Cui Bono?

Gegen die Darbietungen beim "Live 8"-Spektakel 2005 hätte Nicoles "Ein bißchen Frieden" von Anfang der Achtziger glatt als Protestsong durchgehen können.

Den Gutmenschen wird's auch immer leichter gemacht: Mußte man beim "Live Aid" 1985 noch richtiges Geld für die Hungernden in Afrika spenden, so genügte es beim globalen "Live 8" im Juli 2005, eine SMS mit einer an die Regierungschefs der Industriestaaten gerichteten Message an die Veranstalter zu versenden, um sich richtig gut zu fühlen und die Welt, wie es so schön heißt, "im kleinen" und "ein wenig" geändert zu haben. Danach konnte man sich in aller Ruhe den Protest-Caipirinhas widmen, die auf dem Gelände des Berliner "Live 8"-Konzerts verkauft wurden. Die Teenager tragen Hemden mit dem Aufdruck: "Dieses T-Shirt verändert die Welt." Selbstbewußt sind sie immerhin, die Gutmenschen, die auf die noch größeren, prominenteren Gutmenschen reingefallen sind.

Bob Geldofs Großveranstaltung war symptomatisch für den geistigen Zustand der westlichen Welt. Die einzige Forderung der Organisatoren - "Schuldenerlaß für Afrika!" tat niemandem wirklich weh und ging selbst Alt-Rocker Peter Maffay nicht weit genug. Offensichtlich hatten die Veranstalter von "Live 8" übersehen, daß die Staatschefs der G8-Staaten diese Minimalforderung bereits im Juni mit ihrer Entscheidung erfüllt hatten, 37 armen Staaten die Schulden zu erlassen. Für gewöhnlich bläst man seine Demonstration ab, wenn ihr Adressat die Forderungen der Demonstranten bereits erfüllt hat (die Schlaueren würden sich allerdings fragen, ob man die richtigen Forderungen gestellt hat, wenn es Leuten wie Blair oder Schröder so leicht fällt, diese zu erfüllen). Nicht so Bob Geldof und Konsorten, die ihr globales Konzert eisern durchzogen.

Und so kam es, daß in London Pink Floyd eine Reunion zelebrieren durften und daß als einziger afrikanischer Act Youssou N'Dour ein peinliches Duett mit Dido sang. Und ein weiteres Mal wurde klar, daß der deutsche Beitrag zur aktuellen Popkultur höchstens drittklassig ist - Bands wie BAP, Silbermond, Sasha oder Juli mühten sich, ihre kostenfrei im Funk und Fernsehen übertragenen Showcases anständig über die Bühne zu bringen. Warum etwa Wir sind Helden, eine Art Nena mit Infostand, das Publikum dazu bewegen wollten, "Scheiß auf Pop" zu deklamieren, blieb ein Rätsel. Die Zuhörer ignorierten diese Aufforderung der Sängerin genauso wie ihre Bitte, am nächsten Tag mit Bussen nach Edinburgh zur Demonstration zu fahren - ganze 200 Demonstranten fanden sich dort ein. Und auch von Wir sind Helden oder Juli ist nicht bekannt, dass sie ihre Tourneen unterbrochen hätten, um in Schottland auf die Straße zu gehen.

Stars wie Herbert Grönemeyer kutschierte man in Luxuskarossen zum Ort des Geschehens, im abgesperrten Backstage konnten sich "Celebrities" wie Barbara Becker oder Claudia Schiffer im exquisiten Ambiente wichtigtun und jene Armbändchen zur Schau tragen, die Geldof im Rahmen seiner Kampagne "Make Poverty History" verkauft. Die Anti-Armut-Accessoires, von denen inzwischen bereits mehr als drei Millionen weggegangen sind, werden übrigens, wie der "Guardian" herausfand, in China hergestellt, unter "ausbeuterischen Bedingungen". Davon las man in der gleichgeschalteten deutschen Presse natürlich nichts, stattdessen räumte etwa das Feuilleton der "Süddeutschen Zeitung" viel Platz für den hiesigen Konzertveranstalter frei.

Der Chef eines österreichischen Limonadenkonzerns leistete sich nach einem Formel 1-Rennstall und einem Salzburger Fußballverein diesmal eben eine Gruppe Prominenter und ließ Leute wie Campino, Barbara Becker, Elton John oder die Sänger von Reamonn und H-Blockx in seinem Privatjet von Berlin nach Edinburgh fliegen, denn: "Es geht um die Botschaft" (Campino).

Englische Musiker, von Blur bis Oasis, kritisierten immerhin, daß diejenigen, für deren Anliegen man einzutreten vorgibt, nicht zu ihrer eigenen Party eingeladen worden waren. Erst nachdem in der britischen Presse das vollständige Fehlen afrikanischer Künstler bei "Live 8" moniert hatte, schoben die Organisatoren eilig eine Kleinveranstaltung vor 3.000 Gästen an einem abgelegenen Ort nach. Wenn "Live 8" ein Forum für afrikanische Kultur zur Verfügung gestellt hätte, wenn Musiker wie Baaba Maal, Daara J, Femi Kuti, Rokia Traoré, Tarika oder wie sie alle heißen, aufgetreten wären, dann hätte man das "Event" kulturell ernstnehmen können. Wenn "Live 8" wenigstens ein paar handfeste politische Forderungen aufgestellt hätte - man denke nur an all die Probleme, die die Erste Welt in Afrika verursacht: millionenfach Aids, ohne daß die westlichen Pharmakonzerne Medikamente zu vertretbaren Preisen zur Verfügung stellen; skandalöse Terms of Trade, die die afrikanischen Produzenten benachteiligen; die Unterstützung von Diktaturen durch Ölkonzerne, um nur einige Beispiele zu nennen -, dann hätte man das "Event" politisch akzeptieren können.

So aber entpuppt sich "Live 8" als Showcase-Forum für abgehalfterte Künstler, als "obszön" im Sinne Marcuses. Wenn Bono und Geldof in schönstem Einvernehmen mit Schröder und Blair posieren, haben sie alle etwas davon: Bono macht kostenlose Werbung für seine gerade stattfindende Welttournee, Schröder hat ein hübsches Foto mit Popstars für seinen Wahlkampf, und Sankt Geldof wird prompt für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. "Wir fangen an, zu verstehen, dass die Leben der Armen in Afrika nicht von Wohltätigkeit, sondern von Gerechtigkeit abhängen", sagte Geldof und begrüßte die Ergebnisse des G8-Gipfels. War da was? Die Regierungschefs der G8-Staaten haben in Edinburgh ein Entwicklungshilfepaket von 51 Milliarden US-Dollar beschlossen, das zur Entschuldung von 18 der ärmsten Länder eingesetzt werden soll. Die Entwicklungsländer zahlen aber jährlich über 300 Milliarden US-Dollar an Zinsen und Tilgungen. Durch den G8-Beschluß wird es im kommenden Jahr gerade mal eine Milliarde US-Dollar weniger sein - reine Publikumsverarsche also. Wahrscheinlich ist genau das die Gemeinsamkeit von Pop und Politik.

Und cui Bono - wem hat das ganze Spektakel genützt? Die CD-Verkäufe der an "Live 8" beteiligten Künstler sind drastisch angestiegen - das "Best of" von Pink Floyd etwa hat sich, wie der "Daily Mirror" herausfand, um 1.343 Prozent mehr verkauft, The Who brachten es auf eine um 863 Prozent erhöhte Nachfrage, die Eurythmics auf 500 Prozent, sogar Madonna verkaufte um 200 Prozent mehr Alben. Noch Fragen? Höchstens eine: what comes next? Wie wäre es mit einem "Schröder 8"? Sankt Geldof und Bono könnten sich mit Kanzlerkumpel Udo Lindenberg zusammentun und ein Spektakel zugunsten der Wiederwahl von Rotgrün inszenieren. Das fehlt uns sozusagen noch.


Berthold Seliger


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