15.10.2014

Apple zensiert Nippel

Apple als Maschine der Kontrollgesellschaft, als eigene Kontroll- und
Zensurinstanz sozusagen: Wie Jens Friebe im Interview mit „Intro“ erzählt, hat
iTunes seine erste Platte nicht auf die Verkaufsplattform eingestellt, „warum das so ist, sagen die nicht“. Und
beim Cover seines aktuellen Albums „hat
man uns, was das jetzige Cover angeht, sozusagen im Vorfeld dazu geraten, den
Nippel zu zensieren“, obwohl der „bei
der Größe, in der das Cover auf iTunes steht, sowieso nicht sichtbar gewesen
wäre.“ Aber wer bei Apple Alben kauft, ist sowieso selber Schuld, also...

15.10.2014

Die SUISA schreibt mir eine Mail

Anfang Oktober
trat ich mit meinem Vortrag „Das Geschäft mit der Musik“ in der Schweiz, im
wunderbaren „Bad Bonn“ in Düdingen in der Nähe von Bern auf. Der Veranstalter
hatte auf die Lesung auf seiner Homepage u.a. mit einem kleinen Zitat aus
meinem Buch geworben, wonach der SUISA-Chef (SUISA ist die Schweizer GEMA)
jährlich 357.000 Schweizer Franken verdienen würde (und der Chef der Schweizer
„VG Wort“, also der „ProLitteris“, hat noch mehr eingestrichen...) – als diese
Einkommenszahlen erstmals veröffentlicht wurden, äußerten Erfolgsautoren wie
Alex Capus ihren Unmut über die Verteilung der Einnahmen zwischen Funktionären
und den Autoren, und Politiker verschiedenster Fraktionen kündigten eine
parlamentarische Initiative an, die die Gehälter auf das in der Staatsverwaltung
übliche Niveau senken sollte. Die Funktionäre jedoch sahen, dort wie hier,
keinerlei Handlungsbedarf. Ernst Hefti, der Direktor von ProLitteris, meinte,
auf das Mißverhältnis zwischen den Einkommen vieler Urheber und dem seinigen
angesprochen, im „Tagesanzeiger“ lapidar, daß schließlich „jeder seinen Beruf
selber wählt“ – also gewissermaßen: Künstler, ihr seid selber Schuld, wenn ihr
so blöd seid, Musiker oder Autoren zu sein, machts halt wie ich, werdet
Funktionär einer Verwertungsgesellschaft, dann bekommt ihr auch ein
Herrschaftsgehalt!Am Nachmittag vor dem Auftritt erreichte mich eine Mail von Giorgio
Tebaldi, dem „Abteilungsleiter Kommunikation“ der SUISA; darin hieß es u.a.: „Sie halten heute Abend im Bad Bonn in
Düdingen eine Lesung mit dem Titel ‚Das Geschäft mit der Musik’. Im Teaser
schreiben Sie, daß das Jahresgehalt des SUISA-Generaldirektors CHF 357.000
beträgt. Wie Sie im SUISA-Geschäftsbericht 2013 auf Seite 20 lesen können,
beträgt das Gehalt CHF 303.613. Die von Ihnen genannte Zahl bezieht sich
unseres Erachtens auf das Jahresgehalt des Vorgängers Alfred Meyer im Jahr
2008. Ich möchte Sie bitten, in Ihrer Lesung das tatsächliche, aktuelle
Jahresgehalt zu nennen. Besten Dank und freundliche Grüße.“Um ehrlich zu sein, hatte ich gar nicht vor, bei meinen Vortrag
überhaupt auf die SUISA und die Gehälter ihrer Generaldirektoren einzugehen –
ihr Abteilungsleiter Kommunikation brachte mich allerdings auf die Idee, und so
las ich seine Mail unter großem und anhaltendem Gelächter des Publikums vor.
Womit uns schließlich allen gedient war.

15.10.2014

Helmut Markwort wanzt sich an

Drollige Nachricht: Helmut Markwort, der damalige sogenannte
Chefredakteur und heutige Herausgeber des sogenannten „Focus“, hat zugegeben,
für seine Zeitschrift unter einem Pseudonym Beiträge über den FC Bayern München
geschrieben zu haben, obwohl er Mitglied im Aufsichtsrat des Vereins war. Und
was hat er enthüllt? Was man im „Focus“ eben so als investigative Recherche
versteht: „...was es bei einer
Rußland-Reise zu essen und zu trinken gab oder wer wo saß.“ („FAZ“). Nun ja.Dann fragt die „FAZ“ sich und uns noch, ob Markwort in einem „Rollenkonflikt“ gesteckt habe. Markwort? Rollenkonflikt?!? Ich
bitte Sie. Da müßte diese Knallcharge doch kapiert haben, was die Grundregeln
des Journalismus sind. Und so was wird dem Chef-Anwanzer und der FC Bayern-Betriebsnudel
in diesem Leben nicht mehr passieren. Wort.

09.10.2014

Weihnachtsware im Herbst

Liebe QualitätsjournalistInnen! Seid höflichst daran erinnert, daß es
bereits Oktober ist. Seit geraumer Zeit stapeln sich in den Supermärkten die
Weihnachts-Süßigkeiten, Lebkuchen, Nikoläuse, wasweißich. Falls es noch nicht
geschehen sein sollte, ist es also allerhöchste Eisenbahn, eure einschlägigen
Besinnungsaufsätze auf den Titelseiten oder Feuilletons oder Kommentarspalten eurer
Zeitungen loszuwerden: wie furchtbar es doch ist, daß sich in den Supermärkten
bereits mit Herbstbeginn die Weihnachtsware stapelt, wie schön das Leuchten in
den Kinderaugen der Adventszeit doch frührer war, und wie die Zeit überhaupt
fliegt und das Internet und Google und... na, ihr wißt schon, was ihr zu
schreiben habt, wollte euch nur kurz dran erinnern. Nicht zu danken, gern
geschehen. Es geht ja schließlich um Qualitätsjournalismus.

21.09.2014

Scorpions @ Fête de la Humanité

Und wissen Sie, wer letztes Wochenende der Headliner des großen
französischen Festivals „Fête de l’Humanité“ im Parc départemental
Georges-Vallon bei Paris war, also dem mehrtägigen Festival der Zeitung der
kommunistischen Partei Frankreichs? Noch vor Massive Attack, IAM, Bernard
Lavilliers, Alpla Blondy und all den anderen? Sie werden nicht drauf kommen:
Die SCORPIONS warens.

„Pour réinventer la liberté, l’égalité et la fraternité“ heißt es im
Untertitel des Festivals. Was für Zeiten. Die Hannoveraner singen für die
französischen Kommunisten, Gorbatschow macht Werbung für Louis Vuitton – was
mag da noch kommen? Ach ja – auch der französische Rüstungskonzern Lagardère
und das französische Staatsfernsehen TF1 halten größere Anteile an l’Humanité –
so ist das in unserem Nachbarland, „winds
of change“ sozusagen...

21.09.2014

Was ist Musik? Und Universal will an ihr Entertainmentbudget!

Was ist Musik?„Musik ist
und bleibt der Brandbeschleuniger der Kreativökonomie im Netz", sagt
der Deutschland-Chef von Sony Music Entertainment.

Und was ist eine Plattenfirma?„Wir – und das
meint Universal Music ganz besonders – sind der Innovationsmotor unserer
Branche, aber mittlerweile auch als Business-Avantgarde auch für andere
Branchen,“ tönt Frank Briegmann, „President Central Europe und Deutsche Grammophon
Universal Music International“ (was für eine Visitenkarte muß das sein! wer hat
die größte...)Und der Universal-Chef macht klar, worum es ihm als, wenn man das mit
der Business-Avantgarde mal etwas weiterspinnt, Business-Leninisten so geht:„Es geht um den
Kampf ums Portemonnaie der Konsumenten. Es geht um ihr Entertainment-Budget und
wie wir es zu uns und unseren Künstlern lenken.“

21.09.2014

BMW zum Letzten!

Wenn es um derart hehre Ziele geht, also „ums Portemonnaie der Konsumenten“, „um ihr Entertainment-Budget“ und wie es am schnellsten in die
Kassen von Universal Music, des Weltmarktführers unter den Tonträgerkonzernen,
gelenkt werden kann, dann möchten die Berliner Sozialdemokratie und das
Berliner MusicBoard nicht abseits stehen, sondern tatkräftig mithelfen.„Berlin Music Week“ (BMW), Sie wissen schon – diese komische und sehr
überflüssige Stadtmarketingveranstaltung, veranstaltet unter der Zuständigkeit
des Berliner Wirtschafts(!)senats von Leuten, die es als Erfolg ansehen, wenn
„Ruhe im Karton“ herrscht. Im Juli 2009 habe ich in der „Berliner Zeitung“
bereits den „Nachruf auf
eine Funktionärsmesse“ veröffentlicht, und dem ist auch heute nur wenig
hinzuzufügen, und das Nötige hat Jens Balzer in einem herrlichen Artikel in
selbiger Zeitung unter dem Titel „Warum Berlin keine Music Week braucht“ dieser Tage geschrieben.
Klar: kein Mensch, der noch bei Trost und bei klarem Verstand ist, wird zu
einem in Kooperation mit ausgerechnet dem Axel Springer-Konzern veranstalteten
„Music Hack Day“ gehen, oder zum „Berliner Pilsner Music Award“, oder sich in
den „Music Startup Corner“ setzen, wo unter anderem im Rhythmus blinkende Mobiltelefonhüllen
angeboten werden, oder zu einer ausgerechnet von der O2 World, also der
Berliner Mehrzweckhalle im charmanten Parkhauscharakter, präsentierten
Straßenmusiker-Minibühne gehen oder zu sonstigen Verzweiflungs-Veranstaltungen,
die eine „möglichst ideale Verbindung von
Business- und Publikumsevent anstreben“, also in Wirklichkeit
Werbeveranstaltung für die jeweiligen Geschäftsmodelle der jeweiligen Firmen. „Nicht nur über Musik reden, sondern hin
zum Making, zum kreativen Event.“ I’m awfully sorry, aber wer so
daherplappert, hat verloren. Und zwar völlig zurecht.

Und so ist es erfreulich, logisch und konsequent, daß es die BMW künftig
nicht mehr geben wird. Weniger erfreulich, eher unlogisch und wenig konsequent
ist es, daß es künftig stattdessen ein neues Stadtmarketingdingens geben wird
unter dem achsodollen Titel „Pop=Kultur“, unter dem Dach des Berliner
Musicboards und mithin der Staatskanzlei. Nun kann man am Berliner Musicboard
ja sehr schön sehen, wie ein schlechtes und falsches Konzept durch die
richtigen Personen, also vor allem durch Katja Lucker, dennoch zu etwas
Sinnvollem mutieren kann. Was man sich aber dabei gedacht hat, jetzt eine neue
Stadtmarketingveranstaltung anzugehen, bleibt ein Rätsel, ebenso wie das
ausgewählte Personal. Denn die „Kuratoren“ – denn alle Kunst muß heutzutage
kuratiert werden, das subversive Potential von Pop- und Subkultur soll von
staatlichen oder staatlich finanzierten Bediensteten begradigt werden; Keith
Richards sagte dazu: „Ein
Rock’n’Roll-Kurator? Das ist das Albernste, was ich je gehört habe“... –
die Kuratoren also sind in dem Fall ein Pop-Fan-Boy, der schon dazu beigetragen
hat, kritiklos ein einstmals renommiertes Musikmagazin für die Konsumindustrie
zuzurichten („wir sind so unabhängig wie möglich“, hieß es seinerzeit, als zu
erklären war, warum die Werbekunden direkten Zugang auf die Inhalte des Blattes
bekamen), und ein Tourveranstalter, der gerne mit sich selbst verhandelt, weil
er gleichzeitig bereits Musikkurator eines Berliner Theaters ist, ein Bock
also, der jetzt an einer zweiten mit öffentlichen Geldern subventionierten
Stelle herumgärtnert. Und zu welchem Zweck? Damit schließt sich der Kreis –
denn Björn Böhning (SPD), Leiter der Berliner Staatskanzlei, zeigte sich laut
„Berliner Zeitung“ erfreut und beglückt, daß auch „der Musikkonzern Universal,
der sich in den vergangenen Jahren demonstrativ von der BMW ferngehalten hatte
erstmals wieder Interesse an einer Kooperation bekundet“ habe.

So kommt wie immer eines zum anderen und alles zu einem...

Mein Vorschlag ist: Laßt es endlich bleiben! Berlin braucht keine wie
auch immer geartete Branchenveranstaltung. Und die Welt braucht keinen weiteren
Branchentreff, der Terminkalender der Musikfunktionäre und Protagonisten ist
ohnedies schon eng gefüllt mit all den weltweiten
Stadtmarketingveranstaltungen. Investiert das eingesparte Geld in die
musikalische Bildung – die Musikschulen Berlins brauchen dringend korrekt
bezahlte, fest angestellte LehrerInnen, und an den Schulen fällt auch in Berlin
ständig der Musikunterricht aus. Da ist Nachholbedarf, da ist das Geld gut
angelegt in die Kreativität künftiger Generationen. Und wenn irgendwer was
wissen willen über das, was in der reichhaltigen Berliner Musikszene so läuft –
gebt ihm statt ausgeklügelt kuratierter, überflüssiger Veranstaltungen einfach einen
Stadtplan mit all den kleinen und großen Clubs in die Hand und ein örtliches
Stadtmagazin, in dem all die zig Konzerte verzeichnet sind, die allabendlich in
Berlin stattfinden. Denn Berlin ist längst Pop. Punkt.

21.09.2014

BMW: Audiolith, Landstreicher

(Wie man es richtig macht, wenn
man schon unbedingt mittun will oder muß, bewiesen Audiolith und Beat The
Rich/Landstreicher: entweder packt man, wie die letztgenannten, seine größten
Acts, die normalerweise zigtausende Fans ziehen können, in einen dramatisch zu
kleinen Club und schaut, was so passiert – toll! da will man doch gleich mittun
und ebenfalls Teil einer Jugendgefährdung sein... oder man reicht, wie Erstere,
an einer Frittenbude ukrainische Teigtaschen und Freibier und verzichtet ganz
auf das Abspielen von Musik, weil Musik eben nicht zur Hintergrundbedudelung
taugt und die Leute sowieso quatschen und ukrainische Teigtaschen futtern
wollen... Respekt, liebe Kollegen!)

21.09.2014

Miley Cyrus & ihr Facebook

Haben Sie auch die Ausschnitte von den MTV-Awards gesehen? Wie Miley
Cyrus statt einer eigenen Dankesrede einen jungen Obdachlosen auf die Bühne
holt und ihn von seinen Problemen erzählen läßt? Mal abgesehen davon, daß der
junge Obdachlose tags darauf von der Polizei verhaftet wurde, weil wohl ein
Haftbefehl gegen ihn vorlag, und mal abgesehen von der schwülstig-peinlichen
Von-Sich-Selbst-Ergriffenheit der Miley Cyrus und ihren wohlplazierten Tränchen
und all dem, was sich kulturell und ethisch sonst noch zu dieser Szene sagen
ließe, aber: Haben Sie die Kernaussage des jungen Obdachlosen gehört?

„If you wanna make
powerful change in the world right now, please go on Miley’s Facebook site...“

So spielen sie das Spiel heutzutage – wenn ihr was an der Gesellschaft
und all ihrer Ungerechtigkeit ändern wollt – geht auf die Facebookseite eines
Popstars! Macht ein paar Klicks! Fühlt euch besser, denn ihr habt jetzt wirklich
etwas geändert. Wirklich. Powerful.„When all you got
is a hammer /everything looks
like nails.“(Kate Tempest)

21.09.2014

GEMA und Fête de la Musique II

Ich habe an dieser Stelle bereits darüber berichtet, daß die allseits
beliebte Monopolinstitution GEMA mit einer neuen Volte das großartige und
kostenlose Musikfestival „Fête de la Musique“ gefährdet. Anfang September
wurden neue Details bekannt – die GEMA stuft die Fête de la Musique künftig
nicht mehr als das ein, was sie ist, nämlich als ein Stadtfest, sondern als ein
Konzert. Der GEMA-Tarif dafür ist natürlich wesentlich teurer und bedeutet lt.
„Berliner Zeitung“ für die Organisatoren eine Kostensteigerung von sage und
schreibe 63 Prozent; das sind rund 8.000 Euro mehr als bisher eingeplant und finanziert
sind. Etwa 20 Prozent des gesamten Budgets der Berliner Fête de la Musique, bei
der 2014 Musiker, Sänger, Bands und Orchester an 110 Orten in allen zwölf
Bezirken der Stadt auftraten und um die 100.000 Menschen begeisterten, würde
künftig für die GEMA draufgehen. Besonders pervers: die komplette Veranstaltung
wird aus öffentlichen Mitteln finanziert. Der Berliner Senat gibt 24.200 Euro,
die Lotto-Stiftung 80.000 Euro, Mehrausgaben sind nicht erlaubt. Die GEMA will
davon lt. „Berliner Zeitung“ künftig 20.000 Euro, also mehr als 80% des
Senatszuschusses – eine absolute Unverschämtheit. Und der sichere Tod dieses
musikalischen Stadtfestes.Während das GEMA-Pendant in Frankreich, wo die Fête de la Musique
geboren wurde, auf Gebühren komplett verzichtet, also: Musik für Menschen fördert, zeigt die GEMA in Deutschland
die unerbittliche Arroganz der Macht eines Monopolisten: kein Erbarmen!Der Berliner Kulturstaatssekretär griff zur schärfsten Waffe eines
Politikers: er schrieb einen Brief. Das macht sich immer gut, es gaukelt
Tätigkeit vor und ist unverbindlich und letztlich von vornherein erfolglos.
Wenn Tim Renner in dieser Sache ernstgenommen werden wollte, sollte er eine
Gesetzesinitiative starten, um die Rechtslage zu verändern, etwa im Bundesrat.
Der damalige Ministerpräsident Niedersachsens, McAllister (CDU), hatte vor
einigen Jahren Zugeständnisse der GEMA im Tarifstreit gefordert und angedroht,
daß eine neue Aufsichtsbehörde für die GEMA installiert werden könnte – das
wäre doch mal eine Spur, die aufzunehmen sich lohnen würde...

21.09.2014

Grütters und Buchhandel

Das Pendant des Berliner Herrn „Shitnstuff“ (so Franz Dobler über den
Politiker) auf Bundesebene, Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU), macht
sich derweil zur Lobbyistin des Buchhandels und beteiligt sich an der
Dämonisierung von Amazon. Sie subventioniert den stationären Buchhandel mit gut
einer Million Euro, getarnt als Preisgeld, ganz so, wie es die Initiative Musik
mit ihrem „Spielstättenprogrammpreis“ vormacht – das liest sich fein und ist
hübsch öffentlichkeitswirksam, vor allem aber ist es, anders als es eine
substantielle und auf Langfristigkeit angelegte systematische
Spielstättenförderung wäre, völlig unverbindlich.Interessant ist allerdings die Inkompetenz, die Frau Grütters in dieser
Angelegenheit an den Tag legt. Im Interview mit der „Welt“ behauptet sie, es
gebe „momentan noch rund 3500
inhabergeführte Buchhandlungen in Deutschland“ – schön wärs! Es gibt
nämlich nur noch etwa 700 „unabhängige“, also inhabergeführte Buchhandlungen
bundesweit, davon allein in Berlin 295... Aber wer als Kulturstaatsministerin
im nämlichen Interview auch sagt, daß sie „keinen
Unterschied zwischen großen und kleinen Verlagen macht“, hat von dem, was
Teil ihrer Aufgabe ist, eben offensichtlich keine Ahnung.

21.09.2014

Flüchtlinge im Mittelmeer und EU-Asylpolitik

„Das ist kein
Unfall, das ist Mord“, sagte eine Sprecherin der EU-Innenkommissarin
angesichts des Untergangs eines Schiffs im Mittelmeer vor Malta mit 500
Flüchtlingen, die grausam ertranken. Doch was meinte die EU-Sprecherin genau?
Daß es Mord sei, weil die von der EU beauftragte und finanzierte private
Grenzschutztruppe Frontex auf dem Mittelmeer Europa vor all den unerwünschten
Flüchtlingen aus Afrika „schützt“? Oder meinte sie, es sei „Mord“, wenn
beispielsweise Deutschland ein (immer massiver eingeschränktes) Recht auf Asyl
gewährt, das die Flüchtlinge gar nicht wahrnehmen können, weil ein Kordon von
Pufferstaaten die Asylsuchenden abhält, überhaupt nach Deutschland zu gelangen?
Mitnichten. Die EU-Sprecherin meinte lediglich die „erbarmungslosen Schleuser“, als sie von Mord sprach.Es ist ekelhaft. Denn daß Abertausende von Flüchtlingen im Mittelmeer
ertrinken, hat zwar zum Teil mit kriminellen Schleusern zu tun – diese gibt es
aber nur, weil die Grenzen Europas längst zur Festung ausgebaut wurden und
Flüchtlinge kaum eine Möglichkeit haben, tatsächlich nach Europa zu kommen, die
Grenzen zu überwinden. Bundespräsident Gauck hat im vergangenen Jahr angesichts
der Katastrophe vor Lampedusa entlarvt, wie das mit dem Grundrecht auf Asyl in
einem der reichsten Staaten der Erde tatsächlich gemeint ist: Flüchtlingen, so
das Staatsoberhaupt, müsse „Gehör gewährt“ werden, das sei eine „wesentliche
Grundlage unserer Rechts- und Werteordnung“. Zu dieser Rechts- und Werteordnung
gehört also nicht mehr das Gewähren von festgeschriebenen Grundrechten, sondern
lediglich das Gewähren von „Gehör“. Um sie dann wieder abzuschieben.Wir sind alle mitverantwortlich für das, was sich im Mittelmeer
abspielt. Wir sind Mittäter, wenn wir es weiter zulassen, daß Europa zur
Festung ausgebaut wird und Flüchtlinge nicht eingelassen werden, sondern
verzweifelt versuchen müssen, durchs Mittelmeer nach Europa zu gelangen. Und
weiter zu Hunderten, zu Tausenden jämmerlich ertrinken. Es kann keiner sagen,
er habe davon nicht gewußt.

21.09.2014

Kretschmann und Asylpolitik

Zu diesem traurigen Kapitel deutscher Realpolitik paßt, daß der
Bundesrat mithilfe des grünen Ministerpräsidenten Kretschmann das Asylrecht
weiter verschärft hat. Nun gelten die drei Balkanstaaten Serbien, Mazedonien
und Bosnien-Herzegowina als „sichere
Herkunftsstaaten“, in die Asylbewerber schnell wieder abgeschoben werden
können. Obwohl es zweifelsfrei feststeht, daß Sinti und Roma in diesen Staaten,
ebenso wie im rechtsradikal regierten Ungarn, systematisch unterdrückt und
verfolgt werden.Und der grüne Ministerpräsident mußte sich ausgerechnet von seinem
sozialdemokratischen Amtskollegen Albig massiv kritisieren lassen: „Die Tinte, mit der dieser Kompromiss
geschrieben wurde, kommt geradewegs aus dem Gefrierschrank.“Jubel erntete der Grünen-Politiker für seine Zustimmung zur Verschärfung
des Asylrechts natürlich von der Springer-Presse. Ulf Poschardt rief auf der
Titelseite der „Welt“ „ein Hoch auf
Kretschmann“. Das sind also die neuen Freunde der Grünen. Wie weit kann man
noch sinken in die Niederungen, in den Morast deutscher Realpolitik?

21.09.2014

Snowdon, Sascha Lobo

„Weltweit
haben die Dokumente von Edward Snowden zunächst einen antidemokratischen
Spähapparat enthüllt. In der Folge haben sie auch massives Regierungsversagen offenbart, ein totales, vollständiges,
nachhaltiges Versagen demokratischer
Kontrolle. Und zwar genau auf der Ebene, für die Verfassungen ursprünglich
geschrieben wurden, zum Schutz der Bürger vor den Staatsgewalten.“(Sascha Lobo, „SPON“)

21.09.2014

Antisemitismus und Robin Williams

Zum Zustand der hiesigen bürgerlichen Reaktionäre und des Antisemitismus
hat Magnus Klaue für „Jungle World“ Einträge aus dem Leserforum von „Zeit
Online“ zusammengestellt, die den Tod des großen US-Schauspielers Robin
Williams kommentiert haben:

„Eine dumme Amisau
weniger. Danke dir lieber Gott.“ – „Gut gemacht Robin du feige nichtsnützige
US-Transe.“ – „Diesem US-Schergen und Terror-Fürst sollte man in den Sarg
Kacken.“ – „Ich schlage vor man bombardiert die Beerdigung dieses fanatischen
pro-jüdischen Terror Psychopathen.“ – „Säufer, Kinderschänder, Judennazi. Nix
dolles an dieser Terror-Schwuchtel.“ usw. usf.

Der Fehler, den Robin Williams gemacht hat: Er hat, aus einer
anglikanischen Familie stammend, zeitlebens seine Solidarität mit Israel
bekundet; er hat sich als „honorary jew“, als „Jude ehrenhalber“, bezeichnet
und trat z.B. als Entertainer bei Festveranstaltungen der Shoah Foundation auf.
So etwas verzeihen die antisemitischen Deutschen nicht.Deutschland trauert um Robin Williams, im Jahr 2014.

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