnischer Tangos, oder M. A. Numminen mit seinen schrägen Gesängen "Dägä Dägä". Was ist nur dran an den Finnen?

Klar, der "Finne als solcher" lebt verdammt weit im Norden. Unwegsames Gelände, viel Landschaft. Im Sommer gibt's Mitternachtssonne, und das Leben ist eine einzige, immerwährende Party. Kein Land in Europa hat derart viele sommerliche Musikfestivals zu verzeichnen wie Finnland, übrigens - weit über 100 mehrtägige oder mehrwöchige Veranstaltungen, und das in einem derart kleinen Land, unglaublich.

Im Winter bleibts beim Finnen ziemlich dunkel, und da er außerhalb Helsinkis weit voneinander entfernt wohnt, kommt der Finne anscheinend gerne auf absonderliche Gedanken. Melancholie. Ironie und Tiefsinn. Schwermut. Humor.

Die Sammlung "Finnischer Tango" namens "tule tanssimaan" hat 1998 bei Trikont für Furore gesorgt. Die Bandbreite finnischer Musik haben gleichzeitig M.A. Numminen ("Yes Sir ich kann Boogie") und 22 Pistepirkko ausgelotet. Natürlich ist immer irrsinnig viel Alkohol im Spiel - trifft man etwa die drei Herren von 22 Pistepirkko jemals auf Tour im Backstage an, kommt man nicht umhin, Unmengen eines klebrigen finnischen Lakritzlikörs eingeflößt zu bekommen. Die Trinker in Kaurismäkis Filmen sind allesamt stoisch, gelassen. Vom Finnen lernen, heißt trinken lernen. Heißt Haltung lernen.

Die Landschaften Aki Kaurismäkis sind längst europäische Topoi. Die Stadtlandschaften wie die Natur wie die Gesichter - was Kaurismäki an Filmen in zwei Jahrzehnten geschaffen hat, gehört zum unverwechselbaren "Weltkino" (wenn dieser Begriff analog zur "Weltliteratur" gestattet ist) unserer Tage. "Hamlet goes business" etwa, diese krude Mischung aus Kapitalismuskritik und einer flapsigen Beschreibung der Schlechtigkeit der Welt, oder "Das Mädchen aus der Streichholzfabrik", die Trostlosigkeit des Lebens und Liebens einer Fabrikarbeiterin, über die "Leningrad Cowboys" bis hin zu "Wolken ziehen vorüber", diesem Balanceakt zwischen herzzerreißendem Drama und lakonisch-knapp erzählter, anrührender Komödie, und dem aktuellen Film, "Der Mann ohne Vergangenheit". Die Gesichter dieser Filme sind Kaurismäki-Schauspieler, so wie der frühe Godard immer wieder Belmondo und Anna Karina besetzte oder beispielsweise Fassbinder eine hochkarätige Schauspielerschar um sich versammelte.

"Der Mann ohne Vergangenheit" handelt von einem Mann namens M, der, nachdem er grundlos zusammengeschlagen und im Krankenhaus für tot erklärt wird, aufsteht von seinem Krankenbett und geht. Die pure Magie - weil Kino alles darf und alles kann. Dies lehrt Kaurismäki, der große Finne. Und M., der keine Erinnerung mehr an sein Leben hat, verliebt sich in eine Heilsarmistin, entdeckt eine alte Jukebox und beeinflusst die lokale Musikszene. Alles geht.

Dieser M. in "Der Mann ohne Vergangenheit" wird von Markku Peltola gespielt, und wer den Film gesehen hat, wird dieses Gesicht den Rest seines Lebens nicht mehr vergessen. Markku Peltola hat im richtigen Leben eine Band, und er hat ein wunderbares Album eingespielt, das den ebenso wunderbaren Titel "Buster Keatonin Ratsutilalla" trägt und von dem ich behaupte, dass man es, hat man es einmal gehört, den Rest seines Lebens nicht mehr vergessen wird. Das man den Rest seines Lebens zum treuen Begleiter wählt, an guten wie an schlechten Tagen.

Es handelt sich um ganz feine, raffinierte Musik. Filmmusik, in gewisser Weise, denn diese Musik berührt etwas in uns, lässt uns bewegte Bilder sehen. Es könnte, so steht es im Waschzettel der Plattenfirma, eine Jam-Session sein. Und gleichzeitig sind die Arrangements dieser Stücke derartig ausgeklügelt und vielfältig, dass es sich ebenso um Kompositionen handeln könnte. Wir wissen es nicht, wir werden es nicht erfahren. Der Finne als solcher bleibt immer auch rätselhaft, so wie das Leben.

Ein E-Gitarren-Riff beginnt das Album, setzt immer wieder ein im ersten Stück, das dann aber ganz relaxt und akustisch weitergeht, wie ein Eisenbahnzug, der an uns vorbeifährt in aller Gemächlichkeit. Man könnte jetzt das Instrumentarium vorstellen, das Markku Peltola und seine Mitstreiter verwenden, die Geige spielt eine wichtige Rolle, elektrische und akustische Gitarren, Bläser, ein vornehm eingesetztes Schlagzeug. Man lese sich die Instrumente in der finnischen Besetzungsliste laut vor - genauso wundervoll klingt die Musik: Akustinen Kitara, Basso, Viulu, Baritonitorvi, Lyömäsoittimet, Sähkökitara, Slidekitara, Vetopasuuna, Vetopasulina, Pillit, Koskettimet oder Laulu werden da gespielt. Eine lautmalerische Musik, stimmungsvoll, zwischen Melancholie und Ironie. Natürlich am Tango finnischer Prägung geschult, dabei aber selbstverständlich, locker und freundlich. Eine imaginäre Folklore hat Markku Peltola da mit seinem Ensemble zusammengestellt, eine im besten Sinne "Weltmusik". Und so, wie der Tango angeblich der Blues der Finnen ist, eine Musik, die wieder "da anlangt, wo der Tango in Argentinien und Uruguay schon einmal war. In den schäbigen Bars, in den tristen Vorstädten und auf den verlassenen Dörfern des Landes, von betrunkenen Männern und weniger betrunkenen Frauen getanzt und gesungen" ¹ , so könnte die Musik auf diesem Album "Buster Keatonin Ratsutilalla" bewegender nicht sein, eine Imaginationsfläche unserer Gefühle, eine Musik, die vielleicht von einem verlorenen Paradies erzählt, von den Höhen und Tiefen des Lebens, von Verlust und Enttäuschung, von Gelassenheit und Humor, einem Humor, der so verzweifelt wie eben gelassen ist und uns das Leben gerade noch so eben ertragen lässt. Aber vielleicht erzählt die Musik auch von etwas ganz Anderem. Und dass das alles völlig offen ist, ist vielleicht das wundervollste an dieser wundervollen Musik, die da aus Finnland kommt und dort auf dem Ektrolabel und hierzulande bei Klangbad erschienen ist.

Wenn es die Finnen nicht gäbe, müssten sie erfunden werden. Aber man kann keinen besseren Finnen als Finnendarsteller finnen, als Markku Peltola, das Gesicht des jüngsten Kaurismäki-Films und gleichzeitig den Macher eines der schönsten Alben der letzten Jahre, "Buster Keatonin Ratsutilalla". Eine Musik, die weinen und lächeln zugleich macht.

(P.S. Ja, natürlich - die Finnen sind Pisa-Europameister, haben die besten Schüler in Europa, die meisten Musikschulen, die meisten Musikhochschulen, die meisten Bibliotheken pro Einwohner, und und und. Aha. Sowas kommt von so was. Von Finnen lernen heißt…)

¹ Stephan Meier, Booklet zu "Finnischer Tango - tule tanssimaan", Trikont 1998

© Berthold Seliger, Februar 2004
Nachdruck nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors

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